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Veröffentlicht am 22.05.2025

Übersicht über wichtige Formen der Neurodiversität

Richtig anders - anders richtig
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In ihrem Buch „Richtig anders – anders richtig“ beschreiben die Autorinnen Kathrin Köller und Irmela Schautz den Kosmos der Neurodiversität, die die Vielfalt unserer Gehirne widerspiegelt. Jeder Mensch ...

In ihrem Buch „Richtig anders – anders richtig“ beschreiben die Autorinnen Kathrin Köller und Irmela Schautz den Kosmos der Neurodiversität, die die Vielfalt unserer Gehirne widerspiegelt. Jeder Mensch ist einzigartig und darum kann er nicht neurodivers sein, sondern ist ein Neurotyp, der im Vergleich mit anderen die Verschiedenartigkeit zeigt. Unsere Gesellschaft misst den Personen grundsätzlich an einer Mehrheit. Wessen Gehirn anders funktioniert, ist neurodivergent. Die Autorinnen widmen sich in drei Kapiteln den großen Abweichlern, die sogar in den beiden Krankheitskatalogen aufgeführt sind: ADHS, Legasthenie sowie Dyskalkulie und Autismus. Weitere Formen, am Rande des neurodivergenten Spektrum sind Synästhesie, Dyspraxie, Bipolarität und Hochsensibilität. Sie werden kurz erklärt, aber nicht weiter ausgeführt.

Kathrin Köller und Irmela Schautz möchten betroffene Menschen mit ihren Ausführungen stärken und ihnen zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen, unter anderem, damit sie offen mit ihrer Neurodivergenz umgehen. Zugleich richten sich ihre Beiträge an all jene, die bisher wenig oder gar nichts über neurologische Störungen gehört haben. In der Gesellschaft kursieren viele Vorurteile, die durch das hier vermittelte fundierte Wissen abgebaut werden können. Eine Diagnose kann erleichternd sein, führt jedoch leider noch immer viel zu oft zur Stigmatisierung.

Niemand sollte sich zurückziehen, betonen die Autorinnen, wenn er denkt, dass er anders als der Durchschnitt ist. Sie heben hervor, dass es wichtig ist, sich professionelle Hilfe zu suchen, um die Unterstützung zu erfahren, die möglich ist. Verschweigen kann zu einer Abwärtsspirale führen. Es ist eine Gratwanderung zwischen den Konnotationen „einfach nur anders“ und „behindert“, was benötigte Therapie und Nachhilfe bereitstellt. Die jeweiligen Störungen sind komplex und für jede und jeden muss eine individuelle Hilfe gefunden werden.

In den Texten, die mit dem Button „Hero“, „Voices“, „Interviews“ oder „Porträt“ gekennzeichnet sind, werden Betroffene mal kürzer, mal länger vorgestellt oder kommen selbst zu Wort. Zahlreiche farbige Illustrationen verdeutlichen das im Text Beschriebene und sprechen bereits eine jüngere Leserschaft an. Das Buch ist ab elf Jahren konzipiert. Ich empfehle es auch Erwachsenen, sich mit den Begrifflichkeiten auseinanderzusetzen und dabei mehr über Neurodivergenzen zu erfahren.

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Veröffentlicht am 17.05.2025

Unterhaltender und gut durchdachter Kriminalroman

Freunderlwirtschaft
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Ihren Kriminalroman „Freunderlwirtschaft“ siedelt Petra Hartlieb im politischen Umfeld Österreichs an. Max Langwieser, der Minister für Landwirtschaft und Tourismus, ist im Wohnzimmer seiner Penthouse-Wohnung ...

Ihren Kriminalroman „Freunderlwirtschaft“ siedelt Petra Hartlieb im politischen Umfeld Österreichs an. Max Langwieser, der Minister für Landwirtschaft und Tourismus, ist im Wohnzimmer seiner Penthouse-Wohnung gestürzt und hat sich dabei tödlich verletzt. Seine Verlobte und Mitbewohnerin Jessica ist geflohen und unauffindbar. Die Wiener Hauptkommissarin Alma Oberkofler, die erst vor einigen Tagen ihre Stelle angetreten hat, findet Anhaltspunkte dafür, dass der Tote nicht durch einen Unfall starb. Die Hinweise reichen bis in die inneren Kreise der Regierung.

