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Veröffentlicht am 30.06.2022

Zwischen Gut und Böse - Der Mensch, die Natur und der bedrohliche? Wolf

Wo die Wölfe sind
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Wie man am Klappentext bereits unschwer erkennen kann, dreht sich in diesem Buch vieles um Wölfe. Teilweise würde ich sogar Vergleiche mit "Tiger" von Polly Clark anstellen. Aber dieser Roman thematisiert ...

Wie man am Klappentext bereits unschwer erkennen kann, dreht sich in diesem Buch vieles um Wölfe. Teilweise würde ich sogar Vergleiche mit "Tiger" von Polly Clark anstellen. Aber dieser Roman thematisiert eben nicht nur die Natur, unsere Abhängigkeit von diesem fragilen Ökosystem, dass nicht mal so eben wieder repariert werden kann, sondern es dreht sich sehr viel um Schutz und die beeinflussenden Machtverhältnisse zwischen einzelnen Geschöpfen. Ohne nun zu viel vorweg zu nehmen, dieser Roman war für mich ganz anders als erwartet. Vergleichend mit McConaghys Vorgängerroman "Zugvögel" erwartete ich eher eine Geschichte, die sich sehr intensiv mit den Wölfen, ihren Spuren und Einflüssen auf die Menschheit, die Natur und ihr Umfeld auseinandersetzt und bei der sich die Protagonistin zahlreichen Widerständen entgegenstellen muss, sie und ihr Vorhaben zurückgedrängt wird und sie dennoch einen Weg findet sich für die Wölfe einzusetzen und damit uns irgendwie auch aufzeigt, wie ein wünschenswerter Umgang und der Wildnis aussehen würde, aber dieser Roman ist dann doch eher eine Kriminalgeschichte, in der die menschlichen Abgründe, Annäherungen und der Familienzusammenhalt im Vordergrund stehen. Was ruhig und überschaubar, für mich zeitweise auch sehr langweilig beginnt, wird nach und nach zur wilden Treibjagd, die die Leserinnen beinahe schon selbst zumzur Detektivin werden lässt, denn kaum nach der Auswilderung der Wölfe, gilt es einen Tod aufzuklären und mit ihm eröffnen sich dunkle Schatten, weitere Abgründe in der Vergangenheit einzelner Protagonistinnen und der große Wunsch nach Gerechtigkeit. Aber was ist schon gerecht? Der Mensch, der sich immer weiter ausbreitete, sich als wichtiger als viele andere Tierarten empfindet und am liebsten für alles die Zügel in der Hand hält, sich selbst oder die Natur in einen goldenen Käfig gesperrt hat (wer wen im Käfig hält, darf jeder selbst entscheiden) hat zumindest in der heutigen Zeit mit einigen Konsequenzen und Folgen seines Egoismus und Eingreifen in die natürlichen Kreisläufe zutun und wenn wir nun nicht handeln, wird es nur noch schlimmer werden. Und auch wenn man das natürlich schon längst weiß, so ist dieser Roman doch wieder ein Stück weit erschreckendes Spiegelbild, das auch hier wieder beängstigend und faszinierend zu gleich sein kann, aber eben auch aufzeigt, dass nicht nur das Wilde in der Natur unberechenbar sein kann, sondern auch der Mensch selbst. Das führt sogar soweit, dass man sich beim Lesen ständig fragt, was an dem Erzählten echt, was vielleicht sogar eingebildet ist, welchen der einzelnen Protagonisten man was zutrauen würde und wie weit die Vergangenheit Einfluss auf uns und unser Verhalten nimmt und vielleicht sogar, wie alles hätte anders werden können, würde sich der Mensch als Herrscher über die Natur stellen. Und so war es dann ein zum Ende hin sehr spannendes Leseerlebnis, das einiges in mir hervorgerufen hat, mich gefordert hat und vor allem auch vieles auch mal aus der Sicht der bedrohten Jagdtiere sehen lassen hat. Und so kann ich nun sagen: Ich wünschte mir es würde tatsächlich mehrere Wolfs-Auswilderungsprojekte geben, mehr Menschen wie Inti, die versuchen fürs Gute zu kämpfen, auch wenn es hin und wieder sehr schwer fällt und dass sich der Mensch einfach mehr Gedanken über sein Handeln macht und gerade für diese Aha-Momente und den überschwappenden Drang etwas bewegen zu wollen, möchte ich diesen Roman doch sehr jedem empfehlen.

