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Veröffentlicht am 28.11.2020

Die Lebenden und die Toten im Treppenviertel

RIVER. Die Toten und die Lebenden
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Inhalt: Der fast 100-jährige Reeder Karl Mohr, wohnhaft im Treppenviertel von Hamburg-Blankenese, wird vermisst. Hinter den Fassaden der altehrwürdigen Häuser rumort es. Menschen ziehen aus, andere ziehen ...

Inhalt: Der fast 100-jährige Reeder Karl Mohr, wohnhaft im Treppenviertel von Hamburg-Blankenese, wird vermisst. Hinter den Fassaden der altehrwürdigen Häuser rumort es. Menschen ziehen aus, andere ziehen ein. Geheimnisse, die bis in die RAF-Zeit zurückreichen, kommen ans Licht.

Persönliche Meinung: „River. Die Toten und die Lebenden“ lässt sich nicht umstandslos einem Genre zuordnen. Zwar kommt es zu mehreren (klein)kriminellen Taten, sodass sich Krimielemente im Roman wiederfinden. Im Kern geht es aber, wie der Untertitel schon sagt, um „die Toten und die Lebenden“; die Menschen, die im Blankeneser Treppenviertel wohnen und den River, die Elbe, die zu ihren Füßen liegt. Insofern ist „River“ weniger ein Kriminalroman als vielmehr ein Gesellschaftsroman/Sittenbild über die Menschen, die im Treppenviertel wohnen. Die alteingesessenen, teilweise während des Romans sterbenden Bewohner*innen werden so langsam von einer freiheitlichen, der Polyamorie offenen Kindergeneration abgelöst. Bisweilen spitzt sich „River“ auch zu einer Familiengeschichte zu, deren Vergangenheit aufgedeckt und Gegenwart beleuchtet wird. Spannend dabei waren kleinere Aufdeckungen, die das scheinbare Familienidyll durchbrechen. Der Handlungsort ist das schon genannte Treppenviertel, das bildlich dargestellt wird. Die Erzählweise ist eher experimentell: Die Kapitel sind kurz (im Schnitt 3 oder 4 Seiten) und es kommt häufig zu einem abrupten Perspektivwechsel, an den man sich zunächst gewöhnen muss, da man bei der Vielzahl der auftretenden Personen zu Beginn ins kalte Wasser geschubst wird und sich erst orientieren muss. Auch der Erzählton ist anders als gewohnt: Die Figuren und die Handlung werden aus einer nüchternen Erzählposition beschrieben, die zwischen Distanz und Kälte changiert (was ich aber nicht negativ meine, sondern erzähltheoretisch interessant). Die Figuren bleiben dadurch zwangsläufig blass, allerdings gehört das zum Konzept des Romans: Es dreht sich weniger um Figuren als fühlende Individuen, sondern um deren Geschichten bzw. Vergangenheiten, die immer wieder mit Flüssen interagieren. Am Ende wird nicht jede Frage geklärt, allerdings ist „River“ erst der Auftakt zu einer Trilogie. „River“ besticht insgesamt durch seine Andersartigkeit, die immer mal wieder auf eine experimentelle Ebene ausschlägt. Die Handlung ist dabei durch die Aufdeckungen der kleineren und größeren Geheimnisse durchweg interessant.

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Veröffentlicht am 11.11.2020

Moderne Lyrik aus dem hohen Norden

Ahoi! Gedanken aus dem Nichtschwimmerbecken
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„Ahoi! Gedanken aus dem Nichtschwimmerbecken“ versammelt 20 Texte/Gedichte der Poetry-Slammerin Selina Seemann. Die thematische Spannweite der Texte und Gedichte ist breit. Einige Texte drehen sich bspw. ...

„Ahoi! Gedanken aus dem Nichtschwimmerbecken“ versammelt 20 Texte/Gedichte der Poetry-Slammerin Selina Seemann. Die thematische Spannweite der Texte und Gedichte ist breit. Einige Texte drehen sich bspw. um das Dorfleben (die Autorin stammt aus einem kleinen Ort in Norddeutschland). So ist „Süderhackenstedt“, verfasst auf Plattdeutsch, gewissermaßen eine Liebeserklärung an die Kindheit auf dem Lande. In „Das höchste Fest“ nimmt Seemann das „Gänseverspielen“ aufs Korn (eines von jenen Brauchtümern, die in irgendeiner Form in jedem Dorf existieren und für Außenstehende ein Buch mit sieben Siegeln sind). Andere Texte sprechen gesellschaftliche Problematiken an. „Beim Frauenarzt“ beschäftigt sich mit einem unverständigen Frauenarzt, der sich wenig um das Wohl der Patientin sorgt; „Oma rettet das Klima“ thematisiert auf humoristische Art Möglichkeiten, wie man sich (auch im kleinen Rahmen) dem Klimawandel entgegensetzen kann. Wieder andere Gedichte schlagen einen melancholisch-ernsten Ton ein („Der Dreck, die Liebe, das Echte“, in dem schlaglichtartig Glücksmomente und traurige Situationen lyrisch verarbeitet werden). Humorvoll sind die fiktiven „Briefe an alle“, die die Autorin u.a. an das Finanzamt, sich selbst, den Weihnachtsmann und Donald Trump richtet. Insgesamt sind die Themen, die in den Texten/Gedichten eine Rolle spielen, vielfältig. Selina Seemanns Worte sind dabei häufig spitz; die Sache, um die es ihr jeweils geht, wird prägnant auf den Punkt gebracht, wobei kein Blatt vor den Mund genommen wird (besonders bei einem Gedicht, dessen Inhalt und Titel nicht ganz jugendfrei ist). Zu jedem Text/Gedicht findet sich eine thematisch passende, blau-weiße Tuschezeichnung aus der Feder von Mona Harry. Insgesamt zeichnet sich „Ahoi! Gedanken aus dem Nichtschwimmerbecken“ durch eine offene Herangehensweise an die jeweilige Thematik aus, wobei die Texte/Gedichte sowohl humorvoll als auch tiefgründig sind.

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Veröffentlicht am 11.11.2020

Eine gelungene Fortsetzung mit britischem Humor

Ein weißer Schwan in Tabernacle Street
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Vorab: Der Inhaltsteaser bleibt etwas vage, weil ich die Handlung der vorherigen Bücher nicht spoilern möchte.

Inhalt: Peter Grant, der Magier-Polizist, hat alle Hände voll zu tun. In seinem neuen Job ...

Vorab: Der Inhaltsteaser bleibt etwas vage, weil ich die Handlung der vorherigen Bücher nicht spoilern möchte.

Inhalt: Peter Grant, der Magier-Polizist, hat alle Hände voll zu tun. In seinem neuen Job als Sicherheitsmann bei der Serious Cybernetics Corporation muss er einen Maulwurf ausfindig machen, der sich die neuste, an Magie grenzende Wundertechnologie des Unternehmens aneignen möchte. Privat erwartet er mit seiner Freundin Zwillinge, was mit Unwägbarkeiten einhergeht.

Persönliche Meinung: „Ein weißer Schwan in Tabernacle Street“ ist der 8. Band der „Flüsse von London“-Reihe um den Polizisten und Zauberlehrling Peter Grant (Comic- und Novellen-Spin Offs nicht eingerechnet). Bei „Die Flüsse von London“ handelt es sich um eine Urban Fantasy-Reihe, die in London spielt. Im ersten Band der Reihe wird der Polizist Peter Grant vom „Folly“ angeheuert, das sich um Verbrechen kümmert, in denen Magie eine Rolle gespielt hat bzw. die von magischen Wesen begangen worden sind. Eine Besonderheit der Reihe ist, dass die Londoner Flüsse Gött*innen/Schutzgeister besitzen, die als handelnde Figuren auftreten und teilweise gar nicht so anders als die sterblichen Menschen sind. Dementsprechend ist die Reihe eine Mischung aus Fantasy und Krimi, die sich auch wieder in „Ein weißer Schwan in Tabernacle Street“ findet. Der aktuelle Band ist – anders als die vorherigen Bände – ein eher abgeschlossener Fall; die Hauptantagonisten, die von Band 1 bis 7 eine Rolle gespielt haben, treten hier nicht auf. In gewisser Weise handelt es sich somit um einen kleinen Neubeginn innerhalb der Reihe. Dennoch sollte man die Bände chronologisch gelesen haben, da über die Zeit und Bände hinweg viele Figuren aufgetreten sind, die ein komplexes Beziehungsgeflecht besitzen, das ohne Vorkenntnisse schwer zu überblicken ist. Wie schon die vorherigen Bände ist auch der achte Band aus der Ich-Perspektive von Peter Grant verfasst. Dabei ist die Erzählweise gekennzeichnet durch einen typisch britischen Humor (trocken bis schwarz) und unzählige popkulturelle Referenzen. Zu Beginn wird auf zwei Zeitebenen erzählt; dies legt sich allerdings nach dem ersten Teil, sodass die Handlung linearer wird. Thematisch ist der Fall im IT-Bereich bzw. der Technikgeschichte (Computer) angesiedelt, sodass eine neue technische Seite der Magie eingeführt wird. Auch auf eine andere Art vergrößert der Roman das „Die Flüsse von London“-Universum: Es treten us-amerikanische Magier auf, die „Librarians“, die ein anderes Berufsethos und Verhältnis zu ihren Flüssen besitzen als ihre englischen Pendants (hierbei bin ich gespannt, inwiefern dies in Folgebänden noch weiter ausgebreitet wird). Die auftretenden Figuren sind gewohnt skurril und fallen tlw. aus dem Rahmen. Die Auflösung des Falls ist überraschend und mit der ein oder anderen Wendung verbunden, mit der man nicht rechnet. Aus der Retrospektive erscheint der Fall dadurch vertrackter, als zunächst vermutet. Dies hängt vor allem mit dem originellen Antagonisten zusammen, der eher im Hintergrund agiert und der eine besondere Form besitzt (das ist jetzt etwas vage beschrieben, aber mehr kann ich ohne zu spoilern nicht sagen :D). Insgesamt ist „Ein weißer Schwan in Tabernacle Street“ eine gelungene Fortsetzung, die handlungstechnisch überzeugt und mit britischem Humor glänzt. Neulinge im „Die Flüsse von London“-Universum sollten aber zuerst zu Band 1 greifen.

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Veröffentlicht am 31.10.2020

Der neugeborene Greis

Der seltsame Fall des Benjamin Button
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Inhalt: Mr. Roger Button möchte zum ersten Mal sein Neugeborenes im Krankenhaus besuchen. Doch die Ärzte und Schwestern reagieren ungehalten auf dieses Anliegen; im besten Fall „nur“ furchtsam, ansonsten ...

Inhalt: Mr. Roger Button möchte zum ersten Mal sein Neugeborenes im Krankenhaus besuchen. Doch die Ärzte und Schwestern reagieren ungehalten auf dieses Anliegen; im besten Fall „nur“ furchtsam, ansonsten mit Verwünschungen. Keiner sagt ihm, was mit seinem Kind ist. Als er endlich die Säuglingsstation betritt, macht das Verhalten der Mediziner plötzlich Sinn: Im Säuglingsbettchen liegt kein kleines Kind, sondern ein ausgewachsener Greis, der sich weigert, mit einem Fläschchen gefüttert zu werden. Damit ist die Seltsamkeit des Falls aber noch nicht erschöpft: Je mehr Zeit vergeht, desto jünger wird der Greis, der den Namen „Benjamin“ erhält.

Persönliche Meinung: „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ ist eine Kurzgeschichte des amerikanischen Schriftstellers F. Scott Fitzgerald und umfasst knapp 60 Seiten. Erzählt wird sie von einem unbekannten auktorialen Erzähler, der das Publikum mehrmals direkt anspricht. Er berichtet ironisch-humorvoll und eher distanziert-nüchtern über das Geschehen. Die Erzählung behandelt das Leben Benjamins eher schematisch, wie der Name schon sagt, als „Fall“, sodass emotionale Innensichten der Figuren weitgehend fehlen. Generell kommt es während der Erzählung häufig zu grotesk-lustigen Szenen: So, wenn sich Benjamin als Greis darüber empört, ein Fläschchen bekommen zu haben. Oder Freunde der Familie das Kompliment äußern, Benjamin sehe seinem Großvater sehr ähnlich, der die Ähnlichkeit zu seinem Enkel allerdings brüsk zurückweist. Besonders der Beginn ist trotz seines Witzes bei genauerer Betrachtung tieftraurig: Gerade in dieser Zeit ist der greise Benjamin immer fehl am Platze, nirgendwo zugehörig. Dieser Aspekt tritt in der Zeit, in der Benjamins Körper der eines 50-20-Jährigen ist, etwas zurück. Je jünger er aber wird, desto stärker kommt auch die Tragik zurück. Ähnlich einer Demenz verliert sich der alte Mann im Körper eines Säuglings. Insgesamt ist „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ eine kurzweilige Lektüre, die einen ironisch-tragischen Ton anschlägt. Mich hätte es allerdings nicht gestört, hätte Fitzgerald einzelne Aspekte noch breiter erzählt, sodass die Kurzgeschichte eher zu einem Roman hätte tendieren können.

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Veröffentlicht am 26.10.2020

Der Drache aus dem Buch

Der Mondscheindrache
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Inhalt: Der Mond scheint und Philipp kann nicht schlafen. Plötzlich regt sich etwas in seinem Zimmer: Ein Drache und ein Ritter, beide daumengroß, klettern aus dem Buch, in dem er gelesen hatte, und bekämpfen ...

Inhalt: Der Mond scheint und Philipp kann nicht schlafen. Plötzlich regt sich etwas in seinem Zimmer: Ein Drache und ein Ritter, beide daumengroß, klettern aus dem Buch, in dem er gelesen hatte, und bekämpfen sich. Doch als Philipp eingreifen möchte, schrumpft er ebenfalls.

Persönliche Meinung: "Der Mondscheindrache" von Cornelia Funke ist eine kurze phantastische Geschichte, die sich besonders für Erstleser eignet. Sie ist detailliert und zielgruppengerecht erzählt: Die Sätze sind kurz und es werden meist einfache Hauptsätze genutzt. Auch die Schriftgröße ist sehr gut für Erstleser*innen geeignet. Es finden sich Motive, die man aus der phantastischen Literatur kennt: ein Drache, Figuren, die aus einem Buch kommen und Magie. Der Handlungsort ist Philipps Kinderzimmer, wobei zur Lösung des Konflikts das ein oder andere moderne Spielzeug genutzt wird. Die Handlung ist rund. Abgerundet wird "Der Mondscheindrache" durch bunte Illustrationen, die aus der Feders Funkes stammen. Insgesamt ist "Der Mondscheindrache" ein schönes Buch für ErstleserInnen und ein toller Einstieg in die Welt der Phantastik.

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