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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.12.2022

Post aus schlimmen Zeiten

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Im Kassel der 30er Jahre sind die Familien Kuhn und Martens miteinander befreundet – die Eltern ebenso wie die Kinder. Gerhard Kuhn äußerst sich in der Öffentlichkeit kritisch über die Nazis und muss schließlich ...

Im Kassel der 30er Jahre sind die Familien Kuhn und Martens miteinander befreundet – die Eltern ebenso wie die Kinder. Gerhard Kuhn äußerst sich in der Öffentlichkeit kritisch über die Nazis und muss schließlich mit seiner Frau das Land verlassen. Die Kinder Adele und Albert bleiben in Deutschland zurück. Gerhard Kuhn lebt zunächst in Frankreich und baut sich schließlich in Portugal eine neue Existenz auf. Hermann Martens hat es als Anhänger des Regimes leichter und nutzt seine Verbindungen, um seinen Sohn Richard vor dem Gefängnis zu schützen, als der sich durch seine verbotene Liebe in Schwierigkeiten bringt. Adele liebt Richard, aber ihre Liebe wird nicht erwidert. Dafür stehen sich Albert und Richard umso näher. Später wird Adele die an sie gerichteten Briefe Richards von der Front weiterleiten. 6o Jahre später überlässt eine fremde Frau diese Briefe zusammen mit Dokumenten über den Verkauf der Kuhn-Villa an die Familie Martens der Anwältin Cara Russo in einem Aktenkoffer in einem Kasseler Café. Caras Neugier ist geweckt. Sie geht der Sache nach, trifft Überlebende und rekonstruiert die Ereignisse von damals. Die letzten fehlenden Informationen bekommt der Leser in einem Epilog.
Mechtild Borrmann versetzt uns in eine finstere Epoche der deutschen Geschichte und erzählt von einer verbotenen Liebe, aber auch von Habgier, Verrat und Mord. Der Roman ist auch sprachlich hervorragend gelungen. Ich war schon vorher ein Fan der Autorin, und werde es mit Sicherheit auch bleiben. Eine uneingeschränkte Empfehlung für diese spannende Mischung aus Zeit- und Familiengeschichte.

Veröffentlicht am 22.11.2022

Wie lebt es sich mit lebenslangen Schuldgefühlen?

Als die Welt zerbrach
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“Als die Welt zerbrach“ ist die Fortsetzung von John Boynes berühmtem Roman “Der Junge mit dem gesteiften Pyjama“ aus dem Jahr 2006, den man kennen sollte, denn der Autor bezieht sich hier immer wieder ...


“Als die Welt zerbrach“ ist die Fortsetzung von John Boynes berühmtem Roman “Der Junge mit dem gesteiften Pyjama“ aus dem Jahr 2006, den man kennen sollte, denn der Autor bezieht sich hier immer wieder auf Personen und Episoden aus dem Vorgänger. Im neuen Roman steht nicht der Bruder, sondern seine Schwester Gretel im Mittelpunkt. Sie ist inzwischen knapp 92 Jahre alt und lebt seit Jahrzehnten in ihrer Wohnung im vornehmen Londoner Viertel Mayfair. Nach dem Krieg floh sie mit ihrer Mutter von Polen nach Frankreich, wo sie schnell enttarnt wurden und in eine gefährliche Situation gerieten. Gretel lebte danach kurze Zeit in Australien, später dann dauerhaft in London, wo sie den Historiker Edgar Fernby heiratete und einen Sohn bekam. Inzwischen ist sie seit vielen Jahren Witwe. Ihr Leben gerät aus den Fugen, als ein Ehepaar mit Kind einzieht. Der 9jährige Henry erinnert sie an ihren Bruder Bruno, und ihre Vergangenheit droht ans Licht zu kommen. Ihr geliebter Vater war Kommandant von Auschwitz, und die Frage der Schuld hat sie ihr ganzes Leben lang gequält, auch ihre eventuelle Mitschuld am Tod des jüngeren Bruders. Jetzt bekommt sie schnell mit, dass der neue Mieter, der bekannte Filmproduzent Alex Darcy-Witt, Frau und Sohn schlägt und dabei erheblich verletzt. Wenn sie nicht handelt, macht sie sich wieder schuldig, aber kann sie den Jungen retten, ohne ihre eigene Sicherheit zu kompromittieren? Kann sie ihr Eingreifen als Buße für ihr Verhalten in der Vergangenheit rechtfertigen? Das Ende ist spektakulär und etwas unglaubwürdig und passt eigentlich nicht wirklich zum Charakter der Figur.
Mir hat der Roman dennoch gut gefallen, obwohl er nicht ganz an den Vorgänger heranreicht. Der Autor setzt sich gekonnt mit den dunkelsten Aspekten der menschlichen Natur auseinander und macht deutlich, dass das Vergangene nie vorbei ist und man sich ihm stellen muss. Ein empfehlenswertes, wichtiges Buch über ein finsteres Kapitel der deutschen Geschichte.

