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Veröffentlicht am 18.05.2023

Sommer eines Lebens

Gidget. Mein Sommer in Malibu
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Franzie ist 15, ein aufgewecktes Mädchen aus den 50er Jahren in Amerika. Sie wohnt mit ihren Eltern in der Nähe zu Malibu und zum Meer. Und als sie eines Tages mit ihren Eltern den Strand besucht und die ...

Franzie ist 15, ein aufgewecktes Mädchen aus den 50er Jahren in Amerika. Sie wohnt mit ihren Eltern in der Nähe zu Malibu und zum Meer. Und als sie eines Tages mit ihren Eltern den Strand besucht und die Surfer die Wellen vor der Küste reiten sieht, weiß sie, dass will sie auch können. Sie lernt nicht nur die coolen Surfer-Typen kennen, die ein ganz eigenes Lebensgefühl verkörpern, sondern auch die Liebe. Und sie wird, wie sagt, über Nacht erwachsen.
Der dünne Romanband beruht auf der wahren Geschichte eines amerikanischen Mädchens, das mit ihrem Traum von Surfen, den sie ihrem Vater erzählte, der daraus diesen Roman machte, zur Vorreiterin für eine ganze Sehnsuchtsbewegung wurde, die danach strebte, ein unbeschwertes Sommer-Sonne-Strand-und-Meer-Leben als Surfer:innen zu führen. Denn dieses Lebensgefühl fängt der Roman sehr gut ein. Mit den Augen eines frühreifen, recht selbstbewussten Teenagers, der in einem behütenden, aber auch sehr weltoffenen Haushalt groß wird, blickt der Leser auf die „Crew“, eine Gruppe alterslos jung erscheinender, braungebrannter Surfer, die den Wellen hinterher reisen, von Gelegenheitsjobs leben oder pro forma aufs College gehen und sich coole Namen geben. Sie leben stets im Hier und Jetzt, verschwenden keinen Gedanken an Sorgen oder Zukunftspläne. Ein verlockendes Lebensmodell. Konfrontiert wird dies mit den schwärmerischen Träumen eines Backfisch-Mädchens, das natürlich doch – trotz aller burschikosen Versuche, in dieser Crew gleichberechtigte Aufnahme zu finden – auf die große Liebe unter den sportlich braungebrannten Hünen hofft. Leider nimmt die Schilderung dieser glühend schwülstigen Sehnsüchte und der taktischen Überlegungen, sich zum begehrenswerten Objekt zu machen bei aller Angst, die Jungfräulichkeit doch allzu unüberlegt zu verlieren, zwischenzeitlich immer mehr Raum ein und wird zum dominierenden Thema. Hinzu kommt der für ein 15jähriges Mädchen der 50er Jahre doch bisweilen ziemlich schnoddrige Ton – „alter Falter“, der auch etwas nervtötend anmutet, auch wenn er vielleicht zu diesem unerschrockenen Mädchen passen mag.
Interessant und lesenswert ist auf jeden Fall das Nachwort von Volker Weidermann über die prominent Familie des Autors von „Gidget“ und seiner Tochter, der Vorlage für das Surfergirl im Roman.

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Veröffentlicht am 15.05.2023

Ein Ort zum Festhalten

Das Café ohne Namen
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Robert Simon erfüllt sich einen Traum und eröffnet ein Café am Karmelitermarkt im Wien der 60er Jahre. Es ist ein armes Viertel. Seine Kundschaft sind Arbeiter, Händler vom Markt und die ein oder andere ...

