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Veröffentlicht am 24.03.2024

Wiedersehen mit Tabor Süden

Lichtjahre im Dunkel
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In München verschwindet eines Tages Leo Ahorn, der Besitzer eines Schreibwarenladens spurlos. Seine Frau erfindet im Bekanntenkreis Lügengeschichten, um die Abwesenheit ihres Mannes zu erklären. Sie will ...


In München verschwindet eines Tages Leo Ahorn, der Besitzer eines Schreibwarenladens spurlos. Seine Frau erfindet im Bekanntenkreis Lügengeschichten, um die Abwesenheit ihres Mannes zu erklären. Sie will auf keinen Fall die Polizei einschalten und engagiert schließlich Privatdetektiv Tabor Süden, der vor allem die Ehefrau und die Stammgäste von Leos Lieblingskneipe befragt – lange ohne jeden Erfolg. Dann wird im Kofferraum eines teuren Autos eine männliche Leiche gefunden. Die Polizei ermittelt nun ebenfalls, und für den Leser gibt es eine Wiederbegegnung mit Oberkommissarin Fariza Nasri. Die Ehe der Ahorns war praktisch beendet, und der Laden stand kurz vor der Pleite. Leo hatte eine neue Geschäftsidee und suchte vor seinem Verschwinden unter den Kneipenbekanntschaften verzweifelt nach einem Geldgeber, vergeblich. Er wurde dort stark angetrunken bei seiner Bettelei oft so laut und aggressiv, dass die Angestellte Britta ihn vor die Tür setzen musste.
Im Laufe des Romans wird die Verbindung der Schicksale von vier Menschen immer deutlicher. Dazu gehört auch der Berliner Sandro Fels aus dem Rotlichtmilieu, der Leo und den Umzugsunternehmer Georg Kramer tagelang in München beobachtet. Wie die Schicksale dieser Männer und der Ehefrau Viola Ahorn zusammenhängen, wird im letzten Drittel des Romans enthüllt und schafft die einzigen Spannungsmomente in diesem Roman, der zu Recht auf dem Cover nicht als Krimi bezeichnet wird. Das reicht mir nicht. Mir war die Darstellung insgesamt zu breit und handlungsarm. Da kann auch die kurz beschriebene Liebesbeziehung zwischen Tabor Süden und Fariza Nasri nichts mehr retten. Ich kenne viele Romane des Autors, die mir wesentlich besser gefallen haben. Insofern war Anis neues Werk für mich eine Enttäuschung.

Veröffentlicht am 24.03.2024

Ein Leben zwischen zwei Welten

Issa
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Issa, eine junge Frau, die die ersten Jahre ihrer Kindheit in Kamerun verbrachte, dann aber mit der Mutter nach Hessen zog, befindet sich im Flugzeug nach Douala. Sie ist schwanger, und sowohl Mutter und ...

Issa, eine junge Frau, die die ersten Jahre ihrer Kindheit in Kamerun verbrachte, dann aber mit der Mutter nach Hessen zog, befindet sich im Flugzeug nach Douala. Sie ist schwanger, und sowohl Mutter und Tochter hatten unheilverkündende Träume, die ihren Tod bei der Geburt bedeuten könnten. Deshalb drängt die Mutter Issa, in der alten Heimat die traditionellen Rituale durchführen zu lassen, die ein gesundes Kind und das eigene Überleben sichern. Issa ist damit einverstanden, weil sie Abstand von ihrem bisherigen Leben und eine Auszeit für die kriselnde Beziehung mit ihrem Freund braucht. Am Ort ihrer Kindheit trifft sie unzählige Verwandte, vor allem ihre Großmutter Namondo und ihre Urgroßmutter Marijoh. Sie vollzieht die Rituale und geht als ein anderer Mensch daraus hervor. Sie lernt, dass sie sich nicht für ein Land und eine Familie entscheiden muss, dass sie, ein Recht auf ein gutes Leben in Freiheit hat. Sie sieht sich als Fortsetzung einer langen Reihe von Müttern und ist überzeugt, dass alle in ihr weiterleben und sie ihr Erbe an das eigene Kind weitergibt.
Diese Erkenntnis spiegelt die Struktur des Romans, denn die Geschichte umfasst einen Zeitraum von gut 100 Jahren – 1903-2006 – und schildert das Leben von fünf Generationen von Frauen, die viel Leid und Gewalt erfahren haben. Frauen waren machtlos in patriarchalischen Gesellschaften, wurden geprügelt und vergewaltigt, wie es Urgroßmutter Enanga durch den Deutschen Wilhelm widerfuhr, die fast noch ein Kind war, als sie geschwängert und später vom eigenen Vater vertrieben wurde, weil sie der Familie angeblich Unglück brachte. Das soziale Gefüge mit Polygamie und Patriarchat spielt eine wichtige Rolle genauso wie die politischen Verhältnisse in der Kolonialzeit, während der Weltkriege und danach, gekennzeichnet durch unvorstellbare Gewalt und immer noch andauernde Ausbeutung. Ich habe diesen interessanten Roman mit dem wunderschönen, sehr passenden Cover sehr gern gelesen und empfehle ihn ohne Einschränkung.

