Großartiges Nature Writing
Kurilensee von Sophia Klink ist ein Buch, wie ich es auf diese Weise noch nie gelesen habe - und das im allerbesten Sinne. Die Autorin nimmt mich durch die Augen ihrer Protagonistin Anna mit auf eine naturwissenschaftliche ...
Kurilensee von Sophia Klink ist ein Buch, wie ich es auf diese Weise noch nie gelesen habe - und das im allerbesten Sinne. Die Autorin nimmt mich durch die Augen ihrer Protagonistin Anna mit auf eine naturwissenschaftliche Forschungsstation am Kurilensee im fernen Kamtschatka, im Nordosten des riesigen Russlands, fernab der Zivilisation.
Hier verbringen Anna und ihr Partner Vova sowie ihre wissenschaftlichen Kollegen und Kolleginnen den Sommer, beobachten die Natur, entnehmen Proben aus Wasser, Algen und Lachsen, werten diese aus, schreiben wissenschaftliche Artikel und Forschungsberichte und geben Empfehlungen ab.
Ein Thema, das weit weg meines eigenen Alltags ist - und doch gelingt es Sophia Klink durch bildreiches und atmosphärisches Nature Writing, mich für diesen besonderen Ort und die Anliegen der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu begeistern. Lachse auf ihrem mühsamen Weg flussaufwärts, vom entfernten Meer bis zum Kurilensee, wo sie bei Erfolg ablaichen, sterben und damit den See düngen, werden vor meinem inneren Auge lebendig, genauso wie Bären, die ihre Jungen großziehen, spielen, Lachse fangen und sich genügend Wintervorräte anfressen müssen, um zu überleben.
Der Roman weckt in mir die Liebe zur Natur und die Hoffnung, dass die Menschheit sie möglichst gut bewahren möge, während ich gleichzeitig mit Anna und ihren naturliebenden Forscherkolleginnen und -kollegen die exzessive Fischerei bedaure (nur eine Million Lachse darf ihr Ziel im Kurilensee erreichen, während viel mehr Millionen auf dem Weg dorthin abgefischt werden) und ihre Ambivalenz in Bezug auf eine mögliche künstliche Düngung des Sees teile. Dazu muss das Forscherteam nämlich eine Stellungnahme abgeben, und wie so oft in der Wissenschaft gibt es kein eindeutiges Für und Wider, und mögliche Konsequenzen dieses Eingriffs - der nur nötig ist, weil aufgrund der exzessiven Abfischung nicht genug Lachse übrig bleiben, um diesen auf natürliche Art zu düngen - sind unklar und können gefährlich für das Ökosystem sein... ein Nichthandeln aber ebenfalls. Und überhaupt sind die Forschenden nur beratendes Organ, während die endgültige Entscheidung an anderer Stelle getroffen wird. Mit dieser Machtlosigkeit müssen sie auch erst umgehen lernen.
Sophia Klink ist mit diesem Roman ein ganz ausgezeichnetes Debüt gelungen, das spannend geschrieben ist, die Lesenden an einen entlegenen Ort mitten in der abgelegenen Natur versetzt, sie die Stimmung dort miterleben lässt und gleichzeitig einiges an an interessantem und für mich neuem Wissen über naturwissenschaftliche Zusammenhänge vermittelt, wie z.B. auf S. 40 von 136 meines E-Books: "Werfe nie einen gestressten Fisch zurück in den Fluss, hat Vova gesagt. Alle anderen Fische könnten sterben vor Schreck. Sie spüren die Angst der anderen, ihr Adrenalin und Cortisol löst sich im Wasser. Sie nehmen es über die Haut in ihr eigenes Blut auf. Der Stress verändert sie physiologisch. Wir beeinflussen nur unnötig, wie gut sie laichen, verfälschen langfristig unsere eigenen Daten."
Ich kann dieses Buch allen, die ein Herz für die Natur haben und sich für aktuelle Themen dieser Zeit wie Naturwissenschaft im Spannungsfeld zwischen Ethik sowie wirtschaftlichen und staatlichen Interessen, Klimawandel und seine Auswirkungen interessieren, nur wärmstens ans Herz liegen. Tolles Nature Writing vom Feinsten, in Kombination mit Aufweckeffekt für ein Herzensanliegen!