Profilbild von sursulapitschi

sursulapitschi

Lesejury Profi
offline

sursulapitschi ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit sursulapitschi über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.09.2021

Klischee meets Logiklücke

Systemfehler
0

Bei diesem Buch überraschen mich in erster Linie die vielen positiven Bewertungen. Ist das Thrillerpublikum wirklich so genügsam?

Grundsätzlich ist die Idee interessant. Was wäre, wenn tatsächlich das ...

Bei diesem Buch überraschen mich in erster Linie die vielen positiven Bewertungen. Ist das Thrillerpublikum wirklich so genügsam?

Grundsätzlich ist die Idee interessant. Was wäre, wenn tatsächlich das Internet ausfallen würde? Nicht nur für Stunden, sondern ganz und gar. Nichts geht mehr. Würde dann nicht alles zusammenbrechen, Wirtschaft, Versorgung, Verkehr, Kommunikation?

Diesen Gedanken spielt Wolf Harlander hier durch, ohne ihn groß zu vertiefen.
Wir durchleben die Krise zusammen mit einer Familie, deren Mitglieder klischeehafter nicht sein könnten.
Vater Daniel arbeitet bei einer Games-Firma, die seine Fähigkeiten unterschätzt und ist gestraft mit einer nörgelnden Ehefrau und Kindern, die tumb genug sind, nach überstandenem Flugzeugabsturz nach Cola zu jammern. Oma Renate kämpft sich tapfer durch die Ausnahmesituation, nur wenn sie bei ihrem Biobauern nicht mit Karte bezahlen kann, dann ist es aus mit ihrer Geduld. Und Daniels Schwester Doris ist Ärztin, die uns zeigt, dass heutzutage Leben vom Datenstrom abhängen, wer hätte das gedacht?
Dazwischen versucht ein Ermittlerteam vom BND, den Verursachern der Krise auf die Spur zu kommen. Nelson und Diana sind weitgehend gesichtslos, stören aber auch nicht weiter.

Es werden hier also wacker alle erwartbaren Probleme abgearbeitet, nur über die Logik sollte man nicht weiter nachdenken. Während das Wasser knapp wird und der Strom ausfällt, wird Nelson frischer Kaffee angeboten, wenn er das richtige Büro besucht. Daniels spielsüchtiger Sohn ersteht auf dem Schwarzmarkt einen guten, alten Commodore 64, mit dem man bekanntlich offline zocken konnte. Dass so ein Gerät vermutlich auch Strom benötigt, ist zu vernachlässigen, wie überhaupt die ganze technische Seite dieses Cyberthrillers einen fragwürdigen Retrocharme verströmt. CB-Funkgeräte und „Spezialsoftware“ sind der Schlüssel zum Erfolg, das ist direkt niedlich.

Beim Hören dieses Werkes ist man hin- und hergerissen zwischen Verwunderung und Entsetzen, weil einfach viel zu viel gar nicht sein kann und immer wieder jemand unfassbar dämlich reagiert.
Es mag vielleicht ein wenig unterhalten, wenn man absolut nichts hinterfragt, aber den Blutdruck treibt es nicht in die Höhe.

Das Hörbuch dauert 10 Stunden, 6 Minuten. Ausnahmsweise war ich nicht böse über die Kürzungen. Uve Teschner liest es tapfer. Seine Interpretation von Frauenstimmen ist immer etwas ungewollt komisch, hier aber einmal wirklich passend.

Dieses Buch ist vermutlich mein persönlicher Flopp des Jahres.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.09.2021

Lebendige Geschichte

Dreieinhalb Stunden
0

Diese Situation mag man sich gar nicht vorstellen. Da fährt ein Zug von München nach Ostberlin, du weißt, sie bauen eine Mauer und wenn du bis ans Ziel fährst, kommst du nie wieder zurück. In dreieinhalb ...

Diese Situation mag man sich gar nicht vorstellen. Da fährt ein Zug von München nach Ostberlin, du weißt, sie bauen eine Mauer und wenn du bis ans Ziel fährst, kommst du nie wieder zurück. In dreieinhalb Stunden ist die Grenze dicht. Osten oder Westen, wo möchtest du leben? Im Interzonenzug D-151 schlägt die Nachricht über den Mauerbau ein wie eine Bombe.