Bereits der Titel des Buchs deutet den Hintergrund für den Ermittlungsfall an: Freunderlwirtschaft steht für eine Bevorzugung von Verwandten, Freunden und Bekannten unter anderem bei der Vergabe von Aufträgen wie im vorliegenden Fall. Auf der anderen Seite gilt auch das Sprichwort „eine Hand wäscht die andere“ und sich aus einem einmal eingegangenen Deal zurückzuziehen ist schwierig. Die Farbe des Covers nimmt Anspielung auf eine österreichische Partei. Aus den Kapitelüberschriften ergibt sich jeweils ein kleiner Hinweis auf den Inhalt des folgenden Kapitels.

Petra Hartlieb versteht es gut, ihren Figuren einen ansprechenden Hintergrund zu geben. Von Alma erfährt der Lesende, warum sie zur Kriminalpolizei gegangen ist. Sie erzählt davon, dass das Opfer und seine Verlobte sich von Kindheit an kannten und beschreibt, wie die beiden zueinandergefunden haben. Anders als Alma erfahren die Leserin und der Leser den Aufenthaltsort von Jessica zu einem frühen Zeitpunkt. Ihre Gründe für eine Flucht werden Stück für Stück aufgedeckt, sodass der Fall ein weiteres Spannungselement erhält. Die Autorin hat Verwicklungen konstruiert, die an tatsächlichen Begebenheiten aus den 1970er-Jahren anlehnen.

„Freunderlwirtschaft“ von Petra Hartlieb ist ein unterhaltender und gut durchdachter Kriminalroman, der politische Themen aufgreift und stellenweise Kritik an der Gesellschaft übt. Die Autorin kreiert mit viel Empathie interessante Charaktere, die in einer vielschichtigen Handlung realistisch agieren. Gerne empfehle ich das Buch an Lesende weiter, die Krimis mit politischem Hintergrund mögen.

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Veröffentlicht am 13.05.2025

Bewegender Roman über Freundschaften, Hoffnung, Verzeihen

Geheimname Eisvogel
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Die in England lebende Liz Kessler verknüpft in ihrem Jugendbuch „Geheimname Eisvogel“ das aktuelle Thema Mobbing mit dem historischen Kontext des Antisemitismus.

Die Protagonistin Liv besucht die achte ...

Die in England lebende Liz Kessler verknüpft in ihrem Jugendbuch „Geheimname Eisvogel“ das aktuelle Thema Mobbing mit dem historischen Kontext des Antisemitismus.

Die Protagonistin Liv besucht die achte Klasse und erlebt, dass sich ihre beste Freundin von ihr abwendet und sie mit der Unterstützung neuer Freundinnen zunehmend provoziert. In Gabi, einer Klassenkameradin, mit der sie bisher wenig Kontakt hatte, findet sie unerwartet eine stille, besonnene Verbündete. Als Livs über 90-jährige Großmutter Bubbe aufgrund ihrer Demenz in ein Seniorenheim zieht, entdecken Liv und Gabi bei der Auflösung ihres Haushalts auf dem Dachboden einen Stapel mit alten Dokumenten und Fotografien. Eines der Fotos zeigt ein Ehepaar mit zwei Jungen und zwei Mädchen. Auf der Rückseite sind sie als Mila und Hannie bezeichnet. Das Bild ist auf den Juli 1942 datiert und in Amsterdam aufgenommen. Liv versteht zunächst nicht, weshalb sich das Foto im Besitz ihrer Großmutter befindet.

In einem parallelen Handlungsstrang erzählt die Autorin von der zwölfjährigen Mila und ihrer älteren Schwester Hannie. Die beiden jüdischen Mädchen wurden im Zweiten Weltkrieg von ihren Eltern mit neuer Identität ausgestattet und an eine arische Familie gegeben, um einer drohenden Deportation zu entgehen. Hannie entwickelt ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und schließt sich und dem Codenamen Eisvogel einer Widerstandsbewegung an, für die sie geheime Botengänge übernimmt. Mila hingegen leidet zunehmend unter der wachsenden Distanz zu ihrer Schwester.

Sowohl Liv wie auch Mila berichten in der Ich-Perspektive, wodurch ihre Erlebnisse und Empfindungen dem Lesenden besonders eindringlich nahegebracht werden. Auch wenn ihre Lebenswelten kaum vergleichbar sind, spiegelnd die Sorgen der beiden Mädchen und Milas Schwester Hannie auf unterschiedliche Weise wichtige Probleme ihrer jeweiligen Generation wider. Gemeinsam ist ihnen der Mut, sich gegen unterschiedlicher Formen von Ausgrenzung und Ungerechtigkeit zu wehren.

Um die Erzählung noch lebendiger zu gestalten, spielt Liz Kessler zusätzlich mit weiteren Erzählperspektiven. Durch die geschickte Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart rückt sie ein historisches Kapitel in den Fokus von jungen Lesenden. Das Buch spricht jedoch auch ältere Leserinnen und Leser an.

„Geheimname Eisvogel“ ist ein bewegender Roman über Freundschaften, Hoffnung, Verzeihen und Akzeptanz des Unvermeidlichen, bei der nicht alles zum Besten endet, aber gerade dadurch tief berührt und nachhallt. Die Autorin Liz Kessler zeigt eindrucksvoll ein unrühmliches Kapitel der Geschichte, das bis in unsere Gegenwart greift und nicht in Vergessenheit geraten sollte. Die thematisierten Aspekte haben tiefgehende Bedeutung, so dass das Buch auch für den Einsatz in Schulklassen geeignet ist. Ich empfehle es daher ausdrücklich weiter.

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Veröffentlicht am 13.05.2025

Herausforderung Angststörung

Mut beginnt im Herzen
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In „Mut beginnt im Herzen“ schildert Tessa Randau einfühlsam und authentisch, wie eine unbenannte Frau zunehmend mit teils massiven Angstattacken zu kämpfen hat. In der Danksagung am Ende des Buchs erklärt ...

In „Mut beginnt im Herzen“ schildert Tessa Randau einfühlsam und authentisch, wie eine unbenannte Frau zunehmend mit teils massiven Angstattacken zu kämpfen hat. In der Danksagung am Ende des Buchs erklärt sie, dass eigene Erfahrungen in die Geschichte eingeflossen sind. In einer ersten Szene fährt eine namenlose verheiratete Frau, Ende dreißig, mit ihrem sechsjährigen Sohn und ihrer neunjährigen Tochter mit dem Zug nach Hause. Vor der Abfahrt wird sie von einer Panikattacke überwältigt. So oder so ähnlich hat auch die Autorin eine entsprechende Situation erlebt.

Die Protagonistin ist im Beruf überfordert. Weil ihr Mann auswärts arbeitet, kümmert sie sich in der Woche allein um die Kinder und das Haus. Außerdem besucht sie regelmäßig ihre Mutter, für die sie einkauft. Um ihrer geliebten Gartenarbeit nachzugehen, fehlt ihr meist die Zeit. Auch für Entspannungseinheiten bleibt im hektischen Alltag kaum Raum. Sie fühlt sich müde und erschöpft. Obwohl sie meist weiß, dass die Dinge, vor denen sie Angst hat, irreal sind, gelingt es ihr nicht, diese zu überwinden. Stattdessen versucht sie, ihr auszuweichen. Inzwischen hat sie Angst vor der Angst. Zunächst lässt Tessa Randau einfache Möglichkeiten der Beruhigung einfließen. Wichtig fand ich es, den psychologischen Notruf zu erwähnen. Es dauert einige Zeit, bis die unbenannte Frau sich professionelle Hilfe sucht.

Zu Beginn des Buchs wird auf das behandelte schwierige Thema explizit hingewiesen. Personen, die unter Angststörungen leiden oder Leserinnen und Leser, die feinfühlig sind, können von der Erzählung getriggert werden. Die Autorin beschreibt unterschiedliche Ängste mit Überlegungen zu deren Entstehung. Sie schildert das Geschehen greifbar, sodass man als Lesende mitfühlt. „Mut beginnt im Herzen“ erzählt auch die schrittweise Befreiung von der Angst durch Zuversicht und der Bereitschaft zur Veränderung. Als Stress- und Burnout-Beraterin und ihren eigenen Erfahrungen versteht Tessa Randau es, sinnvolle Tipps zu geben und regt dazu an, sich der Herausforderung auf verschiedene Weise zu stellen. Gerne empfehle ich das Buch als Ratgeberlektüre weiter, aber auch an diejenigen, die sich über ein Leben mit Angststörungen informieren möchten.

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Veröffentlicht am 06.05.2025

Atmosphärisch dicht und fein komponiert

Die Summe unserer Teile
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In ihrem Debütroman „Die Summe unserer Teile“ erzählt Paola Lopez von drei Frauen: Lucy, ihrer Mutter Daria und deren Mutter Mila. Die Handlung beginnt im Jahr 2014, reicht jedoch über siebzig Jahre in ...

In ihrem Debütroman „Die Summe unserer Teile“ erzählt Paola Lopez von drei Frauen: Lucy, ihrer Mutter Daria und deren Mutter Mila. Die Handlung beginnt im Jahr 2014, reicht jedoch über siebzig Jahre in die Vergangenheit zurück und überschreitet dabei auch Ländergrenzen. Lucy wurde in München geboren, lebt aber inzwischen in Berlin. Ihre Mutter kam Anfang der 1970er Jahre zum Studium in die Hauptstadt Bayerns gekommen, doch zur Welt gekommen ist sie in Beirut. Infolge des Zweiten Weltkriegs gelangt Mila von ihrer Heimat Polen in den Libanon. Der unerschütterliche Wille zur Selbstbestimmung verbindet die drei Frauen.

Eines Tages erhält Lucy unerwartet einen Konzertflügel, den ihre Mutter unter ihrem Mädchennamen an die neue Anschrift ihrer Tochter in der Wohngemeinschaft in Berlin transportieren lässt, die sie eigentlich nicht kennen kann. Lucy wird dadurch veranlasst, über ihr bisheriges Leben und das schwierige Verhältnis zu ihrer Familie nachzudenken. Sie trägt genauso wie ihre Großmutter den Vornamen Lyudmila, doch sie hat diese nie bewusst kennenlernen können. Nachdem ihr Mitbewohner erneut mit ihrer besten Freundin zusammenkommt, nimmt es Lucy den Atem und sie stellt fest, dass sie dringend eine Veränderung braucht. Kurzfristig beschließt sie, nach Polen zu reisen, um dort einer Spur zu folgen, die sie näher an das Leben ihrer Großmutter heranführen soll.

Die Studienjahre der Frauen sorgen bei allen dreien für große Veränderungen. Mila verschafft sich bei ihrem Chemiestudium in Beirut, das sie bevorzugt aufgrund ihrer Deutschkenntnisse aufnehmen konnte, nach kurzer Zeit den Respekt ihres Vorgesetzten und den ihrer Kolleginnen und Kollegen. Erst nach einigen Jahren ihrer Ehe mit einem Chemiker kommt ihre Tochter Daria zur Welt, die ihre Mutter als kühl und abweisend in Erinnerung hat. Aufgrund des Wunschs ihrer Eltern beginnt sie später ein Medizinstudium in München, bei dem sie ihren zukünftigen Ehemann kennenlernt. Lucy hingegen studiert Informatik und entwickelt Computerspiele. Mit ihrer Mutter hat sie seit drei Jahre kein Wort gewechselt.

Der Autorin gelingt es, die zwischenmenschlichen Spannungen nicht nur über Dialoge, sondern vor allem über stille Handlungen sichtbar zu machen. Jede der Frauen sucht einen Weg, alte Muster zu durchbrechen, die bisher gekannten Grenzen hinter sich zu lassen und eine eigene Identität zu formen. In ihrem Anspruch, stets beste Leistungen in allem zu zeigen, vergessen sie die Relevanz der Kommunikation, was zu tragischen Missverständnissen mit weitreichenden Folgen führt.

Paola Lopez zeigt mit großer Empathie die Verletzlichkeit ihrer Figuren und lässt nachvollziehbar werden, warum es an Verständnis füreinander fehlt. Erst im weiteren Verlauf der Erzählung lüftet sie ein Geheimnis, das die erwartete Summe aus dem Zusammenfügen der Teile der Familiengeschichte hinauswachsen lässt. Als Leserin hat mich dieser atmosphärisch dichte und fein komponierte Roman an vielen Stellen tief berührt, sodass ich dieses eindrucksvolle literarische Debüt sehr gerne weiterempfehle.

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