Cover-Bild Der restliche Sommer
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20,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Hoffmann und Campe
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 240
  • Ersterscheinung: 14.03.2018
  • ISBN: 9783455404944
Max Scharnigg

Der restliche Sommer

Roman

»Max Scharnigg schreibt kluge, magische, lichtdurchflutete, einzigartige Geschichten.« Mariana Leky

Ein verliebter Stilkolumnist, der sich einen einzigen Fehltritt leistet. Ein mysteriöser Anschlag, der in Wirklichkeit ein Leben rettet. Und eine Frau, die sich plötzlich daran erinnert, wer sie einmal sein wollte. Geschichten von Liebe und Unbehagen - in einer Zeit, die grundsätzlich eine Zumutung ist.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.05.2018

Der Mut zum Zweifeln

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„Der restliche Sommer“ bleibt den Protagonisten im gleichnamigen Buch von Max Scharnigg, um sich Ende Juli darum Gedanken zu machen, wie ihr weiterer Lebensweg sich gestalten soll. Auch das Cover trägt ...

„Der restliche Sommer“ bleibt den Protagonisten im gleichnamigen Buch von Max Scharnigg, um sich Ende Juli darum Gedanken zu machen, wie ihr weiterer Lebensweg sich gestalten soll. Auch das Cover trägt die Ungewissheit in sich. In Bezug auf den Inhalt des Romans wirft sich die Frage auf, ob ein Leben in sonnigen Gefilden unter Palmen der gewohnten Heimat im waldreichen Deutschland dauerhaft vorzuziehen ist.

Paul, Sara, Tin und Sonja sind die Protagonisten des Romans und stehen in ungleichem Wechsel in den Kapiteln im Fokus. Paul ist 45 Jahre alt und lebt seit zwölf Jahren vom Schreiben einer Kolumne über Benehmen im Knigge-Stil, die allerdings von den Lesern allmählich als hinterwäldlerisch und langweilend empfunden wird. Sara ist Künstlerin und kennt Tin von Jugend an. Sie hat sogar eine Zeit bei ihm gewohnt. Auf einer Lesung von Paul hat sie sich in ihn verliebt und vor zehn Monaten beschlossen, gemeinsam mit ihm, von allen Zwängen befreit am sonnigen Meer in wechselnden Ländern zu leben. Tin, 34 Jahre alt, hat einen Flug nach Portugal gebucht, wo Sara sich gerade mit Paul aufhält, weil er sich noch eine Chance auf Erwiderung seiner Liebe zu ihr erhofft. Er ist von Jugend an ein erfolgreicher Programmierer mit eigenem Unternehmen. Ein vermeintlicher Anschlag auf ihn am Flughafen macht seine Pläne zunichte und rettet gleichzeitig sein Leben. Sonja ist Paartherapeutin und die geschiedene Frau von Paul. Nach einem Radiointerview bekommen ihre Aussagen eine unverhofft große Aufmerksamkeit.

Max Scharnigg führt dem Leser mit seinen Charakteren vor Augen, dass das Leben unberechenbar ist. Manchmal nehmen wir eine Rolle ein, wie sie von uns erwartet wird und werden uns darüber erst später bewusst. So denkt man häufig von einer Künstlerin, dass sie neben Kreativität auch spontane Aktionen zeigen, von einer verheirateten Frau, dass sie ihren Mann umsorgen und sich um den Haushalt kümmern wird. Sara und Sonja kommen mit den Erwartungen zurecht, finden sich darin aber irgendwann nicht wieder.

Wer sich bequem in seinem Job eingerichtet hat, an den werden meist gar keine neuen Erwartungen gestellt. Damit kann man zufrieden sein oder auch nicht. Paul sucht an der Seite von Sara bereits nach neuen Wegen, ohne sich von den alten ganz lösen zu können. Für Tin ist die bevorstehende Reise ein ganz großer, aufregender Schritt raus aus seinem Nerd-Leben und der Einsamkeit seiner vollgestellten Wohnung.

Keiner ist zufrieden mit dem, was er gerade tut. Jeder der Charaktere hat sich seinen Beruf bereits als Jugendlicher ausgesucht und ihn im Zusammenleben mit einem Partner erprobt. Der Autor zeigt, dass der Mut zum Zweifeln, die Suche nach Selbstwert und das Einlassen auf Gelegenheiten neue Chancen bieten kann.

Max Scharnigg schreibt in einer sprachlich reichen Form mit einer leichten gesellschaftlichen Kritik. In seinen Beschreibungen ist für jeden etwas dabei, um sich darin wiederzufinden. Man spürt den Szenarien an, dass darin eigene Erfahrungen enthalten sind, das Übrige ergänzt er durch die Wiedergabe genauer Beobachtungen und Einfühlungsvermögen. Dennoch fehlt es ihm nicht an Fantasie, die zu einigen erheiternden Schilderungen führt. Gerne vergebe ich für diesen gleichzeitig ernsten und vergnüglichen Roman eine Leseempfehung.

