Der erste Oxford-Krimi
Francis Wheatley Winn, Dozent und Vizepräsident des St. Thomas-College in Oxford genießt das Abendessen zusammen mit den Kollegen. Heute nimmt ein Besucher aus Österreich, Ernst Brendel, Anwalt und Gastdozent, ...
Francis Wheatley Winn, Dozent und Vizepräsident des St. Thomas-College in Oxford genießt das Abendessen zusammen mit den Kollegen. Heute nimmt ein Besucher aus Österreich, Ernst Brendel, Anwalt und Gastdozent, daran teil. Die angenehme Atmosphäre des anschließenden geselligen Beisammenseins wird jäh zerstört, als im Büro des Dekans ein ermordeter Kollege aufgefunden wird.
„Die Oxford-Tragödie“ wurde von John Cecil Masterman 1933 geschrieben und ist jetzt auch auf Deutsch erhältlich. Meine Erwartungen an einen Kriminalroman aus dem „Goldenen Zeitalter“ wurden voll erfüllt.
Der Anwalt Ernst Brendel ist ein begeisterter Amateurdetektiv, der bereits bei einigen Kriminalfällen mitgearbeitet hat. Mit dieser Erfahrung ist er dazu prädestiniert, im vorliegenden Fall zu ermitteln, zumal sich der durchaus fähige Inspektor Cotter in der geschlossenen Gemeinschaft des Colleges schwertut. Francis Winn unterstützt Brendel als eine Art Dr. Watson bei den Ermittlungen. Die Geschichte wird aus seiner Perspektive erzählt. Aufschlussreich sind Finns Gedanken über die geladene Waffe auf dem Schreibtisch des Dekans, die der geselligen Runde nach dem Abendessen als Thema diente. Oder über die Fragen, die Brendel zu seinen Mordermittlungen gestellt wurden. Seine Selbstreflexionen habe ich gern gelesen. Wenn er grübelt, ob er sich angemessen verhalten hat oder sich wegen seiner Entscheidungen, die er (meist nicht) getroffen hat, grämt. Seine Reaktionen auf das Geschehen, das die Welt, in der er seit 40 Jahren lebt, in den Grundfesten erschüttert, und seine Versuche, damit klarzukommen, werden eindrücklich geschildert. Dadurch ist die Atmosphäre nach der Entdeckung des Mordes eher düster.
Masterman hat einen traditionellen Whodunit-Krimi geschrieben, der in einer nahezu geschlossenen Gemeinschaft spielt und einen überschaubaren Kreis an Verdächtigen aufweist. Sein Schreibstil wirkt etwas altmodisch, wie erwartet, aber gut lesbar und passend.
Neben Winn verfügt nur der Charakter Ernst Brendel über Tiefe, die übrigen Protagonisten sind eher als typische Vertreter ihrer Rollen angelegt.
Warum einen Krimi lesen, der bereits 1933 geschrieben wurde? Zunächst hat mich die beeindruckende Biografie des Autors John Cecil Masterman neugierig auf seine Erzählung gemacht. Zudem war ich gespannt auf den Roman, der als erster Oxford-Krimi überhaupt gilt. Viele sollten folgen. Von Autoren wie Michael Innes oder Edmund Crispin bis hin zur aktuellen Oxford-Krimireihe von Simon Mason. Außerdem liebe ich alte Krimis, vor allem britische. Mich interessiert daran vor allem die Zeitgeschichte. Hier das Universitätsleben in den 1930er Jahren. Da Masterman selbst Dozent in Oxford war, beschreibt er das Setting perfekt.
Der Fall wird nach einigem Rätseln und der Erläuterung mehrerer Hypothesen restlos aufgeklärt. Das Ende zieht sich ein wenig, aber das stört nicht besonders. Für Freunde von actionreichen Krimis mag der Roman eher langweilig sein, ich fand ihn dagegen sehr unterhaltsam. Es ist schade, dass der Autor, der auch Mitglied im legendären Detection Club war (wie Agatha Christie, Dorothy L. Sayers u.a.) nur zwei Kriminalromane geschrieben hat.