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Veröffentlicht am 20.10.2017

Unterhaltsam und lehrreich zugleich

Brot
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Brot - nur ein alltägliches Nahrungsmittel? Wer dem Autor dieses Buches „auf der Suche nach dem Duft des Lebens“ folgt, wird erkennen: Brot bedeutet so viel mehr, es ist „… ein Spiegel der Zeit“ und ...

Brot - nur ein alltägliches Nahrungsmittel? Wer dem Autor dieses Buches „auf der Suche nach dem Duft des Lebens“ folgt, wird erkennen: Brot bedeutet so viel mehr, es ist „… ein Spiegel der Zeit“ und vor allem „… ein Spiegel der Welt“, wie Walter Mayer es selbst formuliert.
Den Beweis tritt er auf vielfältige Weise an. So nimmt er den Leser mit auf eine spannende Reise durch die Kulturgeschichte des Brotes. Für die „Memoiren“ des Brotes wirft er einen Blick weit zurück in die Menschheitsgeschichte; vom alten Ägypten, in dem Historiker die Anfänge des Brotbackens vermuten, über das römische Reich und das Mittelalter bis in die Neuzeit. Seine Ausführungen sind dabei keineswegs trocken, sondern, ganz im Gegenteil, äußerst kurzweilig zu lesen. Ebenso lebendig bringt er dem Leser die Brotvielfalt und Backarten Deutschlands und auch anderer Länder nahe und berichtet mit humorvollem Unterton von seinen Erlebnissen mit den Menschen, die er dort trifft. Sein Augenmerk gilt aber noch einem weiteren Aspekt: dem symbolischen Wert von Brot in Religion und Kirche.
Auch (moderne) Probleme der Glutenunverträglichkeit spricht er an und stellt - nach Besuchen in einer Großbäckerei und bei Bäckern, die an alter Backtradition festhalten - die gravierenden Unterschiede zwischen Fabrik- und handgeknetetem Brot heraus. Und immer wieder führt ihn das Thema Brot an seine eigenen Ursprünge zurück: in die Bäckerei seines Großvaters.
Die ideenreiche, liebevolle Gestaltung des Buches mit dem (Brot-)teigig-braunen Leineneinband und dem Lesebändchen entspricht ganz dem Enthusiasmus des Autors. Alexandra Klobouks zahlreiche Zeichnungen bereichern die „Brotbibel“ auf eine unaufdringliche, harmonische Art. Ihre detailreichen Illustrationen lockern den Text (oft in humorvolle Weise) auf und unterstützen Mayers Erläuterungen, indem sie backunerfahrenen Lesern kompliziert erscheinende Vorgänge verdeutlichen (wie etwa die Entstehung von Sauerteig).
Mein Fazit: Ein wirklich originelles Buch, informativ und unterhaltsam zugleich!

Veröffentlicht am 20.10.2017

Boy in a white room

Boy in a White Room
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Wo bin ich? Wer bin ich?
Das sind die ersten Fragen, mit denen sich der Junge, der in einem weißen Raum zu sich kommt, auseinandersetzt. Und sie begleiten ihn den ganzen Roman hindurch, während er sich ...

Wo bin ich? Wer bin ich?
Das sind die ersten Fragen, mit denen sich der Junge, der in einem weißen Raum zu sich kommt, auseinandersetzt. Und sie begleiten ihn den ganzen Roman hindurch, während er sich schrittweise seiner Identität zu nähern versucht. Mit Hilfe des Internets und eines Computerhilfsprogramms namens ALICE gelingt es ihm, sich immer besser in seiner virtuellen Umgebung zurechtzufinden, nach Erklärungen und Erinnerungen zu suchen. So besteht seine Realität anscheinend darin, als Manuel, dem schwer verletzten Opfer einer Entführung, bewegungsunfähig im Koma zu liegen, während sein Gehirn jedoch weiterhin mit Hilfe modernster wissenschaftlicher Methoden in virtuellen Räumen funktionieren und mit der Außenwelt kommunizieren kann. Oder gibt es andere Erklärungen?
Was ist Realität? Was bedeutet Identität? Diesen Themen geht Karl Olsberg auf seine Art nach: auf spannende und trotzdem nachdenkliche Weise verpackt er sie in einen mitreißenden Jugendroman. Die jungen Leser - die meisten von ihnen vertraut mit Computersimulationen - erleben die Ereignisse ganz aus Manuels Sicht und fühlen sich in unterschiedliche virtuelle Welten hineingezogen. Hier ist nichts so einfach, wie es scheint; unvermutete Wendungen sorgen für Überraschungen. Täuschung, Erkennen und Denken stellen große Herausforderungen an Manuel - und sorgen auch bei den Lesern für Nachdenklichkeit.

