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Veröffentlicht am 21.08.2025

Lesenswert

Reichskanzlerplatz
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Nach dem Ersten Weltkrieg kommt Hellmut Quandt in die Klasse von Hans Kesselbach. Die beiden Jungen freunden sich an. Hans ist vom Reichtum der Quandts eingeschüchtert und fühlt sich nie dazugehörig. Besonders ...

Nach dem Ersten Weltkrieg kommt Hellmut Quandt in die Klasse von Hans Kesselbach. Die beiden Jungen freunden sich an. Hans ist vom Reichtum der Quandts eingeschüchtert und fühlt sich nie dazugehörig. Besonders beeindruckt ist Hans von der jungen Stiefmutter Magda Quandt, die nur wenig älter ist als ihre Stiefsöhne.
Als Hellmut viel zu früh verstirbt, finden Hans und Magda in ihrer Trauer zueinander. Hans ahnt noch nicht, was die Zukunft für sie bereit hält. Denn Magda wird eines Tages die erste Frau im nationalsozialistischem Reich sein und Hans wird um sein Leben bangen müssen.


Der fiktive Charakter Hans Kesselbach ist der Erzähler dieser Geschichte, die Fakten und Fiktives gekonnt vermischt. Als sehr junge Frau heiratet Magda den Industriellen Günther Quandt, doch dieser interessiert sich mehr für seine Geschäfte als für seine junge Frau. Sie wiederum findet Trost in Affären. Nach der Scheidung lernt Magda Quandt Joseph Goebbels kennen und heiratet ihn.
Hans berichtet von der ersten Begegnung mit der jungen Frau, deren Ausstrahlung er sich trotz seiner homosexuellen Neigungen nicht entziehen kann. Zwischen ihnen gibt es eine Verbindung, die über die Jahre bestehen bleibt. Hans ist Einzelkind, sein Vater ein verdienter Soldat, er genießt eine gute Schulbildung und soll in den diplomatischen Dienst eintreten. All das erfüllt Hans, ohne jemals zu hinterfragen, ob es wirklich sein Weg ist. Er erfüllt einfach die Erwartungen, die an ihn gestellt werden. Er dient der Weimarer Republik ebenso wie dem Dritten Reich. Nur eine Erwartung erfüllt er nicht, er weigert sich zu heiraten, obwohl es ihm immer wieder Nahe gelegt wird.
Hans ist ein typischer Mitläufer, der aufgrund seiner Stellung genau weiß, was vor sich geht und doch wegschaut und darauf hofft, dass es bald ein Ende hat. Nur am Schluss kann man erahnen, dass Hans wohl doch Rückgrat bewiesen und aufbegehrt hat.
Für mich ist Hans Kesselbach die zentrale Figur des Romans, weitaus mehr als Magda Goebbels. Er ist ein Kind seiner Zeit, gehorsam, hat seine Emotionen im Griff und ist unauffällig. Die einzigen Ausbrüche aus diesem Leben sind die kurzen Liebschaften mit Männern und die Liaison mit Magda. Mich hat der Roman überzeugt, weil er anhand von seinen Charakteren sehr gut diese Zeit zwischen den Weltkriegen beschreibt. Und weil Nora Bossong einfach wunderbar intensiv erzählen kann.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.08.2025

Lesenswert

Reichskanzlerplatz
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Nach dem Ersten Weltkrieg kommt Hellmut Quandt in die Klasse von Hans Kesselbach. Die beiden Jungen freunden sich an. Hans ist vom Reichtum der Quandts eingeschüchtert und fühlt sich nie dazugehörig. Besonders ...

Nach dem Ersten Weltkrieg kommt Hellmut Quandt in die Klasse von Hans Kesselbach. Die beiden Jungen freunden sich an. Hans ist vom Reichtum der Quandts eingeschüchtert und fühlt sich nie dazugehörig. Besonders beeindruckt ist Hans von der jungen Stiefmutter Magda Quandt, die nur wenig älter ist als ihre Stiefsöhne.
Als Hellmut viel zu früh verstirbt, finden Hans und Magda in ihrer Trauer zueinander. Hans ahnt noch nicht, was die Zukunft für sie bereit hält. Denn Magda wird eines Tages die erste Frau im nationalsozialistischem Reich sein und Hans wird um sein Leben bangen müssen.


Der fiktive Charakter Hans Kesselbach ist der Erzähler dieser Geschichte, die Fakten und Fiktives gekonnt vermischt. Als sehr junge Frau heiratet Magda den Industriellen Günther Quandt, doch dieser interessiert sich mehr für seine Geschäfte als für seine junge Frau. Sie wiederum findet Trost in Affären. Nach der Scheidung lernt Magda Quandt Joseph Goebbels kennen und heiratet ihn.
Hans berichtet von der ersten Begegnung mit der jungen Frau, deren Ausstrahlung er sich trotz seiner homosexuellen Neigungen nicht entziehen kann. Zwischen ihnen gibt es eine Verbindung, die über die Jahre bestehen bleibt. Hans ist Einzelkind, sein Vater ein verdienter Soldat, er genießt eine gute Schulbildung und soll in den diplomatischen Dienst eintreten. All das erfüllt Hans, ohne jemals zu hinterfragen, ob es wirklich sein Weg ist. Er erfüllt einfach die Erwartungen, die an ihn gestellt werden. Er dient der Weimarer Republik ebenso wie dem Dritten Reich. Nur eine Erwartung erfüllt er nicht, er weigert sich zu heiraten, obwohl es ihm immer wieder Nahe gelegt wird.
Hans ist ein typischer Mitläufer, der aufgrund seiner Stellung genau weiß, was vor sich geht und doch wegschaut und darauf hofft, dass es bald ein Ende hat. Nur am Schluss kann man erahnen, dass Hans wohl doch Rückgrat bewiesen und aufbegehrt hat.
Für mich ist Hans Kesselbach die zentrale Figur des Romans, weitaus mehr als Magda Goebbels. Er ist ein Kind seiner Zeit, gehorsam, hat seine Emotionen im Griff und ist unauffällig. Die einzigen Ausbrüche aus diesem Leben sind die kurzen Liebschaften mit Männern und die Liaison mit Magda. Mich hat der Roman überzeugt, weil er anhand von seinen Charakteren sehr gut diese Zeit zwischen den Weltkriegen beschreibt. Und weil Nora Bossong einfach wunderbar intensiv erzählen kann.

  • Einzelne Kategorien
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  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.08.2025

Ein besonderes Buch

Gentleman über Bord
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Gentleman über Bord von Herbert Clyde Lewis ist erstmals 1937 erschienen. Mit seinen knapp 180 Seiten und zehn Kapiteln ist es ein kurzer, aber prägnanter Roman.
Henry Preston Standish, Geschäftsmann aus ...

Gentleman über Bord von Herbert Clyde Lewis ist erstmals 1937 erschienen. Mit seinen knapp 180 Seiten und zehn Kapiteln ist es ein kurzer, aber prägnanter Roman.
Henry Preston Standish, Geschäftsmann aus New York, reist von Honolulu nach Balboa, Panama. Er ist schon ein paar Monate auf Reisen, da er in einer Sinnkrise steckt. Seine Frau und seine Kinder sind zu Hause in der Wohnung am Central Park geblieben. Die Arabella, auf der er mitfährt ist eigentlich ein Frachtschiff. Deshalb fahren außer ihm nur eine handvoll Passagiere mit. Eines frühen morgens genießt Standish den Sonnenaufgang über dem Pazifik, als er plötzlich auf einem Ölfleck ausrutscht und über Board geht – unbemerkt von den anderen.
Die Arabella entfernt sich immer weiter von ihm und Standish treibt einsam im Ozean. Stundenlang haart er aus, in der Hoffnung, jemand bemerkt sein fehlen und das Schiff kehrt zurück. Während er im Ozean wartet, denkt er über vieles nach. Zu Beginn macht Standish sich noch Sorgen um die Peinlichkeit, dass er, ein gestandener Geschäftsmann, durch ein solches Missgeschick über Bord geht. Doch als die Stunden vergehen, wird im bewusst, wie viel Glück ihm im Leben zuteil wurde, ohne, dass er sich sonderlich bemühen musste. Nur jetzt scheint es so, als ob ihm sein Glück verlassen hätte.
Dem Autor ist ein eindringlicher Roman gelungen, der trotz der Kürze seine Hauptfigur und auch alle weiteren präzise beschreibt. Gentleman über Board ist eine fabelhafte Geschichte über die Unvorhersehbarkeit des Lebens, punktgenau erzählt. Es ist eine Art Roman, die nicht alltäglich ist. Mich hat die Geschichte begeistert, aber auch nachdenklich zurückgelassen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.07.2025

Zu lang, zu überfrachtet

Schönwald
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Die Familie Schönwald kommt für ein Wochenende in Berlin zusammen. Grund ist die Eröffnungsfeier von Karolins Buchladen. Ihre Eltern, Ruth und Harry, reisen aus Bonn an, der älteste Bruder Chris kommt ...

Die Familie Schönwald kommt für ein Wochenende in Berlin zusammen. Grund ist die Eröffnungsfeier von Karolins Buchladen. Ihre Eltern, Ruth und Harry, reisen aus Bonn an, der älteste Bruder Chris kommt aus New York und Benni, der Jüngste, wohnt mit seiner Familie in Brandenburg. Doch die Eröffnungsfeier wird durch Aktivisten gestört, die den Schönwalds vorwerfen, der Laden wäre durch Nazigeldern finanziert worden.

Nach und nach stellt sich heraus, dass jedes der Familienmitglieder sein eigenes dunkles Geheimnis mit sich herumträgt, was es geschickt vor den anderen Familienmitgliedern zu verbergen gilt. Denn über wahre Gefühle und Befindlichkeiten wird bei den Schönwalds nicht gesprochen. Erst an diesem Wochenende beginnt das eiserne Schweigen langsam Risse zu bekommen. Sowohl die Geschwister als auch die Eltern erkennen, das sich etwas ändern muss.


Es ist ein Familienroman, der aufzeigen soll, welche verheerenden Folgen es haben kann, wenn eine Familie nie gelernt hat, offen miteinander zu reden. Aus den unterschiedlichen Perspektiven der jeweiligen Familienmitgliedern erfahren die Leser schrittweise mehr über die Geschichte der Familie. Das zunächst im Mittelpunkt stehende Nazigeld, mit dem der Buchladen finanziert sein soll, gerät schnell aus dem Fokus und ist im Grunde völlig bedeutungslos.
Auch sonst verliert sich der Roman immer wieder in irrelevanten Erzählungen, was streckenweise den roten Faden vermissen lässt und auch dazu führte, dass ich aus Langeweile weitergeblättert habe. Es hätte dem Roman gut getan sich auf die wesentlichen Charaktere und Handlungen zu konzentrieren. Meiner Ansicht nach ist die Erzählung sehr überfrachtet. Vorrangig geht es um die Familiengeschichte, aber auch um sämtliche Befindlichkeiten aller vorkommenden Figuren, politische Geschehnisse, psychologische Erkenntnisse etc., all das überlagert das Wesentliche.
Es gibt diese sehr gutgeschriebenen Passagen, die mich als Leserin gepackt haben, leider wurden diese immer wieder durch bedeutungslose Abschnitte unterbrochen, die nichts zur Entwicklung der Geschichte beigetragen haben.
Ich hatte wesentliche mehr von dem Roman erwartet.

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Veröffentlicht am 19.06.2025

Wunderbar erzählt

Ginsterhöhe
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Nach vier Jahren Krieg kehrt Albert Anfang 1919 in sein Heimatdorf Wollseifen in der Eifel zurück. Eine Granate zerfetzte ihm sein Gesicht und kostete seinem besten Freund das Leben. Alberts Frau Bertha ...

Nach vier Jahren Krieg kehrt Albert Anfang 1919 in sein Heimatdorf Wollseifen in der Eifel zurück. Eine Granate zerfetzte ihm sein Gesicht und kostete seinem besten Freund das Leben. Alberts Frau Bertha tut sich schwer mit dem entstellten Aussehen ihres Mannes. Doch das Leben auf dem Bauernhof geht weiter und Albert findet wieder seinen Platz in der Familie und auch in der Gemeinde. Nur Meller, ein neu Zugezogener im Dorf, macht gerne derbe Scherze auf Alberts Kosten. Meller ist eine zwielichtige Gestalt, von der niemand genau weiß, was ihn nach Wollseifen geführt hat. 
Bis zur Machtübernahme Hitlers geht alles im Dorf den gewohnten Gang. Dann entsteht unweit von Wollseifen eine Ausbildungsstätte für Elitesoldaten inklusive Flugplatz. Meller, Parteimitglied  der ersten Stunde, hat sich dafür stark gemacht. Diese Ausbildungsstätte wird Wollseifen zum Verhängnis werden.



Das Dorf Wollseifen existierte tatsächlich und wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geräumt. Der Roman „Ginsterhöhe“ erzählt von den Jahren zwischen den Weltkriegen bis zum Ende des Dorflebens. Im Mittelpunkt der fiktiven Geschichte steht die Familie von Albert Lintermann, der nach seiner Rückkehr aus dem Krieg den Bauernhof übernimmt. Es sind die kleinen Glücksmomente und die alltäglichen Sorgen, die das Leben der Bewohner bestimmen. Durchbrochen wird die Erzählung von den Aufzeichnungen des Dorfschullehrers, der die Weltpolitik verfolgt und seine Schlüsse daraus zieht. Dadurch entsteht ein Kontrast zum normalen Leben der Bewohner. Wollseifen ist ein kleines, unbedeutendes Dorf, das dennoch Opfer der großen Politik wird. Für mich ist es ein Stück Zeitgeschehen, das in diesem Roman ganz wunderbar nachempfunden ist.

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