Cover-Bild Die Gespenster von Demmin
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9,99
inkl. MwSt
  • Verlag: Hanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Ersterscheinung: 17.08.2020
  • ISBN: 9783446268722
Verena Keßler

Die Gespenster von Demmin

Wie sehr bestimmt die Geschichte unsere Gegenwart? Verena Keßlers Debüt über die Haltlosigkeit des Erwachsenwerdens „brummt nur so vor Lebendigkeit. Traurig, witzig, abgründig – Bombe!“ Stefanie de Velasco

Larry lebt in einer Stadt mit besonderer Geschichte – Ende des Zweiten Weltkriegs fand in Demmin der größte Massensuizid der deutschen Geschichte statt. Für Larry ist ihre Heimatstadt aber vor allem eins: langweilig. Sie will so schnell wie möglich raus in die Welt und Kriegsreporterin werden. Während Larry mit den Unzumutbarkeiten des Erwachsenwerdens kämpft, steht einer alten Frau der Umzug ins Seniorenheim bevor. Beim Aussortieren ihres Hausstands erinnert sie sich an das Kriegsende in Demmin und trifft eine folgenschwere Entscheidung.
Mit Leichtigkeit und Witz erzählt Verena Keßler von Trauer und Einsamkeit, von Freundschaft und der ersten Liebe. Ein Roman über die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen und die Möglichkeit, sie zu überwinden.

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.10.2020

Mehr als eine coming-of-age-Geschichte

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Kindheit und Jugend zwischen den Gespenstern der Vergangenheit.
Im Großen und im Kleinen.

Die Hansestadt Demmin in Mecklenburg-Vorpommern ist ein Ort mit einer erschütternden und grauenhaften Geschichte: ...

Kindheit und Jugend zwischen den Gespenstern der Vergangenheit.
Im Großen und im Kleinen.

Die Hansestadt Demmin in Mecklenburg-Vorpommern ist ein Ort mit einer erschütternden und grauenhaften Geschichte:
Aus Angst vor Gräueltaten und Racheaktionen der einmarschierenden Roten Armee nahmen sich im Mai 1945 Hunderte von Einwohnern und Flüchtlingen das Leben.
Sie erhängten oder ertränkten sich, nahmen Gift oder erschossen sich. Es waren überwiegend Frauen, die, unfassbarerweise, ihre Kinder mit in den Tod nahmen.
Dieser Massensuizid von Demmin erlangte traurige Bekanntheit als einer der größten überhaupt in der deutschen Geschichte.

Wir begleiten in dem Debutroman von Verena Kessler zwei Frauen, die in eben dieser geschichtsträchtigen Stadt leben und die entgegengesetzte Bewegungsrichtungen einschlagen: Rein ins Leben, raus aus dem Leben.
Beide Prozesse haben es in sich und sind nicht ganz leicht zu meistern.

Die 15-jährige Larissa Schramm, auf eigenen dringenden Wunsch hin Larry genannt, will nach dem Schulabschluss raus in die Welt und Kriegsreporterin werden.
Sie jobbt auf dem örtlichen Friedhof, um ihr Taschengeld aufzubessern. Vordergründig wirkt sie lässig, rotzig, unbekümmert und sorglos, manchmal auch altklug, aber nach einem Blick hinter die Kulissen erkennt man eine Last, die auf ihren Schultern ruht und ihre Ursache in einem traurigen und schweren familiären Verlust hat.
Larry hat nicht nur diesen außergewöhnlichen Nebenjob, bei dem sie Gräber pflegt, sondern auch ein eigenartiges Hobby:
Sie trainiert bis zur Erschöpfung, um sich auf ihren bereits oben genannten Traumberuf, Kriegsreporterin, vorzubereiten und dafür abzuhärten.
Sie hat sich ein ganz persönliches Survivaltraining zusammengestellt. In dessen Kontext kommt es schon mal zu waghalsigen Selbstversuchen und skurrilen Übungen wie Kopfüber-im-Baum hängen, stundenlangem Auf-dem-Stuhl stehen oder Probeliegen auf dem Friedhof.

Die zweite Protagonistin ist ihre Nachbarin Frau Dohlberg, eine alte Frau, die damals, im Mai 1945, als kleines Mädchen im Fluß Peene fast den Tod durch Ertrinken erlitten hätte, und der jetzt ein Umzug ins Seniorenheim bevorsteht.
Beim Entrümpeln und Aussortieren ihrer Habseligkeiten wird sie mit tragischen und aufwühlenden Erinnerungen an das Kriegsende in Demmin konfrontiert.

