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Veröffentlicht am 10.07.2025

Potential verschenkt: Männlicher Machtmissbrauch in der Kulturbranche

Standing Ovations
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"Standing Ovations" lässt mich etwas frustriert und mit enttäuschten Erwartungen zurück. Deswegen - sorry, Alex Lyons - gibt es nur 3 unentschlossene Sterne. Für einen Stern ist es viel zu gut, für 5 Sterne ...

"Standing Ovations" lässt mich etwas frustriert und mit enttäuschten Erwartungen zurück. Deswegen - sorry, Alex Lyons - gibt es nur 3 unentschlossene Sterne. Für einen Stern ist es viel zu gut, für 5 Sterne bei weitem nicht gut genug.

Ich wollte das Buch so gerne lieben: Es spielt in der britischen Kulturszene, besonders beim Edinburgh Fringe Festival, einer kreativen, pulsierenden Umgebung, bei der die unterschiedlichsten Kunstformen und Künstler:innen aufeinandertreffen. Die Prämisse klingt spannend und auch die Charaktere vielversprechend.

Der Kritiker Alex Lyons rezensiert das Stück der Newcomerin Hayley Sinclair, wertet sie ab und gibt ihrer Performance nur einen Stern. Nachdem er die Rezension bei seiner Zeitung eingereicht hat, trifft er Hayley zufällig und verbringt die Nacht mit ihr. Erst am nächsten Morgen erfährt sie von der vernichtenden Kritik und fühlt sich absolut betrogen von Alex, der nichts davon erwähnt hatte. Für Alex ist das ein typisches Muster: Er schleppt Frauen ab, macht sich keine Gedanken, wie er sie behandelt, und schaut überheblich auf Hayley herab, als sie ihn schockiert konfrontiert. Doch im Gegensatz zu vielen von Alex' Ex-Freundinnen und Ex-Affairen verschwindet Hayley nicht einfach still aus seinem Leben, sondern schreibt ihre ganze Show um. Sie spricht nun über ihre Erlebnisse mit Alex, lädt andere Frauen ein, Teil des Stückes zu werden, und wird damit zum Festival-Hit.

Charlotte Runcie schreibt in einem wirklich mitreißenden, kurzweiligen Stil. Die Wörter fliegen nur so von der Seite und man wird schnell in die Handlung hineingezogen.

Aber der Roman hat für mein Empfinden ein riesiges Problem: Alles dreht sich um Alex und in einer Geschichte von männlichem Machtmissbrauch bleiben ausgerechnet die Frauenfiguren blass, während dem Mann - dem Täter - und seinem Gefühlsleben unfassbar viel Raum eingeräumt wird. Und das auch noch durch die Augen einer Frau.

Sophie ist Alex' Kritikerkollegin und mit ihm in Edinburgh. Sie wohnen in der Zeit des Festivals in einer WG, sodass sie direkten Zugang zu ihm hat. Als Ich-Erzählerin wird die Geschichte vermeintlich aus ihrer Perspektive erzählt. Trotzdem bleibt Sophie erschreckend blass. Sophie, Hayley und alle anderen Frauen aus Alex' Umfeld lernt man nur über die Beziehung zu ihm kennen. Man erfährt wenig über sie selbst, sie sind Beiwerk. Selbst über Hayley erfährt man kaum etwas, das nicht mit Alex zu tun hat. Ihre ganze Show und damit ihr ganzer Ruhm dreht sich nur um ihn. Alle Frauencharaktere bleiben dadurch sehr eindimensional. Stattdessen darf sich Alex in seinem Elend suhlen, sich unverstanden fühlen, sich rechtfertigen. Werden neue Charaktere vorgestellt, dann sind sie in der Regel mit ihm verbunden, z.B. seine glamouröse Mutter, die wenig zur Handlung beiträgt, aber Alex durch seine vernachlässigte Kindheit als armen Jungen dastehen lässt.

Besonders verwirrend ist, dass die Geschichte ausgerechnet durch eine Frau erzählt wird. Sie ist nur dazu da, um Alex zu folgen, ihm Mitgefühl zu zeigen und ihn zu beobachten. Man lernt wenig über Sophie, am ehesten noch etwas über ihren Sohn und ihre unglückliche Beziehung zu dessen Vater. Ansonsten bleibt sie konturlos.