Veröffentlicht am 11.09.2017

In einem einzigen Augenblick...

Drei Tage und ein Leben
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Nur ca. 260 Seiten umfasst der Roman - aber Pierre Lemaitre bringt ein ganzes Leben darin unter.
In seiner prägnanten, klar formulierenden Schreibweise erzählt der Autor von einem Augenblick der Unbeherrschtheit ...


Nur ca. 260 Seiten umfasst der Roman - aber Pierre Lemaitre bringt ein ganzes Leben darin unter.
In seiner prägnanten, klar formulierenden Schreibweise erzählt der Autor von einem Augenblick der Unbeherrschtheit und seinen weitreichenden Konsequenzen. Der zwölfjährige Antoine erschlägt in einem Wutanfall das halb so alte Nachbarskind Rémi und versteckt dessen Leiche. Schreckliche Tage folgen nun für den Jungen, der nicht weiß ob und wem er sich anvertrauen kann: voller Angst, entdeckt zu werden, aber auch angefüllt mit Gewissensqualen. Zwar macht der Sturm „Lothar“ mit seinen verheerenden Auswirkungen eine Aufklärung der Tat fürs erste unwahrscheinlich, doch nach Jahren scheinbarer Ruhe wird das Verschwinden des kleinen Rémi erneut thematisiert. Gibt es etwa einen Zeugen der Tat?
Lemaitre schafft es meisterhaft, seine Leser in Antoines Situation mit zu verstricken und an seinem Schicksal von Anfang an hautnah teilnehmen zu lassen. Sie sind Mitwisser der Tat, die Antoine verfolgt und sein weiteres Leben lenkt; sie sind eingeweiht in seine geheimsten Gedanken, seine Verzweiflung, Ängste und Hoffnungen und kennen ihn schließlich besser als seine Mutter. Immer wieder stellt man sich die Frage: Wie würde ich an seiner Stelle handeln? Überaus detailliert gibt der Autor einen tiefen Einblick in die Psyche des Protagonisten. Sensibel beschreibt er Antoines widerstreitende Gefühle, während sein Leben, stets überschattet und beherrscht von seiner Schuld, weitergeht.
„Drei Tage und ein Leben“ hat mich von Beginn an gepackt und nicht losgelassen; ein verstörend authentisch wirkender, überzeugender Roman.

Veröffentlicht am 05.09.2017

Gelungene Komposition aus Realität und Fantasie

Palast der Finsternis
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Ein unterirdischer Palast und seine Geheimnisse: Fünf Jugendliche sind für die Teilnahme an der Erforschung des „Palais du Papillon“ in Frankreich ausgewählt worden. Erbaut von Frédéric de Bessancourt, ...


Ein unterirdischer Palast und seine Geheimnisse: Fünf Jugendliche sind für die Teilnahme an der Erforschung des „Palais du Papillon“ in Frankreich ausgewählt worden. Erbaut von Frédéric de Bessancourt, sollte der Schmetterlingspalast während der französischen Revolution als Zufluchtsort des in Péronne lebenden Adels dienen, der vor der Guillotine floh. Weder Anouk noch Will, Lilly, Hayden oder Jules ahnt, was ihnen bevorsteht, als sie auf Einladung der „Sapani Corporation“ im Château du Bessancourt eintreffen. Aber noch bevor sie sich richtig kennenlernen und auf ihre Expedition vorbereiten können, müssen die fünf jungen Leute sich bereits unerklärlichen, gefährlichen Ereignissen stellen, viele Meter unterhalb der Erdoberfläche im Palais du Papillon - allein auf sich gestellt und aufeinander angewiesen.
Parallel zu dem Abenteuer der Teenager, das anschaulich und sehr packend aus der Sicht der Protagonistin Anouk dargestellt wird, erzählt der Autor die Geschichte der jungen Adligen Aurélie zur Zeit der französischen Revolution. In geschickten Einschüben schildert er ihre Erlebnisse stets passend zur Entwicklung der aktuellen Erlebnisse Anouks. Mit seiner angenehmen Schreibweise und einem ansprechendem Stil schafft es Stefan Bachmann, die Spannung, die seinen Roman durchzieht, bis zum Schluss aufrecht zu erhalten und den Leser über einen längeren Zeitraum über eine mögliche Lösung im Ungewissen zu lassen.
Mit „Palast der Finsternis“ ist dem erst 24 Jahre alten Schriftsteller eine geschickte Komposition aus Vergangenheit und Gegenwart, aus Realität und Fantasie mit Gruselfaktor gelungen. Das Buch bietet spannungsreiche Unterhaltung für alle Freunde der Contemporary Fantasy-Literatur

Veröffentlicht am 27.08.2017

Lebendige Geschichte

Die Geschichte der getrennten Wege
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Hier wird Geschichte lebendig! Ebenso anschaulich wie in ihren Vorgängerromanen spiegelt Elena Ferrante gesellschaftliche und politische Gegebenheiten und Veränderungen in den Schicksalen zweier neapolitanischer ...


Hier wird Geschichte lebendig! Ebenso anschaulich wie in ihren Vorgängerromanen spiegelt Elena Ferrante gesellschaftliche und politische Gegebenheiten und Veränderungen in den Schicksalen zweier neapolitanischer Freundinnen.
Im dritten Teil der „Neapel-Saga“ stehen die turbulenten Siebziger Jahre im Fokus. Lenù und ihre „geniale Freundin“ Lila sind erwachsen geworden und glauben, ihren Platz im Leben gefunden zu haben. Ruhe kehrt in ihre Lebensläufe dennoch nicht ein. Lila, die zunächst als alleinerziehende Mutter mit harter Arbeit in einer Wurstfabrik ihren Lebensunterhalt verdienen muss, nutzt die Chancen der neu aufkommenden Computertechnologie, um sich beruflich neu zu orientieren. Elena hingegen scheint auf ein erfolgreiches Leben als Schriftstellerin hin zu steuern. Ihre Ehe mit dem klugen, jungen Universitätsprofessor Pietro verspricht eine sorglose Zukunft - bis eines Tages Nino, ein Freund aus Jugendtagen, wieder in ihr Leben tritt. Die Wege der Freundinnen trennen sich, sie werden einander fremder.
Wird ihre Freundschaft auf Dauer halten?
Eingebettet in die politischen Unruhen und gewalttätigen Auseinandersetzungen der Siebziger Jahre gibt die Autorin die wechselhafte Geschichte um das Erwachsenwerden zweier Mädchen aus dem Rione, dem Armenviertel Neapels, wieder. Aus der Sicht Lenùs lässt Ferrante den Leser intensiv am Schicksal der beiden Frauen teilnehmen. Wie bereits in den ersten beiden Bänden erzählt sie mit schlichten Worten, scheinbar leicht; doch ihre Erzählung ist bildhaft und kraftvoll. Ihre Schilderungen lassen den Leser förmlich das lautstarke Leben und Treiben im Rione „hören“.
Zum besseren Verständnis gibt die Autorin zu Beginn ihres Romans eine kurze Personen- und Handlungsübersicht als Einstiegs- bzw. Erinnerungshilfe. Aber meines Erachtens wäre es vorteilhafter, auch die ersten Bände gelesen zu haben; denn als Sechzigjährige verschwindet Lila, und die Frage nach ihrem Verbleib zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Bände.