Robert Simon erfüllt sich einen Traum und eröffnet ein Café am Karmelitermarkt im Wien der 60er Jahre. Es ist ein armes Viertel. Seine Kundschaft sind Arbeiter, Händler vom Markt und die ein oder andere Randexistenz der Wiener Gesellschaft. Doch das Café läuft gut an. Es ist ein Ort zum Festhalten in einer Zeit des schnellen Wandels, der die Figuren der Erzählung herumwirbelt und meist nicht vorwärts bringt. Wie das Leben selbst, so ist auch das Glück nicht von Dauer und lässt sich nicht festhalten. Simons Kellnerin Mila findet die Liebe, aber ihr Geliebter ist ein ausgedienter Preisboxer und dem Alkohol nicht abgeneigt. Simons Vermieterin ist eine alte Witwe, die in Simon noch einmal Gesellschaft findet, aber mehr und mehr ihre Erinnerungen an das Leben verliert. Simons Nachbar und Freund, wenn man so sagen will, der Fleischer, hat eine Frau und zwei Kinder, aber es kommt noch ein drittes, das krank ist. Die Milch- und Käsehändlerin Heide hat die Liebe zum Maler Mischa, doch der liebt auch andere Frauen.
Es sind eher die kleinen Schicksale die Robert Seethaler in seinem Roman vom Café ohne Namen porträtiert. Er ist ein Meister der ruhigen Stimmung und ein sanfter Erzähler. Beim Lesen seiner Bücher fällt der Leser ein wenig aus seiner eigenen hektischen Welt. Hier entsteht ein stimmungsvolles Bild eines armen Wiener Viertels. Das wechselnde Wetter, die warmen Sommer und die eisig kalten Winter stehen im Einklang mit der Freude und der Wehmut der Menschen. So steht der Winter häufig für Rückzug, Einkehr, aber auch Stillstand, während der Frühling die Genesung und den Aufbruch bringen. Dieses Wechselspiel findet sich auch in den Gesprächen der beiden Cafébesucherinnen, die nicht genauer benannt oder beschrieben werden, deren Wechselgespräche in der zweiten Hälfte des Romans in jedem zweiten Kapitel das Geschehen kommentieren. Auch hier haben wir eine eher resignierende Stimme und ein optimistisches Gegengewicht, die das Leben und die Menschen mit gnädigerem Blick bedenkt.
Die Hauptfigur Robert Simon wächst dem Leser ans Herz: der bescheidene Mann, der das kleine Glück für sich sucht, der still beobachtet, aber nie urteilt, der allen Gästen Respekt und Interesse entgegenbringt, der anpackt und seinen Laden wie sein Leben in Ordnung hält, der sich kümmert im Kleinen, wie z. B. um seine Vermieterin oder auch um den Besitzer des Hauses, in dem er sein Café gepachtet hat, aber auch im Großen, als er das Haus und den Markt vor einer Katastrophe bewahrt.
Es ist ein kleines, beschauliches Büchlein, das ohne großes Kino und große Gefühle auskommt. Es gibt auch keine durchgängigen Handlungsstränge, zum Festhalten für den Leser gibt es auch „nur“ das „Café ohne Namen“ als Dreh- und Angelpunkt. Neben den leisen Tönen muss man das Episodenhafte mögen. Dabei betreten manche Figuren den Schauplatz genauso unvermutet, wie sie ihn wieder verlassen, und lassen den Leser ein wenig ratlos zurück, wie z. B. die Frau mit der Taube, Jascha, die Simon für kurze Zeit den Kopf verdreht, bevor sich in ihrem Kopf alles zu verdrehen scheint. Aber wer sich einfach von Stimmungen berühren lassen mag und ein Herz für die einfachen, bisweilen aber auch recht verschrobenen Menschen hat und einen Ort zum Fest- oder eher Innehalten sucht, dem sei das kleine Buch ans Herz gelegt.

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Veröffentlicht am 14.05.2023

Musikalische Höhen und Tiefen

Straßenmusik
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Jonas und Chiara machen Musik. Beide befinden sich in einer Übergangsphase und fragen sich, wohin das Leben gehen soll. Jonas’ Bandkollegen haben sich gerade auf wenig freundschaftliche Art von ihm getrennt ...

