Profilbild von uli123

uli123

Lesejury Star
offline

uli123 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit uli123 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.07.2023

Schöne Legende(n)

Nincshof
0

Dieses wirklich lesenswerte Buch enthält gleich zwei schöne Legenden im Sinne der heutzutage angewendeten Definition, wonach unter Legende auch die Lebensgeschichte von bekannten Personen zu verstehen ...

Dieses wirklich lesenswerte Buch enthält gleich zwei schöne Legenden im Sinne der heutzutage angewendeten Definition, wonach unter Legende auch die Lebensgeschichte von bekannten Personen zu verstehen ist: Einmal die der alten Dorfbewohnerin Erna und zum anderen die ihrer Großmutter. Erna schließt sich in ihrem im Burgenland gelegenen Dorf Nincshof der vom Bürgermeister und zwei weiteren Männern begründeten, noch im Geheimen verschwörerisch agierenden Bewegung der von ihnen so benannten Oblivisten an, deren Ziel es ist, das Dorf in die totale Vergessenheit zu führen, damit fortan alle Bewohner in Freiheit und Ruhe leben können. Ihre Großmutter hatte 100 Jahre zuvor bereits ähnliche Ideen, die sie genauso vehement verfolgte wie die Oblivisten in der Gegenwart. Die Großmutter ist seinerzeit zu einer – wenn auch gescheiterten – Revolutionärin geworden. Ihr Wirken hat sie in Gestalt von Gutenachtgeschichten an ihre Enkelin weiter vermittelt. Auch das Vorhaben von Erna und den Oblivisten steht in Frage, denn zwei zugezogene Wiener steigern mit ihrer Lebensform den Bekanntheitsgrad des Dorfes eher noch und konterkarieren damit die oblivistischen Bestrebungen. Über den Zeitraum eines ganzen Sommer können wir Leser uns jedenfalls an den verrückten Ausmaßen erfreuen, die der von Grund auf verrückte Plan der Oblivisten in seiner praktischen Durchführung annimmt. Das und die skurrilen Neubürger und übrigen Dorfbewohner lassen einen immer wieder schmunzeln. An den Städtern mit ihren Ansichten wird gehörig berechtigte Kritik geübt.
Ein ausgezeichneter Roman, an den ich mich noch lange erinnern werde.


  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.04.2023

Leben heißt leiden

Solange wir leben
0

Die Überschrift dieser Rezension gibt das Lebensmotto der Mutter des Autors wieder und zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Aus ihm lässt sich schon schließen, dass der vorliegende Roman eher ...

Die Überschrift dieser Rezension gibt das Lebensmotto der Mutter des Autors wieder und zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Aus ihm lässt sich schon schließen, dass der vorliegende Roman eher nachdenkliche Töne hat. Das macht ihn zu einem ganz anderen Roman als die bisher eher humorvollen, die ich aus der Feder des Autors kenne (z.B. „Mieses Karma“, „Aufgetaut“). Er erzählt die sehr interessante, berührende Familiengeschichte seiner Eltern. Damit liegt er voll im Trend mit anderen Schriftstellerkollegen, deren Familiengeschichten in jüngerer Zeit den Literaturmarkt erobern. Das Faszinierende aber ist, dass jede für sich so individuell ist. David Safier selbst lässt sich nur ganz selten am Rande seiner Geschichte erwähnen. Ihm hatten seine Eltern nicht einmal von ihrer Vergangenheit erzählt, um ihn zu schonen. Daher erstaunt es, was er alles hat zusammentragen können und nun abwechselnd aus der Perspektive jeden Elternteils schildert, äußerlich erkennbar durch unterschiedliche Schrifttypen. Bei seinem (jüdischen) Vater stehen sein Überleben des Holocausts im Vordergrund und die anschließende stete Suche nach persönlichem Glück, das für ihn nach vielen Umwegen in der Ehe mit der 20 Jahre jüngeren Mutter von David und in eben dessen Geburt lag. Die Mutter stammt aus ärmlichen Verhältnissen und opferte sich Zeit ihres Lebens für ihre Familie auf. Ihr Lebensmotto war „Leben heißt leiden“. Die sehr persönlichen Verhältnisse sollte im Detail jeder selbst lesen. Es lohnt sich wirklich. Das Tüpfelchen auf dem i sind die eingearbeiteten zeitgeschichtlichen Begebenheiten und die lokalen Besonderheiten von Safiers Heimatstadt Bremen, die jeder Bremer mit Freude wiedererkennen wird.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.03.2023

Desolate Familienverhältnisse meistern

22 Bahnen
0

In ihrem gelungenen Debütroman gibt die Autorin einmal solchen Personen das Wort, die in unserer Gesellschaft nur zu gerne übersehen werden: den beiden Töchtern einer alkoholkranken und an Depressionen ...

In ihrem gelungenen Debütroman gibt die Autorin einmal solchen Personen das Wort, die in unserer Gesellschaft nur zu gerne übersehen werden: den beiden Töchtern einer alkoholkranken und an Depressionen leidenden Mutter. Letztere hat (krankheitsbedingt?) nicht viel für ihre Kinder übrig. Die jüngste, zwölfjährige Ida leidet unter den Gewaltausbrüchen der Mutter und fürchtet diese. Die Älteste, Tilda, kümmert sich intensiv um die geliebte Schwester, und das neben ihrem Mathestudium, einem Nebenjob an der Supermarktkasse und ihrem allabendlichen Schwimmen von Bahnen im Schwimmbad. Nichts will sie sehnlicher, als dem verhassten Kleinstadtleben zu entkommen. Zuvor will sie die kleine Schwester darauf vorbereiten und stark machen. Dann tritt Viktor in ihr Leben, dessen Familiengeschichte ebenfalls, aus ganz anderen Gründen, sehr tragisch ist und mit dem Tilda über seinen toten Bruder verknüpft ist. Beide tun sich schwer, eine Liebesbeziehung aufzunehmen …
Trotz all der Probleme, die sich für Tilda angesichts ihres desolaten Familienlebens auftun, ist es sehr erfrischend, aus ihrem Leben zu lesen. Die Beziehung zu ihrer kleinen Schwester ist einfach wunderbar und einzigartig. Sie erleben viele magische Momente miteinander und Ida wächst und reift sichtlich in den wenigen Monaten, über die erzählt wird. Genauso besonders ist die sich ganz allmählich entwickelnde Beziehung zwischen Tilda und Viktor. Formell finden sich ebenfalls einige Besonderheiten. So sind die vielen Dialoge nicht durch wörtliche Reden kenntlich gemacht, sondern schlicht durch Voranstellung des Namens des Sprechenden und einen Doppelpunkt. Und Tildas Liebe zur Mathematik wird herausgestellt durch Ziffernschreibweise anstelle ausgeschriebener Zahlen.
Sehr zu empfehlen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.03.2023

Gesellschaftskritisch

Die spürst du nicht
0

Nach einigen Jahren fehlender Veröffentlichungen ist dem österreichischen Autor Daniel Glattauer mit seinem neuesten Buch ein rundum gelungener Roman gelungen, der auf einer Linie mit seinem früheren, ...

