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Veröffentlicht am 17.02.2022

Lieber Kummerkasten

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Eine junge Familie zieht nach West-Jütland. Der kleine Sohn ist erst etwas über ein Jahr, er hat den Eltern das Schlafen abgewöhnt. Aber in die Kindertagesstätte geht er schon und die Tagesmutter begrüßt ...

Eine junge Familie zieht nach West-Jütland. Der kleine Sohn ist erst etwas über ein Jahr, er hat den Eltern das Schlafen abgewöhnt. Aber in die Kindertagesstätte geht er schon und die Tagesmutter begrüßt er mit einem fröhlichen Muh. Seine Mutter muss sich mit anderen Problemen rumschlagen, unter anderem dem Erwerb des Führerscheins. Den ein oder anderen Fahrlehrer hat sie schon zur Verzweiflung getrieben. Und ihre Art der Kommunikation schreckt ihre Mitmenschen mitunter etwas ab. Einen Lichtblick bietet ihre neue Stelle als Kummerkasten bei einer Lokalzeitung. Ihre witzigen Antworten auf mehr oder weniger tiefgreifende Fragen, kommen bei den Lesern gut an.

Wohl in den meisten Gegenden ist es nicht leicht, der Zugezogene zu sein. Man muss erstmal herausfinden, wie der Hase dort so läuft. Über lauernde Fettnäpfchen darf man sich nicht wundern und das Stolpern fällt leicht. Da kann ein neuer Job ein Wegbereiter sein. Und auch ein Kind verhilft sicherlich zu Kontakten, auch wenn es vielleicht noch andere Themen gibt als den fehlenden Schlaf. Wenn die Gespräche um einen herum verstummen, sollte man schnellstens das Thema wechseln oder das Reden den anderen überlassen. Aber je näher ein möglicher Erfolg beim Ablegen der Führerscheinprüfung rückt, desto leichter fällt das Leben.

Die junge Mutter fällt mit einem eigenartigen, aber durchaus sehr sympathischen Charakter auf. Zunächst muss man sich in ihre Lebenswelt hineinfinden und ihre manchmal schrägen Gedankengänge nachvollziehen, aber nachdem dies geglückt ist, entwickelt sich eine echte gute Laune Lektüre. Man sieht das Kind auf ihrem Arm, man leidet in den Fahrstunden und denkt „nun fahr doch endlich“ und dann amüsiert man sich, über die skurrilen Ideen und doch anrührenden Lebensweisheiten, die die junge Mutter in sich trägt. Dieser erfrischende Roman hat etwas eigenes und ihm sollte einiges an Aufmerksamkeit vergönnt werden. Es lohnt sich.

Veröffentlicht am 16.02.2022

Im Auftrag des Alten

Ein Präsident verschwindet
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Mitten in der Nacht wird Kommissar Philip Gerber von seinem Chef abgeholt, um an einer geheimen Besprechung mit Kanzler Adenauer teilzunehmen. Die beiden Polizisten werden ins besetzte Berlin geschickt. ...

Mitten in der Nacht wird Kommissar Philip Gerber von seinem Chef abgeholt, um an einer geheimen Besprechung mit Kanzler Adenauer teilzunehmen. Die beiden Polizisten werden ins besetzte Berlin geschickt. Sie sollen herausfinden, ob der Präsident des Verfassungsschutzes Otto John tatsächlich in den Osten übergelaufen ist oder ob er entführt wurde. Und welche Rolle spielt die Journalistin Eva Herden, die auf einem Foto gemeinsam mit John zu sehen ist? Für Gerber ist die Beantwortung dieser Frage beinahe wichtiger als der erste Auftrag, denn seine Freundin ist ohne eine Erklärung verschwunden und nun in Berlin wieder aufgetaucht.

Die Nachkriegszeit in Deutschland bietet interessante Stoffe für spannende Thriller. So kann die Geschichte des Otto John in verschiedenen Veröffentlichungen nachgelesen werden. Während der Nazi-Zeit war er im Widerstand und dann der erste Präsident des Verfassungsschutzes. Im Juli 1954 tauchte er plötzlich in Ostberlin auf. Angeblich wurde ihm politisches Asyl gewährt. Um diese wahre Geschichte rankt sich der zweite Fall um Kommissar Philip Gerber, der vom amerikanischen Militärgeheimdienst zum Bundeskriminalamt gewechselt war. Die Umstände zwingen Gerber an seiner Beziehung zu Eva Herden zu zweifeln, dennoch nutzt er die Gelegenheit in Berlin nach ihr zu suchen und gleichzeitig im Fall John zu ermitteln.