Veröffentlicht am 16.10.2022

Japanisches Ambiente in (m)einer deutschen Küche

Tohrus Japan
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Ich besitze eine reichhaltige Kochbuchbibliothek und habe noch kein Kochbuch, das so ist wie "Tohrus Japan - Alles außer Sushi" des Sternekochs Tohru Nakamura. Das ausgesprochen ansprechende, mit attraktiven ...

Ich besitze eine reichhaltige Kochbuchbibliothek und habe noch kein Kochbuch, das so ist wie "Tohrus Japan - Alles außer Sushi" des Sternekochs Tohru Nakamura. Das ausgesprochen ansprechende, mit attraktiven Fotos der verschiedenen Gerichte bebilderte Kochbuch aus dem Gräfe und Unzer Verlag ist von der Gestaltung her hervorragend gelungen. Der Leser erfährt sehr viel aus dem Leben des Sternekochs, und dieser nimmt dem Hobbykoch gleich in seinem Vorwort die Angst, dass man ein Profikoch sein muss, um mit unbekannten Gewürzen unbekannte Gerichte zu kochen. „Mut dagegen ist beim Kochen ganz essenziell.“ (S. 9) Da bin ich dabei. Das Rezeptregister ist bei diesem Kochbuch anders gegliedert, als man es sonst gewohnt ist. Die Unterteilung erfolgt nach den Zutaten, so z.B. Sesam, Ei, Koji, Reis, Katsuobushi und jeder Rezeptteil beginnt mit der Warenkunde. Dies ist ausgesprochen hilfreich, da in meiner Küche sehr wenig z.B. mit Koji - eine Art Schimmelpilzkultur - gearbeitet wird. Die 60 Rezepte sind beeindruckend, die Erklärungen zur Zubereitung sind gut verständlich, jedoch wie ich finde, nicht in Windeseile auf den Teller gezaubert. Hier sind erst umfangreiche Vorarbeiten notwendig, da einige Zutaten wie u.a. Hijiki-Algen oder Bonitoflocken bei mir nicht auf Vorrat liegen. Wenn man sich als Hobbykoch etwas Zeit nimmt, die Einkäufe gut plant und sich dann an das Nachkochen heranwagt, bin ich mir sicher, wird sehr schmackhaftes und ausgefallenes Essen auch zu Hause gut gelingen. Dieses etwas andere Kochbuch gefällt mir ausgesprochen gut.

Veröffentlicht am 01.10.2022

Die Aufklärung der rätselhaften Honjin-Morde

Die rätselhaften Honjin-Morde
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Seishi Yokomizos im Original schon vor Jahrzehnten erschienener Roman “Die rätselhaften Honjin-Morde“ liegt nun erstmalig in deutscher Übersetzung vor. Die Geschichte spielt im Jahr 1937 in einem japanischen ...