In kürzester Zeit muss eine Lebensentscheidung gefällt werden, das ist nicht leicht. Gerd brennt dafür, Flugzeuge zu bauen, was in der DDR nicht sehr weit oben auf der Prioritätenliste steht. Seine Frau Marlis glaubt noch immer, dass das sozialistische System ein besseres Leben für alle bewirken kann und möchte sich dafür einsetzen. Was machen sie jetzt? Sollen sie sich trennen? Müssen sie sich trennen? Was wird aus den Kindern?

Hier lernt man so einige Menschen kennen und begleitet sie bei dieser schicksalhaften Entscheidung. Sehr lebendig zeichnet Robert Krause einen ganzen Strauß Personal, Lebenswege, die sich kreuzen, die verbunden sind, mal mehr und mal weniger, deren Vergangenheit und Familiengeschichten.
Man wird sofort hineingezogen in dieses Katastrophenszenario, ist ganz nah dran und leidet mit. Die Perspektiven wechseln ständig und sind kunstvoll verknüpft. Man könnte sich über das ein oder andere Bisschen zu viel an Dramatik streiten, das sollen andere tun.

Dieses Buch zeigt einem, wie unfassbar spannend deutsche Geschichte sein kann und führt einem vor Augen, dass selbst in einem zivilisierten, wohlgeordneten Land absurde Entscheidungen zum Tragen kommen können. Wie kann man nur ein Land durch eine Mauer abriegeln?

Der Bau der Berliner Mauer ist heute zum Glück kein Thema mehr, aber auf jeden Fall ein Ereignis, das nicht in Vergessenheit geraten sollte. Dazu liefert dieses Buch einen wertvollen Beitrag, es ist fesselnd und erschütternd, lebendige Geschichte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.09.2021

Kunterbunt und klug

Mein Sternzeichen ist der Regenbogen
0

Rafik Shami erzählt Geschichten und zeigt uns, dass er erzählen kann (Ok, wir wussten das schon )


In diesem Buch veröffentlicht er eine Sammlung an Geschichten, die sich anfangs mit Geburtstagen beschäftigen. ...

Rafik Shami erzählt Geschichten und zeigt uns, dass er erzählen kann (Ok, wir wussten das schon )


In diesem Buch veröffentlicht er eine Sammlung an Geschichten, die sich anfangs mit Geburtstagen beschäftigen. Es ist wirklich witzig, wie ein jüngerer Rafik vergeblich versucht, seinen Geburtstag herauszufinden, der in der syrischen Kultur keinen großen Stellenwert hat. „Mein Sternzeichen ist der Regenbogen“ ist das diplomatische Fazit dieser Suche.

Dann geht es weiter, kunterbunt, quer durch alle Themen dieser Erde. Es gibt Spitzfindiges, Satirisches, Kluges, Albernes, sogar Absurdes oder auch Märchenhaftes.
Wir reisen nach Italien, Syrien, Deutschland, in den Libanon – „aber das ist eine andere Geschichte“.

Wir sinnieren über den Bezug verschiedener Religionen zum Lachen, besuchen ein Festival für Kunstpfurzer, leben, lieben und betrügen und stellen fest: Überleg dir gut, was du dir wünschst, du könntest es bekommen.

Das ist alles fein, klug, unterhaltsam und wunderbar erzählt, es fehlt nur ein wenig der rote Faden, der diese Geschichten verbindet. Sie wirken etwas wahllos zusammengewürfelt.

Das Hörbuch liest Wolfgang Berger souverän 8 Stunden, 39 Minuten lang. Ich hätte mir etwas längere Pausen zwischen den einzelnen Geschichten gewünscht. Man muss sehr aufpassen, wo die eine aufhört und die andere anfängt. Ein musikalisches Zwischenspiel hätte sich da vielleicht gut gemacht – haben wir nicht, schade.

Dieses Buch ist kluge Unterhaltung für Zwischendurch. Ich habe es gerne gehört.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.09.2021

Tolle Milieustudie, ein Roman mit Längen

Harlem Shuffle
0

Colson Whitehead kann meisterhaft erzählen. Er kann sich in eine Zeit einfühlen und darin schwelgen, unfassbar detailreich Zeitkolorit und Atmosphäre erschaffen. Leider macht Atmosphäre allein noch kein ...

Colson Whitehead kann meisterhaft erzählen. Er kann sich in eine Zeit einfühlen und darin schwelgen, unfassbar detailreich Zeitkolorit und Atmosphäre erschaffen. Leider macht Atmosphäre allein noch kein gutes Buch.

Hier sind wir in Harlem in den 60er Jahren, wo eigene Regeln herrschen und sich Kleinkriminelle oder auch Größere tummeln und wo man sich behaupten muss.

Carney hat ein Geschäft für Gebrauchtmöbel und ab und an auch andere Gebrauchtwaren. Er möchte ein rechtschaffener Geschäftsmann sein, aber das ist nicht so leicht, wie man meint. Immer wieder kommt sein Cousin Freddie mit Ideen oder heißer Ware. Schnell wird man in krumme Dinge hineingezogen, manchmal kann man sich auch freikaufen, bis man sich schließlich freikaufen muss.

In Harlem ist es schwer, ein ehrlicher Mann zu sein und zu bleiben. Die Gesellschaft dort bildet ein kompliziertes Geflecht aus Abhängigkeiten, die sich nach Einfluss, Hautfarbe, Familie oder Muskelkraft richten. Da gibt es nicht nur schwarz und weiß, sondern auch kaffeebraun in allen Schattierungen.

Das ist hoch interessant, so etwa 150 Seiten lang, dann hat man es verstanden, hat aber noch nicht einmal die Hälfte des Buches gelesen. Immer mehr zwielichtige Gestalten treten auf, deren Background beleuchtet wird, aber es passiert nicht so wirklich was.
Es gibt zahlreiche Rückblenden, Hintergründe, familiäre Befindlichkeiten, historische und politische Analysen oder Anekdoten, nur Handlung gibt es kaum.

Vielleicht muss man dieses Buch als Milieustudie betrachten. In dieser Hinsicht ist es grandios. Als Roman hat es Längen. Zu viel Drumherum verschleiern die sparsame Handlung und dem Helden kommt man nicht so recht nahe.

Dieses Buch hat mich anfangs beeindruckt, dann aber sehr gelangweilt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.09.2021

Weder Zeitverschwendung noch Mustread

Im Reich der Schuhe
0

Eigentlich ist dieses Buch hoch interessant. Da kennt sich jemand aus und erzählt glaubhaft, wie es ist, in China zu leben.

Es geht um eine Schuhfabrik, um skrupellose Industrielle, die das Volk ausbeuten. ...

Eigentlich ist dieses Buch hoch interessant. Da kennt sich jemand aus und erzählt glaubhaft, wie es ist, in China zu leben.

Es geht um eine Schuhfabrik, um skrupellose Industrielle, die das Volk ausbeuten. So wie Alex Vater, der sein Unternehmen extra in China aufbaute, weil die politischen Strukturen höchst profitable Produktionsbedingungen bieten. Die Arbeiter werden mit gnadenloser Menschenverachtung behandelt, wogegen Alex etwas unternehmen möchte. Im Untergrund brodelt es eh schon.

Hier lernt man beide Seiten kennen. Alex, seinen Vater und familiären Hintergrund, aber auch die Arbeiterin Ivy, die Alex zeigt, wie ihr Leben aussieht, nur leider wird hier niemand lebendig.
Mit einiger Weitschweifigkeit aber nahezu ohne Emotionen berichtet Alex von den Ereignissen, von seiner Vergangenheit und von seinen Gedanken, aufschlussreich aber langweilig. Es ist erstaunlich, wie man ein hoch spannendes Thema so öde präsentieren kann. Der Erzählstil ist schön, aber man hat lange das Gefühl, man kommt gar nicht vom Fleck.

Im letzten Drittel des Buches nimmt die Handlung dann Fahrt auf, verliert aber auch jede Glaubwürdigkeit, wenn Alex trotz sorgfältig angelegter Hilflosigkeit zum Superhelden mutiert und mit einem neuen Schuhmodell die chinesische Politik reformieren will.

Dieses Buch hat gute Anlagen, schafft es aber nicht den Leser zu fesseln und geht zum Ende hin auch noch im Pathos unter. Es ist keine Zeitverschwendung, aber auch kein Mustread, immerhin ein aufschlussreicher Ausflug nach China.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere