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Veröffentlicht am 19.12.2019

Ein Cosy-Krimi von J.K. Rowling ??

Ein plötzlicher Todesfall
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Es handelt sich hier aber weder um einen Krimi noch um einen Abklatsch von Harry Potter. "Ein plötzlicher Todesfall" gestattet einen Blick hinter die Kulissen einer spießigen englischen Kleinstadt mit ...

Es handelt sich hier aber weder um einen Krimi noch um einen Abklatsch von Harry Potter. "Ein plötzlicher Todesfall" gestattet einen Blick hinter die Kulissen einer spießigen englischen Kleinstadt mit allen ihren Abgründen und Hässlichkeiten. Denn nur auf den ersten Blick ist die englische Kleinstadt Pagford ein verträumtes und friedliches Idyll.

Das hat mir richtig gut gefallen. Besonders die Vielschichtigkeit der zahlreichen agierenden Personen fand ich spannend, zumal durch die wechselnden Erzählperspektiven die Charaktere immer mehr Tiefe erhielten, nur der Auslöser der geschilderte Ereignisse, Barry, bleibt recht blass, aber der ist ja schließlich auch schon tot. Der Roman ist nicht ohne Witz, macht aber ziemlich nachdenklich.

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Veröffentlicht am 16.12.2019

Ein verändertes "Vaterland"

Das Vaterland
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Ganz erstaunlich finde ich diesen "Roman, der kein Roman sondern ein Pamphlet sein soll" (so Liepman in seinem 1933 in Paris verfassten Vorwort). Er dürfte einer der ersten sein, die die Geschehnisse in ...

Ganz erstaunlich finde ich diesen "Roman, der kein Roman sondern ein Pamphlet sein soll" (so Liepman in seinem 1933 in Paris verfassten Vorwort). Er dürfte einer der ersten sein, die die Geschehnisse in Deutschland literarisch auch für eine internationale Leserschaft festhalten.
Heinz Liepman erzählt die Geschichte der Schiffsbesatzung, die nach nur 3 Monaten auf See in ein völlig verändertes Hamburg zurückkehrt. Nun, Aufmärsche, Antisemitismus hatte es gewiss auch schon vorher gegeben, aber nun war es geschehen: die Nationalsozialisten hatten die Macht übernommen. Was die Heimkehrer erleben, ist staatlich organisierte Gewalt, Spitzeltum, die organisierte Vernichtung einer ganzen Volksgruppe, willkürliche Verhaftungen, Folter.

Die Reaktionen der Besatzungsmitglieder darauf sind so unterschiedlich wie ihre Gesinnung. Zusammen mit den im weiteren Verlauf auftretenden Figuren verkörpern sie das ganze Spektrum von Verhalten unter der Schreckensherrschaft.

Der Roman wirkt nicht wie aus einem Guss, dies verhindern die Abfolge der einzelnen Episoden und die wechselnden Erzählperspektiven, aber dennoch finde ich ihn faszinierend: wegen der Dichte der Informationen und besonders wegen der Menschlichkeit, die bei der Schilderung all der Grausamkeiten immer wieder durchblitzt. Und immer wieder wird verwiesen auf die aufrechten Menschen, die sich selbst in Gefahr bringen, weil sie sich nicht mit den Gegebenheiten arrangieren können. Das hat mich beeindruckt.

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Veröffentlicht am 16.12.2019

"atmosphärisch unangenehme Stimmung" in den Spätsommerferien in Italien

Mario und der Zauberer
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Ich weiß nicht, warum es mich jedesmal solche Überwindung kostet, bevor ich an ein Werk von Thomas Mann gehe (meine Sympathie galt schon immer eher Heinrich, Klaus, Erika und Golo, die sich entschieden ...


Ich weiß nicht, warum es mich jedesmal solche Überwindung kostet, bevor ich an ein Werk von Thomas Mann gehe (meine Sympathie galt schon immer eher Heinrich, Klaus, Erika und Golo, die sich entschieden hatten, in weniger geordneten Verhältnissen zu leben und zu arbeiten, vielleicht auch nur, weil es mir für sie ungeheuer schwer vorkommt, neben einer Figur wie Thomas Mann bestehen zu können).
Wenn es dann aber geschieht, bin ich jedesmal wieder fasziniert, wie auch hier von der Erzählung Mario und der Zauberer, fasziniert wie meisterhaft er beobachtet und analysiert, sein Gespür für Unterschwelliges und Atmosphärisches, deren genaue Darstellung und die klare Analyse des Zustands, in dem sich die bürgerliche Gesellschaft, der er angehört, sich befindet.