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Veröffentlicht am 15.06.2022

Kein Sommer ohne den passenden Roman... "Man vergisst nicht, wie man schwimmt" oder etwa doch?

Man vergisst nicht, wie man schwimmt
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Krüger wollte, dass die Zeit verging, was sollte er in seinem Heimatkaff in dieser brütenden Hitze auch anderes machen, als daheim auf kühlere Zeiten zu warten oder mit seinem besten Freund Vik das neu ...

Krüger wollte, dass die Zeit verging, was sollte er in seinem Heimatkaff in dieser brütenden Hitze auch anderes machen, als daheim auf kühlere Zeiten zu warten oder mit seinem besten Freund Vik das neu herausgekommene "Tony Hawk Pro Skater" auf der Playstation zu zocken? Sommer, für viele Spaß und die Gelegenheit im Schwimmbad die Mädels zu beeindrucken, aber nicht für ihn, denn seitdem er nicht mehr schwimmen kann, hasst Pascal Friedrich, wie er wirklich heißt, die Hitze. Doch der 31. August 1999 war trotzdem anders, vielleicht war es sogar der Tag, der ihn aus dieser Erstarrung herausgerissen hat...

"Jeder von uns hat diese Menschen, an die man ab und an denkt und bei denen wir uns fragen, wie ihre Geschichte weiterging. Der witzigste Junge der Welt, der mit uns vielleicht nur ein halbes Jahr in der Klasse war und dann wegzog. Eine ältere Dame, neben der man eine Zugfahrt lang saß. Ein Punk, mit dem man ein Gespräch auf einer Parkbank führte. Die Sängerin [...] Ein Urlaubsflirt. Was macht sie, was macht er heute?
Bei mir ist dieser Mensch das Zirkusmädchen mit den feuerroten Haaren, den wasserblauen Augen und keiner Angst vor nichts."

Jacky lernt er auf sehr ungewöhnliche Weise kennen. Zuerst beobachtet er sie, wie sie in der Glatzen-Filiale ein Nokia 3210 in ihrer Tasche verschwinden lässt und dann klaut sie ihm auf der Flucht vor dem Filialleiter auch noch seinen Rucksack. Er folgt ihr zunächst unglaublich wütend, doch dann ist er nur noch wahnsinnig fasziniert von diesem geheimnisvollen Mädchen mit den roten Haaren, das einfach keine Angst zu haben scheint. Mit seinem Freund Viktor lernt er das Zirkusmädchen Jacky nach und nach kennen und sie erleben in diesem sehr überschaubaren Ort Bodenstein innerhalb eines Tages ein Abenteuer, das Pascal nie wieder vergessen kann. Es ist einfach ein Tag... nein, was sag ich... ein ganzer Sommer, wie ihn der 15-Jährige schon lange nicht mehr hatte und gleichzeitig ist es ein Tag, an dem er sich so einigen Fragen, sich selbst und seiner Vergangenheit stellen muss. Warum schwimmt er nicht mehr? Warum nennt man ihn Krüger? Und warum darf er sich nicht verlieben? Was ist mit Pascal passiert? Jacky findet irgendwie den Draht zu ihm, holt ihn heraus aus seiner Lethargie und auch, wenn dieser Tag nicht endlos ist, noch so viele vor ihnen liegen, muss Pascal ihr wenigstens eins versprechen, von nun an keinen einzigen Tag mehr zu verschenken.

"Nie werde ich diesen Moment vergessen. Dieses Aufeinanderprallen, das meine Welt aus der Umlaufbahn schmiss. Es hatte lediglich den Bruchteil einer Sekunde gebraucht. Hätte ich eine Armlänge versetzt gestanden, wäre dies ein Tag wie jeder andere geworden.
Doch: Sie war mit Wucht in mich hineingekracht."