Alex ist unerträglich, er stellt Sophie ein einziges Mal eine Frage, ansonsten würgt er sie ab, wenn sie redet, labert sie voll, leiert Monologe der Rechtfertigung vor ihr ab und nimmt sie überhaupt nicht als Person war. Trotzdem bleibt Sophie fasziniert von Alex, völlig unverständlich. Fast alles in ihrem Leben dreht sich um irgendeinen Mann. Immerhin erkennt Sophie in einem kurzen Moment der Klarheit selbst, dass sie ein totales Pick Me Girl ist, Konsequenzen zieht sie aber nicht daraus.

Der Roman schneidet so viele spannende Themen an: männliches Verhalten und Machtmissbrauch, wie unterschiedlich betroffene Frauen damit umgehen, wer welche Verantwortung trägt. Gegen Ende fängt Sophie an, sich kritische Gedanken zu Rolle und Macht eines Kritikers zu machen, wirklich spannend, aber hält leider nicht an. Stattdessen geht es abrupt wieder um Alex. Je weiter der Roman fortgeschritten ist, desto mehr hat mich diese Erzählweise frustriert.

Ein wichtiges Thema und potentiell interessante Frauenfiguren verschenkt die Autorin leider, weil sie sich zum Großteil auf den Mann in der Geschichte konzentriert, statt das Geschehen fassettenreich aufzugreifen und die verschiedenen Positionen ihrer Figuren für ein differenziertes Bild zu nutzen. Wirklich schade.

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Veröffentlicht am 14.04.2025

Harte Lebensgeschichte quirlig erzählt

Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken
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Die Dichterin Mascha Kaléko kannte ich bisher nicht, durfte sie aber im Debutroman von Sarah Lorenz "Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken" kennenlernen. Denn hier berichtet die Ich-Erzählerin ...

Die Dichterin Mascha Kaléko kannte ich bisher nicht, durfte sie aber im Debutroman von Sarah Lorenz "Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken" kennenlernen. Denn hier berichtet die Ich-Erzählerin Elisa der 1975 verstorbenen Dichterin über ihr Leben. Dieser 216 Seiten lange Monolog erzählt Elisas dramatische Geschichte von ihrer Kindheit, geprägt von der Scheidung der Eltern, bis zu ihrem Ankommen in einer liebevollen Ehe mit Ende 30. Dazwischen liegen unglaublich viele schockierende Stationen, die genug für 3 Leben wären. Jedes Kapitel leitet die Autorin mit einem Gedicht von Mascha Kaléko ein. Das ist eine gute Idee, um ihre Liebe zur Dichterin zu verdeutlichen, das Buch funktioniert aber auch ohne, Dass man Mascha Kaléko oder ihr Werk kennt.

Das Besondere an diesem Roman ist der ausdrucksstarke Schreibstil. Sarah Lorenz schreibt energetisch und mit hervorsprudelnder Lebendigkeit, die absolut mitreißt. Obwohl die Protagonistin viel Traumatisches erlebt, schlachtet die Autorin die Erlebnisse nicht aus. Sie erzählt so viel, wie die Leser:innen wissen müssen, um Elisas Entwicklung nachvollziehen können - aber nicht mehr. So verliert man nie die Hoffnung, dass alles irgendwie gut wird und Elisa aus ihrer schlimmen Situation herauskommt. Das Buch hat tiefen Eindruck bei mir hinterlassen und ist schon jetzt eines meiner Lieblingsbücher für dieses Jahr!

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Veröffentlicht am 14.03.2025

Spannende Geschichte zwischen zwei Welten

Achtzehnter Stock
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Die Ich-Erzählerin Wanda lebt mit ihrer kleinen Tochter Karlie in einer heruntergekommenen Plattenbauwohnung. Sie ist auftrags- und perspektivlose Schauspielerin, kommt finanziell kaum über die Runden ...

