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Veröffentlicht am 25.08.2022

Feine Nuancierungen

Intimitäten
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"Intimität" - ein Begriff, den wir im ersten Moment am ehesten mit zwischenmenschlichen Beziehungen in Verbindung bringen. Mit Gefühlen, mit "Einander-Nahekommen" und mit einem Zustand, der sehr schön ...

"Intimität" - ein Begriff, den wir im ersten Moment am ehesten mit zwischenmenschlichen Beziehungen in Verbindung bringen. Mit Gefühlen, mit "Einander-Nahekommen" und mit einem Zustand, der sehr schön sein kann, der aber unter Umständen auch schnell ein Zuviel mitsichbringt und dazu führt, dass Geborgenheit umschlägt in Zweifel bis hin zu Unwohlsein. "Intimität" ist kein absoluter Begriff, er hat tausend Nuancen, die sich in kürzester Zeit abwechseln können, ohne dass die Veränderung von außen sofort sichtbar wäre.
In ihrem Roman spielt Katie Kitamura mit den Feinheiten und Grenzen dieses Begriffs, mehr noch, sie wendet sie auf unsere Sprache im Allgemeinen an. Denn ebenso schnell, wie sich die Natur einer intimen Beziehung verändern kann, kann es auch unsere Wahrnehmung einer Person oder einer Handlung aufgrund dessen, welche Worte die Person wählt. Bemerkbar macht sich das vor allem immer dann, wenn wir uns mithilfe von Dolmetscher*innen verständigen müssen. Denn für die meisten Worte gibt es nicht "die eine, richtige Übersetzung" - es liegt stets auch im Ermessen desjenigen, der zwischen den Sprachen, zwischen den Menschen vermittelt, welche Wortwahl für angemessen erachtet wird. Und das kann mitunter große Auswirkungen auf das Bild haben, das wir von einer Person oder ihrer Handlung bekommen.

Mit all diesen Schwierigkeiten - den zwischenmenschlichen, den sprachlichen - sieht sich Kitamuras namenlose Protagonistin konfrontiert. Frisch aus New York nach Den Haag gezogen und noch neu in ihrem Job als Dolmetscherin für Kriegsverbrecher am Europäischen Gerichtshof, muss sie bald feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, für beides das richtige Maß zu finden. Nicht für die Geschwindigkeit der Annäherung an eine Person und das Aufbauen von Nähe, und auch nicht für das Außenvorlassen subjektiven Empfndens beim In-Worte-Fassen von Taten, die an Grausamkeit ihresgleichen suchen.

In leisen Tönen und feinfühliger Sprache zeichnet Kitamura die Gefühlswelt einer jungen Frau nach und spielt dabei gekonnt mit den schillernden Facetten menschlicher Empfindungen und den zarten Nuancen der Sprache. Ein Roman, der nicht nur problemlos ohne klar festgelegte, greifbare Grenzen auskommt, sondern gerade mit dem Aufzeigen der Schwierigkeiten überzeugt, die mit einer solchen Fragilität und Vagheit einhergehen.

Veröffentlicht am 15.08.2022

Wie das Leben spielt

Freundin bleibst du immer
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Funmi, Enitan und Zainab haben sich zu Studienzeiten miteinander angefreundet. Später leben sie sich auseinander, jede beginnt ihr eigenes Leben: Funmi führt ein Dasein in Reichtum und Luxus, der Preis ...

Funmi, Enitan und Zainab haben sich zu Studienzeiten miteinander angefreundet. Später leben sie sich auseinander, jede beginnt ihr eigenes Leben: Funmi führt ein Dasein in Reichtum und Luxus, der Preis dafür ist es, in ihrem eigenen Leben gefangen zu sein. Enitan verlässtnach dem Studium Nigeria für ihre Liebe, einen weißen Mann, und ist nun alleinerziehende Mutter. Zainab heiratet ihre große Liebe, muss jetzt jedoch ihren nach einem Schlaganfall gelähmten Mann pflegen. Erst 30 Jahre später treffen sie auf einer Hochzeit wieder aufeinander und ziehen Bilanz.

Erzählt wird der Roman wechselnd aus der Sicht der drei Protgonistinnen. Es gibt einen Handlungsstrang in der Gegenwart, in den sich immer wieder Passagen aus der Vergangenheit einflechten. Keiner der Frauen kam ich dabei jedoch wirklich nahe; vermutlich liegt es an der Vielfalt der Themen, dass ich mich nicht so ganz auf den Roman und die einzelnen Protagonistinnen einlassen konnte und insgesamt die Tiefe doch etwas vermisst habe. Denn der Roman will viel - er will nicht nur drei Beispiele dafür liefern, wie das Leben Frauen mitspielen kann, er möchte zudem einen Einblick in die Kultur Nigerias auf diversen Ebenen bieten. Das ist ohne Frage sehr interessant, zu oft kratzte der Roman mir dabei aber nur an der Oberfläche und ließ den tieferen Einblick vermissen, den ich mir erhofft hatte. Auch das groß angepriesene Thema "Freundschaft, die alles überdauert", habe ich beim Lesen kaum mal als solches wahrgenommen.

Mehr Gedanken der Protagonistinnen, mehr Gefühle, mehr davon, wie es den drei Frauen mit ihren gescheitereten Lebensentwürfen geht und was aus ihren einstigen Träumen geworden ist. Davon hätte ich gerne mehr gelesen. Insgesamt ist "Freundin bleibst du immer" ein gutes Buch, denn immerhin lässt es sich schön lesen und bietet einen guten ersten Einblick in die nigerianische Kultur; gerne hätte dieser für meinen Geschmack aber deutlich tiefergehend ausfallen können. Am Ende bleibe ich gut unterhalten, aber auch ein wenig enttäuscht zurück.

Veröffentlicht am 06.08.2022

Zu simpel gehalten

Der Geruch von Wut
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Nachdem sein Vater bei einem Autounfall gestorben ist, ist für Alex klar, dass der Fahrer des anderen Wagens schuld ist und für seine Tat bezahlen muss. Über einen Freund nimmt er Kontakt zu einer gewaltbereiten, ...

Nachdem sein Vater bei einem Autounfall gestorben ist, ist für Alex klar, dass der Fahrer des anderen Wagens schuld ist und für seine Tat bezahlen muss. Über einen Freund nimmt er Kontakt zu einer gewaltbereiten, rechtsradikalen Gruppe auf. Schnell schlittert Alex immer tiefer in diese Welt hinein, aus der es kein Entkommen gibt.
Beim Lesen wird schnell deutlich, dass es sich bei "Der Geruch von Wut" um ein Jugendbuch handelt. Mir war es an vielen Stellen aber selbst dafür nicht genug in die Tiefe gehend; vieles fand ich zu vereinfacht dargestellt, und ich glaube, dass gerade heutzutage Jugendliche da sehr viel aufgeweckter sind und und sehr viel mehr verstehen wollen und können, als dieses Buch ihnen an Informationen bietet. Wenn überhaupt wäre es daher in meinen Augen eher für "jüngere" Jugendliche geeignet, wobei dann aber die teilweise gewaltsamen Szenen vermutlich zu heftig sind. Mir stellt sich also die Frage, an wen genau sich der Roman eigentlich richtet.
Vom Schreibstil her ist das Buch eher simpel gehalten, es liest sich gut und man kommt schnell durch. Die Figuren waren mir aber zu flach und da hätte ich mir noch tiefere Einblicke in ihr Leben und ihre Gedanken gewünscht. Auch viele Abläufe waren mir zu ungenau bzw. zu einfach dargestellt (nach dem Motto 'Wir kennen dich nicht, aber du willst Teil unserer rechtsextremen Gruppe werden? Kein Problem, wir treffen uns an diesem und jenem Ort, komm einfach vorbei.' etc.). Die Auflösung am Ende ging dann ziemlich schnell und ohne Probleme vonstatten, in der Realität würde es so vermutlich nicht laufen. Auch hier hätte ich mir wieder mehr Authentizität und mehr Details gewünscht.

Alles in allem bietet der Roman einen nettern, kurzen ersten Einblick darauf, wie schnell man in die falschen Kreise abrutschen kann - viel mehr aber leider nicht.

Veröffentlicht am 28.07.2022

Ruhiges Familienepos

An den Ufern von Stellata
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Giacomo und Viollca passen auf den ersten Blick kaum zusammen. Er ist ruhig und schwermütig, sie ist das Feuer selbst. Doch als sie mit einem Wagenzug in den kleinen Ort Stellata kommt und durch starke ...

Giacomo und Viollca passen auf den ersten Blick kaum zusammen. Er ist ruhig und schwermütig, sie ist das Feuer selbst. Doch als sie mit einem Wagenzug in den kleinen Ort Stellata kommt und durch starke Regefälle an der Weiterreise gehindert den Winter dort verbringt, finden die beiden zueinander. Von ihnen ausgehend entspringt die Geschichte einer Familie, ähnlich verschlungen wie die Windungen des Flusses Po, an dessen Ufern sie spielt.