Jonas und Chiara machen Musik. Beide befinden sich in einer Übergangsphase und fragen sich, wohin das Leben gehen soll. Jonas’ Bandkollegen haben sich gerade auf wenig freundschaftliche Art von ihm getrennt und er sich von seiner Freundin. Er macht sich auf den Weg nach Amsterdam, muss einfach mal raus. Dorthin unterwegs ist auch Chiara. Sie hat sich gerade in Graz auf einen Studienplatz für Psychologie beworben und ist nun unterwegs mit ihrer Gitarre, um ein wenig Straßenmusik zu machen. Nach einer zufälligen Begegnung im Zug bringt Chiaras Gitarre, die sie in einer Amsterdamer Kneipe vergessen hat und die Jonas dort findet, die beiden wieder zusammen und sie experimentieren ein wenig damit herum, gemeinsam Musik zu machen. Dabei sind beide sehr unterschiedlich: Jonas wirkt sehr unsicher im Umgang mit Menschen und sucht immer wieder die Flucht, wenn er sich von ihnen überfordert fühlt. Chiara hingegen sucht ihre Aufmerksamkeit und reagiert mit unkontrollierter Wut, wenn sich die Dinge ihrem Willen entziehen. Eine schwierige Konstellation, zumal Jonas Chiaras Wesen wenig entgegenzusetzen hat und ihm in seiner Unsicherheit der ein oder andere Fauxpas unterläuft.
Markus Behr erzählt in seinem schmalen Band „Strassenmusik“ von zwei Menschen, die noch nicht wissen, wohin mit sich. Er entwirft zwei interessante Charaktere, die zeigen, dass Jugend kein Garant für Unbeschwertheit und Glück sein muss. Beide tun sich schwer, ein Ziel zu entwickeln, einen Weg zu finden und sich in den vielfältigen Konzepten von Beziehungen zurecht zu finden. Aber was sie bewegt und zueinander führt, ist ihre Musik. Und im Laufe des Romans finden sie zumindest hier ihren Standpunkt und wissen, was sie wollen und was auch nicht. Die Musik ist ihnen Rückzugsort und Ausdrucksmöglichkeit und – auch in Zeiten des pandemiebedingten Lockdowns – Ort der Begegnung.
Markus Behr schreibt flüssig und auch bei der Widerständigkeit mancher Szenen im Roman immer so, dass es den Leser weiterzieht. Die Figuren sind sehr plastisch und interessant gewählt, auch wenn sich bis zum Ende hin nicht immer die Motivation für ihr Verhalten verständlich zeigt. Aber wer weiß schon immer, warum er sich gerade wie verhält. Für mich sind die Sympathien klar verteilt zugunsten des etwas übervorsichtigen, verträumten, insgesamt recht ungeschickten Jonas gegenüber einer etwas überdrehten, leicht narzisstisch angelegten Chiara. Aber auch das ist Geschmackssache. Das Musikerbusiness gerät bisweilen etwas zum Klischee, das insgesamt aber sicherlich nicht unzutreffend ist. Was aber immer zu erkennen ist, ist die Liebe zur Musik.

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Veröffentlicht am 09.05.2023

Ins gelobte Land

Polnischer Abgang
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Jarek reist mit seinen Eltern aus Polen aus nach Deutschland. Ermöglicht wird ihnen dies durch eine Einladung von Jareks Großmutter, die schon Jahre zuvor nach Deutschland verschwunden war. Eigentlich ...

Jarek reist mit seinen Eltern aus Polen aus nach Deutschland. Ermöglicht wird ihnen dies durch eine Einladung von Jareks Großmutter, die schon Jahre zuvor nach Deutschland verschwunden war. Eigentlich haben Jareks Eltern mit ihr keinen Kontakt mehr, weil sich Jareks Vater von ihr verraten würde. Nun erhofft sich Jarek, seine Großmutter endlich wieder sehen zu können. Doch die Einreise nach Deutschland und der Neustart dort gestalten sich schwerer, als die Familie gedacht hat. Zunächst stranden sie in einem Auffanglager und müssen sich erst als „gute Deutsche“ erweisen, die sie als Schlesier einst gewesen sind. Dabei stellt sich Jarek immer mehr die Frage, ob Deutschland wirklich das gelobte Land ist, von dem er und seine Freunde in Polen immer geträumt hatten.
Die Erzählung ist gerade zu Anfang sehr episodenhaft angelegt. Sie wechselt zudem zwischen verschiedenen zeitlichen Ebenen: die Ausreise der Sobotas, ihr Leben zuvor in Polen, das Leben und die Ehe von Oma Agnieszka und ihre Flucht. Auch sind die Figuren anfänglich noch ein wenig klischeehaft und bisweilen zu sehr komikerhaft angelegt. Da gibt es den deutschen Schlepper, den polnischen Aussiedler mit Westware und -wagen auf Heimaturlaub, den versoffenen Onkel, den schlitzohrig-pfiffigen Freund von Jarek. Und Jarek selbst sowie sein Vater wirken bisweilen sehr naiv und komisch ungeschickt.
Aber spätestens mit dem Erreichen des Auffanglagers entfaltet sich eine Handlung, der man besser folgen kann. Der Leser begleitet die Familie in eine für sie ungewisse Zukunft in einem doch mehr als erwartet fremden Land. Die Aufnahme sowohl von Seiten der Behörden als auch der Bewohner ist nicht immer herzlich, und es schlagen ihnen viele Vorurteile und typische Klischees entgegen. In der Erzählung klingen nun auch nachdenkliche und mal ganz dezent versteckte, mal recht offen formulierte kritische Zwischentöne an. Und Jareks ganz eigene Art, die Dinge zu sehen und einzuordnen, mal naiv staunend, mal etwas schalkhaft, aber immer großherzig und ohne bösen Hintergedanken lässt ihn das Herz des Lesers dann doch gewinnen. Und am Ende vermisst man ihn und wüsste dann doch gerne, wie seine Geschichte und die seiner Famile weitergeht in Deutschland, dem einst so gelobten Land.
Nachbemerkung: Das Cover ist einfach umwerfend. Solch wunderschöne Farben! So ein sattes, warmes Gelb und Braun der Streifen des weiten Feldes. Das schafft eine ganz tolle Atmosphäre!