Dieser Roman hat mich sehr begeistert und mich mal herausgeholt aus dieser komischen Welt voller Sorgen, Ängste und Probleme. Schon alleine der Gedanke an die Geschichte versetzt mich zurück in meine Kindheit/in die 90er, lässt mich mit Krüger, Jacky und Viktor mitfiebern, Spaß haben und ein wohliges, freudiges Gefühl breitet sich in mir aus. Auch die mitgelieferte Playlist von "Californication" über "A-N-N-A" bis hin zu "My Name is" tut da ihr übriges und lässt neben der passenden Stimmung für dieses Buch eigene Erinnerungen aufblitzen. Kaum zu glauben, dass Christian Hubers Roman fast nur von einem Tag spielt und er dabei so eine tolle, intensive Geschichte erzählt, die zeitgleich noch so viele Themen abdeckt, denn von Bekanntschaft schließen, wilden Partys, Verliebtheit, ein wenig Action, einem Geheimnis, dem großen Verlust, Schmerz, Freude, der Freiheit - endlich über den eigenen Schatten zu springen, Freundschaft und natürlich sehr viel Sonnenschein und Wärme ist alles dabei. Ein bisschen amerikanisch, draufgängerisch und wild, aber zur Unterhaltung ist das eine echt gute Mischung. Und so saugt man diesen unvergesslichen, flirrenden Tag in Krügers Leben und seine Erinnerung nur so auf und möchte weder dass der Tag noch das Buch endet und man dieses kleine Heimatkaff, den Zirkusplatz, die Bucht, den angrenzenden Wald wieder verlassen muss. Für mich ist dieses Buch so viel besser und logischer als Ewald Arenz' "Der große Sommer" und ich kann dann auch nur eine große Empfehlung aussprechen - für mich ist es das Sommerbuch dieses Jahres, auch wenn es laut Roman um den letzten Tag des Sommers geht, den 31. August 1999.

"Was mir von diesem Tag und dieser Nacht [...] geblieben ist, passt in eine Metallbox. Darin sind auch mein Sturmfeuerzeug und Jackys Klappmesser [...] Das Messer würde mir Jacky schenken, hatte Vik gesagt. Sie brauche es nicht mehr. Ebenso wie das Nokia 3210. Und das Foto von uns dreien. Das Polaroid-Bild von Jacke, Viktor und mir aus dem Colorado, auf dessen Rückseite Jacky eine mit Kugelschreiber geschriebene Nachricht für mich hinterlassen hatte..."

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Veröffentlicht am 02.06.2022

Albrecht Selge, "Luyánta [und] das Jahr in der Unselben Welt"

Luyánta
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Ab und zu liebe ich es mal etwas ganz anderes zu lesen, in andere Welten abzutauchen, mich auf Neues einzulassen... und gerade hierfür versuche ich immer mal wieder entsprechend tolle Fantasyromane oder ...

Ab und zu liebe ich es mal etwas ganz anderes zu lesen, in andere Welten abzutauchen, mich auf Neues einzulassen... und gerade hierfür versuche ich immer mal wieder entsprechend tolle Fantasyromane oder Geschichten mit einem Hauch Aberglauben, alten Geister und Sagen zu finden. Die Wintertrilogie von Kathrine Arden fand ich z.B. großartig oder Gusel Jachinas "Wolgakinder" oder "Mr. Parnassus Heim für magisch Begabte" und so stieß ich dann irgendwie auch auf Albrecht Selges "Luyánta".

Die Ausgangslage ist so ein bisschen mit Narnia vergleichbar. Die zwölfjährige Jolantha befindet sich mit ihrer Familie im Bergsteiger-Urlaub. Sie macht einen recht anstrengenden Eindruck, leicht dickköpfig und energisch, teilweise entfernt sie sich von der Familie und geht den Aufstieg allein, bis sie dann eines Nachts von Pfiffen geleitet die Wandershütte und die gekennzeichneten Pfade verlässt. Dabei trifft sie auf die verzweifelt nach ihr rufenden Murmeltiere Paminer und Struggles, die sie anschließend in die Unselbe Welt entführen. Jolantha, in der sie die einst verschollene Prinzessin Luyánta sehen, soll ihnen helfen den Krieg der Fanesleute gegen das Heer des grausamen Adlerprinzen zu gewinnen. Doch sie kämpft nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen die dämonischen Kräfte, die alles ins Unheil stürzen sollen. Auf ihrem Weg findet sie einige Unterstützerinnen, begibt sich auf die abenteuerliche Suche nach den unfehlbaren Pfeilen und dem Weißen Schwert und tritt dann entschlossen dem großen Fein entgegen. Doch wie weit wird sie wirklich gehen und welchen Preis ist sie bereit dafür zu zahlen?

