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Veröffentlicht am 24.07.2024

"Wir drei sind eins"

Kleine Monster
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Pia, Jakob und Luca: eigentlich leben sie als glückliche Familie zusammen – bis eines Tages ein Vorfall in der Schule ihre heile Welt erschüttert. Der siebenjährige Luca soll einer Klassenkameradin etwas ...

Pia, Jakob und Luca: eigentlich leben sie als glückliche Familie zusammen – bis eines Tages ein Vorfall in der Schule ihre heile Welt erschüttert. Der siebenjährige Luca soll einer Klassenkameradin etwas angetan haben.Was genau passiert ist, bleibt allerdings im Ungewissen. Luca bestreitet die Beschuldigungen, seine Eltern wollen ihn schützen, doch bei Pia schleichen sich leise Zweifel ein. Ist er wirklich unschuldig? Oder können nicht auch Kinder hinterhältig und "kleine Monster" sein?
Auf raffinierte Weise schildert die Autorin, wie sich Stück für Stück Pias Misstrauen aufbaut,
die Harmonie in der Familie Risse bekommt. Sie nutzt dazu zwei Handlungsebenen; die Ereignisse der Gegenwart lassen in Pia dramatische Erinnerungen an ihre eigene Kindheit wach werden. Aus der Sicht der Erwachsenen, die nun selbst Mutter ist, bewertet sie die Geschehnisse (und ihre eigene Rolle darin) neu. Sind Linds Formulierungen anfangs nur vage, so werden sie im Verlauf der Geschichte immer deutlicher und erzeugen eindrucksvolle Bilder der vergangenen und aktuellen Geschehnisse. Dabei erzählt sie in einem schlichten Stil, ohne jedes Pathos, und lässt den Leser einen tiefen Blick in Pias Psyche und die Familienstrukturen werfen.
„Wir drei sind eins“ - das galt für Pia und ihre zwei Schwestern in der Vergangenheit. Auch für ihre kleine Familie in der Gegenwart erwartet sie das. „Eine glückliche Familie. Bis wir es nicht mehr sind."

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Veröffentlicht am 16.07.2024

Kluge Gesellschaftskritik

Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens
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Gabriele Reuter lässt ihren Roman, erstmals erschienen im Jahre 1895, mit einem fröhlichen Fest beginnen. Die fast siebzehnjährige Agathe, voller Neugier und Träume auf eine wundervolle Zukunft, feiert ...

Gabriele Reuter lässt ihren Roman, erstmals erschienen im Jahre 1895, mit einem fröhlichen Fest beginnen. Die fast siebzehnjährige Agathe, voller Neugier und Träume auf eine wundervolle Zukunft, feiert ihre Konfirmation im Kreis ihrer Familie. Konfirmation heißt aber auch Abschied von der Kindheit und Vorbereitung auf das Erwachsenenleben. Für höhere Töchter Ende des 19. Jahrhunderts bedeutet das die Einführung in die Gesellschaft und ihre Verheiratung. Im Idealfall haben sie sich zu richten nach "Des Weibes Leben und Wirken als Jungfrau, Gattin und Mutter" - einem Werk im Prachteinband, das Agathe als Geschenk zur Konfirmation erhält. Wird die lebensfrohe Agathe die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen?
Voller Empathie erzählt Reuter vom Erwachsenwerden Agathes und ihrem Schicksal als „höhere Tochter", wobei sie sich eines klaren Schreibstils und deutlicher Worte bedient. Sehr einfühlsam schildert sie Agathes Seelenleben.
„Plötzlich wusste ich, wozu ich auf der Welt war: zu künden, was Mädchen und Frauen schweigend litten." schrieb sie einmal. Und tatsächlich, so authentisch kann tatsächlich nur eine Frau die intensiven Empfindungen und widerstreitenden Gefühle einer jungen Frau, hin- und hergerissen zwischen Pflichtbewusstsein und eigenen Wünschen, wiedergeben. Auf diese Weise entsteht ein farbiges Sittengemälde, das uns sehr eindrucksvoll die gesellschaftlichen Konventionen und Zwänge des Wilhelminischen Zeitalters, denen Mädchen und Frauen unterworfen waren, vor Augen führt.

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Veröffentlicht am 09.07.2024

Intensives Leseerlebnis

Am Himmel die Flüsse
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Wasser - das Schicksal der Menschheit hängt ganz entscheidend von diesem Element ab; es ist überlebenswichtig, kann aber auch zerstörerisch sein. In ihrem neuen Roman erzählt Elif Shafak aus der Perspektive ...

