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Veröffentlicht am 20.01.2021

Ein wahrer Genuß in diesem Buch zu lesen, zu schmökern und die Bilder zu betrachten!

Der lächelnde Odd und die Reise nach Asgard
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Tief in den Wäldern des Nordens begegnet der Wikingerjunge Odd den Göttern Odin, Thor und Loki. Die drei nehmen den Jungen mit auf eine abenteuerliche Reise nach Asgard, die Götterstadt. Denn nur einer ...

Tief in den Wäldern des Nordens begegnet der Wikingerjunge Odd den Göttern Odin, Thor und Loki. Die drei nehmen den Jungen mit auf eine abenteuerliche Reise nach Asgard, die Götterstadt. Denn nur einer wie Odd kann die Eisriesen von dort vertreiben und die Welt vom ewigen Winter befreien: Einer, der so fröhlich ist, einer, der so glücklich ist – wie Odd ... (Klappentext)

❆❆❆❆❆

"Anfang März war der schlimmste Teil des Winters vorüber. Der Schnee taute, die Flüsse schwollen an und die Welt erwachte zu neuem Leben.
Nur in diesem Jahr nicht."
(S. 14)



In Norwegen lebte einst ein Wikingerjunge von 12 Jahren namens Odd. In seinem Wikingerdorf hatte er es nicht leicht. Sein Vater starb auf hoher See, bei einem Holzhacker-Unfall zertrümmerte sich Odd ein Bein und konnte sich nur noch mit einer Krücke fortbewegen und als seine Mutter Elfred den Fetten heiratete, hatte er es auch zu Hause schwer.
Trotz all dieser Schicksalsschläge verlor Odd nie sein Lächeln. Selbst als plötzlich der Winter nicht mehr enden wollte lächelte Odd. Ja, er lächelte immerzu und dies beunruhigte die Dorfbewohner.
Schließlich zog der Junge tief in den Wald in die frühere Holzfällerhütte seines Vaters. Dort machte er auf wunderliche Weise die Bekanntschaft mit einem Bären, einem Fuchs und einem Adler. Noch wunderlicher wurde es, als sich herausstellte, dass es sich hierbei um niemand Geringeres als um die Götter Thor, Loki und den Göttervater Odin handelte. Diese befinden sich jedoch keineswegs freiwillig in dieser "Verkleidung". Die Eisriesen haben Asgard eingenommen und dies war auch der Grund, weshalb der ewige Winter auch in Midgard, der Menschenwelt, herrschte.
Und so machten sich die vier ungewöhnlichen Gefährten auf den Weg nach Asgard, um den Eisriesen das Fürchten zu lehren und diese wieder zu vertreiben.
Möge das Abenteuer beginnen.

Hier eröffnet sich einem eine wunderbare Geschichte, welche einen kleinen Teil der nordischen Mythologie  aus der Sicht eines kleinen Menschenkindes namens Odd erzählt und in der nicht die Götter, sondern dieser kleine Junge der Held der Geschichte ist.
Diese kommt ganz ohne Action und Rambazamba aus und besticht eher durch Witz und einer kleinen und wunderschönen Moral.

"Wenn Magie bedeutet, dass man jenen Dingen den Lauf lässt, den sie sowieso nehmen wollten, oder sie werden lässt, was sie sowieso werden wollten... "
(S. 103)



Hier ist niemand perfekt und allwissend, schon gar nicht die Götter und auch die Eisriesen sind nicht nur böse.
Jeder hat so seine Stärken und Schwächen. Es kommt nur ganz alleine darauf an wie man diese einsetzt.
Odd hat zwar einen verkrüppelten Fuß, lässt sich dennoch nicht davon abhalten mit den Göttern loszuziehen, um Asgard zu retten. Gemeinsam ist man eben stark.
Weiters besitzt er ein entwaffnendes Lächeln und schafft es allein durch reden und zuhören dem Eisriesen wieder zurückzuschicken. Man muss eben nicht immer kämpfen und laut herumschreien.

Neil Gaiman ist ein begnadeter Geschichtenerzähler und kann mit seiner atmosphärischen Schreib- und Erzählweise Kinder und Erwachsene gleichermaßen in seinen Bann ziehen.
Dieses Buch eignet sich nicht nur für Kinder ab 10 Jahren, um selbst in diese fantastische Welt der Götter zu reisen, sondern auch, um es kleineren Kindern vorzulesen. Am besten unter einer Decke zusammengekuschelt und heißen Kakao schlürfend. Dies jedoch nicht nur aufgrund der kindgerechten Sprache und der Geschichte, die im Stil eines Märchens daherkommt. Hier gibt es nämlich auch allerhand zu sehen und zu entdecken.