Veröffentlicht am 18.05.2020

Ein Sprachkunstwerk von existenzieller Skurrilität

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Scharnigg gewährt uns einen tiefen Blick in die Psyche von vier Figuren mittleren Alters, die zwei Dinge gemeinsam haben: Sie stehen kurz vor einem tiefgreifenden Einschnitt in ihrem Leben, bei dem es ...

Scharnigg gewährt uns einen tiefen Blick in die Psyche von vier Figuren mittleren Alters, die zwei Dinge gemeinsam haben: Sie stehen kurz vor einem tiefgreifenden Einschnitt in ihrem Leben, bei dem es bei den einen um Leben und Tod, bei den anderen beiden um eine neue berufliche Orientierung geht. Und zweitens haben alle vier einen großen Spleen und ein pathologisches Selbstkonzept.
Da wäre Paul Neulich, der seit zwanzig Jahren eine viel gelesene wöchentliche Zeitungskolumne über Stil und galantes Benehmen in aller Herren Länder schreibt und sich als „Benimm-Papst“ einen Namen gemacht hat. Privat versucht er sich an diesem äußerlichen Gerüst von richtigen Umgangsformen festzuhalten, um sein geringes Selbstwertgefühl zu verschleiern. Er hat die „Körpersprache eines umsichtigen Diplomaten“, der „zu höflich ist, um mit ihm zu streiten“. Die zweite im Bunde ist die bekannte Paartherapeutin Sonja Wilms, die sich vor einem Jahr von Paul getrennt hat. Während eines Interviews verliert sie ihre professionelle Fassung, als die Journalistin ihr die Frage stellt, wie sie mit ihrer eigenen Trennung von dem berühmten Kolumnisten umgegangen sei und gibt persönliche, Paul wenig schmeichelnde Details preis und bricht in feministische Tiraden aus. Das Interview geht um die Welt und Sonja wird zur neuen Ikone des Feminismus‘. Nummer drei ist Sara Almeida, die kurz nach Pauls Trennung von Sonja bei ihm auf der Matte steht, obwohl sie selbst noch mit Tin Hasenglock, einem Computernerd, in einer Beziehung steckt. Paul hat sie in einer Talkshow beeindruckt, weil er die ganze Zeit so gut wie nichts gesagt hat, während sich die anderen zerfleischten. Es ist ein Leichtes für sie, sich Paul auf seiner nächsten Lesung zu angeln, da sie von blendender Schönheit und extrovertierter Offenheit ist, sodass ihr kaum ein Mann widerstehen kann. In der Schule war sie der „unwahrscheinlichste Star [...], der je in dieser kleinen Stadt aus einer Zweizimmerwohnung mit alleinerziehender Mutter gekommen und in den Schulbus gestiegen“ ist. Sie hat ihrer Rolle gemäß Kunst in London studiert und hangelt sich als „diplomierte Performancekünstlerin mit eher wenigen Engagements“ durch Leben. Als sie Paul für Recherchen nach Portugal begleitet, bleiben sie an der Algarve hängen, was fatale Folgen hat, die hier noch nicht verraten werden sollen. Zuletzt ist da noch Tin (vor Sara: Martin) Hasenglock. Er ist mit der „erstbesten Idee“, einer Art Dating-Plattform namens harpf.com, „bis zu einem eigenen Gebäude im Kreativcampus [...], unendlich Pizza“ und ausreichend Geld gekommen, und übt sich seit der Trennung von Sara im Liegenbleiben, „denn Aufstehen gehörte schon unter normalen Umständen nicht zu seinen Stärken.“ Aus angeblich beruflichen Gründen macht er sich auf den Weg nach Portugal, um Sara zu sehen, kommt dort allerdings nie an, da er auf dem Flughafen ohnmächtig wird und erst im Krankenhaus mit einem Loch im Bauch wieder aufwacht. Wie es dazu kommt, dürfen die Leser selbst entdecken. Tin hat dazu jedenfalls eine eigene hanebüchene Theorie. Neben diesen vier Hauptprotagonisten treten noch einige ebenfalls völlig aus der Norm geratene Figuren auf, über die sich die Leser köstlich amüsieren werden. Auffällig ist die Fülle an sprachlicher Virtuosität Scharniggs: Es wimmelt von kreativen Verknüpfungen, Vergleichen und Metaphern, die auch das Alltäglichste in poetische Höhen treiben. Zum Beispiel ärgert es Paul, dass sich zwei hessische Touristen in einer kleinen gemütlichen, eng besetzten Taverne in einer Lautstärke unterhalten, „als würden sie auf zwei Eisschollen auseinandertreiben“. Und überhaupt bewegten sich Urlauber in der Fremde mit „der Direktheit von Abrissbirnen.“ Sara hält Paul für einen besonderen „Fund“ und hätte dafür gerne eine „Bestätigung vom Amt für Denkmalpflege, dass sie mit Paul Neulich ein etwas angestaubtes, aber schützenswertes Objekt bezogen und dabei doch eine beachtliche Verliebtheit freigelegt“ hat. Auch Paul ist in Sara verliebt und sein „Laurel blüht“ nicht selten „kräftig“, doch er kann sich zurückhalten, denn zivilisierte Schönheit wiege mehr als ein paar anatomische Glücksmomente, weshalb ihm die Kolumne auch besser bekomme als jeder Besuch im Fitnessstudio. Trotz seines Stilbewusstseins kann er morgens im Bett gegen „seine dünnen hellen Haare“, die „wie etwas, das Ornithologen interessieren könnte [...] auf seinem Kopf zerknüllt“ liegen, nichts ausrichten. Das hält Sara aber nicht davon ab, ihre Hand über Pauls Rückseite wandern zu lassen, woraufhin er sich so zu ihr dreht, dass „diese kleine Wanderung einen für ihn denkbar günstigen Ausgang nehmen kann.“

Fazit: Wer eine ungewöhnliche Charakterdarstellung skurriler Figuren mit existenzielle Tiefe und in kreativer Sprachkunst lesen möchte, mit denen Scharnigg nicht zuletzt auch gesellschaftliche Zustände satirisch aufs Korn nimmt, der sollte „Der restliche Sommer“ lesen.

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Veröffentlicht am 15.05.2020

Nicht immer alles aufschieben

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In Max Scharniggs Roman „Der restliche Sommer“ stehen vier Protagonisten im Mittelpunkt, die ihrem Leben eine neue Richtung geben müssen. Paartherapeutin Sonja Wilms hat sich einige Zeit zuvor von ihrem ...

In Max Scharniggs Roman „Der restliche Sommer“ stehen vier Protagonisten im Mittelpunkt, die ihrem Leben eine neue Richtung geben müssen. Paartherapeutin Sonja Wilms hat sich einige Zeit zuvor von ihrem Mann Paul Neulich scheiden lassen und sucht im Schreiben ein neues Betätigungsfeld. Paul Neulich alias August Sternberg hat viele Jahre als Benimmpabst eine Kolumne für eine Zeitung geschrieben, in der er antiquierte Ratschläge für das Binden eines Windsorknotens oder den Gebrauch von Kragenstäbchen gab. Seine Zeit ist jedoch abgelaufen. Der Unmut der Leser über seine als reaktionär empfundenen Ansichten wächst. Zu diesem Zeitpunkt befindet er sich seit fast einem Jahr auf Reisen mit Sara Almeida, seiner neuen Liebe. Sara war als Schülerin eine alles überstrahlende Persönlichkeit, der man eine große Karriere voraussagte. Tatsächlich ist sie als Künstlerin gescheitert und hat lediglich einen enormen Verschleiß an Männern aufzuweisen. Das Paar hält sich an der portugiesischen Atlantikküste auf. Dann wird Paul in Ufernähe von einem giftigen Fisch gebissen, während Sara ohnehin bereits ein neues Leben ohne ihn plant. Der von Sara verlassene Partner Martin Hasenglock genannt Tin liegt derweil im Krankenhaus, wo die bei einem Bombenanschlag in der Abfertigungshalle des Flughafens erlittenen Verletzungen behandelt werden oder auch nicht. Die Ärzte sprechen von einer Darmkrebsoperation und von einer Rettung in letzter Minute. Im Krankenhaus lernt er die 19jährige Tove Boll kennen, die in einer angesagten Bio-Bäckerei bei der Arbeit mit einer veralteten Brotschneidemaschine zwei Finger verloren hat oder auch nicht. Tin, ein Weltmeister im Liegen und einer antriebslosen Lebensführung entwickelt neuen Schwung und trifft noch im Krankenhaus Entscheidungen für sein weiteres Leben.
Scharnigg hat eine ungewöhnliche, auch sprachlich hervorragende Geschichte über Lebensplanung und immer wieder hinausgeschobene Entscheidungen geschrieben. Er zeigt, dass wir nicht davon ausgehen können, dass immer noch genug Zeit bleibt, sondern dass wir hier und jetzt etwas ändern müssen, wenn unser Leben nicht an uns vorbeilaufen soll. Ein fesselnder Roman, der mich positiv überrascht hat.