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Veröffentlicht am 28.04.2018

Wie kann man dem dunklen Herzen entkommen?

Das dunkle Herz
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Anna verliert während des Gedächtnisgottesdienst für ihren seit zehn Jahren vermissten Bruder Ben das Bewusstsein, als sie wieder erwacht, befindet sie sich in einer völlig fremden Welt. In der Ferne erkennt ...

Anna verliert während des Gedächtnisgottesdienst für ihren seit zehn Jahren vermissten Bruder Ben das Bewusstsein, als sie wieder erwacht, befindet sie sich in einer völlig fremden Welt. In der Ferne erkennt sie die Gebäude und Ruinen einer Art Wüstenstadt und als sie in der Stadt ankommt, entdeckt sie weitere Menschen unterschiedlichen Alters und Herkunft, die sich ebenfalls nicht erklären können, wie sie plötzlich dorthin gelangt sind. Was bedeutet dieser Albtraum? Und gibt es eine Möglichkeit, wieder nach Hause zu kommen? Dann findet Anna Anzeichen, die zu ihrem Bruder Ben führen.

Die Thematik des Buches, sich plötzlich in einer wildfremden Umgebung zu befinden, ohne zu wissen, wie und warum man dorthin gelangt ist, hat mich direkt angesprochen. Und bereits nach den ersten spannenden Seiten häuften sich bei mir die Fragen: wo sind Anna und die Anderen gestrandet, befindet sich dieser Ort in unserer Welt? Nach welchen Kriterien wurden die Menschen ausgesucht, gibt es Gemeinsamkeiten zwischen ihnen? Welches Ziel wird mit der Entführung der Menschen verfolgt – und von wem? Werden sich noch andere Menschen an diesem Ort befinden, die schon länger da sind? Gibt es eine Möglichkeit, diese Welt wieder zu verlassen? Von wem stammen die Worte „Du sollst nicht töten“, die sich an der Wand einer Kirche befinden – und warum?

Der Versuch von Anna und den anderen Gestrandeten, Antworten auf diese Fragen zu finden, bilden eine packende und spannende Handlung, so dass es mir nicht leicht gefallen ist, das Buch zwischendurch aus der Hand zu legen. Neben der Suche nach den Hintergründen ist auch die Bildung von Gruppen und Zweckgemeinschaften sehr spannend und wie die einzelnen Menschen unterschiedlich mit der neuen Situation zurechtkommen bzw. welche Rolle sie einnehmen werden.

Es gibt einen Beobachter, eine alten Mann, der sich den Angekommenen zwar nicht offenbart, aber scheinbar genau weiß, warum sie hier sind. Auch weiß er von dem Bösen, welches unter der Stadt lauert: dem dunklen Herzen.

Die Charaktere der unfreiwilligen neuen Bewohner der Stadt sind sehr unterschiedlich und ihre jeweilige Entwicklung ist spannend zu verfolgen, zumal sie sich aus Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zusammensetzen. Interessant wären noch mehr Hintergrundinformationen zu den Ankömmlingen gewesen, was ihre Vergangenheit und ihr Leben in der richtigen Welt angeht. Aber da dieses Buch der Auftakt zu einer dreiteiligen Serie ist, könnte ich mir gut vorstellen, dass man das noch in den nächsten beiden Büchern thematisieren könnte.

Anna und Nico, eine griechischer junger Mann, mit dem sie sich anfreundet, gefallen mir besonders gut, da sie Einblick in die verschiedenen Gruppen bekommen. Außerdem ist Anna ziemlich mutig und will mehr über die Stadt und ihre Umgebung herausfinden, was auch daran liegt, dass sie immer wieder Anzeichen dafür findet, dass es an diesem Ort eine Verbindung zu ihrem vermissten Bruder gibt.

Das Buch wird zwar als Jugendroman eingestuft, kann aber sehr gut von Erwachsenen gelesen werden. Sehr gut hat mir der leichte Grusel gefallen, der permanent über der ganzen Handlung liegt.
Zwar ist das Buch der erste Teil, es ist aber in sich abgeschlossen, ohne einen fiesen Cliffhanger am Ende. Trotzdem bin ich sehr gespannt, wie es weitergehen wird und freue mich darauf, wenn der zweite Band erscheint.

Veröffentlicht am 19.04.2018

Herr Jakob träumt

Herr Jakob träumt
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Der Bibliothekar Herr Jakob fühlt sich in seinem Leben zunehmend unter Druck gesetzt: Vorträge, Aufträge für seine Skulpturen, eine Ex-Frau, die nach mehr Unterhaltszahlungen verlangt usw. Nach Gesprächen ...

Der Bibliothekar Herr Jakob fühlt sich in seinem Leben zunehmend unter Druck gesetzt: Vorträge, Aufträge für seine Skulpturen, eine Ex-Frau, die nach mehr Unterhaltszahlungen verlangt usw. Nach Gesprächen mit einem Huhn und der Tatsache, dass es Herbst ist, beschließt Herr Jakob, es mit Winterschlaf zu versuchen, zumal das Bedürfnis nach Schlaf bei ihm sowieso übermächtig wird.

Oh, ich kann den Wunsch nach Winterschlaf während der dunklen Jahreszeit so gut nachvollziehen, mir geht es oftmals nicht anders, wenn früh morgens der Wecker seinen Terror beginnt und mich aus dem wohligen Nachtschlaf reißt. Umso neugieriger war ich darauf, ob es Herrn Jakob gelingen wird. Und ja, er schafft es! Wie er die Winterruhe dabei erlebt bzw. welche Bereicherung dies für sein Leben bedeutet, hatte auch auf mich als Leser eine entschleunigende und beruhigende Wirkung. Spannend fand ich auch, welche Wirkung seine Winterruhe auf seine Umgebung hat, denen er nichts von seinen Plänen erzählt.

Die Charaktere im Buch werden zwar nicht in der Tiefe dargestellt, aber darum geht es meiner Meinung auch gar nicht, sondern darum, dass man mal wieder darüber nachdenkt, ab und an einen Gang zurückzuschalten und innezuhalten. Und dabei auf die kleinen Dinge achtet, denen man im hektischen Alltag keine Beachtung schenkt, die einem aber helfen, zur Ruhe zu kommen. Ich denke, dabei hätte eine allzu komplizierte Darstellung der Figuren eher störend und anstrengend gewirkt.

Die Sprache des Buches ist herrlich entschleunigend und beruhigend: keine langatmigen Dialoge, sondern vielmehr die Darstellung von Stimmungen und Eindrücke.
Manche Szenen werden etwas überspitzt dargestellt, was ich aber gelungen finde, da sie damit uns und unserer Gesellschaft den Spiegel vorhalten.

Ich werde es sicherlich niemals schaffen, Winterschlaf zu halten, aber seit ich das Buch gelesen habe, denke ich oft in besonders hektischen Situationen an Herrn Jakob und seine Gespräche mit dem Huhn – und nehme mir mal eine kurze Auszeit, um beispielsweise die Wolken am Himmel eingehender zu betrachten. Mir hat das Buch in jedem Fall eine sehr angenehme Lesezeit verschafft einschließlich der positiven Nachwirkungen.

Veröffentlicht am 27.03.2018

Roadtrip zu den Leuchttürmen von Dänemark

Solange es hell ist
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Was veranlasst die 15-jährige Mika ihre beiden Geschwister in das Auto der Mutter zu packen und ohne Führerschein nach Dänemark zu fahren? Die drei Kinder sind eigentlich zusammen mit ihrer Mutter im Harz ...

Was veranlasst die 15-jährige Mika ihre beiden Geschwister in das Auto der Mutter zu packen und ohne Führerschein nach Dänemark zu fahren? Die drei Kinder sind eigentlich zusammen mit ihrer Mutter im Harz im Urlaub, der erste Urlaubstag war sehr harmonisch, warum also entschließt sich Mika dazu, so eine Verrückheit zu machen?

Schnell wird klar, dass es sich nicht um eine durchgeknallte „Verrücktheit“ einer Jugendlichen handelt, denn Mika erscheint für ihr Alter bereits sehr erwachsen. Sie fühlt sich für ihre Geschwister verantwortlich und will vermeiden, dass sie auseinandergerissen werden. Katie, die alleinerziehende Mutter der Drei, ist keine Unbekannte beim Berliner Jugendamt, hatte sie immer mal wieder Schwierigkeiten, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Seit Katie jedoch einer regelmäßigen Arbeit nachgeht, verlief das Familienleben in „normaleren“ Bahnen. Aber man merkt beim Lesen deutlich, dass Mika oftmals die Rolle der Mutter für ihre beiden jüngeren Geschwister eingenommen hat, da diese ihr blind vertrauen. Was aber nicht heißen soll, dass sie sich nicht auch fetzen, wie das bei Geschwistern normal ist.

Die Suche nach dem Leuchtturm gestaltet sich nicht ganz einfach: Mika kennt nicht den Namen des Leuchtturms, nur dass er in Dänemark steht und ihre Mutter dort die glücklichste Zeit erlebt hat. Dazu kommt, dass Mika mit 15 Jahren natürlich keinen Führerschein besitzt und damit das Alditüte genannte Auto der Mutter gar nicht fahren dürfte, ebenso sind die Geldmittel begrenzt, was die Drei zu gewagten Improvisationen zwingt und ihnen auch mehr oder weniger angenehme Bekanntschaften einbringt.