Wieder erzählt der Autor eine packende Story mit einem Bezug zur Wirklichkeit. Sehr geschickt sind die persönlichen Belange Philip Gerbers mit dem Fall Otto John verwoben. Gerade in der heutigen Zeit, in der man sich sowieso in die Zeit des kalten Krieges zurückversetzt fühlt und noch befürchten muss, dass aus dem kalten Krieg ein heißer wird, bringt dieser Roman einen gewissen Einblick, wie es wohl zugeht in der Welt der Agenten und der politischen Intrigen. Zwar würde es heute wohl eher Cyber-Attacken geben als echte Entführungen, aber die Stimmung kann man sich durchaus ähnlich vorstellen. Und so liest man gespannt, welche gefährlichen Nachforschungen Philip Gerber in der geteilten Stadt anstellt. Er gerät zwischen die Mühlen der unterschiedlichen Systeme und muss sich gerade im Westen darüber erstaunen oder entsetzen, wie leicht die alten Nazis wieder in herausragende Positionen gelangen und wie wenig dagegen getan werden kann.

Dieser fesselnde zweite Fall für Kommissar Philip Gerber und Eva Herden ist wirklich zu empfehlen und nach der Lektüre wird er eine Zierde für jedes Regal sein.

Veröffentlicht am 13.02.2022

Verlust der Heimat

Ballade vom Tag, der nicht vorüber ist
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Mit seiner Mutter fährt der Junge vom Osten in den Westen. Der Vater ist schon dort. Doch der Junge vermisst seine Heimat, die Großeltern, das Haus. Die Klassenkameraden und sogar die Lehrer sind nicht ...

Mit seiner Mutter fährt der Junge vom Osten in den Westen. Der Vater ist schon dort. Doch der Junge vermisst seine Heimat, die Großeltern, das Haus. Die Klassenkameraden und sogar die Lehrer sind nicht immer freundlich zu dem Flüchtlingskind. Seine Eltern schont der Junge, so wie es Kinder manchmal machen. Allerdings erkrankt die Mutter relativ kurz nach der Ankunft in der neuen Stadt und als sie ins Krankenhaus muss, ist es als ahne sie schon, dass sie nicht mehr wiederkommt. Später beginnt das ehemalige Flüchtlingskind zu reisen, vielleicht ist dies ein Ausdruck seines Heimatverlustes.

Bereits im Jahr 1990 unter dem Titel „Flucht“ ist dieser Roman zum ersten Mal erschienen, wobei der nun gewählte Titel mindestens als ebenso passend erscheint. Denn der Erzähler kann von dem Tag, an dem sich die Flucht jährt und der auch der Todestag seiner Mutter ist, nicht loskommen, ihn nicht überwinden. Er bleibt ruhelos und auch seine Freundschaften und Beziehungen wirken nicht sehr tief gehend. Zu groß ist wahrscheinlich das Trauma, das seine Kindheit überschattet hat. Am anhänglichsten ist da wohl der Koffer, der noch aus der Heimat mitgekommen ist. In einer Nacht berichtet der Erzähler von seinem Leben.

Von seinen neueren Werken wohlbekannt lernt man hier eine andere Herangehensweise des Autors kennen. In episodenhafter Weise lässt er seinen Erzähler von seiner Kindheit berichten und von seinem Erwachsenenleben. Wobei die späteren Jahre wohl die Ruhelosigkeit widerspiegeln, deren Grundlage in der Kindheit gelegt wurde. Berührend sind die Schilderungen der Kindheit, die Reise in den Westen, die sich als Flucht entpuppt, die Mühe des Ankommens, der tragische krankheitsbedingte Tod der Mutter, der eine Lücke reißt, die der Vater nicht zu füllen vermag. Sind dem Leser oder der Leserin Erzählungen mit einer fortlaufenden Handlung lieber, kann der vorliegende Band nur bedingt begeistern. Dennoch überzeugt die Geschichte einer gebrochenen Jugend, die auch in späteren Jahren nicht wirklich verheilt. Ein prägender Moment ist dabei hervorragend in dem ansprechenden Coverbild festgehalten.

Veröffentlicht am 12.02.2022

Verbrechensleserin

Gefrorenes Herz
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Maria Just ist als Polizeihistorikerin tätig. In dieser Funktion organisiert sie eine neue Ausstellung im Polizeimuseum, bei der ungeklärte Mordfälle der letzten Jahrzehnte dargestellt werden sollen. Eines ...

Maria Just ist als Polizeihistorikerin tätig. In dieser Funktion organisiert sie eine neue Ausstellung im Polizeimuseum, bei der ungeklärte Mordfälle der letzten Jahrzehnte dargestellt werden sollen. Eines Morgens führt ihr Arbeitsweg geradewegs an einem Tatort vorbei oder würde daran vorbeiführen, denn Maria wird gebeten, einen anderen Weg zu nehmen. An besagtem Tatort wurde der Generalsekretär des dänischen Roten Kreuzes tot aufgefunden. Mit den Ermittlungen betraut werden Mikael Dirk und der ihm neu zuteilte Partner Frederick Dahlin, wobei der jüngere Dahlin dem älteren Dirk noch etwas suspekt erscheint. Immerhin, die Leitung liegt bei Dirk. Diese Klärung hilft zunächst auch nicht weiter, denn es ergibt sich kein Motiv für die Tat.

Das neu gebildete Ermittler-Team mit einigen Anfangsschwierigkeiten, hat zu Beginn Mühe, die uneindeutigen Spuren zu einem Bild zusammenzufügen. Auch die Polizeihistorikerin, die ihre Ausstellung gerne mit Leben füllen möchte, läuft bei den alten Beteiligten vor verschlossene Türen. Erst als sich durch eine Presseveröffentlichung wird es Maria ermöglicht, einen möglichen Zusammenhang zwischen ihrem Ausstellungsfall und dem aktuellen Mordfall zu entdecken. Zwar ist Mikael Dirk erstmal skeptisch, aber dennoch soll in alle Richtungen ermittelt werden. Und so zeichnet sich ab, dass hier möglicherweise ein Fall vorliegt, der die Lernfähigkeit von Menschen bezweifeln lässt.

In diesem Reihenstart stellt das Autorinnen-Duo ihr Team vor, deren Mitglieder sich untereinander noch kennenlernen müssen. Gerade zu Beginn der Ermittlung nimmt dies etwas viel Raum ein und auch die langsam voranschreitende Ermittlung erfordert ein klein wenig Durchhaltevermögen. Ist jedoch einmal der Zusammenhang zwischen dem Ausstellungsthema und dem Mordfall hergestellt, verfolgt man mit Spannung, was da zutage tritt. Das generelle Thema ist vielleicht aus allgemeinen Presseveröffentlichungen grundsätzlich bekannt. Dennoch erstaunt es ungemein, dass derartige Aktivitäten unter dem Deckmäntelchen der guten Absichten wohl noch häufiger zu finden sind als eh schon befürchtet. In diesen sehr fesselnden Kriminalfall mit seinen klug zusammengefügten Wendungen wird einem auf mahnende, aber auch packende und unterhaltsame Weise dargebracht, dass immer versucht werden sollte, das vermeintlich Beste nicht als Ausrede für eigentlich ungute Taten zu nehmen.

Dies Reihendebüt fesselt mit seinem brisanten Thema und seinen Ermittlern, die mit ihren Ecken und Kanten umso sympathischer wirken.

Veröffentlicht am 11.02.2022

Lady Spürnase

Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar
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Mit 77 Jahren ist Judith Potts fit wie ein Turnschuh. Wenn möglich schwimmt sie jeden Tag im Fluss. Während einer ihrer Schwimmtouren beobachtet sie, wie ihr Nachbar von der gegenüber liegenden Flussseite ...

Mit 77 Jahren ist Judith Potts fit wie ein Turnschuh. Wenn möglich schwimmt sie jeden Tag im Fluss. Während einer ihrer Schwimmtouren beobachtet sie, wie ihr Nachbar von der gegenüber liegenden Flussseite umgebracht wird. Die Polizei geht von Selbstmord aus und will die Ermittlungen schnell abschließen. Das geht gegen Judiths analytische Fähigkeiten, die sie mit ihrer Tätigkeit als Kreuzworträtsel-Autorin auf Trab hält. Aber wenn die Polizei nicht will, dann wird Judith eben selbst herausfinden, wer einen Grund hatte, ihren Nachbarn zu töten und wieso. In ihrem kleinen Heimatstädtchen Marlow dürfte es so ein verbrechen überhaupt nicht geben.

Mit diesem Reihenbeginn stellt der Autor seine kleine Gang von besonderen Detektivinnen vor. In der englischen Kleinstadt Marlow treiben sie gerade kein Unwesen. Judith lebt schon seit langem allein in einem Herrenhaus, dass sie von ihrer Tante geerbt hat. Rebecca, genannt Becks, führt ihrem Mann, dem Pfarrer, mit Hingabe den Haushalt. Und Suzie ist sicherlich die beste Hundeausführerin in ganz Marlow. Doch noch kennen sich die drei Frauen nicht. Wie sie es gewohnt ist, begibt Judith sich erstmal alleine auf Spurensuche. Das Opfer soll ein Gauner gewesen sein. Das passt so garnicht zu dem Bild, welches sie von ihrem Nachbarn hatte.

Drei vielleicht etwas exzentrische, aber sehr liebenswerte Hobby-Detektivinnen beginnen hier mit ihren ersten Ermittlungen. Ob sie die diversen Drinks, die sie zu sich nehmen, tatsächlich brauchen, kann wohl dahingestellt bleiben. Jedenfalls haben die drei unverhofften Ermittlerinnen jede ihre speziellen Qualitäten, mit denen sie sich bei den Nachforschungen ergänzen. Beim Lesen macht es Spaß, die Fähigkeiten der drei Frauen zu entdecken. Sogar die Polizistin Tanika kann sich ihrem Charme nicht entziehen, auch wenn sie ihnen sicher manchmal die Leviten lesen möchte. Das kleine Örtchen Marlow kann man zudem im Internet besichtigen und sich ausmalen, welche Wege Judith wohl benutzt und wie sie mit dem Boot über den Fluss stakt.

Dieser Cozy-Crime mit seinem verzwickten Fall, der klassisch gelöst wird, macht gute Laune. Man kann sich gerne auf mehr von Judith und ihren Freundinnen freuen.