Bestimmt hätten Larry und Frau Dohlberg, für die der Tod eine Art Lebensbegleiter ist, sich viel zu erzählen, aber leider gehen die Begegnungen nie über ein freundliches Grüßen oder Winken hinaus.
Zu einem tiefgründigen Austausch kommt es nie.
Beide Frauen machen ihre Angelegenheiten und Sorgen stets mit sich selbst aus.

„Die Gespenster von Demmin“ ist ein beeindruckender, berührender und unterhaltsamer Debütroman, der sich mit wichtigen Themen beschäftigt.
Indem sie die düsteren Geschehnisse, die 1945 in Demmin stattfanden bravourös, fesselnd und geschickt mit der Gegenwart verwebt, beleuchtet Verena Kessler transgenerationale Prozesse und den Einfluss, den die Geschichte auf die Gegenwart hat.

Gleichzeitig ist der Roman eine klassische coming-of-age-Geschichte mit den typischen Themen einer Heranwachsenden, seien es Liebesgefühle, Gefühle von Haltlosigkeit, innere und äußere Konflikte mit den geschiedenen Eltern, z. B. mit der alleinerziehenden Mutter, die die Männer wie ihre Socken wechselt, bzw. Hals über Kopf den neuen Freund einziehen lässt.
Die emotionale Achterbahn der Pubertät!

Es geht aber auch um existentielle Themen wie den Verlust geliebter Menschen, Tod, Trauer und Einsamkeit.
Und auch um Lebensmut, Tapferkeit, Freundschaften und um die erste Liebe.
Es geht um die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen und um die Möglichkeit, sie zu überwinden. Und eine große Rolle spielt der Themenkomplex Schein oder Sein, so tun als ob, Verleugnen und Verdrängen... und zwar auf familiärer, als auch auf gesellschaftlicher Ebene.

Verena Kessler erzählt ruhig und unaufgeregt und schreibt eindrücklich, feinfühlig und eindringlich.
Trotz der ernsthaften Thematik und tiefgründigen Dimension ist der Roman leicht und flüssig zu lesen. Auch der Humor kommt nicht zu kurz. Amüsante Szenarien und ein zeitweise heiterer Unterton lockern auf und schaffen ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Düsterkeit, Traurigkeit, Tiefgründigkeit, Hoffnung, Warmherzigkeit, Leichtfüßigkeit und Humor.

Die Protagonisten werden von Verena Kessler eindrücklich und authentisch gezeichnet und der interessante Plot wird kurzweilig erzählt. So entsteht eine Geschichte, die in Erinnerung bleibt und nachhallt.

Es gefällt mir, wie die Autorin unaufdringlich auf Parallelen hinweist und zeigt, dass sich das Kleine im Großen spiegelt oder wie das Große im Kleinen abgebildet werden kann.
Da sind die Toten vom Mai 1945 und dort ist der verstorbene Bruder.
Da ist eine Stadt, die mit ihrer schrecklichen Vergangenheit zurechtkommen muss und dort ist eine Familie, die einen tragischen Tod überwinden und verarbeiten muss.
Da wird tabuisiert und dort wird geschwiegen.

Die 1988 geborene Autorin schlägt eine Brücke, schafft eine Verbindung und stellt Zusammenhänge her. Hut ab!

Ihr Debutroman war für mich schon deshalb lesenswert, weil ich von einer geschichtlichen Begebenheit erfuhr, die mir bis dato unbekannt war. Ich schätze es sehr, durch Lektüre meinen Horizont zu erweitern und das ist hier eindeutig geschehen.
Zwar, aufgrund von scheinbar mangelndem Interesses der künftigen Kriegsreporterin Larry, nicht in erster Linie, in Gänze und auf direktem Weg durch den Roman selbst, aber auf jeden Fall indirekt, indem die damaligen Geschehnisse am Ende des zweiten Weltkrieges erwähnt, gestreift und thematisiert wurden, und ich dann mit großem Interesse weiter recherchiert habe.

Der atmosphärische und kluge Roman überzeugte mich.
Er ist weniger eine literarische Aufarbeitung der damaligen furchtbaren Ereignisse, als ein fesselnder Adoleszenzroman, der klug komponiert ist, der Vergangenheit und Gegenwart geschickt verknüpft, der bedeutsame Themen anspricht und der einen Anstoß für tiefergründige Beschäftigung gibt, weil er neugierig macht.

Es war für mich nicht einfach, das Buch zwischendurch beiseite zu legen, nachdem ich mit der Lektüre begonnen habe.
Ein echter Pageturner, den ich sehr gerne weiterempfehle!

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