"Odd zuckte bloß die Achseln und lächelte weiter. Es war jenes breite, verstörende Lächeln, das ihm zu Hause regelmäßig Prügel eingetragen hatte. Der Eisriese wollte ihn ebenfalls schlagen, um dieses Lächeln aus seinem Gesicht zu wischen. Aber nie zuvor hatte jemand den Eisriesen auf diese Weise angelächelt, und das irritierte ihn."
(S. 86)



Diese Schmuckausgabe in Hardcover ist schon von außen eine Augenweide, doch im Inneren ist dieses Buch noch viel schöner.
Die Illustrationen von Chris Riddell sind Tuschezeichnungen in schwarz-weiß, die mit silbrig schimmernden Akzenten geschmückt sind. Bei näherem Betrachten erkennt man die Liebe zum Detail. Dadurch ist das bloße Betrachten dieser Zeichnungen schon ein kleines Erlebnis und von diesen Zeichnungen gibt es viele. Auf jeder zweiten Seite kann man diese Illustrationen betrachten, manchmal sogar doppelseitig.

Fazit:
Es ist ein wahrer Genuß in diesem Buch zu lesen, zu schmökern und die Bilder zu betrachten. Die Story selbst ist witzig, fantastisch und wunderschön gleichermaßen.
Da dieses Buch nur 120 Seiten zählt und davon die Hälfte mit Illustrationen geschmückt ist, war ich innerhalb einer gemütlichen Lesestunde durch. Danach habe ich verträumt nochmals die Zeichnungen betrachtet, bis ich das Buch zufrieden schloß. Zugegeben war so manches Seufzen auch etwas wehmütig, denn ich wäre gern noch viel länger beim lächelnden Jungen Odd verweilt.


© Pink Anemone (mit vielen Bildern und Autoren- und Illustratoren-Info)

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Veröffentlicht am 15.01.2021

Eine Story voller Mythologie, Atmosphäre und Entschleunigung

Dort, wo die Zeit entsteht
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Als die junge Ärztin Katharina kurz nach Weihnachten die Berghütte ihrer Familie erreicht, erhofft sie sich einfach nur ein paar Tage Abstand von ihrem Alltag im Krankenhaus. Doch schon bald greifen in ...

Als die junge Ärztin Katharina kurz nach Weihnachten die Berghütte ihrer Familie erreicht, erhofft sie sich einfach nur ein paar Tage Abstand von ihrem Alltag im Krankenhaus. Doch schon bald greifen in der verschneiten Einsamkeit der Berge die Bilder ihrer Träume nach ihr. Auch die Andeutungen der alten Irmelin, die das Jahr über auf die Hütte aufpasst, verunsichern sie. Was hat es auf sich mit der besonderen Zeit zwischen den Jahren?
In atmosphärischer Dichte erzählt, wird der Leser in die Magie archaischen Wissens hineingezogen und taucht mit Katharina ein in die Mystik der Bergwelt. Der Roman zeigt den Weg einer inneren Heilung ...
(Klappentext)

❆❆❆❆❆

"Die Städter sind die Besitzer der Hütte. So steht's in den Papieren. Die Hütte ist älter als die Papiere, wie auch der Berg. Natürlich gehört die Hütte tatsächlich dem Berg und dem Wald. Kaum noch jemand weiß das. Die ganz Alten im Tal wissen es, und sie meiden die Hütte. Wie auch den Hof der Irmelin, die für sie zur Hütte gehört."
(S. 8)


Die Rauhnächte sind die Nächte zwischen den Jahren. In dieser Zeit sind die Gesetze der Natur außer Kraft gesetzt und während die stürmischen Mächte der Mittwinterzeit, auch "Die Wilde Jagd" genannt, durch das Land ziehen, fallen die Grenzen zur Anderswelt. So sagen es die uralten Legenden an die doch keiner mehr so richtig glaubt.
Doch hoch oben, wo die alte Irmelin wohnt, ist es nicht nur Volksglaube, Mythos und Legende. Die alte Irmelin weiß das, sie lebt immerhin schon ihr Leben lang unterhalb des Berges. Sie kennt den Berg, die Winde und auch die einsame Berghütte, die sie für die Städter in Schuß hält.

Die Berghütte gehört zum Berg und manche sagen sie wäre genauso alt wie er. Doch etwas ist anders, das spürt die alte Irmelin. Die Hütte wartet auf jemanden und scheint das sogar gutzuheißen ... und dann taucht diese junge Ärztin auf und richtet sich in der Hütte ein.
Katharine, so der Name der Ärztin, möchte sich von ihrem stressigen Alltag erholen und hat dafür die einsame Berghütte ihrer Familie gewählt. Doch auch sie spürt, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.
Was wollen Berg und Hütte ihr sagen, was will diese Irmelin von ihr und seit wann können Raben sprechen?

