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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.05.2021

Eine besondere Geschichte

Schlief ein goldnes Wölkchen
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Erstmals 1987 erschienen, machte es Anatoli Pristawkin bekannt. Dieses Jahr ist es im Aufbau Verlag in aktualisierter und überarbeiteter Übersetzung neu erschienen. Ich muss gestehen, mir war das Buch ...

Erstmals 1987 erschienen, machte es Anatoli Pristawkin bekannt. Dieses Jahr ist es im Aufbau Verlag in aktualisierter und überarbeiteter Übersetzung neu erschienen. Ich muss gestehen, mir war das Buch vorher kein Begriff, doch der Klappentext hat mich sehr angesprochen. Es geht um die beiden Zwillinge Saschka und Kolka, die unzertrennlich sind und im Waisenhaus aufwachsen. Das Leben ist geprägt von Hunger und Verzicht. Sie halten stets zusammen, sie sind wie eine Person, einer der Kopf und einer der Körper. 1944 werden sie zusammen mit 500 anderen Kindern in den Kaukasus geschickt um dort die Gegend zu besiedeln. Doch die dort lebenden Tschetschenen setzen sich mit aller Macht zur Wehr.

Saschka und Kolka sind zwei unglaubliche Kinder, ich hab sie direkt in mein Herz geschlossen. Sie sind mutig, halten zusammen und haben mich so manches Mal zum Schmunzeln gebracht. Pristawkin beschreibt das Leben der beiden, den Hunger und was er in den Kindern auslöst, auf sehr eindringliche Weise. Man hat fast das Gefühl selbst dort in diesem Waisenhaus zu sein. Dennoch blieb mir die Geschichte im Allgemeinen etwas fern.

Das hat sich jedoch nach und nach geändert, nachdem sie im Kaukasus angekommen sind. Die Sinnlosigkeit der Kriege und der Kämpfe werden aus Kindersicht so schonungslos gezeigt, dass man sich fragt, warum kommen da die Leute, die das sagen haben, nicht drauf? Das letzte Drittel hat mich dann schließlich zu Tränen gerührt, was die beiden durchmachen müssen ist so traurig, berührend und erschütternd und es sollte eigentlich niemand erleben müssen.

"Schlief ein goldnes Wölkchen" ist ein ganz besonderes Buch, das das Schicksal dieser Kinder in sehr emotionaler Weise beschreibt. Es ist ein Buch, das die Kriege anprangert und mit Kinderaugen auf eine Welt voller Entbehrungen und Bedrohungen blickt. Kurz: Es ist ein Buch vom Überleben.

Veröffentlicht am 12.05.2021

Jahreshighlight

Der Tod des Vivek Oji
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Eines Tages liegt Vivek tot vor der Tür seiner Eltern, vollkommen nackt. Seine Mutter versucht zu begreifen, was passiert ist und so befragt sie seine Freunde. Doch die schweigen um ihn und sich selbst ...

Eines Tages liegt Vivek tot vor der Tür seiner Eltern, vollkommen nackt. Seine Mutter versucht zu begreifen, was passiert ist und so befragt sie seine Freunde. Doch die schweigen um ihn und sich selbst zu schützen.

Vivek war schon immer anders, er hatte früher Ohnmachtsanfälle und Aussetzer, bei denen er nicht ansprechbar ins Leere starrt.

Nach und nach erfährt man in Rückblicken mehr über Viveks Vergangenheit. Langsam eröffnet sich ein Bild von einem sensiblen jungen Mann, der versucht zu sich selbst zu finden ohne sich verstellen zu müssen.

"Der Tod des Vivek Oji" ist ein sehr emotionales und berührendes Buch über Vertrauen, Treue und den Mut zu seiner eigenen Identität zu stehen. Mit unglaublich toller Sprache erweckt Akwaeke Emezi ihre Figuren zum Leben. Sehr atmosphärisch schildert sie die Szenen in Viveks Leben. Immer wieder lässt sie auch ihn in kurzen Abschnitten aus dem Jenseits das Geschehen zu Wort kommen. Vivek war ein Junge, der unter der Gesellschaft leidet, der sich in sich selbst zurück zieht und nur durch die Hilfe seiner Freunde wieder ins Leben zurückkehren konnte. Emezis Geschichte ist voller Liebe und Zuneigung, es geht um erste sexuelle Erfahrungen, um die Liebe zur Familie und zu seinen Freunden, es geht um Geschlechterrollen und den Wunsch sich daraus zu befreien. Es geht um verbohrte Traditionen um Scham und Angst zu seiner Liebe und sich selbst zu stehen aber auch um den Mut, Grenzen zu überwinden.

Vivek Oji ist schon jetzt ein Jahreshighlight!

Veröffentlicht am 12.05.2021

Monster?

Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte
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Linus Baker arbeitet bei der Behörde für die Betreuung magischer Minderjähriger, eine Art Jugendamt für alle Kinder und Wesen die anders sind als die gewöhnlichen Menschen. Er ist der Inbegriff des braven ...

Linus Baker arbeitet bei der Behörde für die Betreuung magischer Minderjähriger, eine Art Jugendamt für alle Kinder und Wesen die anders sind als die gewöhnlichen Menschen. Er ist der Inbegriff des braven Beamten, der stets objektiv bleibt, sich an die Regeln aus dem Wälzer "Vorgaben und Verordnungen" hält und die Distanz zu seinen Fällen wahrt. Beste Vorraussetzungem für einen Spezialauftrag denkt sich das höchste Management. Linus macht sich also zusammen mit seiner Katze Calliope, seinem Pyjama mit Monogramm und natürlich seinem geliebten Regelwerk auf den Weg zum Waisenhaus von Mr. Parnassus, auf einer kleinen Insel am Meer.

Dort trifft er nicht nur auf die Kinder sondern natürlich auch auf Mr. Parnassus höchstpersönlich, sowie eine Inselelementarin, die mit Argusaugen über ihre Schützlinge wacht. Über die Kinder möchte ich an dieser Stelle nicht viel mehr verraten, da es mir sehr viel Spaß gemacht hat, sie zusammen mit Linus zu entdecken. Doch so viel sei gesagt, Linus fand sie sehr furchteinflösend, er kam dem Boden so manches Mal vor Schreck ziemlich nahe. Nur langsa und sehr widerwilig gewöhnt er sich an seine neue Umgebung und die Menschen und Wesen darin.

TJ Klune hat einen herausragenden Schreibstil voller Witz und Überraschungen ohne dabei die nötige Tiefe zu verlieren. Schon lange hat mich ein Buch nicht mehr so zum Lachen gebracht beim Lesen. Jede Figur ist etwas ganz Besonderes, sehr vielschichtig und charakterilicher Tiefe, die ich in so manchn Büchern vermise. Klune denkt wirklich an jede Figur. Zusammen mit Linus entdeckt man so ihre Eigenheiten, ihre Träume und Wünsche und ihre Liebenswürdigkeit. Die Kinder wurden weggesperrt, weil sie anders sind, man hat ihnen eingeredet, dass sie böse sind, dass sie Monster sind, die eine Gefahr für alle anderen darstellen. Aber eigentlich sind sie einfach nur Kinder, die sich nach Liebe und Familie sehnen.

Auch wenn ich von den Kindern und anderen Figuren wirklich rundum begeistert war, hat mir am Ende trotzdem etwas gefehlt um ein Highlight zu werden. V.a. den Anfang empfand ich als etwas langweilig, generell war Linus für mich der schwächste Charakter. Irgendwie konnte ich zu ihm keine wirkliche Bindung aufbauen und er war mir fast schon ein bisschen zu überzeichnet. Ab der Hälfte etwa baut Klune eine, zugegebenermaßen sehr zarte und rührende, Liebesgeschichte ein, die es für mich nicht gebraucht hätte. "Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte" ist ein wundervolles Buch über Freundschaft und Anderssein, für mein Empfinden hätte es dabei bleiben sollen. Der Liebesaspekt war mir etwas zu vorhersehbar aber im Endeffekt hat es mich auch nicht allzu sehr gestört.

Mr. Parnassus zeigt uns in diesem Buch, dass jeder das Recht hat so zu sein, wie er will und dass man sich nicht von dem klein kriegen lassen sollte, was andere über einen denken. Jeder kann seinen Lebensweg selbst bestimmen, jeder hat eine Chance verdient, egal wie man aussieht oder für was man steht. Sein Heim ist eine Hommage an Wahlfamilien, Freundschaft, Zusammenhalt und ein Leben voller Toleranz und Hoffnung.

Veröffentlicht am 06.05.2021

Vergangenheit

Die Geschichte von Kat und Easy
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Kat und Easy sind unzertrennlich, sie erleben alles gemeinsam und haben den Sommer ihres Lebens. Sie machen ihre ersten Erfahrungen mit Sex, Drogen und Alkohol und auch mit der Liebe. Sie werden für immer ...

Kat und Easy sind unzertrennlich, sie erleben alles gemeinsam und haben den Sommer ihres Lebens. Sie machen ihre ersten Erfahrungen mit Sex, Drogen und Alkohol und auch mit der Liebe. Sie werden für immer Freundinnen bleiben, davon sind sie überzeugt. Aber es kommt anders als geplant und aus einem ganzen Leben wird lediglich ein Jahr. Bis sie sich viele Jahre später wieder treffen.

Abwechselnd erzählt Susann Pásztor die Geschichte von Kat und Easy in der Gegenwart und der Vergangenheit. Als Leser springt man hin und her zwischen dem Laustedt der 70er und dem Kreta der Gegenwart und deckt so nach und nach die Geschichte eines Sommers auf. Kat und Easy sind sehr unterschiedlich und vielleicht verbindet sie gerade das. Easy, die Dorfschönheit, die zunächst schüchtern und etwas naiv daher kommt und Kat, die Brillenschlange, die mutig ist und Bescheid weiß vom Leben. Aber es zeigt sich nach und nach, dass die Rollenverteilung gar nicht so festgefahren ist wie sie zunächst scheint, vielmehr ist auch Kat verletzlich und gar nicht so abgebrüht, wie sie auf andere wirkt. Und dann ist da natürlich noch Fripp, der gutaussehende junge Mann, der ihnen den Kopf verdreht und der die Freundschaft der beiden auf die Probe stellt.

Den Wechsel aus Gegenwart und Vergangenheit ist Pásztor gut gelungen, wie ich finde. Oftmals kann ein ständiger Wechsel irgendwann nerven, weil man das Gefühl hat, nicht weiter zu kommen oder zu oft aus dem Geschehen gerissen zu werden. Pásztor jedoch verknüpft die beiden Erzählstränge gut, sie verwebt sie durch die Gedanken und lässt sie ineinander übergreifen was das ganze zu einem funktionierenden Gesamtbild verknüpft. Die Vergangenheit wird zwar nur stückchenweise offenbart und man muss sich viel selbst zusammenreimen, doch das hat mich nicht weiter gestört. Viel mehr hat es mich dazu gebracht, weiter zu lesen, da man irgendwann auch wissen möchte, ob die eigenen Vermutungen zutreffen. In die beiden Hauptpersonen Kat und Easy konnte ich mich sehr gut hineinversetzen, lediglich die Nebenfiguren blieben bis zum Schluss etwas blass.

"Die Geschichte von Kat und Easy" ist ein ganz wunderbarer Roman über Freundschaft, über die Dorfjugend in den 70ern, über erste Erfahrungen und Enttäuschungen und auch über die Liebe und die Diskrepanz zwischen dem jugendlichen Ich und der erwachsenen Frau, die man irgendwann wird. Die Grundidee des Buches ist sicherlich keine neue und das große Geheimnis auch etwas unspektakulär und vorhersehbar. Dennoch habe ich Pásztors Roman wirklich sehr gerne gelesen, da sie auf einfühlsame Weise das Wesen von Kat und Easy einfängt und den Leser mitnimmt in eine Geschichte, die zwar nicht nur positives bereit hält, die mich jedoch mit einem wohligen Gefühl zurück lässt. "Die Geschichte von Kat und Easy" war für mich ein Erlebnis, das mich mitnimmt in eine Zeit, die mir unbekannt ist und gleichzeitig auf die Reise schickt, in die wundervolle Natur Kretas. Pásztor hat einen sehr flüssigen und leichten Schreibstil, der perfekt ist um abzutauchen und den eigenen Alltag für eine Weile zu vergessen. Dieses Buch ist genau richtig, wenn man etwas braucht, was einen nicht mit tiefschürfenden Gedankengängen herausfordert und das dennoch so viel mehr ist als ein leichter Roman.

Veröffentlicht am 04.05.2021

Hannah Arendt

Was wir scheinen
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Mit "Was wir scheinen" nimmt Hildegard E. Keller den Leser mit auf eine Reisen in die Vergangenheit von Hannah Arendt. Arendt selbst ist wohl den meisten ein Begriff, doch vieles war zumindest mir auch ...

Mit "Was wir scheinen" nimmt Hildegard E. Keller den Leser mit auf eine Reisen in die Vergangenheit von Hannah Arendt. Arendt selbst ist wohl den meisten ein Begriff, doch vieles war zumindest mir auch nur vage bekannt. Keller schickt die jüdische Theoretikerin, Philosphin und Journalistin hier 1975 in einen letzten Urlaub in das Tessiner Dorf Tegna. Dabei komme ihr allerhand Erinnerungen an ein bewegtes Leben, v.a. auch an den Eichmann-Prozess 1961 und ihr anschließendes Buch, aber auch an Freunde und Verwandte.

Keller wirft hier mit Informationen zu Hannah Arendt nur so um sich, doch ohne Vorwissen waren v.a. Hannahs Bekannte, die sie (logischerweise) nur mit dem Vornamen anspricht, für mich v.a. am Anfang nur schwer zuordenbar. Diese Informationsflut schildert Keller allerdings mit einer solch tollen und einnehmenden Sprache, dass ich "Was wir scheinen" wirklich gerne gelesen habe. Sprachlich sind diese fast 600 Seiten ein Genuss! Dennoch braucht man Ruhe und Geduld um dieses Buch in seiner Gesamtheit zu erfassen und keine der Informationen zu verpassen.

Nicht alles was sie schildert, ist wirklich so passiert, "Was wir scheinen" bleibt am Ende 'nur' ein Roman, der von einer fiktiven Geschichte erzählt. Diese fiktive Geschichte basiert jedoch auf wahren Begebenheiten und Dokumenten, eingebaut in Dialoge und Briefe, die Hannah Arendt hier führt.

"Was wir scheinen" hat mich sehr begeistert, berührt auch wenn ich mich manchmal von der Fülle an Informationen erschlagen gefühlt habe. Ich habe nun nicht unbedingt das Gefühl, schlauer zu sein als vorher und doch habe ich ein interessantes Portrait einer sehr interessanten Frau erhalten. Es ist ein anspruchsvoller Roman, an der Grenze zur Biografie, aber auch ein sehr lesenswerter und sprachlich herausragender.