>"Wir wissen, wer du bist, Luyánta", sagte der Greis Titurel. "Das Mitleid ist ein Teil deiner Kraft. Versuche nicht, es abzuschütteln. Denn sonst wist u dich in eine taube, entsetzliche Kampfmaschine verwandeln. So, wie es dem Adlerprinzen ergangen ist." Eine Weile war nur das Knacken und Prasseln des Feuers und ihr Atem zu hören. Dann erst fasst Luyánta sich ein Herz und flüsterte: "Wer ist der Adlerprinz?"<

Anfangs dachte ich noch "Das wird ein toller Ritt" und freute mich auf ein fantastisches Abenteuer in der Unselben Welt, doch meine Reise war dann doch schon recht früh wieder vorbei. Gerade einmal hundert Seiten habe ich gelesen und dann wollte ich einfach nicht mehr, denn weder das Erzählte erschien mit logisch, noch baute sich da ein gewisses Interesse für die Geschichte auf, und wenn ich dann mal wirklich etwas wissen wollte kam recht schnell eine Aussage wie: "Na gut. Aber die Vorgeschichte lass ich weg. Aufstieg und Fall des Fanesreichs, eine glorreiche und todtraurige Angelegenheit. Na, das kennst du wahrscheinlich selbst am besten. Und wenn nicht, dann ist vielleicht ein andermal Zeit. Ist ja nicht Erzähltherapie hier oder Stuhlkreis mit Märchenquatschen, verstehst du, was ich meine?" Und ehrlich gesagt, nein, ich habe es nicht verstanden, denn sind es nicht genau die mystischen, ausgeschmückten Geschichten, die die Leser
innen in eine fremde Welt entführen sollen? Und das zwölfjährige, anstrengende Mädchen Jolantha alias Prinzessin Luyánta, bei deren Aussagen ich mich stets fragte: "Und die soll wirklich erst zwölf Jahre alt sein?", wird die Rettung bringen? Wirklich? Und sollen diese zwei Murmeltiere, die die Ausdrücke "Alter" und "Digger" recht inflationär gebrauchen und deren Dialoge für mich recht unangenehm sind, wirklich die Begleiter in die 'andere Welt' sein, die sich nur ein Fußmarsch entfernt auf der anderen Seite des Berges befindet und von einer starken, dunklen Macht bedroht wird?

"Sind sie so bösartig - die Trussaner?" [...] "Noch bösartiger [...] Denn sie haben jahrhundertelang nichts anderes als Böses getrieben. Darum sind auch ihre Herzen zu Kohle geworden. Früher, in den Zeiten des alten Fanesreichs, war das anders. Da waren sie auch schon Gesindel, lästige Räuber. Nichts als Ärger haben sie gemacht. Aber sie waren doch Menschen. Bruder, Jahrhunderte der Bosheit verwandeln einen!"

Vielleicht merkt man das schon an diesem kurzen Zitat, dass trotz Bedrohung weder Gefühl noch Begeisterung überspringt und wenn dann auch der Rest nicht so ganz stimmig ist, hat es eine knapp 780 seitige Geschichte wirklich schwer. Ich hätte dieses Buch wirklich gerne gemocht, da ich Albrecht Selges Roman "Fliegen" wahnsinnig toll fand, aber "Beethovn" empfand ich dann auch schon sehr speziell und für diesen Ausflug ins Fantasiereich kann ich leider keine Empfehlung aussprechen, weder sprachlich, noch von Seiten der Protagonist*innen und Randfiguren, geschweige denn von der Geschichte selbst. Vielleicht bin ich aber auch einfach zu alt für diesen Roman und diese Umgangsformen oder aber ich lese einfach viel zu wenig Fantasy, sodass ich diese Erzählung mehr schätzen könnte.

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Veröffentlicht am 14.05.2022

ein kulinarischer Genuss mit überraschenden Noten in Richtung Traditionen, Freundschaft, Feminismus und Befreiung

Butter
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Dass japanische Romane bzw. Bücher aus dem asiatischen Raum immer etwas spezieller, zumindest für unsere Breiten recht ungewöhnlich und wild sind, ist glaube ich, kein Geheimnis. Daher bin ich normalerweise ...

