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Veröffentlicht am 03.02.2019

Abenteuerliche Rettungsexpedition im ewigen Eis

Amundsens letzte Reise
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In "Amundsens letzte Reise" erzählt die norwegische Polarforscherin und Schriftstellerin Monica Kristensen von einer abenteuerlichen Rettungsaktion am Nordpol. Das biografische Buch über Roald Amundsen ...


In "Amundsens letzte Reise" erzählt die norwegische Polarforscherin und Schriftstellerin Monica Kristensen von einer abenteuerlichen Rettungsaktion am Nordpol. Das biografische Buch über Roald Amundsen erscheint am 21.01.2019 im btb Verlag.

Die Übersetzung aus dem Norwegischen wurde von Christel Hildebrandt vorgenommen.


Der Norweger Roald Amundsen (1872 - 1928) war der erfolgreichste Entdeckungsreisende in Arktis und Antarktis. Er erreichte als erster den Südpol, durchquerte als erster die Nordwestpassage und die Nordostpassage und war als einer der ersten Menschen mit dem Luftschiff Norge am Nordpol.

Amundsen kam 1928 bei einem Rettungsflug für den in Not geratenen italienischen Polarforscher Umberto Nobile ums Leben.



Am 18. Juni 1928 besteigt Roald Amundsen in Tromsö ein französisches Flugboot, eine Latham 47, mit Ziel Spitzbergen. Der norwegische Nationalheld macht sich auf zu einer Rettungsktion des italienischen Polarforschers Umberto Nobile. Dieser hatte zwei Jahre vorher mit ihm bereits mit der Norge den Nordpol angeflogen. Bei Nobiles eigener Arktis-Expedition stürzte das Luftschiff, die Italia, auf dem Rückflug vom Nordpol ab, die Mannschaft trieb tagelang hilflos auf einer Eisscholle.

Die Rettungsaktion Nobiles war erfolgreich, Amundsen und seine Leute verloren allerdings dabei ihr Leben. Ein letzter Funkspruch war zugleich auch ihr letztes Lebenszeichen.

Was passierte damals tatsächlich und ging der erfahrene Experte ein Risiko ein?



"Ein Spaziergang über das Eis konnte den sicheren Tod bedeuten, weil das Eis durch die Gezeitenströmung aufbrechen könnte. Die unerfahrenen Alpenjäger würden somit riskieren, sich plötzlich auf auseinandergebrochenen Eisschollen mit breiten Wasserspalten dazwischen zu befinden. Sie konnten Richtung Norden weit außer Reichweite des Jahdbootes getrieben werden und wären somit hoffnungslos verloren." Zitat Seite 116


In diesem Buch vereinen sich Tatsachen, überlieferte Berichte aus verschiedenen Quellen und die daraus gezogenen Schlüsse der Autorin Monica Kristensen, die als Polarexpertin die Vorgänge und Abläufe fachgerecht einzuschätzen weiß und daraus ein Sachbuch der besonderen Art macht.


Die Norweger gelten als führende Polarexperten und leiteten eine Suchaktion nach der verschollenen Mannschaft der Italia ein. Ihr Nationalheld Roald Amundsen unternahm mit dem französischen Flugzeug, der Latham 47 den Kurs auf die Bäreninsel. Es wurden Funksprüche von der Latham aufgezeichnet, ein Benzintank der Latham wurde gefunden, der auf etwaige Rettungsversuche hindeutete, doch weder das Flugzeug, noch Amundsen und die Mannschaft wurden jemals wieder gesehen. Sie verschwanden 1928 für immer im Eis.


Monica Kristensen schreibt hier eine Ode an den großen Polarforscher Amundsen, der sein Leben diesen unwirklichen Eisregionen der Erde verschrieb. Er wurde für seine Erfolge groß gefeiert, liebte trotz seiner besonnenen Art die Herausforderung, informierte die Öffentlichkeit über seine Ergebnisse und ließ am Ende sein Leben im ewigen Eis.


Dieses Buch liest sich teilweise wie ein Tatsachenbericht, man erlebt die Rettungsvorgänge mit, wird über die Schwierigkeiten von Forschungsreisen im Eis informiert. Überaus deutlich wird beschrieben, welche Probleme mit schmelzendem Eis, Wasserspalten und den tiefen Minusgraden für die Teilnehmer von Expeditionen und Rettungstrupps vorherrschen. Die Krankheitslage der Männer der Italia ist katastrophal. Von Salzwasser und verrottetem Bärenfleisch als Nahrung wurden sie krank, hohes Fieber und Brüche machen ihnen zu schaffen. Die Verzweiflung der Männer muss groß gewesen sein.



Auch wenn man von manchen Technikangaben und Mengen an verheizter Kohle für die Schiffe als Laie sicherlich völlig überfordert ist, macht dieses Buch sehr betroffen und zeigt, welches mutige Kalkül die Forscher haben und welche Hintergründe hinter den Expeditionen stecken. Es mussten Gelder beschafft werden, um die nötigen Dinge bereitzustellen, der Proviant, die Versorgungszelte, die Luftschiffe, bzw. die mit damals noch mit Kohle betriebenen Eisbrecher.


Wenn man dieses Buch liest, wird man unweigerlich Zeuge von den abenteuerlichen und gefährlichen Einsätzen auf dem Eis. Die Autorin ist als Polarforscherin mit der Materie vertraut und erzählt sehr detailliert die Vorgänge der vorangegangenen Italia-Expedition und der groß angelegten Rettungsaktion. Es ist ein eher sachlich geführter Erzählstil, informativ und mit reichlich technischen Details versehen, bei denen man als Laie ein wenig überfordert wird. Doch sie bringt die wesentlichen Dinge der Vorgänge zur Sprache, beschreibt das Geschäft mit dem Ruhm der Expeditionen und erwähnt auch eine interessante These, die den Fall Amundsen von einer anderen Seite zeigt.



Es ist ein spannendes Buch, das sich teilweise wie ein Augenzeugenbericht liest. Mich begleiteten während der Lektüre stets schauerliche Gedanken bei der Vorstellung, was die Forschungsreisenden damals alles erleiden mussten, wie sie sich im Nebel nicht mehr zurecht fanden, Erfrierungen erlitten, krank wurden oder sogar dort verstarben.



Ein interessant geschriebenes Sachbuch über die Wagnisse und Gefahren früherer Polarforschungsreisen.


Veröffentlicht am 01.02.2019

Flotter Roman dank einer wortgewandten Protagonistin

Netzgeflüster
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Im Bookshouse Verlag erscheint der Romance Titel "Netzgeflüster" von Caroline Messingfeld.


Lena ist Zahnärztin und nach Fehlschlägen in Sachen Liebe pfeift sie auf die Männer und lebt lieber allein. ...

Im Bookshouse Verlag erscheint der Romance Titel "Netzgeflüster" von Caroline Messingfeld.


Lena ist Zahnärztin und nach Fehlschlägen in Sachen Liebe pfeift sie auf die Männer und lebt lieber allein. Nach Feierabend wird sie zur Couchpotatoe, natürlich mit ihrer geliebten Schokolade. So hat sie einigen Kummerspeck angefuttert und als sie von ihrer besten Freundin eine Einladung als Trauzeugin bekommt, bemerkt sie das figürliche Dilemma. Doch Hilfe naht in Person ihrer lieben Kollegin Aylin.


Lena soll Trauzeugin bei ihrer besten Freundin werden. Das reißt sie sozusagen aus ihrem Dornröschenschlaf und mit reichlich Fitnessprogramm, weniger Schokolade und dem nötigen Schwung ihrer Kollegin Aylin bekommt Lena nicht nur ihre Figur wieder in den Griff, sondern entwickelt auch Selbstvertrauen und entdeckt, dass es doch noch nette Männer gibt.


Dank Aylin kommt Lena auf die Idee mit einem Onlinedating und merkt schnell, die Prinzen, die sie dort trifft, sind in Wahrheit gar keine. Also verlässt sie sich lieber auf das echte Leben. Wen sie dort kennenlernt, mit wem sie streitet und mit wem sie gut auskommt, das möchte ich hier nicht verraten.

Am Ende lernt sie zu sich selbst zu stehen, entwickelt mehr Selbstvertrauen und verkriecht sich nicht mehr nur in der eigenen Wohnung. Sie wird offener, empathischer und pfeift auf die Meinung anderer.

Sie ist eine sympathische, junge Frau, die beruflich erfolgreich ist, aber mit ihrer Figur und der Liebe hadert. Doch es kommt wie es kommen muss, sie verliebt sich.



Die Geschichte ist sehr flott geschrieben und besonders die Dialoge sind durch die Schlagfertigkeit und Lenas trockene Art sehr lustig. Die Charakterdarstellung ist Caroline Messingfeld sehr gut gelungen, ich habe die Personen stets vor Augen gehabt.


Trotz vorhersehbarem Verlauf hat mir dieser Roman richtig gut gefallen. Es ist der wunderbare Erzählstil, der mich durch das Buch getragen hat, die vielen überraschenden Irrungen und Wirrungen der Liebe und die herzlichen Freundschaften, die Lena entgegengebracht werden. Wenn man sieht, wie sich Lena in ihrer Persönlichkeit weiter entwickelt und offener wird, ist man auf ihrer Seite und möchte natürlich wissen, wie sie ihr Liebesleben nun gestaltet.




"Netzgeflüster" sorgt mit flotten Dialogen und einer charmanten und sehr wortgewandten Protagonistin für unterhaltsame Lesezeit. Gefühlvoll, witzig und wie eine Auszeit vom Alltag erlebt man diesen Roman. Sehr empfehlenswert!

Veröffentlicht am 01.02.2019

Eine großartige Idee und fesselnde Lektüre für Fans amerikanischer Gegenwartsliteratur und Kunst Hoppers

Nighthawks
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Lawrence Blocks Sammlung von 17 Kurzgeschichten in "Nighthawks" erschien bereits 2017 im Droemer Verlag.



In Nighthawks hat Lawrence Block namhafte US-Autoren Geschichten zu berühmten Gemälden des Malers ...

Lawrence Blocks Sammlung von 17 Kurzgeschichten in "Nighthawks" erschien bereits 2017 im Droemer Verlag.



In Nighthawks hat Lawrence Block namhafte US-Autoren Geschichten zu berühmten Gemälden des Malers Hopper gesammelt. Sie ließen sich von Gemälden zu kriminalistischen Stories inspirieren und hauchen so den Bildern neues Leben ein.


Der amerikanische Maler Edward Hopper (1882 - 1967) gilt als eine Ikone des modernen Amerikanischen Realismus. Er zeigt Momentaufnahmen vom Alltagsleben und seine überwiegend in kühlen Farben dargestellten realistischen Bilder weisen auf die Einsamkeit des modernen Menschen hin. Er gilt als Chronist der amerikanischen Zivilisation.


Gemälde haben immer eine besondere Aussage, Wirkung oder eine Geschichte, die jeder Betrachter ganz individuell empfindet.

Die Portraits von Edward Hopper zeigen Menschen, die in ihre Einsamkeit versunken scheinen. Das regt die Phantasie beim Betrachter an und lässt siebzehn namhafte US-Autoren ihre persönliche Geschichte schreiben.

Wie diese Gemälde von amerikanischen Autoren empfunden werden, haben sie in ihren Geschichten auf vielfältige Weise zum Ausdruck gebracht.

Dabei ist es interessant zu sehen, wie sich die Autoren die Story hinter dem Bild vorstellen. Da werden besondere Existenzprobleme oder einfach nur alltägliche Vorgänge beschrieben, die Figuren bekommen spezielle charakterliche Züge verpasst oder es gibt Einsichten in Schicksale oder Schauplätze, die man sich in Verbindung zu dem jeweiligen Gemälde gut vorstellen kann.


"Familiengeschäfte" heißt der Titel von Craig Ferguson zum Bild South Truro Church von 1930.


Intensiv und sehr gelungen ist "Das Musikzimmer" von Stephen Kind zum Bild "Room in New York" (1932).


Joyce Carol Oates Geschichte "Die Frau am Fenster" zu Eleven A.M. von 1926 passt inhaltlich perfekt.


Ganz besonders eindrucksvoll finde ich hier die großartige Idee, der engen Verknüpfung von Malerei und Literatur. Da entstehen ganz eigene Geschichten, die das weiter erzählen, was auf dem Bild nur als Momentaufnahme zu sehen ist. Die Autoren setzen sich mit den Bildern intensiv auseinander und machen lesbar, was noch nicht sichtbar ist. Da gibt es Auftritte in Nachtclubs, man beobachtet New Yorker Stadtszenen oder erlebt emotionale Erlebnisse unterschiedlicher Personen.


Hoppers Gemälde waren mir fast gänzlich unbekannt, sie haben mich aber überwiegend angesprochen und ich habe mir meine eigenen Gedanken dazu machen können. Dagegen hat mir nicht jeder Erzählstil zugesagt, bei einigen verliert man sich in manche Stories und genießt einfach nur, andere konnten mich nicht so erreichen. Insgesamt hat man hier einen Querschnitt durch Hoppers Werke und einen Überblick verschiedenster Autoren, die man neu für sich entdecken kann. Das gefällt mir an Anthologien so sehr.


Wer die Werke von Hopper kennt, sollte sich dieses Buch näher ansehen, es ist die perfekte Verbindung zwischen bildender Kunst und fiktiver Geschichte. Eine großartige Idee und fesselnde Lektüre für Fans amerikanischer Gegenwartsliteratur und Kunst Hoppers.


Veröffentlicht am 30.01.2019

Ein gut erzählter, unterhaltsamer und besonders humorvoller Roman mit einer durchgeknallten Protagonistin

Felicitas erklärt die Liebe
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Dorothea Böhmes Roman "Felicitas erklärt die Liebe" erscheint im Blanvalet Verlag.

Felicitas hat ihr eigenes Liebesleben, geschweige denn ihr Leben, überhaupt nicht im Griff. Doch sie verkuppelt gerne ...

Dorothea Böhmes Roman "Felicitas erklärt die Liebe" erscheint im Blanvalet Verlag.

Felicitas hat ihr eigenes Liebesleben, geschweige denn ihr Leben, überhaupt nicht im Griff. Doch sie verkuppelt gerne andere. Ihre beste Freundin Sarah will kurzentschlossen heiraten, da Felicitas den Bräutigam nicht kennt und niemandem traut, macht sie sich auf in dessen Heimatdörfchen. Sie will herausbekommen, ob er der Richtige für ihre Freundin ist. Sie kommt in einer kleinen Pension unter, das Dorf gefällt ihr zunehmend besser und auch der Pensionswirt Benjamin.

Felicitas meint es eigentlich nur gut und möchte ihre Freundin vor einem Fehler bewahren. Auch wenn ich Felicitas Übereifer mit ihren Aktionen mit Wohlwollen begleitet habe, so bin ich der Meinung, jeder Mensch sollte seine Fehler alleine machen, nur so lernt er daraus.

Trotz ihrer naiven Vorstellungen wurde mir Felicitas sympathisch, man verzeiht ihr ihre Fehltritte und sogar die Lügen. Das geht auch ihren Freundinnen und Bekannten so, sie halten zu ihr, egal, wie blöd sich Felicitas auch aufführt. Insgesamt sind die Personen alle sehr lebendig gezeichnet, man lernt sie alle recht gut kennen und findet einige total liebenswerte Charaktere. Felicitas merkt schnell, dass das Dorfleben alles andere als langweilig ist. Etwas klischeehaft kommt Rudi rüber, er gibt den trotteligen Dorfpolizisten, ist dabei aber hilfsbereit und lieb wie kaum ein anderer.

Dem flüssigen und leicht zu lesenden Schreibstil der Autorin kann man spielend folgen. Sie kann einfach wunderbar erzählen und bringt durch Felicitas verrückten Einfälle reichlich Humor ins Spiel. Es ist überaus abwechslungsreich und die Protagonistin kann immer wieder mit ihren Aktionen überraschen. Natürlich schüttelt man ständig den Kopf über Felicitas, aber sie ist nun mal so und wird auch noch dahinter kommen, dass jeder Mensch für sich selbst verantwortlich ist.

Dabei bekommt Felicitas ja ihr eigenes Leben auch nicht so recht in den Griff. Sie ist Ende 20, hat keine Ausbildung, kein Studium und lebt von ihren ständig wechselnden Jobs. Wenn sie in Geldnot ist, meldet sie sich bei ihrer Mutter, doch die schaltet auf stur. Ihr Kind muss es selbst schaffen.

Die Handlung und das Lügengebilde sind hier sicher ziemlich auf die Spitze getrieben, doch dadurch entstehen auch viele Hürden und Komplikationen, die eine gewisse Spannung bereiten. Lügen haben kurze Beine, bei Felicitas haben sie viele Perücken und Identitäten. Es ist witzig zu sehen, wie sich Felicitas-Violeta-Lily-Barbara durch ihr Leben mogelt. Natürlich gibt das einige Verwirrungen, nur soviel ist sicher, dadurch entsteht auch Lesespaß.


Dies ist besonders durch die humorvollen Szenen ein gut unterhaltender Roman, wenn man nicht allzu viel Tiefgang erwartet und man einfach nur abschalten will. Eine Erklärung für die Liebe findet man hier allerdings nicht.


Veröffentlicht am 29.01.2019

Warmherzig und bewegend

Abendrot
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Holt ist eine Kleinstadt im Herzen Colorados. Die Menschen leben hier von der Viehzucht, so wie die alten McPheron-Brüder. Schweren Herzens müssen sie ihre Ziehtochter Victoria gehen lassen. In einem Wohntrailer ...

Holt ist eine Kleinstadt im Herzen Colorados. Die Menschen leben hier von der Viehzucht, so wie die alten McPheron-Brüder. Schweren Herzens müssen sie ihre Ziehtochter Victoria gehen lassen. In einem Wohntrailer lebt die Familie Wallace, unterstützt von der Sozialamtmitarbeiterin Rose, der elfjährige DJ kümmert sich liebevoll um seinen kranken Großvater. Egal wir hart das Schicksal hier zuschlägt, so gibt es doch noch Mitmenschlichkeit in Holt. Sie haben sich gegenseitig im Blick und versuchen, sich umeinander zu kümmern.

Holt liegt in den Weiten der amerikanischen Prärie in Colorado. Das Leben dreht sich hier hauptsächlich um Viehzucht, es ist eintönig und von harter Arbeit geprägt. Jeder lebt hier seinen eigenen Alltag und doch achtet man aufeinander, wie es in Kleinstädten üblich ist.

"Abendrot" ist die Fortsetzung von "Lied der Weite" des amerikanischen Autors Kent Haruf.
Zurück in Holt konnte ich mich gleich wieder gut einfinden und die beiden alten Brüder Raymond und Harold kamen mir wie zwei alte Bekannte vor. Sie sind Viehhalter und zeigen Menschlichkeit und es fällt ihnen schwer, von Victoria und ihrer kleinen Tochter Abschied nehmen zu müssen. Immerhin waren sie so etwas wie eine kleine Familie.


Kent Haruf schildert in seinem Buch die Lebensumstände von normalen Menschen und Familien, das harte, einfache Leben in einer amerikanischen Kleinstadt. Und wie das in Kleinstädten nun einmal so ist, man achtet aufeinander. Das soziale Miteinander zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch, auch wenn einige Personen das Gegenteil an den Tag legen.

In Abendrot lernen wir neben bekannten Figuren auch neue Charaktere kennen.
Da gibt es die auf Sozialhilfe angewiesene Familie Wallace, die trotz ihrer großen Liebe für die beiden Kinder mit sich selbst nicht klar kommen und Anweisungen für ein normales Leben benötigen. Rose Tyler ist ihre zuständige Sozialarbeiterin, die ihre Aufgabe ernst nimmt und über das erforderliche Maß hinaus die Familie betreut.

Wir lernen DJ Kephart kennen, ein tougher Junge und Vollwaise. Er kümmert sich um seinen kranken Großvater, ist hilfsbereit, setzt sich für andere ein, versucht Streit zu schlichten und ist fleißig.

Inhaltlich wird durch genaue Schilderungen das Landleben beschrieben, alles dreht sich um Viehhaltung, Weidetrieb, Auktionen, Geburtshilfe und die ständige Arbeit und Sorge um die Tiere.

Wenn der Autor die Landschaft oder die Natur beschreibt, benutzt er bildhafte und sprachgewaltige Beschreibungen, die auch leicht poetisch wirken können. Doch er wird knapper und direkter, wenn er die Protagonisten sprechen lässt. So sind die Menschen hier in Holt, direkt und eher wortkarg.


Kent Harufs Schreibstil ist sehr ruhig, geradlinig, etwas melancholisch und nüchtern und lenkt trotzdem den Blick auf die Gefühle und Lebensumstände seiner Figuren. Er wertet nicht, sondern beschreibt lediglich die Menschen mit ihren zwischenmenschlichen Problemen. Kent Haruf versetzt sich gut in die Figuren hinein und bringt die tragischen Momente ihrer Schicksale deutlich zur Geltung. Ohne wertend zu werden, gibt er mit der Beschreibung der Handlung seiner Erzählung Tiefe und Gefühle mit. In Holt hat jeder mit seinen persönlichen Schwierigkeiten des Lebens zu kämpfen und doch gibt es Hilfsbereitschaft und einen Hoffnungsschimmer in dieser Einöde. Die menschliche Einsamkeit scheint hier ein besonderes Problem zu sein. Doch auch das kann überwunden werden.

Die Entwicklung der Figuren treibt Haruf immer weiter voran, sie machen ihre Erfahrungen, gute und schlechte, traurige und positive, man ist ihnen im Buch sehr nahe und erlebt alles hautnah und bewegt mit. Diese Nähe bindet mich an die Figuren und ich möchte bald lesen, wie es weitergeht in Holt und mit seinen Bewohnern.

Ich lese die Bücher von Kent Haruf immer wieder gerne und bin fasziniert von seiner Erzählweise. Er vermag es, den Charaktern sehr nahe zu kommen und ihnen in seinen Büchern Leben einzuhauchen. Warmherzig und bewegend zeigt Haruf in "Abendrot", wie wichtig ein sozialer Zusammenhalt unter Menschen ist. Es ist ein großartiges und zeitloses Buch über Menschlichkeit und Einsamkeit. Einfach lesenswert!