Seishi Yokomizos im Original schon vor Jahrzehnten erschienener Roman “Die rätselhaften Honjin-Morde“ liegt nun erstmalig in deutscher Übersetzung vor. Die Geschichte spielt im Jahr 1937 in einem japanischen Dorf. Kenzo Ishiyanagi, der älteste Sohn der Witwe Itoko, heiratet die deutlich jüngere Lehrerin Katsuko. Die Hochzeit findet auf dem Anwesen der reichen Familie nach traditionellen Riten und untermalt von den Klängen der Koto statt. Dann passiert das Unvorstellbare: Mitten in der Hochzeitsnacht hört man aus dem Schlafzimmer der Brautleute im Nebengebäude nicht nur die Klänge der Koto, sondern auch furchtbare Schreie. Die Angehörigen verschaffen sich Zugang zu dem von innen verschlossenen Zimmer und finden das Paar in einer Blutlache tot auf seinem Bett. Es ist nicht erkennbar, wie sich jemand Zugang zu dem Zimmer verschaffen konnte, und im frischen Schnee vor dem Haus sind ebenfalls keine Spuren zu sehen. Der Onkel der Braut ruft seinen Freund Kosuke Kindaichi, einen begnadeten Detektiv, zu Hilfe. Dieser braucht keinerlei Hilfsmittel, sondern lediglich seinen Verstand, um den Hergang der Ereignisse zu rekonstruieren. Aufgeschrieben wird die ungewöhnliche Geschichte von einem Autor, der als Ich-Erzähler auftritt und Zugang zu allen Materialien hat. Er ist fasziniert sowohl von dem traditionellen Instrument der Koto als auch von dem Rätsel der Morde hinter von innen verschlossener Tür. Diese stellen ein eigenes Genre innerhalb der englischen und französischen Kriminalliteratur dar.
Ich habe die Lösung des Rätsels nicht erraten können. Der Roman hat mir sehr gut gefallen, vor allem, wie der Autor dem Leser trotz des geringen Umfangs die Figuren nahebringt und viele Details zur japanischen Lebensart und Kultur vermittelt. Die Darstellung ist knapp und präzise und vermeidet die weitschweifige Art des Erzählens, die mich in vielen europäischen und amerikanischen Krimis stört. Dieser Roman gehört zu den besten Büchern, die ich in diesem Jahr gelesen habe. Ich hoffe, es wird weitere Übersetzungen ins Deutsche geben.

Veröffentlicht am 01.10.2022

Was geschah wirklich während des Sturms?

Der Sturm
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In Jane Harpers neuem Roman geht es um einen verheerenden Sturm und um ein Verbrechen in der Erzählgegenwart. Zwölf Jahre zuvor waren die Freunde Toby und Finn ertrunken, als sie versuchten, Finns Bruder ...

In Jane Harpers neuem Roman geht es um einen verheerenden Sturm und um ein Verbrechen in der Erzählgegenwart. Zwölf Jahre zuvor waren die Freunde Toby und Finn ertrunken, als sie versuchten, Finns Bruder Kieran zu retten. Gleichzeitig verschwand die 14jährige Gabby, Schwester von Olivia Birch. Die Menschen aus dem Ort gaben Kieran die Schuld an dem Tod der Männer genauso wie seine Eltern. Kieran verließ damals die Gegend und kehrt erst jetzt mit seiner Freundin Mia und ihrer kleinen Tochter vorübergehend zurück, um seine Eltern zu unterstützen. Man begegnet ihm noch immer mit Misstrauen und Ablehnung. Dann wird Bronte, eine junge Künstlerin, erwürgt am Strand gefunden. Bei den Ermittlungen hilft auch Detective Inspector Sue Pendlebury aus Hobart, die bald auf Ungereimtheiten bei der damaligen Untersuchung der Todesfälle und des Vermisstenfalls stößt. Ihr und allen Betroffenen ist klar, dass die Wahrheit nie ans Licht gekommen ist, ja sogar bewusst zurückgehalten wurde. Das soll sich jetzt ändern.
Kritiker bescheinigen diesem Roman atmosphärische Dichte und Vielschichtigkeit. Das kann ich nicht nachvollziehen. Dem Thriller fehlt es an Komplexität und durchweg an Spannung. Die Auflösung ist eher dürftig. Von dem Roman einer Erfolgsautorin erwarte ich nicht eine dermaßen weitschweifige, handlungsarme Darstellung, sondern überraschende Wendungen und einen überzeugenden Schluss. Die ersten drei Romane der Autorin haben mir wesentlich besser gefallen, vor allem “The Dry“. Schade.