Dass japanische Romane bzw. Bücher aus dem asiatischen Raum immer etwas spezieller, zumindest für unsere Breiten recht ungewöhnlich und wild sind, ist glaube ich, kein Geheimnis. Daher bin ich normalerweise immer etwas vorsichtiger, wenn ein hochgelobter Roman aus dieser Region ins Deutsche übersetzt wurde... Aber wer kann bei Genuss in Kombination mit einer Serienmörderin, Gesellschaftskritik, Freundschaft, einer Auseinandersetzung mit Traditionen, Befreiung und und und schon nein sagen? Genau, ich nicht. So ist dann Asako Yuzuki mit ihrem Roman "Butter" in der Übersetzung von Ursula Gräfe in meinem Regal gelandet und ich muss ganz ehrlich sagen, es hat sich innerhalb kürzester Zeit zu einem meiner liebsten Japan-Romane entwickelt.

Alles beruht auf der Geschichte einer Frau, die Männer, die sie über Datingwebsites und Heiratsbörsen kennenlernte, mit aufwändigen Gerichten verführte, ihnen Geld abluchste und sie dann sterben ließ. Es könnten allerdings auch Selbstmorde gewesen sein; allerdings sehr Auffällige. Nun sitzt die mehrfache Mörderin, der neben Betrug in fünf Fällen eigentlich nur zur Last gelegt wurde, dass sie sich in unmittelbarer Nähe zu den Opfern befand, lebenslang im Gefängnis. Dieser Fall, die Person Manako Kajii, ihr Vorgehen und vielleicht auch ihre Lebenseinstellung zog sehr viel Aufmerksamkeit und Aufregung auf sich. Doch was ist wirklich geschehen und wieso legt sie dabei so viel Wert aufs Essen?

"Mir macht es Spaß, Männern Freude zu bereiten, es ist keine Mühe für mich, wie Sie das sehen. Sich um Männer zu kümmern, sie zu unterstützen und zu wärmen ist meine gottgegebene Aufgabe als Frau, und ich fühle mich verpflichtet, ihr nachzukommen. In Ausübung dieser Pflicht wird jede Frau schön, eine Göttin. Verstehen Sie das nicht?"

Auf den ersten Blick wirkt diese rundliche Frau, wie aus einer anderen Welt, in der Margarine und Feminismus Fremdworte sind, und doch zieht ihr Auftreten viele in den Bann. Auch die junge Journalistin Rika möchte die Serienmörderin kennenlernen und ihrem Geheimnis für einen Artikel auf die Spur kommen. Doch dies scheint einfacher gedacht als getan. Erst als ihre Freundin Reiko ihr den Tipp gibt Kajii über ihre Rezepte näherzukommen, möchte diese sie im Gefängnis treffen. Und schwups ist es tatsächlich um Rika geschehen. Mit Aussagen wie "In der Gegend gibt es ein tolles Teppanyaki-Restaurant. Natürlich ist das abgehangene Miyazaki Steak fantastisch, aber für den Reis mit Knoblauchbutter [...] könnte ich sterben. Den müssen Sie probieren und mit Ihren Eindruck schildern. Von Ihnen zu hören ist das Einzige, worauf ich mich momentan freuen kann." lotst sie Rika durch die Welt voller Genüsse, traditioneller Gerichte und zeigt ihr, dass es da draußen mehr gibt, als die Welt, die sie kennt. Butter bildet neben Kajii so ein anziehendes Hauptelement, dass sich kunstvoll durch den Roman zieht, immer wieder auftaucht und eine Verbindung zwischen diesen geschilderten Lebenswelten darstellt. Generell prallt hier sehr viel aufeinander, Rika und Reiko verrennen sich, finden sich wieder, steuern bewusst dem Abgrund entgegen um dem Geheimnis Kajiis auf die Spur zu kommen, doch was dann folgt ist alles andere, als man anfänglich erwartet...

"Ich war genau wie Kajiis Opfer. So hat sie es immer gemacht, sie ist auf den Leuten rumgetrampelt und hat gewonnen. Und es geht weiter. Es gibt mehr und mehr Menschen wie sie. Leute wie ich verkümmern, vielleicht sterben wir auch aus."