">>Die wilde Jagd, jedes Jahr um diese Zeit. Möcht' die Hollerin selber sein, die herumzieht und sieht, ob alle die Ruhe einhalten, die geboten ist. Und die wilden Reiter hinter Wotan und mit dem braven Eckart. Denen geh aus dem Weg. Sieh zu, dass du nicht draußen bist in der Nacht. Und dass nichts draußen ist von dir, in dem sie sich verheddern könnten."
(S. 62)


Man liest aus der Perspektive beider Frauen, der "Alten" und der "Jungen" und mit ihnen erlebt man die Tage und Nächte zwischen den Jahren, an einem Ort, der sich nicht ursprünglicher anfühlen könnte.
Während die alte Irmelin nicht erfreut über den Besuch ist, trotzdem immer die Nähe von Katharina sucht und versucht ihr das Geschehen hier auf dem Berg zu erklären, versucht Katharina nahezu verzweifelt sich vom Alltag zu lösen und endlich zur Ruhe zu kommen. Einem Alltag voller Pflichten und Regeln, voller Entscheidungen und Stress. Das ist nicht gerade leicht, wenn man jede Nacht komische Träume hat, die einen bis in den Tag verfolgen und dann auch noch die alte Irmelin immer wieder auftaucht. Gleichzeitig genießt sie jedoch die Anwesenheit der mürrischen alten Dame und deren Geschichten über die Wilde Jagd und die Mythen.
Und so lernt die eine von der anderen und mit diesen beiden eventuell auch der oder die LeserIn.

"Kein Nachdenken, nur zusehen und fühlen. Das schien das Durcheinander zu ordnen, für den Moment. Nichts, was sie denken musste, für das sie Worte finden, logisch sein musste."
(S. 32)


Dieses kleine Büchlein ist ein Buch, welches mich von Anfang an in seinen Bann zog. Dieses Buch und die Story zwangen mich regelrecht dazu zu entschleunigen, was bei mir, einer, deren Gehirn immerzu am Rattern ist und die allgemein nicht schnell zur Ruhe kommt, ein kleines Wunder ist.
Dies liegt zum Einen am Setting, da ich Geschichten mit Berg- und Schneesetting liebe. Zum Anderen an diesem wunderbaren Schreibstil, der poetisch zugleich ist.

Hier wird mit viel Ruhe erzählt und auch die Protagonistinnen agieren ruhig. Zum Beispiel wird langsam und bewusst, nahezu meditativ, Tee aufgesetzt oder in einer Suppe gerührt.
Man weiß von der ersten Seite an, dass sich hier etwas Mysthisches anbahnt, etwas was nicht in unsere Welt zu passen scheint und doch hierher gehört.
Das "Alte" ist da, der Berg und die Hütte sind da, ebenso die kalten und stürmischen Winde - und alles gehört zusammen.
Im Verlauf verwischen nicht nur die Grenzen, sondern auch Traum und Realität und macht nicht nur Katharina auf etwas Wichtiges aufmerksam.

"Die nötigen Handgriffe heute Vormittag. Feuer machen, Wasser holen, die Kälte vertreiben, Kaffee kochen. alles, was sie tun muss, lässt sie hier ankommen. Es gibt nichts, das drängelt. Eins nach dem anderen tut sie. Mit jedem Handgriff wird die Hütte wirklicher."
(S 22)


Fazit:
Mit diesem Buch tauchte ich in eine Geschichte mit wunderbarem Setting ein, in eine Geschichte voll alter Mythen, Atmosphäre und Ruhe. Das Buch führte dazu, dass ich bewusster und intensiver las und somit zur Ruhe kam, während in der Geschichte die Winterstürme um die Hütte fegten.
Aus diesem Buch wird wohl jeder, der sich auf die Geschichte einlässt, etwas andere mitnehmen.
Ich für meinen Teil werde hin und wieder mal Pflichten und Regeln vergessen, versuchen mich von Vielem, was mir nicht gut tut, abgrenzen und gleichzeitig selbst darin etwas Gutes sehen. Auch werde ich wieder mehr auf mein Bauchgefühl achten, denn das sind die uralten und richtigen Regeln. So sprach es der Rabe und wir wissen doch alle - Raben haben immer Recht! g.
Dieses Buch ist eines jener wenigen Bücher, die man immer wieder lesen kann und nicht nur zur Zeit der Rauhnächte.

© Pink Anemone (inkl. Leseprobe, Autoren-Info und Rezept zum Buch)

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Veröffentlicht am 13.01.2021

Es hätte so verdammt gut werden können, wenn der Autor sich mehr Seiten zugestanden hätte

Um mich herum stehen bekannte Gesichter
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Am Ende der Welt sieht Camilla Hamilton ihre einzige Chance auf einen Neubeginn: Ein verheerender, von ihr verschuldeter Autounfall hat ihr Leben unwiderruflich aus der Bahn geworfen und die junge Forscherin ...

Am Ende der Welt sieht Camilla Hamilton ihre einzige Chance auf einen Neubeginn: Ein verheerender, von ihr verschuldeter Autounfall hat ihr Leben unwiderruflich aus der Bahn geworfen und die junge Forscherin an den Rand der absoluten Selbstaufgabe gedrängt. Angetrieben von der Hoffnung, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen, begibt sie sich auf eine verheißungsvolle Reise an den Polarkreis.
Statt der geplanten Forschungsreise ereilt Camilla jedoch eine weitere Katastrophe, als ihr Flugzeug über der russischen Tundra abstürzt. Inmitten der eisigen Wildnis, meilenweit von jeglicher Zivilisation entfernt, nimmt sie einen Überlebenskampf an, den sie längst verloren geglaubt hat…
Wozu ist ein Mensch - und sein Verstand - fähig, um sich vor Unheil zu schützen? Marc Kemper erzählt eine atmosphärische Geschichte über Depression, Schuld, Zweifel und den folgenreichen Kampf gegen die Natur...
(Klappentext)