Veröffentlicht am 14.03.2024

Eine schwierige Liebesbeziehung

Paare
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Eine junge Frau in den Zwanzigern hat eine längere Beziehung mit einem Mann, in der beide nicht glücklich sind, so dass es häufig zu Streit kommt. Dann verliebt sich die Protagonistin in eine andere Frau ...

Eine junge Frau in den Zwanzigern hat eine längere Beziehung mit einem Mann, in der beide nicht glücklich sind, so dass es häufig zu Streit kommt. Dann verliebt sich die Protagonistin in eine andere Frau und geht zum ersten Mal in ihrem Leben eine lesbische Beziehung ein. Der Mann trennt sich daraufhin von ihr. Auch mit der Freundin wird sie nicht glücklich, denn diese verlangt irgendwann Exklusivität von ihr, ist aber selbst nicht bereit, auf ihre zahlreichen Kontakte zu anderen Frauen zu verzichten. So ist das Ende auch für den Leser dieser ungewöhnlichen Liebesgeschichte, in der explizit dargestellte sexuelle Kontakte eine große Rolle spielen, schon bald abzusehen. Auch diese Beziehung geht zu Ende. Wenn die Protagonistin am Ende Bilanz zieht, betont sie, dass sie viel gelernt hat, vor allem auf dem Weg der Selbsterkenntnis große Fortschritte gemacht hat.

Der Roman ist formal ein ungewöhnliches Experiment, denn er besteht zur Hälfte aus Paarreimen, zur anderen aus teilweise sehr poetischer Prosa, was sicherlich damit zu tun hat, dass die Autorin eine Dichterin ist. Interessanterweise spielt der deutsche Titel „Paare“ sowohl auf die Liebesbeziehungen zwischen Männern und Frauen an als auch auf Reimpaare/Paarreime, während der Originaltitel „Couplets“ sich nur auf die gewählte sprachliche Form in einem Teil des Romans bezieht.

Für mich war dieses Buch ein interessantes Experiment, das mich aber nicht begeistert hat. Es fehlt an Handlungselementen und jeglicher Verortung in Zeit und Raum. Außerdem bleiben die Nebenfiguren – der Ex-Freund und die Geliebte – zu blass. Der Leser wird nur über die Gier und Besessenheit, den Kummer und die Verlusterfahrungen der Protagonistin informiert. Das ist mir zu wenig.

Veröffentlicht am 10.03.2024

Sklavenleben

James
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In seinem Roman “James“ schreibt Percival Everett Mark Twains berühmten Roman “Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ um, indem er zwar die Charaktere Huck und Jim und zahlreiche Episoden übernimmt, jedoch ...


In seinem Roman “James“ schreibt Percival Everett Mark Twains berühmten Roman “Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ um, indem er zwar die Charaktere Huck und Jim und zahlreiche Episoden übernimmt, jedoch den Sklaven James - genannt Jim - zur zentralen Figur macht. Jim kann lesen und schreiben, verbirgt seine Kenntnisse und Intelligenz aber hinter dem primitiven Südstaatendialekt, den Sklaven sprechen, um nicht die Aufmerksamkeit der Weißen zu erregen, die Farbige für minderwertig, nicht besser als Tiere halten. Eines Tages erfährt er, dass er verkauft werden soll und flieht, weil ein Verkauf bedeuten würden, dass er seine Frau Sadie und seine kleine Tochter Lizzie nie wiedersehen würde. Huck schließt sich ihm an, indem er seinen Tod vortäuscht, weil sein Vater, ein Alkoholiker, zurückgekehrt ist und ihn brutal misshandelt. Sie nehmen ein fremdes Ruderboot, bauen sich später ein Floß und fahren den Mississippi entlang. Zeitweise verstecken sie sich auf einer Insel im Fluss. Während ihrer Flucht erleben sie Abenteuer und gefährliche Begegnungen und werden zeitweise getrennt. Jim wird von seinem Aufseher und anderen Weißen gesucht, und sein Leben ist ständig in Gefahr.
Everetts Roman ist sehr gelungen, beschreibt er doch in teilweise sehr brutalen Szenen, wie es den rechtlosen Schwarzen in der Zeit der Sklaverei erging. Sie wurden ständig ausgepeitscht, für Kleinigkeiten aufgehängt, und wenn ein Mob einen Lynchmord verübte, wurde niemand strafrechtlich verfolgt, weil es nicht möglich war, einen Einzeltäter anzuklagen. Hinzukamen Farmen, wo Farbige für den Weiterverkauf gezüchtet wurden. Wenn ich Donald Trumps lächerliche Parole “Make America great again“ höre, denke ich automatisch an das menschenverachtende System des Sklavenhandels, nicht nur an die Vernichtung und Vertreibung der indigenen Völker.
Ich habe dieses Buch gern gelesen, enthält es doch neben den brutalen auch humorvolle, recht witzige Passagen, nicht zuletzt auch, weil der Übersetzer einen Dialekt erfindet, der geschickt die Sprache der Sklaven des Originals imitiert.
“James“ ist eine gelungene Adaptation von Twains Meisterwerk, zeitlos mit seiner Thematik, weil es Rassismus auch im 21. Jahrhundert noch gibt, nicht nur in den USA. Ich empfehle dieses Buch ohne Einschränkung.