Die Reise nach Dänemark ist nicht nur eine Flucht, sondern auch eine Suche nach Hoffnung und Zukunft und auch wenn Mika dabei gezwungen ist, die Grenzen der Legalität zu überschreiten, habe ich mitgefiebert, ob sie ihr Ziel erreichen und sich ihre Wünsche erfüllen werden. In den sommerlichen Dünen am Nordseestrand erscheint das Leben jedenfalls viel leichter und unbeschwerter.

Ich fand, dass sich Mika mit ihrer 11-jährigen Schwester Penny, einer kleinen Diva und Teilzeitzicke, und dem 5-jährigen Elias, Sonnenschein und Nesthäkchen der Familie mit zeitweisen Temperamentsausbrüchen, sehr gut ergänzt hat. Die Drei kamen für mich sehr authentisch rüber und trotz der normalen Streitigkeiten merkte man, dass sie eine Familie sind.

Mit Mika teile ich übrigens eine Gemeinsamkeit: die Faszination für Leuchttürme. Mir geht es wie ihr, dass ich das Leuchtfeuer, welches mit gleichbleibender Regelmäßigkeit die Dunkelheit durchschneidet, als sehr beruhigend und verlässlich empfinde.

„Solange es hell ist“ ist für mich ein berührendes Buch, nicht nur für Jugendliche, zu deren Zielgruppe ich schon länger nicht mehr gehöre.

Veröffentlicht am 04.03.2018

Sechster Fall für den sympathischen Berliner Kommissar Leo Wechsler

Nachts am Askanischen Platz
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Berlin 1928: auf dem Gelände des Askanischen Gymnasiums wird ein unbekannter Toter gefunden. Die Mordkommission Berlin sucht unter der Führung von Leo Wechsler nach der Identität des Toten und den Hintergründen ...

Berlin 1928: auf dem Gelände des Askanischen Gymnasiums wird ein unbekannter Toter gefunden. Die Mordkommission Berlin sucht unter der Führung von Leo Wechsler nach der Identität des Toten und den Hintergründen für die Tat. Hat es etwas zu bedeuten, dass es in der Nähe des Fundorts eine Verbindungstür zum Nachbargelände gibt, auf dem sich das Cabaret des Bösen befindet, ein Theater mit einem skurrilen Unterhaltungsangebot? Während Leo voll in seiner Arbeit eingespannt ist, sympathisiert sein Sohn Georg zunehmend mit der Hitlerjugend und der erstarkenden SA.

Auch der sechste Band um Leo Wechsler hat nichts von dem Charme der von mir lieb gewonnenen Krimireihe aus den 1920er Jahren verloren. Der Prolog beginnt direkt ziemlich gruslig und schockierend, aber nach den ersten Seiten der Haupthandlung machte sich bei mir diesbezüglich etwas Erleichterung breit – aber ist diese Erleichterung berechtigt?

Die Suche nach der Identität des Ermordeten war knifflig und es war interessant zu erfahren, welche Mittel in der damaligen Zeit zur Verfügung standen, um unbekannten Toten einen Namen zu geben. Gespannt war ich auch auf die Vergangenheit des Toten, die zwischen den Zeilen immer wieder anklang. Nachdem seine Identität gelüftet werden konnte, hatte ich zwar eine Ahnung, aber Motiv und Hintergründe lagen für mich lange Zeit im Dunkeln.

Genauso interessant wie die Ermittlungen empfinde ich jedoch auch das familiäre Geschehen von Leo. Es ist einfach immer wieder schön, wie gut er mit seiner Frau Clara harmoniert, die – selber berufstätig – vollstes Verständnis dafür hat, wenn die Arbeit ihres Mannes mal wieder viel Raum und Zeit einnimmt.
Jedoch entfremdet sich Georg zunehmend von der Familie, da er durch seinen Freund Wolfgang zunehmend Kontakt zur SA und HJ bekommt. Da er weiß, wie sein Vater darüber denkt, versucht er es, vor ihm zu verheimlichen. Leo spürt, dass etwas mit seinem Sohn nicht stimmt, schiebt aber ein Gespräch auf die lange Bank, dabei wäre es allerhöchste Zeit, dass die beiden miteinander reden, aber kann Leo seinen Sohn überhaupt noch erreichen?

Eine historische Nebenfigur hat mich in dem Roman am meisten beeindruckt: Dr. Jacques Joseph, auch Nasenjoseph genannt, der ein wahrer Künstler und Meister der Wiederherstellungschirurgie war und zu seiner Zeit Meilensteine gesetzt hat. Das, was wir im Buch über ihn erfahren, hat mich neugierig gemacht und so bin ich gerne der Aufforderung der Autorin gefolgt, im Internet auf weitere Spurensuche zu gehen – es lohnt sich.

Susanne Goga gelingt es auch diesmal wieder, die Atmosphäre der damaligen Zeit durch ihre gründlichen Recherchen einzufangen und sie in einen unterhaltsamen Kriminalroman zu verpacken. Ich freue mich jetzt schon sehr auf den siebten Fall des Leo Wechsler.