Cover-Bild Johnny Ohneland
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25,00
inkl. MwSt
  • Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 528
  • Ersterscheinung: 21.08.2020
  • ISBN: 9783423282352
Judith Zander

Johnny Ohneland

Roman | Ausgezeichnet mit dem Fontane-Preis 2021

A Girl named Johnny

Joana Wolkenzin weiß früh, dass sie anders ist. Sie liest stundenlang und lernt Songtexte auswendig; später verliebt sie sich in Jungs und in Mädchen. Im vorpommerschen Niemandsland der Neunziger gibt sie sich einen neuen Namen: Johnny. Aber bringt ein neuer Name auch neues Glück? Als die Mutter über Nacht die Familie verlässt, kreisen Johnny, ihr Bruder Charlie und ihr Vater auf wackligen Bahnen um eine leere Mitte. Schließlich macht Johnny sich auf die Suche nach einem Leben und einer Erzählung, die ihren eigenen Vorstellungen entsprechen, in Deutschland, Finnland und Australien.

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Veröffentlicht am 26.09.2020

A girl namend Johnny

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“A Girl namend Johnny.”

Joana Wolkenzin wächst in Vorpommern auf und ist anders, das fühlt und spürt sie. Ihre Interesse sind different zu denen der Gleichaltrigen, sie liest wahnsinnig viel und versinkt ...

“A Girl namend Johnny.”

Joana Wolkenzin wächst in Vorpommern auf und ist anders, das fühlt und spürt sie. Ihre Interesse sind different zu denen der Gleichaltrigen, sie liest wahnsinnig viel und versinkt in Büchern, sie lernt Liedtext auswenig, ist sehr sparsam und gerne mit sich alleine. Ganz klar ist schon früh, dass sie kein Mädchen sein möchte und nennt sich selber einfach um, in Johnny, wie der Westernheld in einem Film, den sie zuhause sieht. Ihre Klassenkameradinnen nennen sie Johnny-Mädchen, aber das ist ihr völlig schnuppe, sie steht dazu. Als sie älter wird verliebt sie sich in Mädchen und Jungen, hinterfragt ihre Sexualität, ist Frau und Mann zugleich. Johnny ist einsam begibt sich auf Reisen nach Finnland und Australien, führt komplizierte Beziehungen und sucht sich und ihr Glück in einer Welt, die aus Kategorisierung und Schubladendenken besteht.

“Das erwünschte Glück ist überschaubar und endlich, das unerwünschte Unglück hingegen unermesslich; man weiß ungefähr und manchmal genau, was man ersehnt, aber nicht, was man alles auf keinen Fall verwirklicht haben möchte.”

“Johnny Ohneland” habe ich in der Herbstvorschau des Verlages gesehen und wusste “ich will”, es war ein Gefühl und ich wurde völlig überrascht. Johnny ist mit sich selber im Gespräch auf der Metaebene, reflektiert und spricht zu sich selber als würde sie sich im Spiegel gegenüberstehen. So reist man mit Johnny durch viele Zeiten ihres Lebens. Die Sprache der Autorin ist auf hohem Niveau und der gesamte Roman hat eine besondere Melodik, einen ganz eigenen Rhythmus. Lieder, Songtexte und -auszüge, Zitate aus Gedichten ziehen sich durch die Seiten, passend und perfekt eingesetzt, poetisch und harmonisch.

“Und was konnte man tun? Fliehen,wohin? Es gibt nur ein Land und seine Einwohner heißen Menschen.”

Zentral ist Johnny's Suche nach sich selber, nach Halt, Glück, Beständigkeit und Sicherheit. Konflikte, abgesehen von dem mit sich selber, gibt es auch innerfamiliär so erfahren Leser
innen, dass der Vater nicht mit Empathie gesegnet, die Mutter nicht sonderlich warm ist und sie die Familie eines Tages still verlässt, Johnny und ihr Bruder sind mit dem Vater auf sich gestellt und das Leben würfelt neu. Zwischenmenschlich gerät Johnny immer wieder an Grenzen, Freundschaften oder ein soziales Netz sind nicht ihr Ding, weder der Aufbau, noch die Pflege. Im Sportunterricht ist sie eine der letzten, die aufgerufen wird in eine Gruppe, sie wird eingeladen zu Geburtstagen, Geheimnisse werden ihr auch anvertraut, aber dennoch ist es so, als wären die anderen der Meinung Johnny gehöre dazu, als wollten sie nicht wahrhaben, dass es nicht so ist. Das Dazugehören in gesellschaftliche Gefüge wird von Johnny als Erwartung empfunden, sie selber sieht sich nicht als den typischen Außenseiter, mehr als eine stille Randfigur.

“Eine Verliebtheit hatte mehr einer Schussverletzung zu gleichen, mich hat’s erwischt, einer Krankheit, gegen die man nichts auszurichten vermochte und deren Erreger zugleich die einzige bekannte Linderung darstellte. Dafür aber hieß es, den freien Willen restlos abzutreten, was als nicht so schlimm galt, da man es kaum merken würde. Dafür aber würde man die nicht in Worte zu fassende Glückseligkeit erlangen, man würde sprachlos sein.”

Johnny und die Liebe ist keine einfache Kombination, denn sie stürzt sich in destruktive Beziehungen, verliebt sich in Mann und Frau, weiß selber nicht ob sie Fisch oder Fleisch ist, ob das dazwischen denn genügt, ob es eine klare sexuelle Zuordnung braucht. In der Beziehung mit einem Mann, der klar auf Männer steht wird dieses Problem sehr deutlich, denn Johnny wird verlassen, weil der andere nicht weiter so tun kann, als sei Johnny ein Mann. Entscheidungsfreude ist keine Eigenschaft von Johnny, Entscheidungen sind immer auch innere Kampf bei ihr, sie empfindet diese eher als Verstopfung, denn aus allem wird zunächst eine Frage des Prinzips. Nachdem sie eine Entscheidung getroffen hat wird sie jedoch nie wieder in Frage gestellt. Diese schweren Geburten sind eigene Stolpersteine auf ihrem Weg.

“Zu viele Gedanken und Gefühle, oder wie mochte man bloß das Dazwischen, den Mischmasch daraus nennen, rieselten dir durch den Kopf, ein Gedankengestöber, Schneeersatz, ebenso still, aber nicht halb so schön.”

Es ist ein persönliches Highlight für 2020. Dieser Roman sprengt Grenzen, hat mich tief berührt, ist vielschichtig, intensiv, verworren, ernst, sehr anspruchsvoll und tiefgründig. Die sprachliche Gestaltung ist eine Wucht und großartig. Ein Hoch auf Johnny Ohneland und Judith Zander.

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Veröffentlicht am 29.01.2024

A Girl Called Johnny

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"...verstanden als Vorgang des Ersetzens. Des Auswaschens gar und Ausschwemmens alles Schädlichen oder nicht zu Gebrauchenden, und zwar aus dir selbst, durch den Einfluss und das Einströmen des Unbelasteten ...

"...verstanden als Vorgang des Ersetzens. Des Auswaschens gar und Ausschwemmens alles Schädlichen oder nicht zu Gebrauchenden, und zwar aus dir selbst, durch den Einfluss und das Einströmen des Unbelasteten und Nötigen, schlechthin Neuen, einer Blutwäsche, die dir nach und nach zurückhülfe [nein kein Tippfehler!] zu einem Johnnysein, das dir verschwommen und flirrend, fatamorganisch, mit neun oder zehn vorgeschwebt hatte, oder sagte man: war?, es war eine Uneindeutigkeit darum bis ins Grammatische hinein, und eben nach ihr sehntest du dich."

Sooo, nur, dass schon einmal klar ist, worauf man/frau/mensch sich einlässt bei der Lektüre von "Johnny Ohneland"... Es handelt sich bei diesem Roman nämlich nur oberflächlich um einen Identitätsfindungs-/Entwicklungsroman. Das ist nur die Tarnung für ein Sprachgewitter proustschen Ausmaßes. Inhaltlich geht es um Johnny, die als Joana 1981 in einer Kleinstadt Nordostdeutschlands geboren wurde, deren Mutter als sie 17 Jahre alt war, mir nichts dir nichts die Familie verlassen hat und deren Weg wir nun zwischen den Genderidentitäten und sexuellen Orientierungen hin und her verfolgen. Diese Reise passiert nicht nur innerhalb von Johnny und ihren sozialen Interaktionen sondern findet auch rein physisch statt mit Zwischenstopps in Finnland und Australien.

Fast schon als eigene, eigenwillige und mehr als nennenswerte Romanebene agiert aber auch die Sprache. An diesem "Ort" des Geschehens, spielt sich mitunter viel mehr als im Plot ab. Der Roman ist in einer Du-Ansprache-Form geschrieben und von der Zukunft auf die Vergangenheit blickend, in einer grammatischen Form, die ich kaum benennen kann. Diese "Neigung" der besonderen Sprache und das Durchdeklinieren jeglicher Gedankengänge, die nicht nur Johnny sondern auch die Autorin zu haben scheint, wird sogar konkret benannt: "Wie erwartbar, wie variationslos das Leben in seiner Ambivalenz doch irgendwann wird, alles hat zwei Seiten mindestens, das trifft immer zu. Das trifft, immerzu. Aber nicht unbedingt ins Schwarze, die Resultate dieser schwer zu kontrollierenden Neigung, die Worte doppelt und dreifach nutzbar zu machen, ihnen zweite und dritte Ebenen abzupressen, nichts umkommen zu lassen."

Mir kam beim Lesen dieses 525 Seiten langen Buches der Gedanke, dass man per Zufall irgendwelche Seiten daraus bei einem Poetry Slam vortragen könnte und aufgrund der Sprachgewalt wahrscheinlich sofort das Highlight des Abends wäre. Meines Erachtens ist der Reiz an einem solchen Abend, dass die Beiträge zeitlich begrenzt und dadurch in ihrem Umfang eingeschränkt und pointiert präsentiert werden. Über das vorliegende Buch in seiner kompletten Länge hinweg verliert der Stil jedoch seinen Highlight-Effekt. Da wirklich gefühlt jeder Satz inhaltlich wie sprachlich durchdekliniert wird, verblassen die Highlights nebeneinander. Sie nerven sogar zunehmend, weil mal die Drehungen und Wendungen der Sprache und Sprichwörter schon vorhersieht, wie bei einem schlechten Wortwitz. Das ist schade, denn so zieht sich das Buch und auch das Interesse an der Story als solcher sinkt. Es ist ein Spiel mit der Sprache und jedes Spiel wird auf Dauer langweilig.

Trotz allem handelt es sich hier um ein lesenswertes und ebenso außergewöhnliches Buch, was von mir sehr gute 3,5 Sterne erhält.

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