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Veröffentlicht am 16.12.2019

Recherche vor Ort

Hotel Amerika
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Warum diese Autorin so gut wie vergessen wurde, ist mir unerklärlich. Zum Leben dieser bemerkenswerten Frau, das tragisch 1941 in Südfrankreich endete, hier nur soviel im Hinblick auf den vorliegenden ...

Warum diese Autorin so gut wie vergessen wurde, ist mir unerklärlich. Zum Leben dieser bemerkenswerten Frau, das tragisch 1941 in Südfrankreich endete, hier nur soviel im Hinblick auf den vorliegenden sozialkritischen Roman:
1925 wurde Maria Leitner vom Ullstein-Verlag in die Staaten geschickt, wo sie drei Jahre lang in diversen Jobs das Leben im "Land der Freien und Gleichen" studierte, nicht aus der Perspektive der Journalistin sondern der mittellosen Einwanderin. Sie arbeitete im Automatenrestaurant, als Fließbandarbeiterin, Dienstmädchen bei einem reichen Alkoholschmuggler, Putzfrau im Luxushotel, Verkäuferin im Warenhaus etc.
Maria Leitner hat sich nie damit zufrieden gegeben, Zustände zu beschreiben und anzuklagen, sie hat sie vor Ort studiert. So z.B. auch als sie 1932 untersuchte, warum ein kleines Dorf fast geschlossen für Hitler gestimmt hat ("Im Krug eines Hitler Dorfes"). Noch nachdem sie 1934 endgültig ins Exil gegangen war, reiste sie mehrmals illegal nach Deutschland, um dort für ihre Reportagen zu recherchieren.

Faszinierend an dem Roman "Hotel Amerika" fand ich, dass eine Geschichte vorwiegend aus der Perspektive einzelner Beschäftigten in dem Riesenbetrieb des Luxushotels erzählt wird, in dem die niederen Dienste vor allem von mittellosen Einwanderern und Frauen schwarzer Hautfarbe verrichtet werden. Die geschilderten Arbeitsbedingungen sind so erschütternd wie die Gegenmaßnahmen der Direktion, um aufkommenden Unmut im Keim zu ersticken, vertraut sind.
Auch Maria Leitner gehört zu den verbrannten Autoren, d.h. den Autoren deren Bücher 1933 öffentlich verbrannt wurden.

Veröffentlicht am 16.12.2019

Fronturlaub

Zeit zu leben und Zeit zu sterben
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Dieser Roman hat mich so gefesselt wie schon lange vorher keiner mehr. Ich habe ihn sogar unterwegs immer dabei gehabt, wo ich doch sonst leichte Krimis für die S-Bahn bevorzuge.
"Ich bin so traurig, daß ...

Dieser Roman hat mich so gefesselt wie schon lange vorher keiner mehr. Ich habe ihn sogar unterwegs immer dabei gehabt, wo ich doch sonst leichte Krimis für die S-Bahn bevorzuge.
"Ich bin so traurig, daß ich glaube, ich werde morgen sterben, wenn ich dich verlasse. Aber wenn ich dann denke, was geschehen müßte, damit ich nicht so traurig wäre, dann gibt es nur das eine, daß ich dich nie getroffen hätte. Dann würde ich nicht traurig sein, sondern leer und gleichgültig wieder abfahren. Und wenn ich das denke, dann ist die Trauer keine Trauer mehr. Sie ist ein schwarzes Glück. Die andere Seite des Glücks." (S. 214)
Zum guten Schluss bin ich noch über die Verfilmung im Internet gestolpert, die einerseits sehr amerikanisch war, aber andererseits in den Dialogen näher an der Urfassung des Romans, die dem deutschen Publikum bis vor kurzem verwehrt worden war.
Leider basiert diese Ausgabe auch auf der von 1954.