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Veröffentlicht am 09.05.2023

Eine böse Saat auf fruchtbaren Boden

Josses Tal
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Der kleine Josef, der sich später Josse nennt, findet in seiner Familie nur Kälte, Ablehnung und Gewalt, da er unehelich geboren ist und der Großvater ihn für den sozialen Niedergang der Familie verantwortlich ...

Der kleine Josef, der sich später Josse nennt, findet in seiner Familie nur Kälte, Ablehnung und Gewalt, da er unehelich geboren ist und der Großvater ihn für den sozialen Niedergang der Familie verantwortlich macht. Bei seinen neuen Nachbarn findet der kleine Junge, der trotz allem lebensfroh, aufgeweckt, freundlich und aufgeschlossen ist, das, was er im eigenen Haus entbehren muss: Zuwendung, Fürsorge und Interesse. Insbesondere Wilhelm ist dem Jungen sehr zugetan, nimmt sich seiner an und fördert ihn. Allerdings ist Wilhelm auch Anhänger der aufkommenden nationalsozialistischen Bewegung und macht Josef zu seinem Instrument, ihrer beider Heimatdorf auszuspionieren und somit auf Linie der neuen Partei zu bringen. Josef steigt dabei in der Hitlerjugend immer weiter auf, beginnt aber zugleich auch immer wieder zu hinterfragen, ob das, was Wilhelm von ihm verlangt und was Josef aus Bewunderung und Liebe zu ihm immer wieder tut, wirklich das Richtige ist. Dann macht er eines Tages eine Entdeckung, die seine ganze Existenz und seine Beziehung zu Wilhelm infrage stellt.
Aus der Sicht des Jungen schildert die Autorin, wie sich der lange Schatten des Nationalsozialismus über das Land ausbreiten, wie die giftige Saat langsam gerade in den Köpfen der Unschuldigen ausbreitet. Von Anfang an begleitet den Leser, der sich zunächst darüber freut, dass es jemanden gibt, der sich für Josef einsetzt, ein unangenehmes Gefühl, das umso bedrückender wird, je offensichtlich die Parolen der Nazis Eingang finden in die Lebenswelt des Jungen. Die Bücherverbrennung ist ein erster Höhepunkt in der Fanatisierung der Anhänger der Bewegung. Dabei bezieht sich die Autorin vielfach auf originale Quellen, was das Geschehen authentischer wirken lässt. Keimen in Josef erst langsam kleine Zweifel, so gibt es in seinem Dorf doch auch viele beeindruckende Beispiele für Zivilcourage, die sich dem unmenschlichen Regime in vielen kleinen Akten der Humanität entgegenzuwerfen versucht.
Sehr anschaulich, lebendig und gut nachvollziehbar zeigt Angelika Rehse mit ihrem Buch auf, wie so etwas wie der Nationalsozialismus „passieren“ konnte. Es ist ein wichtiges Buch, das nachfolgenden Generationen deutlich macht, wie das Gefühl des Ausgestoßenseins, der Unzulänglichkeit und der Demütigung den Nährboden bereitet für die verführerischen Parolen eines Regimes, das seinen Anhängern auf Kosten anderer, ausgewählter Sündenböcke und Feindbilder das Gefühl von Stärke, Macht, Überlegenheit, Stolz, Zusammengehörigkeit und Volksgemeinschaft vermittelt. Diese Bewegung verstand es auf sublime Art, ihre böse Saat in einen nahrhaften Boden zu legen. Und nur das Wissen darum kann verhindern, dass eine solche Saat zukünftig noch einmal aufgehen kann. Von daher ist der Roman „Josses Tal“ ein wichtiges Buch, weil es dieses Wissen nicht einfach nur zu vermitteln sucht, sondern es anschaulich, erlebbar und nachvollziehbar macht und somit umso beeindruckender ist.
Einzig der Schluss, der für mein Gefühl die Geschichte zu schnell zu einem Ende führt und die Dinge zu unvermittelt auflöst und die Fratze des Bösen zu demonstrativ bloßlegt, lässt Wünsche offen.

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