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Veröffentlicht am 08.08.2022

"Manntje, Manntje, Timpe Te"

Fischers Frau
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„Manntje, Manntje, Timpe Te“ – so magisch wie diese Formel aus dem Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“, welches, aufgezeichnet von den Gebrüdern Grimm, zum vielzitierten Bezugsrahmen wurde, wenn es um ...

„Manntje, Manntje, Timpe Te“ – so magisch wie diese Formel aus dem Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“, welches, aufgezeichnet von den Gebrüdern Grimm, zum vielzitierten Bezugsrahmen wurde, wenn es um die Unersättlichkeit menschlicher Gier nach Reichtum und Ruhm geht, ist auch diese Geschichte von Karin Kalisa.

Und ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert und froh ich darüber bin. Dazu muss man wissen: Kalisas vorheriger Roman „Bergsalz“ gehört für mich zu den schwächsten und ärgerlichsten Leseerlebnissen des Jahres 2020. Da ich eine Verfechterin mehrfacher Chancen bin, habe ich mich trotzdem an „Fischers Frau“ gewagt und wurde überreichlich belohnt: mit einer wunderbar gesponnen Geschichte, üppigen Farben, sanfter Liebe, einem fantasievollen Blick in eine mehr oder weniger erdachte Historie, einer wärmenden Reise durch Europa, die auch den Weg zur Selbstwerdung ebnet, mit Sprachästhetik und viel Lesevergnügen zwischen Ostsee und Adria.

Karin Kalisa konzentriert sich mit jeder Faser ihres Erzählens auf ihr Thema: ihre Protagonistin Mia Sund, die durch die Entdeckung eines Fischerteppichs ominöser Herkunft aus ihrer Vergangenheit und ihrem Schneckenhaus gelockt wird und mit sehr viel (unwissenschaftlicher) Begeisterung an der Chronik der Entstehung dieses Teppichs strickt und schließlich als Geschichte in der Geschichte ihre Gedanken zu Nina, des Fischers Frau, präsentiert. Mia Sunds Bemühungen führen quer durch ein atmosphärisch sehr stimmungsvoll gezeichnetes Europa und zeigen auf recht unwiderstehliche Weise, wie eng Erzähl- und Handwerkskunst verbunden sind und verleihen diesem Unterhaltungsroman eine unerwartet tiefgehende Komponente.

Die Sprache, die Kalisa verwendet, ist üppig, fast schon ausschweifend und sich ihrer selbst sehr bewusst. So manches Mal werden kleine Reflexionen über die Bedeutung von Wörtern eingeflochten oder ein Wort mehrfach wiederholt – so als ob man es schmecken wollte. Das wirkt sehr sinnlich, ist für mich an mancher Stelle aber stilistisch einfach zu viel, auch wenn es sich um eine durchaus angebrachte Spiegelung der Detailverliebtheit der Teppichkunst handelt und so ein in gewisser Weise märchenhafter Grundton erzielt wird.

Neben diesen sprachlichen Verschwurbelungen habe ich mich mit den doch recht häufigen grammatikalischen Ungenauigkeiten schwergetan, die offensichtlich nicht gründlich genug korrigiert wurden, und vor allem auch mit einigen erzählerischen Ungenauigkeiten. So werden einige Sachverhalte und Personen völlig selbstverständlich als bekannt vorausgesetzt, obwohl sie bis zu diesem Punkt noch gar nicht erwähnt wurden. In anderen Erzählteilen erscheint es so, als ob gar ein ganzer erklärender Absatz fehlte und wie die Großmutter (!!!) von Liz Elms ein Leben lang ledig bleiben konnte (wir sprechen hier immer noch von der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf dem Land – außerdem wird das „ledig“ hier in den Kontext unerwiderter Liebe gesetzt, sodass suggeriert wird, die Oma hätte für immer den Männern entsagt), erschließt sich mir leider überhaupt nicht.

Insgesamt ist „Fischers Frau“ jedoch ein Roman, der das Erzählen, das mündliche Überliefern, das Handwerk zelebriert, ein schönes Buch, in dem man sich verlieren kann und der einem schöne Lesestunden zu schenken vermag.

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Veröffentlicht am 03.08.2022

Die Absurdität des Nordirlandkonflikts

Amelia
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„Amelia“ hat mich einiges an Kraft gekostet. Der Roman hat mich nicht gefesselt, über weite Strecken gelangweilt, mitunter ziemlich abgestoßen und angewidert und seine ständigen überzogenen Gewaltexzesse ...