Thematisch ist es ein großartiges Buch, dass wirklich alles von Traditionen, Feminismus, patriarchalen Rollen- und Geschlechterzuschreibungen, Aufbruch, Freundschaft, Gesellschaftskritik, etwas Spannung und eine Auseinandersetzung mit dem Spruch "alles eine Frage der Perspektive" bereithält. Kajii steht für mich für die alten Traditionen, die frisch entdeckt sehr toll, anziehend und aufregend sein können, aber rückblickend betrachtet auch sehr starr, aufdrängend und festgefahren. Manchmal führt dies dann sogar so weit, dass Menschen unglücklich werden oder wie in diesem Fall sterben. Und so ergeht es dann auch Rika im Verlauf des Romans. Nach anfänglicher Begeisterung fürs Essen und insbesondere für Butter, sowie Kajiis Anziehung, zahlreichen Gesprächen, die nicht unbedingt so laufen, wie sie sich das wünscht, findet sie irgendwann ihren eigenen Weg und muss sich mit dem gesellschaftlichen Druck auseinandersetzen. So geht es zeitweise z.B. um die Optik, dass sehr dünn als das Schönheitsideal Japans gilt und Normalgewichtig/'der gesunden Norm entsprechend' als liederlich und verkommend. Auch, dass es scheinbar fast nur Margarine zu kaufen gibt und kaum jemand Butter und andere Milchprodukte zu schätzen weiß oder sich Zeit für aufwändige, traditionelle Gerichte nimmt, gibt so einen gewissen Blick auf diese sehr schnelllebige, nicht ganz gesunde Gesellschaft. Oder dann gibt es noch ganze Abschnitte über das Beziehungsgefüge, während ihre Freundin unbedingt ein Kind will und dafür alles zurückstellt, gibt Rika alles um mit der berühmten Serienmörderin ein exklusives Interview führen zu können. Ihre Partner finden sich nicht wirklich in ihren Lebensvorstellungen wieder, sie beschreiten verschiedene Wege und das klassische Familienbild wird durch eine große, befreundete Gruppe ersetzt. Und das scheint in diesem Roman schon etwas ganz besonderes für das traditionelle Japan zu sein. Auch in den Morden, den Beziehungen, die verschiedenen Typen von Männern, Kajiis Sinneswandel und Co kann man noch wahnsinnig viel reininterpretieren, Anmerkungen finden oder so wie ich, ständig begeistert sein. Und ich warne schon vor, trotz einiger kleinerer Längen, macht dieser Roman unglaublich Appetit. Reis mit Butter und Sojasoße hat es mir zum Beispiel sehr angetan und immer wenn ich an dieses Buch denke, denke ich automatisch an dieses simple Rezept. Und so ist es dann insgesamt eine etwas skurrile Geschichte, die die verschiedensten Sinne anregt, zum Nachdenken einlädt, sehr viel Spaß macht und über das eigene Leben nachdenken lässt. Mehr möchte ich dann auch noch nicht vorweg nehmen, ich finde diesen Roman jedenfalls sehr besonders und für mich ist es schon jetzt ein Highlight des Jahres.

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Veröffentlicht am 12.05.2022

Wenn der Sohn auf rechte Wege gerät...

Was es braucht in der Nacht
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Sie waren mal eine Vorzeigefamilie. Der Protagonist ist in diesem Fall, ein Monteur bei der Staatsbahn SNCF, Parteimitglied einer linken Vereinigung, Fußballfan und umsorgender Familienvater. Doch als ...

Sie waren mal eine Vorzeigefamilie. Der Protagonist ist in diesem Fall, ein Monteur bei der Staatsbahn SNCF, Parteimitglied einer linken Vereinigung, Fußballfan und umsorgender Familienvater. Doch als seine Frau mit 45 Jahren an Krebs stirbt, verliert er nicht nur sie, sondern auch ein Stück weit den Bezug zu seinen beiden Kindern. Fus und Gilou, 10 und 7, sind sein ganzer Stolz, doch zwischen Arbeit und Haushalt bleibt für den Familienvater nur noch wenig Zeit für die beiden. Das einzige Highlight, das ihn noch mit Fus verbindet, ist das wöchentliche Fußballspiel. Aber irgendwie läuft es, zumindest in der ersten Zeit...