Einfühlsam und in bildgewaltigen Worten schafft Daniela Raimondi einen Roman, dem man sich von den ersten Seiten an kaum mehr entziehen kann. Sie erzählt von der Liebe, von Sorgen und Ängsten, vom Über-sich-selbst-Hinauswachsen, lenkt gekonnt den Blick auf Details und verliert dabei doch nicht das große Ganze aus den Augen. Unterstrichen wird das 200 Jahre umfassende Familienepos durch die Lebendigkeit der Atmosphäre Italiens und einige mysthische Elemente.
Bei der Dicke des Romans - immerhin über 500 Seiten - ist es zu verkraften, dass sich gegen Ende ein paar Längen einschleichen. Ein paar Figuren, sprich: ein oder zwei Generationen weniger hätten es sicher auch getan; andererseits ist es nicht zuletzt der große Umfang, der diese Familliengeschichte von anderen unterscheidet, die sich auf 3 oder 4 Generationen beschränken.

Insgesamt ist "An den Ufern von Stellata" ein Roman, mit dem ich viele angenehme, sommerliche Stunden verbracht habe. Wer dazu bereit ist, sich tief in eine eher ruhige Geschichte mit italienischem Flair hineinziehen zu lassen, ist hiermit gut bedient!

Veröffentlicht am 06.06.2022

Leider nicht sehr spannend

Die neue Wildnis
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Dystopische Szenarien scheinen in unserer heutigen Welt immer weniger unwahrscheinlich - Kriege, Klimawandel und Umweltkatastrophen bieten viel Raum für düstere Vorhersagen. Gerade weil wir gar nicht so ...

Dystopische Szenarien scheinen in unserer heutigen Welt immer weniger unwahrscheinlich - Kriege, Klimawandel und Umweltkatastrophen bieten viel Raum für düstere Vorhersagen. Gerade weil wir gar nicht so weit weg von solchen Vorstellungen sind, üben dystopische Romane auf mich immer wieder eine große Faszination aus.

So auch "Die neue Wildnis" von Diane Cook, das im Amerika der nahen Zukunft spielt und das Leben einer etwa 20-köpfigen Gruppe von Menschen im sogenannten "Wildnis-Staat" beschreibt. Diese Wildnis ist die letzte, die es noch gibt; die Städte sind überfüllt und vermüllt und lassen wortwörtlich kaum Luft zum Atmen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts darf eine kleine Gruppe Freiwilliger nun auswandern in diesen Wildnis-Staat, der an eine Art Nationalpark erinnert und von Rangern betreut wird. Es gibt strenge Auflagen für die Gruppe - sie müssen das Leben von Nomaden führen und dürfen nirgendwo länger als ein paar Tage verweilen, sie dürfen kaum persönliche Gegenstände mitnehmen und vor allem dürfen sie keinerlei Müll oder sonstige Spuren hinterlassen. Ein solches Leben ist hart, auf eine ganz andere Weise, als sie es aus der Stadt gewohnt sind. Plötzlich müssen sie sich mit wilden Pumas arrangieren, müssen auf ihren Wanderungen reißende Flüsse überqueren und nachts und im Winter Kälte und Hunger ertragen. Viele sterben.

Im Zentrum der Handlung stehen Bea, ihr Mann Glen, der einer der Mitentwickler des Programms war, und deren kleine Tochter Agnes. Der Roman schildert die Spannungen in der Gruppe, beschreibt die Schwierigkeiten des Überlebens in freier Natur, die die Gruppe immer wieder an ihre Grenzen führt.

Der Roman klang wirklich toll und hat sofort mein Interesse geweckt; leider war es dann aber doch eine recht kurze Liebe zwischen uns. Mein Problem ist weniger, dass mir Bea (aus deren Sicht der erste Teil der Geschichte erzählt wird) ausgesprochen unsympathisch war. Das hätte ich verkraftet, hätte die Geschichte etwas mehr Spannung entwickelt. Leider plätschert sie die meiste Zeit über jedoch merklich langsamer dahin als die zahlreichen Flüsse, die die kleine Gruppe durchqueren muss, ist also nicht gerade mitreißend; dazu kommt, dass vieles nicht mit der Tiefe beschrieben und erklärt wird, die ich mir gewünscht hätte. Wirklich schade, denn Beas Tochter Agnes und ihre Sicht auf die Welt mochte ich sehr, nur hat auch hier zu oft einfach der Schwung gefehlt und statt einer spannenden Dystopie habe ich, trotz einiger tragischer Szenen, das Gefühl, ein Buch über einen dezent eskalierenden Campingausflug gelesen zu haben. Und das war nicht das, was ich haben wollte.