„Amelia“ hat mich einiges an Kraft gekostet. Der Roman hat mich nicht gefesselt, über weite Strecken gelangweilt, mitunter ziemlich abgestoßen und angewidert und seine ständigen überzogenen Gewaltexzesse und Alkoholabstürze gingen mir irgendwann nur noch auf die Nerven. Der Roman ist im Wesentlichen eine Groteske, in der schlaglichtartig Schicksale (nicht nur das der Titelfigur Amelia) während der Jahre des Nordirlandkonflikts beleuchtet werden. Es gibt keine wirklich geordnete Handlung, der Roman springt von einem absurden Ereignis zum nächsten surreal anmutenden Erlebnis. Diese lockere Handlungsstruktur und die Tatsache, dass die Figuren allesamt zwischen Gewaltstürmen, Traumata, wahnhaften Momenten und Traumsequenzen oszillieren, verhindern, dass die Charaktere der Figuren wirklich ausformuliert werden, ein anhaltendes Interesse an ihnen oder gar eine Bindung zum Leser entsteht.
Amelia ist sprachlich sicherlich Kunst, allerdings muss man dafür derbe Sprache und das Obszöne zu schätze wissen und es mögen, dass viele Aspekte durch die sprachliche Haltung der Erzählinstanz ins Lächerliche gezogen werden. Ich tue das nicht, kann hier allerdings anerkennen, dass ein anderes Sprachregister für diese Mär der Grausamkeit wohl kaum geeignet gewesen wäre.

Insgesamt erscheint mir der gesamte Roman als eine Parabel der Unsinnigkeit von Gewalt und Hass, als eine schonungslose Enthüllung der Absurdität des Nordirlandskonflikts, der so viele Menschen tötete, verstört und zerstört zurückließ und nach seinem Abklingen bei den Betroffenen ein Vakuum und eine durchgreifende Orientierungslosigkeit zurückließ. Den Roman kann sicherlich nur jemand richtig wertschätzen, der sich mit den Untiefen des Konflikts und der jüngeren nordirischen Geschichte seit den 1960er Jahren auskennt – er wird wahrscheinlich in jedem einzelnen Kapitel den Bezug zu einer tatsächlichen Entwicklung der blutigen Auseinandersetzungen erkennen. Aber auch wenn man nur in groben Zügen in die Geschichte eingeweiht ist, macht der Roman die Sinnlosigkeit der Geschehnisse deutlich und stellt so eine Mahnung und Warnung dar. In dieser Hinsicht ist der Roman ein anspruchsvolles und literarisches Meisterstück, da er beim konstanten Rückbezug auf diese Deutungshypothese (gerade im letzten Drittel) ein spannendes Interpretationsfeld bietet. Aber auch wenn ich dies alles anerkenne: gefallen hat mir dieser Roman trotzdem nicht.

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Veröffentlicht am 01.08.2022

Hat die Liebesheirat ausgedient?

Liebesheirat
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Studien besagen, dass Vernunftehen gar keine schlechte Option sind, nach ein paar Jahren Eheleben haben sich beide Formen sowieso aneinander angeglichen. Eine „Liebesheirat“ klingt zwar romantisch, aber ...

Studien besagen, dass Vernunftehen gar keine schlechte Option sind, nach ein paar Jahren Eheleben haben sich beide Formen sowieso aneinander angeglichen. Eine „Liebesheirat“ klingt zwar romantisch, aber sie ist eine sehr moderne Erfindung und erwiesenermaßen als Konzept nicht erfolgreicher als die Vernunftehe – im Gegenteil.

Um eine „Liebesheirat“ geht es in Monica Alis fabelhaftem neuen Roman, der mich auf allen Ebenen auf hohem Niveau bestens unterhalten hat, weil er viele aktuelle Themen wie Alltagsrassismus, Leben zwischen Angepasstheit und Tradition in der Diaspora, Vorurteile, Identitätskrisen und Identitätssuchen, Altersunterschiede in Beziehungen, fälschliche Annahmen, herablassendes weißes Verhalten, Altern, Sterben und Liebe auf leichtfüßige und – ja, das geht – äußerst humorvolle Weise in sich vereint.