❆❆❆❆❆

"Camilla rekapitulierte all die Tode, die sie hätte sterben sollen: Der Autounfall. Der Drogencocktail. Der Flugzeugabsturz. Der Bär. Das Eis. Der Hunger. Und doch war sie noch am Leben. Ein Leben, dass sie - obwohl sie jetzt so hart darum kämpfte - gar nicht mehr wollte."
(S. 113)


Camilla, eine junge Paläontologin, ist am Ende. Durch einen Unfall, den sie verschuldete, kam ein Kind ums Leben und Schuldgefühle treiben sie in die Depression. Der Entschluß ist gefasst - sie möchte sich das Leben nehmen, denn mit dieser Schuld kann und möchte sie nicht weiterleben.
Kurz bevor es um sie herum für immer finster wird, ruft ihr Chef an und eröffnet ihr ein Angebot - eine Expedition an den Polarkreis. Dies wäre weit genug weg, um zu vergessen und die Vergangenheit hinter sich zu lassen und so nimmt sie dieses Angebot an. Jedoch kommt alles anders als geplant, denn den Zielort wird Camilla nie erreichen.
Das Flugzeug stürzt über der russischen Tundra ab und Camilla schließt ein weiteres Mal mit dem Leben ab, doch auch jetzt läuft ihr Lebensfaden wieder weiter.
Nun heißt es überleben, überleben in einer unwirtlichen eisigen Welt, gemeinsam mit nur wenigen Überlebenden und einem Minimum an Ausrüstung und Essen. Doch wenn Camilla gedacht hat, sie könne jetzt erst recht die Vergangenheit vergessen, dann hat sie sich getäuscht, denn diese holt sie immer wieder ein.
Und so ist dies nicht nur ein Kampf ums Überleben, sondern auch ein Kampf gegen die eigenen Dämonen.

"Sie hatte schon ewig keinen so klaren Nachthimmel gesehen. Selbst in solch verzweifelten Situationen warf einem das Universum hin und wieder einen Knochen hin. Doch nur wenn man den Kopf hoch hält, kann man die Sterne sehen."
(S. 70)


Marc Kemper konnte mich bereits mit seiner "Schmerzflimmern"-Reihe begeistern und dementsprechend neugierig war ich auf seine neue Novelle. Diese unterscheidet sich jedoch stark von "Schmerzflimmern", sowohl von der Stimmung und der Atmosphäre her, als auch von der Grundthematik. Hier werden nämlich ernste Töne angeschlagen, jedoch nicht minder intensiv.

Der Autor schafft es die Gefühle der Protagonisten hervorragend zu transportieren, was bei Depression nicht unbedingt einfach ist. Aufgrund dessen und da man aus der Sicht von Camilla liest, hat man das Gefühl in ihrem Kopf zu sitzen, durch ihre Augen zu sehen und auch die eisige Kälte wie Nadelstiche auf der Haut zu spüren.
Gemeinsam mit Camilla stellt man sich der Herausforderung im eisigen Sibirien zu überleben und macht sich gleichzeitig daran die eigenen Dämonen zu bekämpfen.
Auch die anderen Überlebenden haben ihre Dämonen mitgebracht, jeder läuft vor irgendetwas davon und so mancher wird nicht mehr zurückkehren.

"Auch Camilla hatte Studien über das Polar T3-Syndrom gelesen. Wissenschaftliche Abhandlungen, die herausfanden, inwiefern der Aufenthalt in diesen Regionen dazu führte, dass Forscher und Entdecker schneller dazu neigten, Dinge zu vergessen. Wohingegen es für die meisten betroffenen Menschen eher ein Grund zur Sorge darstellt, war es für Camilla möglicherweise exakt das, wonach sie sich so sehr sehnte."
(S. 19)


Marc Kempers Schreibstil ist flüssig, direkt und ungeschönt. Gleichzeitig schafft er es eine unglaubliche Atmosphäre zu erschaffen, welche die Grundstimmung ebenso betrifft wie auch das Setting. Die Story ist mitreißend, intensiv und spannend zu verfolgen. Vor allem was die Entwicklung der Protagonistin betrifft.

Es gab für mich im Verlauf ein paar Logikschnitzer, welche die Handlung der Protagonisten betraf, doch die überraschende Wendung am Ende rückte all das in ein völlig anderes Licht und somit passte doch wieder alles hervorragend zusammen.
Ich will hier nicht näher darauf eingehen. Es sei nur so viel gesagt - es erinnerte mich in gewisser Weise an den Film "The Sixth Sense". So ein Plot Twist kann mich immer wieder begeistern.

So far, so good, nun kommen wir jedoch zu den Kritikpunkten, welche doch mein Lesevergnügen etwas schmälerten.
Während der Autor hin und wieder so manch intensiven Moment zu rasch verstreichen lässt, hält er sich bei manchen Erklärungen zu lange auf. Dadurch wird zwar ersichtlich, dass der Autor viel Arbeit in die Recherche gesteckt hat, dies jedoch meist völlig belanglos war.
Aufgrund dessen fällt die Atmosphäre manchmal in sich zusammen und störte dadurch meinen Lesefluß.

"Rotes Blut kam aus Adern und Arterien. Blutungen, die man mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit provisorisch behandeln konnte. Schwarzes Blut hingegen bedeutete eine Verletzung der inneren Organe. Blut, welches mit Magensäure in Kontakt gerät, verdunkelt sich. Natürlich hatten ältere Menschen in der Regel von Natur aus dunkleres Blut,...."
(S. 52)


Die Story dürfte in den frühen 90ern angesiedelt sein, so klar erwähnt wird das jedoch nicht. Die wenigen Andeutungen hätte man auch völlig lassen können, denn die Story selbst funktioniert auch ohne diese sehr gut.
Weiters hätte ich mir mehr Tiefe gewünscht, vor allem bezüglich Camillas Vergangenheit und ihrer Dämonen. Diese werden zwar immer wieder erwähnt, jedoch nie näher darauf eingegangen. Und auch alles Weitere wird meiner Meinung nach viel zu schnell abgehandelt.

Fazit:
Die Novelle besticht durch ihre dichte Atmosphäre, der Schreibstil ist genial und die Story mitreißend. Letztere hätte so viel hergeben können, doch meiner Meinung nach fehlt hier das Wichtigste, nämlich Tiefgang. Davon hätte ich mir wirklich mehr gewünscht.
Man blickt immer nur kurz in Camillas Vergangenheit und ihre Dämonen werden ständig und immerzu erwähnt, doch beides wird nie näher erläutert. All das mühsam erbaute Konstrukt bekommt dadurch Risse und alles verpufft ohne Eindruck zu hinterlassen. Was ich bei der Thematik Depression sehr schade finde.
Alles wird viel zu schnell abgehandelt und ließ mich irgendwie nicht ganz zufrieden zurück. Es hätte so verdammt gut werden können, wenn sich der Autor mehr Zeit und mehr Seiten zugestanden hätte.

© Pink Anemone (inkl. Autoren-Info, Leseprobe)

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Veröffentlicht am 17.12.2020

Der Klassiker unter den Comics in toller Gesamtausgabe

Nick Knatterton
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Nick Knatterton ist DER legendäre Comic-Held der 50er und 60er Jahre. Er ist der berühmteste Detektiv Deutschlands – die geniale, gezeichnete Parodie auf James Bond! Erfunden hat ihn Manfred Schmidt, zu ...

Nick Knatterton ist DER legendäre Comic-Held der 50er und 60er Jahre. Er ist der berühmteste Detektiv Deutschlands – die geniale, gezeichnete Parodie auf James Bond! Erfunden hat ihn Manfred Schmidt, zu dessen Tode die FAZ 1999 schrieb „Es gibt keinen wichtigeren deutschen Comic-Zeichner als ihn (…) Mit einer Bedeutung, die wir heute erst erkennen können!“
Hier sind alle Abenteuer in neuer Ausstattung! 432 Seiten im Original-Querformat mit einem festen Halbleineneinband versehen!…
(Klappentext)

✦✦✦✦✦

Ich bin ein Kind der 80er und kannte lange nur die Zeichentrickserie „Nick Knatterton“, welche am Wochenende zur späten Stunde im Fernsehen lief. Diese Folgen dauerten nur zwischen 10 und 20 Minuten und danach musste ich ins Bett.
Doch Nick Knattertons Geschichte begann natürlich schon viel früher und als Comicserie für eine Zeitung. Diese Comicserie entstand schon in den 50ern und der Erschaffer ist der inzwischen verstorbene Comiczeichner Manfred Schmidt.
Im Laufe der folgenden Jahre und Jahrzehnte zog diese Comicserie breite Kreise und wurde auch in den Nachbarländern bekannt und beliebt.
LeserInnen, welche in den 50ern bis hin in die 80er aufwuchsen, ist dieser Tausendsassa von Privatdetektiv also sicherlich ein Begriff und die Rezension könnte eventuell für nostalgische Gefühle sorgen.

Doch für all diejenigen, denen Nick Knatterton kein Begriff ist, betrachten wir erstmal was diesen Privatdetektive mit seiner markanten Erscheinung zu so etwas Besonderem macht.

Dieser Meisterdetektiv stammt von einem uralten Adelsgeschlecht bei Kyritz an der Knatter ab. Bereits in jungen Jahren wurde ersichtlich, dass der Junge namens Nikolaus Kuno Freiherr von Knatter mit großer Intelligenz und Kombinationsgabe gesegnet ist. So war es für den Jungen sehr bald klar – er wird einmal ein ganz großer Meisterdetektiv.
Um seine Familie und sein Adelsgeschlecht nicht in Verruf zu bringen musste jedoch ein Pseudonym her und so wurde Nick Knatterton geboren.

Nick Knatterton weiß und kann alles. Er zeichnet sich nämlich nicht nur durch seine überlegenen geistigen Fähigkeiten aus, sondern besitzt noch ganz andere Eigenschaften, wie z.B.: enorme Körperkraft, ein präzises Seh-, Hör- und Riechvermögen, er ist nebenbei auch noch Erfinder, Verkleidungskünstler und bei den Frauen kommt er natürlich auch gut an.
Er ist also eine Mischung aus Sherlock Holmes und Superman, nur das er im Gegensatz zu Letzterem nicht fliegen kann und ihm die Wirkung von Kryptonit völlig wurscht ist.

Der Erschaffer Manfred Schmidt nahm auch wirklich diese beiden als Vorbild und wollte mit seinem Meisterdetektiv vor allem den damals so gehypten „Superman“ parodieren – und allgemein Comics, von denen er nämlich so gar nichts hielt.
Dabei orientierte sich Schmidt zusätzlich an Kriminalromanen der Vorkriegszeit deren Protagonisten Nick Carter und Nat Pinkerton waren.
Und – ZACK – erschuf er einen der bekanntesten Detektive in der Comicgeschichte.

Was macht nun dieser Nick Knatterton? Nun, er löst unlösbare fälle, prügelt sich mit bösen Buben (sein berühmter Kinnhaken hat übrigens eine betäubende Wirkung) und rettet dabei immerzu Frauen, die sich in gefährlichen und/oder misslichen Lagen befinden – ob sie das wollen oder nicht.

Frauen spielen hier allgemein eine wichtige Rolle. Diese werden natürlich, entsprechend des damaligen männlichen chauvinistischen Frauenbildes dargestellt – naiv, große Titten, schmachtend und auch manchmal dumm und kreischend.
Bevor hier jedoch einige ansetzen sich zu empören – das war von Schmidt durchaus so gewollt und eher parodistisch gegen das damalige Frauenklischee gerichtet. Denn wenn Nick Knatterton verprügelt wurde, dann nicht nur von Ganoven, sondern vor allem von Frauen, die von diesem dahergelaufenem Detektiv überhaupt nicht gerettet werden wollten und es ist auch immer eine Frau, die IHN aus allen möglichen misslichen Lagen befreit.

Knatterton hatte auch keinen speziellen Erzfeind oder festgelegten Gegenspieler, es sind nämlich gleich mehrere und vor allem die Oberganovin Virginia Peng, die des Öfteren einen Auftritt hat, und die vermag er absolut nicht kleinzukriegen.

Weiters enthalten die Storys auch Seitenhiebe in Richtung Politik, Finanzamt, allgemein gegen die damaligen wirtschaftlichen Verhältnisse und auch gegen die Polizei. Letztere kommt nämlich auch nicht gerade gut weg.

In den Storys begegnet man vielen skurrilen Figuren, die Dialoge sind amüsant und die Panels enthalten absolut witzige und mit viel Wortwitz ausgestattete Infos. Natürlich kommt es immer zu Actionszenen in denen nicht nur die Fäuste, sondern auch die Pistolen sprechen. Alles natürlich sehr überspitzt dargestellt. Langeweile ist hier also ausgeschlossen.
Auch wenn es sich hier um die Geschichten eines Meisterdetektivs handelt, sucht man hier erfolglos Logik. Viel mehr erhält man irrwitzige Geschichten, die manchmal völlig abgedreht sind.

Nun aber zu diesem Wälzer, gefüllt mit Nick Knatterton-Comics. Der vorliegende Wälzer ist die ABSOLUTE Gesamtausgabe der Gesamtausgaben und hier möchte ich auch gleich Manfred Schmidt zitieren:

„Mit dieser gewichtigen, auch als Wurfgeschoß gut verwendbaren Gesamtausgabe haben Sie, lieber Leser, sämtliche vorhandenen Abenteuer Nick Knattertons in Händen. Und gleichzeitig die schöne Gewißheit, dass keine weiteren folgen werden.“

Diese Ausgabe enthält jedoch nicht nur die Comics in chronologischer Reihenfolge, sondern auch ein mehrere Seiten langes Vorwort des Erschaffers Manfred Schmidt.
Mit Witz und viel Selbstironie beschreibt er hier nicht nur die Erschaffung von Nick Knatterton, sondern auch die Entstehung so manchere Geschichte, was es mit der Verfilmung auf sich hat, wie er Nick Knatterton überdrüssig wurde und noch mehr.

Die Comicfolgen wurden in Kapiteln zusammengefasst.
Jedes Kapitel beginnt mit einer allgemeinen, das Kapitel betreffenden, Einleitung, gefolgt von der Vorstellung der darin vorkommenden Figuren (s.o.) und schließlich der Comicreihe.

Die Gesamtausgabe kommt in einem Hardcover guter Qualität daher und daher macht es doppelt Spaß darin zu blättern und die Panels im Bleistift-Stil zu betrachten.

Fazit:
Beim Lesen dieser Gesamtausgabe schwelgte ich in Nostalgie, habe geschmunzelt und gelacht.
Ich liebe abgedrehte Storys mit skurrilen Figuren, gute Wortwitze und auch Flachwitze und das alles bekommt man hier in geballter Ladung.
Man sollte die Comics jedoch wohl dosiert genießen, denn manches wiederholt sich oder man ist nach einer Weile völlig gaga und beginnt am Ende im Alltag im Stile von Nick Knatterton zu kombinieren g.

© Pink Anemone (mit vielen Bildern aus der Ausgabe, Autoren-Info, Link zum Retro-Christmas-Special und Infos zu Verfilmungen, inkl. einer ganzen Zeichentrickfolge)

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Veröffentlicht am 17.12.2020

Dichte Atmosphäre der 20er Jahre mit Geschichten des Lebens – melancholisch, schön und tragisch zugleich.

Menschen im Hotel
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Menschen im Hotel, erschienen im Jahr 1929, machte Vicki Baum weltberühmt. Der mit leichter Hand, Poesie und subtilem Witz erzählte Roman führt eine Handvoll Menschen im Grand Hotel zusammen, zeigt sie ...

Menschen im Hotel, erschienen im Jahr 1929, machte Vicki Baum weltberühmt. Der mit leichter Hand, Poesie und subtilem Witz erzählte Roman führt eine Handvoll Menschen im Grand Hotel zusammen, zeigt sie in ihren Krisen, Träumen und Enttäuschungen und liefert ein atmosphärisch dichtes Bild vom Berlin der 20er-Jahre… (Klappentext)

❃❃❃❃❃

„Hier traf die Jazzmusik des Tea-Rooms mit dem Geigenschmachten des Wintergartens zusammen, dazwischen rieselte dünn der illuminierte Springbrunnen in ein unechtes venezianisches Becken, dazwischen klirren Gläser auf Tischchen, knisterten Korbstühle, und als dünnstes Geräusch schmolz das zarte Sausen, mit dem Frauen in Pelzen und Seidenkleidern sich bewegen, in den Zusammenklang. Bei der Drehtüre schraubte sich Märzkühle in kleinen Stößen herein, sooft der Page Gäste ein- und ausließ.“
(S. 6)


Stellt Euch vor Ihr befindet Euch im Berlin der 20er Jahre. Ihr betretet ehrfurchtsvoll das Grand Hotel, schreitet durch das Foyer und bestaunt die pompöse Ausstattung, die Pagen, die geschäftig herumlaufen und die illustren Gäste.
Alle möglichen Weltsprachen schwirren Euch um die Ohren und der Duft von alter Möbelpolitur und Zigarren steigt Euch in die Nase. Ihr setzt Euch in einen der tiefen Ledersessel im Foyer und beginnt so manche Gäste zu beobachten.
Euch schräg gegenüber sitzt ein etwas schrulliger Herr, dessen eine Gesichtshälfte entstellt ist und der mürrisch und abwesend vor sich hin murmelt. Kriegsveteran vermutet Ihr.
Dann huscht ein älterer Herr mit abgetragener Kleidung direkt vom Eingang zur Rezeption und versucht in hitzigem Ton unbedingt ein Zimmer im Hotel zu ergattern. Ihr überlegt, ob sich dieser Herr hier überhaupt ein Zimmer leisten kann, denn er passt so gar nicht zu den übrigen Gästen.
Euer Blick schweift weiter durch das Foyer und plötzlich schreitet eine elegante Dame an Euch vorbei, begleitet von einem Schwarm persönlicher Assistenten. Ihr nehmt an, dass dies wohl einer dieser Filmdiven sein muss, so wie sie umschwärmt wird und folgt ihr mit bewunderndem Blick.
Dabei entdeckt Ihr einen jungen und äußerst gut aussehenden und elegant gekleideten Mann. Selbstsicher und mit einem spitzbübischem Lächeln um die Lippen stolziert er ebenfalls der Drehtür zu. Der bewohnt sicher einer der teuersten Suiten, mutmaßt Ihr.
Dann hetzt ein älterer wohlgenährter Herr herein. Koffer und Aktenkoffer in den Händen, teurer Anzug und Hut, der etwas schief auf dem Kopf des schwitzenden und rotgesichtigen Mannes sitzt. Das kann nur ein Geschäftsmann sein, denkt Ihr.

Und dann…

„Dann schließen sich die Türen im Hotel, Doppeltüren fallen hinter jedem Menschen ins Schloß und lassen ihn allein mit sich und seinen Geheimnissen.“
(S. 56)


Vicki Baum lässt uns LeserInnen jedoch nicht mutmaßend im eleganten Foyer sitzen, sondern lässt uns hinter die Türen und die Geheimnisse dieser Gäste blicken.
So erfahren wir, dass der mürrische und in Selbstgespräche vertiefte Herr ein gewisser Doktor Otternschlag ist und im Hotel ein kleines Zimmer bewohnt. Er ist des Lebens überdrüssig und findet alles schrecklich und furchtbar langweilig, kann sich jedoch nicht aufraffen auch nur aus dem Hotel zu gehen, um etwas zu erleben.
Der Herr mit der abgetragenen Kleidung ist Herr Kringelein. Dieser hat vor Kurzem eine schlimme Diagnose erhalten – er hat nicht mehr lange zu leben. Er beschließt sein ganzes Geld zusammenzukratzen, die Familie zu verlassen und endlich nicht immer nur zu schuften, sondern so viel wie möglich zu erleben … er will endlich LEBEN und nicht immer nur an die anderen denken. Er will all das, was sein Firmenchef Herr Preysing auch hat und dieser residiert immerhin auch regelmässig in diesem Grand Hotel.