"Ich hätte Fus gegenüber trotzdem mehr Druck ausüben sollen. Stattdessen sah ich tatenlos zu, wie es allmählich mit ihm abwärtsging. Seine Schulhefte waren schlampig geführt, aber welche Bedeutung hatte das schon? Meine Energie brauchte ich für meine Arbeit bei der Bahn, um vor den Kollegen und dem Chef zu bestehen und meinen verdammten Monteursjob zu behalten."

Und gerade diese fehlende Energie und fehlende Aufmerksamkeit, sollte sich dann rächen, denn bei einer Plakatieraktion sah ein Parteikollege seinen Sohn Fus wie er mit den Rechten des Front National rumhängt. Doch statt mit seinem Sohn die Auseinandersetzung zu suchen, folgen nur ein paar kurze Nachfragen und viel Ignoranz. Der Vater zieht sich zurück, redet mit Fus kaum noch ein Wort, die einzige Verbindung bleibt der jüngere Gilou. Doch auch er kann seinen Bruder nicht retten. Fus rutscht weiter ab, er wird von Extremlinken angegriffen, es eskaliert und die Tragödie nimmt seinen Lauf. Doch was tut man als Vater, wenn er eigene Sohn so in die falsche Richtung abdriftet? Was wenn man sich nichts zu sagen hat und doch so viel? Was bleibt eigentlich noch übrig, wenn alles schon zu spät ist?

"Und ich? Ich schämte mich. Und es beschämte mich, dass wir von nun an damit leben mussten. Was immer wir tun würden oder wollten, Tatsache war: Mein Sohn machte mit den Faschos gemeinsame Sache. Und soviel ich begriffen hatte, fand er großen Gefallen daran.
Wir steckten in eine verdammten Schlamassel. Die Mutti konnte echt stolz auf mich sein."

Eigentlich eine sehr spannende Ausgangslage, aber dieser Roman konnte mich weder mitreißen, noch hat Laurent Petitmangin bzw. die Übersetzung von Holger Fock und Sabine Müller meine Erwartungen erfüllt. Zumindest dachte ich, man könnte mehr in die Gedankenwelt des Vaters blicken, es würde einen Austausch und aufeinanderprallende Meinungen/Welten geben, aber das einzige, was da kommt, ist ein beklemmendes, sich hinziehendes Schweigen, ein sich aus dem Weg gehen und damit irgendwie auch zulassen, dass Fus weiter ins Unglück rennt. Aber gut, dass der Vater nicht gerade der selbstbewussteste ist und den engen Bezug zu seinen Kindern verloren hat, fällt recht häufig durch Sätze wie "Oh, was würde Mutti nur sagen?" auf. Generell stieß mir dieses Wort "Mutti" sehr negativ auf, denn wenn ein Mann um die vierzig/fünfzig von seiner verstorbenen Frau spricht, dann immer "Mutti" sagt und die Kinder am Ende ja auch schon um die 20 Jahre alt sind und "Mutti" immer noch sehr präsent ... das finde ich schon sehr schwierig, zumindest an der deutschen Übersetzung.
Ansonsten gibt dieser Roman wirklich nur sehr wenig her. Das bekannte gewalttätige Aufeinanderprallen von Links- und Rechtsextremen, Schwierigkeiten zuhause und das zögerliche bis fast nicht vorhandene Einschreiten nimmt man als Leserin zwar wahr, aber dieser Text und das Gesagte berühren kaum, alles plätschert mehr vor sich hin und die Sogwirkung fehlte mir komplett. Es ist quasi eine interessante Nebenbeiunterhaltung, die die Leserinnen fordert, denn man weiß, was passieren kann und wofür rechte Kreise bekannt sind, aber man wird eher mit einer untätigen Person, die von fast allem überfordert scheint und fragwürdige 'Mittel' einsetzt, konfrontiert. Das macht es schwierig. Und so erkenne ich dann auch keinen, wie in den Zitaten aus dem französischen Buchhandel versprochenen "Faustschlag", keinen umhauenden und Atem raubenden Roman, der einem die Kehle zuschnürt, mitreißend, überwältigend und vor Leben sprüht... eher ist es das komplette Gegenteil, das in seiner Form allerdings der Realität viel zu nahe kommt. Und vielleicht ist das dann auch eher das Beklemmende an diesem Roman, das beschriebene Nichtstun, bis es in Übergriffigkeit und einer Tragödie endet. (Wobei auch da, hätte man aus dieser Geschichte eindeutig mehr herausholen können).

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