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Veröffentlicht am 01.12.2020

Agnès Desarthe - Die Chance ihres Lebens

Die Chance ihres Lebens
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Eine Chance, die sie nicht ausschlagen können. Hector erhält das Angebot einer Gastprofessur an einer amerikanischen Universität. In Paris fühlen sie sich nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo ohnehin ...

Eine Chance, die sie nicht ausschlagen können. Hector erhält das Angebot einer Gastprofessur an einer amerikanischen Universität. In Paris fühlen sie sich nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo ohnehin nicht mehr wohl und so brechen sie gemeinsam in die neue Welt auf. Hector lebt sich sofort an seinem neuen Arbeitsplatz ein, der sonst eher zurückhaltende und unscheinbare Philosoph wird plötzlich bewundert, die Frauen scharen sich nur so um den 60-Jährigen. Seine Frau Sylvie hingegen hat größere Schwierigkeiten in der neuen Umgebung anzukommen, ihr bisherigen Dasein wird durcheinandergeworfen und darin verliert sie sich selbst. Ihr Sohn Lester, der im Flugzeug einer Eingebung folgend beschlossen hat, sich zukünftig nur noch „Absalom Absalom“ nennen zu lassen, lebt sich auf ganz eigene Weise in seiner High-School ein.

„Das Leben von ihnen dreien würde so radikal auf den Kopf gestellt, dass das Motto von Edwina, ihrer Schwiegermutter, hier doch einmal passte: „Sich immer wundern, aber nie die Fassung verlieren.““

Agnès Desarthe folgt in ihrem Roman dem klassischen dramatischen Aufbau. Der verheißungsvolle Aufbruch, erste Störungen des Gleichgewichts, der dramatische Höhepunkt und das etwas übereilte Ende, das einen Punkt hinter das Abenteuer Amerika setzt. Dazwischen explorieren die Figuren wo sie angekommen sind in ihrem Leben, vor allem Sylvie analysiert und hinterfragt, wo nach fast vier Jahrzehnten ihre Ehe steht, die sich in Paris noch in einer perfekt austarierten Balance befand, die durch Hectors unerwartete neue Popularität ins Wanken gerät.

„Sylvie weiß es nicht. Ich liebe dich, sagt sie in Gedanken, an Hector gerichtet. Dann sagt sie: Ich liebe dich nicht. Ihr scheint, dass keiner der beiden Sätze richtig ist.“

Die Ehe von Sylvie und Hector folgt ganz eigenen Gesetzen. Er der denkende Intellektuelle, der seine Frau benötigt, um ihm die Bestätigung zu geben, die ihm sonst verwehrt wird. Zwar hat er eine hohe Position erreicht, aber in Paris scheint er eher unscheinbar. Die eigensinnige Definition Sylvies von Freiheit - kein Beruf engt sie ein, keine Tätigkeit schreibt ihr einen Tagesablauf oder Gemütszustand vor - hat ihn von je her fasziniert und lässt Sylvie trotz der körperlichen Veränderungen, die mit dem Alter unweigerlich einhergehen, immer noch eine begehrenswerte Frau für ihn sein. Nichtsdestotrotz verfällt er der Bewunderung der Amerikanerinnen, stellt jedoch seine Ehe zu keinem Zeitpunkt in Frage.

„Sind Sie auch Professorin?“ „Nein“, antwortete Sylvie leise. „Ich bin nichts.“

Auch Sylvie empfindet ihre Verbindung ähnlich, sie weiß bald von den Affären, beobachtet diese sogar, doch mehr noch als an der Ehe zu zweifeln, hinterfragt sie ihr Selbstbild und die Art, wie sie ihr Leben eingerichtet hat. Sie ist nicht Hausfrau und Mutter, verweigert sich diesen Definitionen ganz aktiv, doch in der Ferne, herausgerissen aus dem bekannten Umfeld, stellt sie ihr Lebensmodell infrage und fühlt sich genötigt, neue Wege zu gehen.

Lester erfindet sich selbst völlig neu. In einem religiösen Wahn glaubt er, erleuchtet zu sein und schart seine Mitschüler wie ein Sektenführer um sich. Hörig folge sie ihm und lassen sich von seinem Geist beseelen.