Die Ich-Erzählerin Wanda lebt mit ihrer kleinen Tochter Karlie in einer heruntergekommenen Plattenbauwohnung. Sie ist auftrags- und perspektivlose Schauspielerin, kommt finanziell kaum über die Runden und mogelt sich frustriert durchs Leben. Dann die unerwartete Wende: Eine Einladung zum Casting für eine Netflix-Serie verspricht Wanda eine große Karriere. Plötzlich trifft sie sich mit berühmten Schauspielern, Regisseuren und allerlei anderen einflussreichen Menschen in schicken Restaurants und lernt ein ganz anderes Leben kennen. Wo und wie sie wohnt, verschweigt sie ihren neuen Bekanntschaften jedoch und verbiegt sich so zunehmend, um nach außen hin zu ihnen gehören zu können. Darunter leidet nicht nur Wanda, sondern besonders ihre Tochter.
Die fesselnde Geschichte zeichnet sich zum einen durch plastische, unperfekte Charaktere aus, die man beim Lesen nicht immer mag, deren Weg man jedoch gespannt verfolgt. Zum anderen hat mich die ausdrucksstarke und anschauliche Sprache begeistert, in der Sara Gmuer vom trostlosen Hitzetag in der Hochhaussiedlung bis hin zum fieberhaft absurden Seriendreh alle Szenen mitreißend zum Leben erweckt. Besonders spannend fand ich zudem den Zwiespalt zwischen prekärem Alltag und der glamourösen Filmwelt, den die Protagonistin zunehmend schwer vereinbaren kann. Daran werden wichtige Themen wie Zugehörigkeit und Zuhause mit einem überraschenden Ende behandelt.

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Veröffentlicht am 24.02.2025

Interessante Charaktere im starren Korsett der katholischen Gesellschaft im Irland der 1990er Jahre

Coast Road
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Vor der idyllischen Kulisse einer Kleinstadt an der irischen Westküste erzählt Alan Murrins Roman "Coast Road" die Geschichte mehrerer (unglücklicher) Familien. Zwischen Streits, Fremdgehen und Entfremdung ...

Vor der idyllischen Kulisse einer Kleinstadt an der irischen Westküste erzählt Alan Murrins Roman "Coast Road" die Geschichte mehrerer (unglücklicher) Familien. Zwischen Streits, Fremdgehen und Entfremdung versuchen die Einwohnerinnen in ihren Ehen und ihrem Alltag klarzukommen. Der Roman spielt 1994 kurz vor dem Volksentscheid zum Scheidungsverbot, das die irische Bevölkerung mit sehr knapper Mehrheit aufhob. Das Referendum kommt nur am Rande des Buches vor, es endet vor der Abstimmung. Trotzdem zeigt der Autor anhand seiner faszinierenden Charaktere sehr deutlich, dass ein Zusammenbleiben aus Zwang nicht zum Glück führt und Selbstbestimmung ein wertvolles Gut ist. Die Charaktere sind so alltäglich und normal, dass sie unsere Nachbarinnen sein könnten. Gleichzeitig sind sie so komplex und glaubwürdig gezeichnet, dass man total mitfiebert. Überhaupt hat mir der Schreibstil enorm gut gefallen, das Buch liest sich in seinem meist eher leisen Ton sehr flüssig und hat mich schnell in die Handlung hineingezogen.

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Veröffentlicht am 10.01.2025

Überzeugender Schreibstil, aber zu wenig Tiefe bei der Handlung

Intermezzo
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"Intermezzo" habe ich mit gemischten Gefühlen gelesen, da mich der Roman im Gegensatz zu den Vorgängern von Sally Rooney nicht so richtig packen konnte. Zwar hat die Autorin ein Gespür für interessante ...

"Intermezzo" habe ich mit gemischten Gefühlen gelesen, da mich der Roman im Gegensatz zu den Vorgängern von Sally Rooney nicht so richtig packen konnte. Zwar hat die Autorin ein Gespür für interessante Charaktere und das Besondere bei Alltagssituationen, das sie mit großer Stilsicherheit und einem anregenden Stil einfängt. Immer wieder gab es Passagen, die mich in ihren Bann gezogen haben. Jedoch hatte ich bei diesem Roman das Gefühl, dass sie sich zu sehr in nichtssagenden Details verliert. Das Buch hat sich über weite Strecken langatmig angefühlt und wirklich packen konnte mich kein Charakter. Am ehesten hat mich die Geschichte von Ivan und Margaret mitgezogen. Da die Handlung wie bei Rooneys Romanen üblich auch hier sehr überschaubar ist, hätte es dem Buch meiner Meinung nach gut getan, wenn es gekürzt worden wäre. Die Konflikte und Personenkonstellationen waren für meinen Geschmack nicht tief und komplex genug, um über fast 500 Seiten ausgewälzt zu werden.

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