Wasser - das Schicksal der Menschheit hängt ganz entscheidend von diesem Element ab; es ist überlebenswichtig, kann aber auch zerstörerisch sein. In ihrem neuen Roman erzählt Elif Shafak aus der Perspektive ganz unterschiedlicher Menschen, in deren Leben Wasser eine große Rolle spielt. Ihre Protagonisten entstammen verschiedenen Epochen und Kulturkreisen, doch sie alle zieht es an den uralten Ort Ninive, der in dem antiken Zweistromland Mesopotamien liegt.
Die Autorin verwebt wahre Geschichten mit Phantasie; in ihrem wunderbar bildhaften Schreibstil lässt sie die Vergangenheit lebendig werden und entführt den Leser in frühere Zeiträume und fremde Kulturen. Dabei verknüpft sie das Thema Wasser mit etlichen anderen, immer wieder aktuellen Problemen.
„Am Himmel die Flüsse“ ist ein Buch, das auf einem hohen Niveau unterhalten will und ein intensives Leseerlebnis verspricht.

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Veröffentlicht am 03.07.2024

Ohne Scheuklappen

I walk between the Raindrops. Stories
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Nein, es sind keine netten kleinen Geschichten zum Zeitvertreib, die Boyle uns in seinem neuen Buch serviert. Auf seine gewohnt hintergründige Art konfrontiert er den Leser in dreizehn Kurzgeschichten ...

Nein, es sind keine netten kleinen Geschichten zum Zeitvertreib, die Boyle uns in seinem neuen Buch serviert. Auf seine gewohnt hintergründige Art konfrontiert er den Leser in dreizehn Kurzgeschichten mit aktuellen Problemen und menschlich-allzu menschlichen Reaktionen. Seine Thematik reicht weit, von ultramoderner Technik über Epidemien bis zu Umweltkatastrophen.
Jede seiner Kurzgeschichten widmet sich kurz und prägnant einem anderen Thema. Als aufmerksamer Beobachter bringt der Autor die Problematik eindringlich auf den Punkt. Klug verpackt und in Boyles markantem flüssigen Stil verfasst, lesen sich die Geschichten ungemein gut. Auch sein bissiger Humor lockert das Unbehagen ein wenig, das beim Lesen entsteht. Doch die teilweise drastische Wortwahl lässt keinen Zweifel an dem Ernst, der hinter seinen Geschichten steckt. Boyle will aufrütteln; er will bewusst verstören, um den Leser zum Nachdenken über seine Umwelt - vor allem aber über sich selbst - zu animieren.
„I walk between the raindrops” ist, so finde ich, eine anspruchsvolle Lektüre für Leser, die bereit sind, auch einmal den Blickwinkel zu ändern und "über den Tellerrand“ zu schauen.


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Veröffentlicht am 24.06.2024

Vielschichtig

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland
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Sechstausend Kilometer muss die Transsibirische Eisenbahn überwinden, um von Peking nach Moskau zu gelangen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts dauert die Fahrt ca. fünfzehn Tage. Während dieser Zeit bleiben ...

Sechstausend Kilometer muss die Transsibirische Eisenbahn überwinden, um von Peking nach Moskau zu gelangen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts dauert die Fahrt ca. fünfzehn Tage. Während dieser Zeit bleiben die Türen des Zuges verschlossen, um zu verhindern, dass mögliche Gefahren des Ödlandes die Reisenden gefährden. Welcher Art solche Gefahren sein könnten, bleibt zunächst sehr vage. Selbst die junge Weiwei, die als „Zugkind“ in der Bahn groß geworden ist und eine enge Beziehung zum Zug und zur Crew hat, kann sie nicht erklären.
Nicht alle Fahrgäste reisen nur zu ihrem Vergnügen: Da ist etwa Maria Petrowna, welche die Fahrt unter falschem Namen antritt, weil sie ein bestimmtes Ziel verfolgt; der Professor, der nicht zum erstenmal mit der Bahn das Land durchquert oder der von seinem Metier besessene Naturforscher Dr. Grey. Auch zwei Abgesandte der Eisenbahngesellschaft, von den Mitreisenden die „Krähen“ genannt, sind im Zug und scheinen allgegenwärtig zu sein ...

Die Autorin lässt den Leser die Reiseerlebnisse Tag für Tag erleben, stets begleitet von Ausschnitten aus dem mysteriösen "Handbuch für das Ödland“, verfasst von einem gewissen Valentin Rostow, das sich wie ein Reisebericht liest.
Schön langsam entwickelt Sarah Brooks die Handlung ihres Romans. In einem ausgefeilten Stil, mit vielen sehr bildhaften Wendungen zieht sie den Leser hinein in den Sog einer Geschichte, die wie ein historischer Roman beginnt und in ihremVerlauf immer fantastischere Züge annimmt.
Nach und nach erfahren wir zahlreiche Details zu Persönlichkeit und Gedanken einzelner Protagonisten, aus deren Sichtweise Brooks die Episoden schildert. Der Autorin gelingt es dabei eindrucksvoll, die unbestimmte Angst der Menschen vor dem "Draußen" zu schildern, aber auch die Neugier auf die fremdartige Natur Sibiriens. Dabei steigert sie die Spannung stetig.
Wie jeder gute Roman bietet auch Brooks´ Buch nicht nur geistreiche Unterhaltung, sondern transportiert auch mindestens eine Botschaft, die zum Nach- und Weiterdenken anregt. Diese zu ergründen bleibe jedoch jedem Leser selbst überlassen.


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