Drei Figuren, die gemeinsam ausbrechen und sich selbst ganz neu erleben oder definieren. Eine Chance fürwahr, doch ob dieser Neuanfang auch Glück bringt? Ein ruhiger Roman, der sehr eng bei den Gedanken der Familienmitglieder ist und ihre Zweifel und Emotionen offenlegt. Außergewöhnliche Charaktere, von denen ebenso eigenwillig erzählt wird.

Veröffentlicht am 28.11.2020

Lars Kepler - Der Spiegelmann

Der Spiegelmann
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Schon vor Jahren ist Jenny Lind auf dem Weg von der Schule nach Hause spurlos verschwunden, die Eltern haben jede Hoffnung aufgegeben, das Mädchen nochmals lebend zu sehen. Doch nun taucht ihr Leichnam ...

Schon vor Jahren ist Jenny Lind auf dem Weg von der Schule nach Hause spurlos verschwunden, die Eltern haben jede Hoffnung aufgegeben, das Mädchen nochmals lebend zu sehen. Doch nun taucht ihr Leichnam auf: auf einem Spielplatz mitten in Stockholm erhängt. Eine Passantin dachte noch sie retten zu können, doch da war es bereits zu spät. Der einzige Augenzeuge, der den Täter gesehen haben muss, ist Martin, der jedoch nach einem Unfall unter Psychosen leidet, Erinnerungslücken hat und kaum mehr zusammenhängend berichten kann. Kommissar Joona Linna fallen Parallelen auf und vor allem ein seltsames Brandzeichen an Jennys Hinterkopf lässt ihn stutzig werden: könnte es sich um einen Serientäter handeln, der bislang unentdeckt geblieben ist? Er muss herausfinden, was Martin in dieser Nacht beobachtet hat, das ihn offenkundig sehr schockierte, er bittet den Hypnotiseur Erik Maria Bark um Hilfe und die Zeit eilt, denn ein weiteres Mädchen ist verschwunden.

Das schwedische Autorenpaar, das hinter dem Pseudonym Lars Kepler steckt, führt die erfolgreiche Reihe um den eigenwilligen Kommissar Joona Linna auch im achten Band erfolgreich und spannend weiter. Nachdem er beim letzten Mal ziemlich einsam gegen einen alten Feind mit noch offenen persönlichen Rechnungen kämpfen musste, steht nun wieder ein klassischer Kriminalfall im Zentrum der Handlung. Der mysteriöse Täter bleibt dabei lange Zeit im Dunkeln, sowohl die Ermittlungsarbeit wie auch das Schicksal seiner Opfer sind bekannt, doch der große Unbekannte ist ein Mysterium.

Die Polizeiarbeit, bei der Linna bekannt eigenwillig seinen Weg geht, was mit seiner Vorgesetzten erwartungsgemäße Konflikte provoziert, folgt bekannten Mustern und verfolgt systematisch die Spuren, die ins Drogenmilieu führen und den Kommissar emotional an seine Grenzen führen: ist er wirklich der Mensch, der ihm seine Tochter vorwirft zu sein und mit dem sie keinen Kontakt haben will?

Interessanter jedoch gestaltet sich die Geschichte um den Augenzeugen Martin, dessen Psyche nach zwei furchtbaren Erlebnissen – ein Unfall mit dem Tod der Brüder in der Kindheit sowie einen weiteren als Erwachsener, bei die Tochter von ihm und seiner Frau Pamela ums Leben kam – ihm das Leben schwermacht. Er hört Stimmen und fühlt sich von zwei imaginären Jungen verfolgt, er sieht Dinge, die es nicht gibt und hat Erinnerungen, die er jedoch nicht einordnen kann. Mit Elektroschocks, Medikamenten und schließlich der Hypnose versucht man Zugang zu den verschlossenen Bereichen zu bekommen, um nachvollziehen zu können, was er wirklich gesehen hat und was nicht.

Der Täter, der bald unter dem Namen „Caesar“ bekannt ist, erscheint nur in wenigen Momenten, ist dort aber äußerst brutal und rücksichtslos. Dies bestätigen alle, die ihm jemals begegnet sind und das bringt das verschwundene Mädchen in größte Gefahr.

Ein routiniert erzählter Thriller, der vor allem durch interessante Figuren überzeugt und durchaus auch kritische Fragen bezogen auf fragwürdige Behandlungsmethoden psychisch Kranker aufwirft.

Veröffentlicht am 20.11.2020

Volker Kutscher – Olympia

Olympia
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1936, die ganze Welt blickt nach Berlin für ein perfekt orchestriertes Spektakel: mit den Olympischen Spielen wollen Hitler und seine Gefolgsleute nicht den Geist des friedlichen gemeinsamen Wettkampfs ...

1936, die ganze Welt blickt nach Berlin für ein perfekt orchestriertes Spektakel: mit den Olympischen Spielen wollen Hitler und seine Gefolgsleute nicht den Geist des friedlichen gemeinsamen Wettkampfs feiern, sondern ihre Vorherrschaft zelebrieren. Gereon Rath und seine Frau Charly erkennen ihre Stadt nicht wieder. Statt der berühmten abweisenden Schnodderigkeit herrscht gespielte Freundlichkeit und Weltoffenheit. Dazu passt ein Mord an einem amerikanischen Schwimmfunktionär so gar nicht, weshalb Rath vom LKA in die Polizeistation im Olympiadorf versetzt wird, um unauffällig zu ermitteln. Bald schon ist es jedoch eine ganze Serie von auffälligen, tödlich endenden Unfällen, die den Oberkommissar beschäftigen; offenbar gibt es eine Verbindung zu seinem alten Bekannten, den Unterweltkönig Johann Marlow.

Im nunmehr achten Band um den widerspenstigen Berliner Ermittler steht alles im Licht des sportlichen Großereignisses. Was ein großer Spaß sein sollte, wird gnadenlos instrumentalisiert, um die globale Öffentlichkeit zu täuschen, während hinter der Fassade und für die Bürger durchaus sichtbar der große Plan der Weltherrschaft weitergetrieben wird. Für mich der atmosphärisch stärkste Roman der Reihe, zeigt er doch, wie einerseits die Spiele faszinieren und vergessen lassen und wie andererseits die Menschen trotz der sichtbaren Veränderungen nicht glauben können und wollen, was in Deutschland vor sich geht. Immer noch sind sie davon überzeugt, es nur mit einem temporären Phänomen zu tun zu haben, auch wenn Charly zu zunehmend klarer wird, dass für sie und Gereon in diesem Land kein Platz mehr ist und sie vorsorgen müssen.

Die beiden Kriminalfälle sind jeder auf seine Weise clever konstruiert, die Serie an Unfällen greift geschickt alte Handlungsfäden wieder auf, der Mordfall im Olympiadorf besticht durch seine Doppelbödigkeit, die lange versteckt bleibt und am Ende nochmals in tiefe menschliche Abgründe blicken lässt. Gewohnt stark die Figuren Gereon und Charlotte, die beide starrköpfig und clever auf ihre Weise mit der sich zuspitzenden Situation umgehen und das Regime unterwandern.

Einmal mehr gelingt es Volker Kutscher historische Erlebnisse und Spannung überzeugend zu kombinieren und so fesselt der Roman trotz der Länge durchweg.

Veröffentlicht am 15.11.2020

Hans Rosenfeldt – Wolfssommer

Wolfssommer
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Nahe der kleinen Stadt Haparanda im schwedisch-finnischen Grenzgebiet wird eine tote Fähe nebst Jungtier gefunden. Das allein ist schon ungewöhnlich, seltsamer wird es jedoch, als man in ihrem Magen menschliche ...

Nahe der kleinen Stadt Haparanda im schwedisch-finnischen Grenzgebiet wird eine tote Fähe nebst Jungtier gefunden. Das allein ist schon ungewöhnlich, seltsamer wird es jedoch, als man in ihrem Magen menschliche Überreste findet. Diese gehören zu einem Opfer eines jenseits der Grenze eskaliertem Drogendeals, der sich nun nach Schweden verlagert und der ansonsten so beschaulichen Stadt nicht nur zahlreiche Tote, sondern auch eine ganze Reihe unangenehmer Zeitgenossen einbringt, die nur die vorher gegebene Ordnung wieder herstellen und sowohl die Drogen wie das auch das dazugehörige Geld zurück zu seinem Besitzer bringen wollen.

Hans Rosenfeldt zählt seit vielen Jahren zu den erfolgreichsten schwedischen Thriller Autoren, mit Michael Hjorth hatte er die Reihe um den Profiler Sebastian Bergman erschaffen. „Wolfssommer“ ist sein erster Roman in Eigenregie, der als Auftakt zu einer Serie um die Polizistin Hannah Wester angekündigt ist. Diese ermittelt in den komplizierten Fall, wird dabei aber immer wieder auch von privaten Problemen überrollt.

Obwohl Haparanda mit seinen nicht mal 10.000 Einwohnern idyllisch im Norden Schwedens liegt, bleibt die Stimmung nicht lange friedlich. Rosenfeldt spannt den Leser nicht lange auf die Folter, sondern startet gleich brutal und setzt dies mit der Figur der russischen Profikillerin Katja auch noch fort. So abgebrüht diese ist, fand ich ihre lakonische Art, mit der sie die unerwarteten Rückschläge in ihrem Auftrag kommentiert, einfach herrlich. Statt unnahbar kalt zu wirken, verleiht der Autor ihr eine unerwartet menschliche Seite. Ebenso der Polizistin Hannah, bei der nicht so sehr die analytischen Fähigkeiten als ihre Fähigkeit für feine Schwingungen und Veränderungen hervorstechen.

An mancher Stelle empfand ich den Fall geradezu aberwitzig, was jedoch insbesondere mit der Figur von Katja durchaus gut zusammenspielte; ganz entfernt erinnert das Szenario an den herrlichen Film „Burn After Reading“ der Coen Brüder, in dem ebenfalls plötzlich Nobodys mit den großen Gangstern und Agenten mitmischen, zufällige Glückstreffer landen und so einiges daneben geht.

Eine komplizierte Geschichte mit interessant bis kuriosen Figuren, die spannend und mit hohem Tempo routiniert erzählt wird.

Veröffentlicht am 15.11.2020

René Goscinny & Albert Uderzo – Asterix: Der Goldene Hinkelstein

Asterix - Der Goldene Hinkelstein
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Dorf-Barde Troubadix hat beschlossen, beim Wettbewerb um den besten Sänger Galliens teilzunehmen und träumt davon, als Sieger den Goldenen Hinkelstein mit nach Hause nehmen zu können. Asterix und Obelix ...

Dorf-Barde Troubadix hat beschlossen, beim Wettbewerb um den besten Sänger Galliens teilzunehmen und träumt davon, als Sieger den Goldenen Hinkelstein mit nach Hause nehmen zu können. Asterix und Obelix ahnen Schlimmstes und begleiten den wenig talentierten Barden vorsichtshalber. Diese Weitsicht zahlt sich aus, denn bei Troubadix desaströsem Auftritt kommt es zugleich zu Tumult. Doch dies ist nur eine Gefahr, die dem Sänger droht: ein römischer General wünscht einen privaten Barden zu seiner Unterhaltung und schickt entsprechend Legionäre aus, die zielsicher den schlechtesten Sänger von Aremorica einpacken.

„Der Goldene Hinkelstein“ ist ein Sonderband innerhalb der Reihe um das widerspenstige gallische Dorf. Im Original erschien der Text 1967 mit dem Titel „Le Menhir D’Or“ als Schallplatte mit Begleitheft und wurde nun nach Jahren der Vergessenheit in zahlreichen Sprachen neu aufgelegt. Passend hierzu ist auch eine etwa halbstündige Hörbuchversion erschienen.

Schlägt man den Band auf, fällt sofort die ungewohnte Gestaltung auf, der Text findet sich nämlich nicht in Sprechblasen, sondern ist neben den Bildern platziert, was dem Comic seinen bekannten Stil nimmt und eher zu einem Bilderbuch werden lässt. Diese Darstellung setzt jedoch die Zeichnungen Uderzos deutlich mehr in Szene als dies in den anderen Bänden der Fall ist.

Das empfohlene Lesealter ist ab 5 Jahren, was mir sehr passend erscheint, die Geschichte ist überschaubar komplex und gewohnt unterhaltsam. Was ihr jedoch fehlt, sind die feinen Anspielungen und Doppeldeutigkeiten, die die Serie auch für Erwachsene so attraktiv macht. Haben gerade die aktuellen Bände viel Bezug zum Tagesgeschehen und Figuren der Gegenwart, bleibt dieser auf der Ebene von Anspielungen an bekannte Lieder beim Gesangswettbewerb stehen.