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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.07.2020

Portrait eines Ausnahmemusikers

Der letzte Satz
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Das Thema Tod und Sterben scheint Seethaler umzutreiben. Nach „Das Feld“ widmet er sich ihm nun erneut.
Seethaler erstellt ein gelungenes, knappes Porträt des zu Beginn des 20. Jahrhunderts berühmten ...

Das Thema Tod und Sterben scheint Seethaler umzutreiben. Nach „Das Feld“ widmet er sich ihm nun erneut.
Seethaler erstellt ein gelungenes, knappes Porträt des zu Beginn des 20. Jahrhunderts berühmten Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler, der – inzwischen todkrank – sich auf seiner letzten Schiffsreise von New York nach Europa befindet. Wehmütig erinnert er sich an schöne und traurige Momente in seinem Leben: seine gefeierte Arbeit an der Wiener Hofoper und der New Yorker Met; seine wunderschöne Frau, die trotz Hinwendung zu einem anderen Mann wegen seiner Krankheit bei ihm bleibt; den Tod seiner kleinen Tochter. Immer wieder spricht aus den Zeilen Mahlers Bedauern, nicht intensiver gelebt zu haben und stattdessen so versessen von seiner Arbeit gewesen zu sein. Somit passt auch gut der melancholische Grundton des Romans.
Das Buch ist sehr informativ und ein Anreiz, sich mit Mahlers Musik zu beschäftigen.

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Veröffentlicht am 22.07.2020

Vier Frauenschicksale in der Zeit der deutschen Wirtschaftswunderjahre

Die Wunderfrauen
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Parallel zum Aufblühen des kriegsgebeutelten Deutschlands ist es auch für vier Frauen, deren Wege sich 1953 im oberbayrischen Starnberg kreuzen, eine Zeit des Neubeginns und Aufbruchs. Luise macht sich ...

Parallel zum Aufblühen des kriegsgebeutelten Deutschlands ist es auch für vier Frauen, deren Wege sich 1953 im oberbayrischen Starnberg kreuzen, eine Zeit des Neubeginns und Aufbruchs. Luise macht sich in der Wohnstube mit einem kleinen Gemischtwarenladen selbstständig; die aus Schlesien vertriebene Marie findet Aufnahme auf dem landwirtschaftlichen Hof von Luises Bruder; die aus einer reichen Schuhfabrikantenfamilie stammende Helga beginnt nach vermasseltem Abitur eine Schwesternausbildung an der renommierten Frauenklinik, deren Chefarzt der Ehemann der vierten Protagonistin Annabel ist. Im Leben aller vier Frauen lief es nicht immer rund. Fehlgeburten, Vergewaltigung, Traumatisierung durch das Nachkriegsgeschehen, Geschwistertod, Langeweile in der Ehe sind grob die sie prägenden vergangenen Vorkommnisse und damit die Themen, die im Buch angesprochen werden. Zu letzteren kommen außerdem eine ganze Menge anderer hinzu – die deutsche Besatzung, das Schicksal der Juden, die Haltung zu behinderten Menschen, das Wiedererstarken Deutschlands, um nur einige zu nennen. Zum Glück wird das meiste nur angerissen, alles andere hätte den Rahmen des Buchs als Unterhaltungslektüre gesprengt. Die Liebe der Autorin zum Detail sorgt dafür, dass sie manches in die Geschichte einflicht, das mir aus Erzählungen typisch für die 1950er Jahre bekannt ist und mir ein schönes Bild der Zeit vermittelt: die allmähliche Telefonvernetzung der Haushalte, der Kauf von Konsumgütern, die Lust am Essen, der deutsche Sieg bei der Fußballweltmeisterschaft in Bern, die Notwendigkeit der Zustimmung der Ehemänner in die Berufstätigkeit der Frauen. Die Protagonistinnen werden m.E. etwas überzeichnet dargestellt, bei ihnen läuft zu vieles zu rund und einfach. Und nicht immer handeln sie realistisch (Beispiel: Wie kann Helga meinen, mit ihrem kleinen Lernschwesternlohn sich und ihr uneheliches Kind schon durchbringen zu können, vor allem eine Tagesmutter engagieren zu können?).
Ein schöner, sich leicht lesender Unterhaltungsroman ist das Buch allemal. Ob ich es bei diesem einen Band belassen werde oder auch die beiden schon angekündigten Fortsetzungen lesen werde, weiß ich noch nicht.

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Veröffentlicht am 18.07.2020

Träume einer lebenshungrigen Frau im Nachkriegsdeutschland

Ein Traum vom Glück
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Dieser Roman ist der erste Band der von der Autorin so betitelten Ruhrpottsaga, den sie, selbst geboren und aufgewachsen am Rande des Kohlenpotts, in Angriff genommen hat, nachdem die Ära der Steinkohle ...

Dieser Roman ist der erste Band der von der Autorin so betitelten Ruhrpottsaga, den sie, selbst geboren und aufgewachsen am Rande des Kohlenpotts, in Angriff genommen hat, nachdem die Ära der Steinkohle dort endgültig vorbei war. Weil ich selbst aus einer anderen Gegend Deutschlands stamme, war die Geschichte umso interessanter für mich, zumal ich lediglich ein Jahrzehnt später geboren wurde als der Zeitraum, in dem sie angesiedelt ist (1951/52), und ich die Zeit durchaus erinnere.
Protagonistin ist die junge Katharina, die nunmehr seit sechs Jahren mit ihren beiden Töchtern im Hause ihrer Schwiegermutter lebt, nachdem sie zu Kriegsende vor den Russen aus Berlin geflüchtet ist. Ihr Mann gilt immer noch als verschollen. Doch das Ruhrgebiet mit dem ständigen Kohlenstaub möchte sie lieber wieder heute als morgen verlassen, zumal sie dort aufgrund ihrer Lebenslust in der Vergangenheit ihren Ruf als „Schickse“ weghat. Sie arbeitet darauf hin, anderswo ein eigenes Modeatelier zu eröffnen. Doch wird vielleicht die Liebe ihre Pläne durchkreuzen? Mehrere Männer haben nämlich ein Auge auf sie geworfen – ein verheirateter Arzt, der Bruder ihrer besten Freundin, der aus der Gefangenschaft heimgekehrte jüngere Enkel ihrer Schwiegermutter; und dann besteht natürlich noch die Möglichkeit der Rückkehr ihres Mannes.
Recht authentisch mit viel typischem Ruhrpott-Dialekt in den wörtlichen Reden (was für mich sehr ungewohnt klingt) wird uns das Leben in dieser Region vor dem Hintergrund des wirtschaftlich gerade wieder erstarkenden Deutschlands nahe gebracht. Die vom Krieg so gebeutelten Leute machen Konsumanschaffungen auf Raten, richten ihre Häuser wohnlich her. Auch der Bergbau mit seinen Gefahren für die Bergleute und dem Ruf nach Veränderungen spielt in den Schilderungen eine interessante Rolle. Die Rolle von Katharina mag spalten. Einerseits hat sie eine nicht unbedingt moralisch einwandfreie Vergangenheit und fällt mit ihrer Lebensführung natürlich zu ihrer Zeit auf. Andererseits gehört sie zu den vom Krieg benachteiligten jungen Frauen, die ein Nachholbedürfnis haben.
Nachdem dieser Teil ein für mich so unerwartetes Ende nimmt, bin ich auf den für Herbst 2020 angekündigten zweiten Band 2 („Ein Gefühl von Hoffnung“) neugierig

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Veröffentlicht am 13.07.2020

Wurde irregeführt durch himmelhochjauchzende Anpreisungen

City of Girls
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Das Buch ist – für mich nicht zum ersten Mal – ein Beispiel dafür, dass man als Leser nicht blindlings darauf vertrauen darf, dass 1. einem ein bereits bekannter Autor schon ein neues gutes Buch liefern ...

Das Buch ist – für mich nicht zum ersten Mal – ein Beispiel dafür, dass man als Leser nicht blindlings darauf vertrauen darf, dass 1. einem ein bereits bekannter Autor schon ein neues gutes Buch liefern wird, und 2. die Anpreisungen im Einband als „gefeierter New York Times-Bestseller“, „Sensation“, „Buch des Sommers“ zutreffen werden. An Elizabeth Gilberts früheres Buch „Das Wesen der Dinge und der Liebe“ reicht das vorliegende in keinster Weise heran, ja ist nicht einmal mit ihm vergleichbar. Der zweite von mir oben genannte Aspekt ist für mich nur so erklärlich, dass eine Vermarktungsstrategie der Hintergrund solch positiver Kritiken ist.

Wie nur kann eine namhafte Autorin über sage und schreibe fast 500 Seiten über das Leben einer 19jährigen aus gutem Hause schwadronieren, die – als elterliche Bestrafung (doch ist es überhaupt eine solche?) - 1940 zu ihrer exzentrischen Tante nach New York geschickt wird und dort in deren drittklassigem Theater aushilft? Wir müssen überlange Ausführungen zur Welt des Theaters und seinen oberflächlichen Personen lesen, vor allem aber zum ausschweifenden Sexualleben der jungen, ich-bezogenen Protagonistin. Dabei werden alle nur denkbaren Klischees bedient, z.B. die Homosexualität von Künstlern oder die Ehe alternder Diven mit jüngeren Männern. So etwas ist schlicht niveaulos und will ich nicht lesen. Das einzig Positive ist der Beginn des Buches als Briefroman, der noch völlig offen lässt, an wen die Protagonistin schreibt. Dem anfänglich noch gefälligen, humorigen Plauderton konnte ich dann irgendwann auch nichts mehr abgewinnen. Eigentlich passt er nämlich gar nicht zu einer 90jährigen Schreiberin.

Empfehlen kann ich dieses Buch also nicht, doch mag sich jeder selbst ein Bild machen.

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Veröffentlicht am 09.07.2020

Warmherziger Familienroman mit Bezug zur alten Sowjetunion

Die Listensammlerin
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An diesem Buch stimmt einfach alles – Aufbau, Erzählstil, Sprache, Inhalt, Figuren. Eigentlich ist die Geschichte das Buch, das die neurotische, weil unentwegt ihrer Leidenschaft zum Anfertigen der unmöglichsten ...

An diesem Buch stimmt einfach alles – Aufbau, Erzählstil, Sprache, Inhalt, Figuren. Eigentlich ist die Geschichte das Buch, das die neurotische, weil unentwegt ihrer Leidenschaft zum Anfertigen der unmöglichsten Listen nachgehend, Protagonistin Sofia, eine Schriftstellerin, nach langer Schreibblockade schreibt. Es ist die ihr bis vor kurzem noch unbekannte eigene Familiengeschichte. Diese beginnt in den 1950er Jahren in Moskau, wo Sofias Mutter Anna mit ihrem Bruder aufwächst. Grischa ist Künstler, homosexuell, Dissident, wodurch er seine gesamte Familie in Gefahr bringt. Das führt letztlich zur Flucht von Mutter und Schwester mit deren inzwischen geborener Tochter Sofia in die Bundesrepublik mit Hilfe von Sofias späterem Adoptivvater. In deren gegenwärtigem Leben (ca. 2010) herrscht Unordnung – die betagte Oma ist schwer an Alzheimer erkrankt und Sofias kleine herzkranke Tochter steht vor einer alles entscheidenden Operation. Erst jetzt erfährt Sofia durch zufällig in der von ihr aufgelösten Wohnung ihrer Oma gefundene Listen von ihrem Onkel Grischa und der Familienvergangenheit.
Die Autorin arbeitet wunderbar mit Worten und stellt die Romanfiguren gelungen und sehr bildhaft dar. Sehr schön ist, dass wir die wichtigsten Familienmitglieder in unterschiedlichen Phasen ihres Lebens kennenlernen. Trotz des Ernstes mancher angesprochener Themen überwiegt ein humorvoller, versöhnlicher Ton. Der historische Bezug zu dem freiheitsbeschränkenden Leben in der alten Sowjetunion war sehr interessant und lehrreich.
Ich habe das Buch gerne gelesen und mich stört nicht, dass einiges fragmentarisch und unbeantwortet bleibt.

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