Veröffentlicht am 18.02.2024

Der Elefant im Raum

Ein falsches Wort
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In ihrem Roman “Ein falsches Wort“ schreibt Vigdis Hjorth die Geschichte einer dysfunktionalen Familie aus der Sicht der ältesten Tochter Bergljot. Im Alter zwischen 5 und 7 wurde sie von ihrem Vater ...


In ihrem Roman “Ein falsches Wort“ schreibt Vigdis Hjorth die Geschichte einer dysfunktionalen Familie aus der Sicht der ältesten Tochter Bergljot. Im Alter zwischen 5 und 7 wurde sie von ihrem Vater missbraucht, ein Trauma, das ihr ganzes Leben überschattete, obwohl sie nach Zusammenbrüchen durch eine Psychotherapie Hilfe suchte. Als sie sich in ihrer Kindheit und Jugend immer deutlicher an die Geschehnisse erinnerte, fand sie in ihrer Familie keine Unterstützung, im Gegenteil. Die Mutter beschützte sie nicht und ließ nicht zu, dass die Wahrheit ans Licht kam. Ein öffentlicher Skandal hätte ihr Ansehen beschädigt und das Ende ihrer Ehe bedeutet, die durch ihre Affaire mit Rolf Sandberg ohnehin gefährdet war. Stattdessen beschimpfte sie ihre Tochter als psychopathische Lügnerin, die nur Aufmerksamkeit erregen wolle, wann immer diese über das Geheimnis sprechen wollte. Deshalb hat Bergljot vor 23 Jahren jeglichen Kontakt mit ihren Eltern und ihren jüngeren Schwestern abgebrochen und ihr Elternhaus nie wieder betreten. Dann kommt es zu Streitigkeiten über das Testament des Vaters, der seinen beträchtlichen Besitz letztlich doch nicht gerecht unter seinen vier Kindern aufteilen wollte. Vor allem Bard, der älteste, kann sich mit seinem Wunsch, die beiden Hütten auf der Insel Hvaler allen Geschwistern und ihren Familien zugänglich zu machen, nicht durchsetzen. Bei einem Notartermin kommt es zum letzten Eklat, als Bergljot ihren vorbereiteten Text über den Missbrauch vorliest. Bis auf den Bruder Bard ist niemand auf ihrer Seite, und niemand ist bereit ihr zu glauben und ihr zuzugestehen, dass das Verbrechen ihres Vaters ihr Leben ruiniert hat. Das Unausgesprochene war bei jeder Begegnung mit der Familie für Bergljot präsent wie ein Elefant im Raum. Nach einer solchen Vorgeschichte ist Verzeihen und Vergessen nicht möglich.
Mir hat der wohl autobiografisch geprägte Roman gut gefallen, obwohl wegen der Technik des umgestellten Erzählens die zeitlichen Abläufe nicht immer klar sind. Da wird zum Beispiel über die Silvesterparty berichtet und danach ausführlich über die Beerdigung des Vaters im Dezember und das Weihnachtsfest. Es gibt wenig eigentliche Handlung im Roman. Dafür wiederholen sich Gedanken und Ereignisse in der Darstellung genauso, wie sie die Protagonistin in einer Art Endlosschleife quälen. Das ist nicht jedermanns Sache. Einwände habe ich im Übrigen gegen die sprachliche Qualität der Übersetzung. Die Übersetzerin, die so viele Sprachen beherrscht, hat das Deutsche wohl ein bisschen verlernt. Das ließe sich vielleicht bis zur Veröffentlichung im März noch korrigieren. Ansonsten durchaus empfehlenswert.