Monica Ali erschafft mit ihrer Protagonistin Yasmin eine zunächst ungemein pflegeleichte und angepasste Tochter, deren Lebensentwurf auf überkommenen Hypothesen beruht, an denen sie auch ihre Zukunft auszurichten versucht. Mit ihrem gutaussehenden, erfolgreichen und gutsituierten Verlobten Joe steuert sie der perfekten Liebesheirat entgegen, die ihr als Modell von ihren Eltern vorgelebt wurde. Als Joe einen Fehler macht, seine übergriffige Mutter Harriet sich immer weniger zurücknimmt, Yasmins Vater den Dauerstreit mit ihrem Bruder Arif eskalieren lässt und ihre Mutter eine Auszeit nimmt, gerät Yasmins sorgsam gehegtes Lebenskonstrukt aus den Fugen und zwingt sie in eine späte Revolution.

All das wird mit viel Verve und Spannung absolut nachvollziehbar und glaubhaft mit viel Liebe für das Detail und dem rechten Sinn für Tempo und Handlungsstruktur geschildert. Monica Ali kann einfach richtig gut erzählen und sich perfekt in ihre Figur Yasmin einfühlen. Die Innensichten, der Drang über die Stränge zu schlagen, sich auszutoben, zu revoltieren und sich dabei aber selbst zu hassen, sind wunderbar gelungen und erinnern stark an das Durchleben einer zu späten Pubertät mit dem dazugehörigen Ablösungsprozess und der neuzugewinnenden Erkenntnis. Ausgezeichnet gelingt Ali auch das Spiel mit der Sympathielenkung. Bei fast allen Figuren wandert man durch ein Wechselbad der Empfindungen – schwankend zwischen dem Wunsch, die jeweilige Figur einfach schütteln und zu ihrem Besten zwingen zu wollen, dann wieder überwältigt von dem Gefühl, sie einfach nur tröstend in den Arm nehmen zu müssen.

Hinzu kommt der perfekte Titel des Romans – die Liebesheirat, die als Topos schon ein Klischee in der Literatur ist, wird hier auf humorvolle und zärtliche Art sehr gefällig hinterfragt – ob sie sich bewährt, werde ich aber nicht verraten.

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Veröffentlicht am 11.07.2022

Einhörner ohne Pink und Glitzer

Skandar und der Zorn der Einhörner
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A. F. Steadman macht sich auf, den Mythos von Einhörnern als friedliebenden, zauberhaften Feenwesen umzudeuten. In ihrem überaus gelungenen Kinder-/Jugendroman "Skandar und der Zorn der Einhörner" sind ...

A. F. Steadman macht sich auf, den Mythos von Einhörnern als friedliebenden, zauberhaften Feenwesen umzudeuten. In ihrem überaus gelungenen Kinder-/Jugendroman "Skandar und der Zorn der Einhörner" sind die Fabeltiere unbeherrschte, blutrünstige und streitsüchtige Wesen, die nur durch die Bindung an einen Reiter einigermaßen zu zähmen sind. Skandar findet sich nach einer mysteriös anmutenden Begegnung im Adlernest, dem Ausbildungscamp für Reiter, wieder und muss es zusammen mit seinen drei Freunden und deren Einhörnern mit dem skrupellosen Weber aufnehmen.

Auch wenn Steadman weder das Fantasygenre noch den Schulroman neu erfindet, so gelingt es ihr doch einen überaus faszinierenden und spannenden Roman für eine junge Leserschaft zu erschaffen. Die von ihr erdachte Welt ist ebenso schlüssig und begeisternd wie das Spiel mit den Elementen Luft, Erde, Wasser und Feuer und einer weiteren geheimnisvollen Kraft, allein schon weil die Einhörner eine radikale Neukonzeption erfahren. Skandar und seine Freunde stehen einem übermächtigen Feind gegenüber, der sehr viel mehr Schichten aufweist, als zunächst gedacht und die Identität des Webers wird fast bis zum Ende geheim gehalten, so dass der Roman die Leser zu zahlreichen Mutmaßungen und Grübeleien über Zusammenhänge animiert. Actionreichen Episoden wie das Rennen um den Chaos-Pokal oder die Luftschlachten laden zum Mitfiebern ein und der Identifikationsgrad mit der Gruppe der jungen Helden ist enorm hoch.

Der Roman ist flüssig, aber nicht zu einfach geschrieben. Auch wenn der Text ein paar Längen aufweist und auch ein paar Male ein Zusammenhang sich nicht ganz so deutlich erschließt, erwartet einen bei der Lektüre doch ein hochgradig spannendes Lesevergnügen, das sehr gern in die zweite Runde gehen darf und für Kinder ab zehn Jahren sehr gut zum Vorlesen (auch Erwachsene kommen hier auf ihre Kosten) oder auch Selbstlesen geeignet ist.

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Veröffentlicht am 08.07.2022

Die Sünden der Jugend

Ein französischer Sommer
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Lavendel, Pinienduft, glitzerndes azurblaues Meer, Pastis, Croissants, Bistros und Savoir-vivre – all das vereint “Ein französischer Sommer”. Der Roman versprüht eine geballte Ladung französischen Sommercharmes ...

Lavendel, Pinienduft, glitzerndes azurblaues Meer, Pastis, Croissants, Bistros und Savoir-vivre – all das vereint “Ein französischer Sommer”. Der Roman versprüht eine geballte Ladung französischen Sommercharmes und wird so vom Setting her zur atmosphärisch überaus angemessenen Sommerlektüre, die ich zumindest in der ersten Hälfte gern gelesen habe – weil die Grundstimmung einfach so entspannt und fließend war.

Mit der jungen Leah, die in eigentlich nichts so richtig auf die Reihe bekommt, reisen wir an die französische Riviera, um dem alternden Schriftsteller Michael zu assistieren, der offensichtlich eine aus bedauernder Nostalgie gespeiste Affinität zu der jungen Frau zu entwickeln scheint. Die Handlung hätte nun spannungsgeladen, mit leidenschaftlichen Unterströmungen und amourösen Verwicklungen auf den Höhepunkt zu steuern können – leider tut sie es aber nicht so wirklich. Zwischen zahlreichen Rückblenden in Michaels Jugendzeit, die ihn als affektierten, egoistischen und wenig ehrenhaften Selbstdarsteller entlarven, und den sonnengetränkten Stunden an der Côte d’Azur schaukelt die Handlung mitunter träge dahin, Schwung wird durch die allgegenwärtigen Alkoholexzesse, den anscheinend zum guten Ton gehörenden Drogenkonsum und die ein oder andere mehr oder weniger erotische Szene in den Ablauf gebracht. Zum Ende hin scheint der Roman sich dann daran zu erinnern, dass er auch noch irgendwie über die Ziellinie muss und das ist dann leider der Punkt an dem der (zugegebenermaßen) bisher recht milde Spannungsbogen aus dem Takt gerät. Auf den letzten Seiten wird nun eine politisch-tragische Intrige erschaffen, die irgendwie so gar nicht zum Rest des Romans passen will. Nichts gegen Griechenland, aber hatten wir nicht schon genug Sommer auf den französischen Seiten? Die Handlungsentwicklung hat mich am Ende so gar nicht mehr überzeugt, sie wirkt wie ein Nachgedanke, der unbefriedigend ausgeführt wird bzw. so, als ob die Autorin unbedingt etwas über diese griechische Episode schreiben wollte, aber nicht genügend Stoff für eine eigenständige Geschichte gehabt hätte. Ich muss gestehen, dass der Schluss nicht nur aus diesem Grund unerquicklich ist, auch insgesamt hat er mir missfallen. Für ein geschlossenes Ende bleibt zu viel in der Luft hängen, für eine literarisch ansprechende Schlussnote nimmt er zu wenig Bezug auf die in der Handlung und den Figuren angelegten Möglichkeiten.

Die Figuren haben nämlich in ihrer egoistischen und hedonistischen Art, mit der sie Unsicherheiten und Fehlentscheidungen zu verschleiern suchen, durchaus Potenzial, auch wenn mir keine einzige der Figuren sympathisch war. Leahs unreifes Dümpeln durchs Leben hat mir dabei sicherlich mehr zu schaffen gemacht, als Michaels selbstverliebte und mitunter verschlagene Art, die aber interessant zu beobachten war, vor allem auch, weil man im alternden Michael Spuren des jüngeren suchen konnte.

Insgesamt ist der Roman eine recht gefällige Sommerlektüre für Frankophile, ich hätte mir jedoch mehr konsequente Stringenz in der Handlungsführung gewünscht und eine über den Konsum von Alkohol und Drogen hinausgehende Definition von Jugend.

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