„Er kenne wenig vom Leben, aber nun möchte er es kennenlernen, er möchte das wirklich große Leben kennenlernen, eigens dazu sei er hier.
>>Aber<<, so sagte Kringelein, >>wo ist das wirkliche Leben? Ich habe es noch nicht erwischt. Ich war im Kasino, ich sitze hier mitten im teuersten Hotel, aber es ist immer noch nicht richtig. Ich habe immer den Verdacht, das richtige, das wirkliche, das eigentliche Leben spielt sich ganz woanders ab, das sieht ganz anders aus.<<“ (S. 50)


Herr Preysing residiert tatsächlich ebenfalls hier. Er ist dieser abgehetzte Geschäftsmann. Doch bei ihm verläuft nicht alles so glänzend und pompös, wie Herr Kringelein denkt. Seine Firma ist dabei zu Grunde zu gehen und es hängt alles von dieser Geschäftsreise ab.
Die elegante Diva ist die russische Primaballerina Grusinskaja. Auf den ersten Blick wirkt die Dame arrogant und herrisch, spricht sie doch hauptsächlich im Kommandoton. Doch ihr wird zunehmend klar, dass sie mit ihrem Alter langsam aber sicher ausgetanzt hat und was bleibt ihr dann noch? Gleichzeitig ist sie ausgelaugt und müde … so müde.

Last, but not least, der junge gut aussehende Herr. Das ist Baron Gaigern, welcher jedoch nicht wirklich ein Baron ist, sondern ein Hochstapler und Dieb, der mit seinem Charme jeden um den Finger wickeln kann. Er hat es auf die wertvollen Perlen der Primaballerina abgesehen und ist fest entschlossen sich diese anzueignen.

„Was im großen Hotel erlebt wird, das sind keine runden, vollen, abgeschlossenen Schicksale. Es sind nur Bruchstücke, Fetzen, Teile; hinter den Türen wohnen Menschen, gleichgültige oder merkwürdige, Menschen im Aufstieg, Menschen im Niedergang; Glückseligkeiten und Katastrophen wohnen Wand an Wand.
Die Drehtür dreht sich, und was zwischen Ankunft und Abreise erlebt wird, das ist nichts Ganzes.“
(S. 309)


Diese Gäste stehen alle an einem Wendepunkt ihres Lebens, treffen im Verlauf aufeinander, die Dominosteine fallen und am Ende ist nichts mehr so wie es vor dem Aufenthalt war.

Die Autorin entwarf hier ein atmosphärisches Sittengemälde der 20er Jahre und der oberen Gesellschaft.
Die Figuren stehen hierbei natürlich im Vordergrund und diese sind äußerst vielschichtig gezeichnet, während einem das Setting des Grand Hotels umgibt.
Mit einem flüssigen Schreib- und ruhigen Erzählstil, welcher direkt und poetisch zugleich ist, wird man in den Bann gezogen und blickt hinter so manche Türen des Grand Hotels. Man ist heimlicher Beobachter und erlebt die Gäste in ihren persönlichsten und intimsten Momenten – Momente, welche sie vor der Öffentlichkeit geheim halten und nur für sie bestimmt sind und somit wirft man einen Blick hinter all den Schein, welchen diese Figuren unbedingt aufrecht erhalten wollen.
Dabei wird einem klar, dass man Personen niemals nach dem äußeren Schein beurteilen sollte und jeder seine Kämpfe auszutragen hat.

„Zehn Minuten nach neun fegt das unausgeschlafene Stubenmädchen in Numero 68 flüchtig den Staub fort, es wirft die welken Blumenarrangements weg, trägt die Teetasse hinaus, und zuletzt bringt es neue Bettwäsche – noch feucht vom Bügeln – für den nächsten Gast…“ (S. 163)

Fazit:
Mit diesem Buch tauchte ich in eine atmosphärische und auch tragische Geschichte ein, bzw. in tragische GeschichtEN.
Das Flair der 20er Jahre und des imposanten Grand Hotels umgaben mich und die Figuren zogen mich in ihren Bann. Wer auf ein Happy End hofft wird wohl nach dem Beenden des Buches enttäuscht sein, doch meiner Meinung nach war dieses Ende perfekt und authentisch, denn die Geschichte erzählt die Geschichte des Lebens.
Und am Ende sitzt man eventuell mit dem Buch in der Hand da und denkt über das Leben nach.
Das wird für mich mit Sicherheit nicht das letzte Buch von Vicki Baum sein.

© Pink Anemone (mit Bildern aus dem Buch, Autoren-Info, Link zu meinem Retro-Christmas-Special und Info zu den Verfilmungen)

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