Nach einigen Jahren fehlender Veröffentlichungen ist dem österreichischen Autor Daniel Glattauer mit seinem neuesten Buch ein rundum gelungener Roman gelungen, der auf einer Linie mit seinem früheren, ebenfalls sehr empfehlenswerten Roman „Geschenkt“ liegt und damit sehr viel ernsthafter ist als seine E-Mail-Liebesromane „Gut gegen Nordwind“ und „Alle sieben Welten“.
Die Geschichte handelt von zwei befreundeten Familien, die gemeinsam Ferien in der Toskana verbringen. Im Swimming-Pool des Ferienhauses kommt es zu einem furchtbaren Unglück mit tragischem Ende für das von der einen Tochter mitgenommene somalische Flüchtlingsmädchen. Daran anschließend werden die Befindlichkeiten der österreichischen Elternpaare und der Tochter im Umgang mit dem Unglück dargestellt und mit einer gehörigen Portion Kritik versehen, wie sich die Beteiligten egoistisch nur um ihre eigene Achse drehen, während die Situation der hinterbliebenen Eltern völlig in den Hintergrund gerät und ihre eigene Lebensgeschichte außen vor bleibt. Das ändert sich erst, als sich ein Fürsprecher für sie einschaltet und einen Zivilprozess auf Schadensersatz gegen die fürsorgepflichtigen Eltern anstrengt, von denen die Mutter auch noch eine bekannte Politikerin der Partei der Grünen ist. Endlich wird den Schwächsten aller Beteiligten das Wort gegönnt und sie erhalten eine gewisse Genugtuung, indem sie ein Forum erhalten, ihr eigenes Schicksal zu schildern, das von uns Wohlstandsbürgern leider zu selten wahrgenommen wird.
Inhaltlich geht es um die aktuelle Flüchtlingsproblematik und der Autor übt subtile, fast satirisch anmutende Kritik daran, wie die privilegierte Gesellschaft mit ihr umgeht. Formal ist der Roman abwechslungsreich gestaltet, indem überwiegend Erzählpassagen aus der Sicht eines auktorialen Erzählers unterbrochen werden durch Zeitungsartikel und Internetbeiträge mit entsprechenden darauf erfolgenden Reaktionen.
Sehr zu empfehlen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.02.2023

Gelungener Heimatroman

Dschomba
0

Die Autorin, aufgewachsen in dem oberösterreichischen Dorf Eferding, erzählt in diesem Roman die besondere Geschichte, die mit ihrer Heimatregion verbunden ist. Denn dort befand sich seit 1915 ein riesiges ...

Die Autorin, aufgewachsen in dem oberösterreichischen Dorf Eferding, erzählt in diesem Roman die besondere Geschichte, die mit ihrer Heimatregion verbunden ist. Denn dort befand sich seit 1915 ein riesiges Kriegsgefangenenlager für mehrere zehntausend Gefangene. Die an Krankheit elend Gestorbenen wurden auf einem nahen Lagerfriedhof begraben. Dort vermutet der Serbe Dragan Džomba die Überreste seines einst in den Krieg gezogenen Bruders, mit dem er sich kurz zuvor nach einem Streit nicht mehr hat versöhnen können. Džomba begibt sich 1954 nach Eferding und bleibt dort hängen, in einer Hütte auf dem ehemaligen Lagerfriedhof. Von vielen Einheimischen wird er misstrauisch beäugt und angefeindet, andere dagegen sind ihm freundlich zugetan. An seinem Trauma leidet er psychisch. Andere seiner neuen Bekannten haben andere schlimme Belastungen aus der Vergangenheit zu verarbeiten. In den 1970er Jahren trifft die kleine Gastwirtstochter (wohl die Autorin persönlich) auf einige der Personen, die 20 Jahre vorher auf Džomba trafen und kann nicht genug von den alten Geschichten hören, denen sie während ihrer Mithilfe im Gastraum bei Stammtisch, Leichenschmaus und Frühschoppen inbrünstig lauscht.
Die Geschichte ist sehr melancholisch und nachdenklich verfasst, dem ernsten Thema angemessen. Der besondere Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig (abgehackte Sätze, mit Verben beginnende Sätze) ebenso wie der eingestreute authentische oberösterreichische Dialekt und die besonderen österreichischen Vokabeln. Das und die liebevoll gezeichneten Portraits von den verschiedenen Dorfbewohnern sowie der interessante historische Hintergrund machen den Roman zu etwas wirklich Besonderem. Der jeweilige persönliche Hintergrund der Romanfiguren wird erst nach und nach aufgedeckt, so dass genug Raum bleibt, selbst Spekulationen hierzu anzustellen. Von der ländlichen Gegend vor 50 bis 70 Jahren wird ein so deutliches Bild gezeichnet, dass man sich quasi in das Geschehen hineinversetzt fühlt.
Das Buch erhält von mir eine volle Leseempfehlung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere