Profilbild von Anna625

Anna625

Lesejury Star
offline

Anna625 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Anna625 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.05.2022

Intensiv und ehrlich

Luftpolster
0

Nach dem versuchten Selbstmord ihrer Schwester lässt sich die namenlose Protagonistin in eine Psychiatrie einweisen. Schon lange Zeit vorher hat sich der schlechte psychische Zustand der Schwester abgezeichnet ...

Nach dem versuchten Selbstmord ihrer Schwester lässt sich die namenlose Protagonistin in eine Psychiatrie einweisen. Schon lange Zeit vorher hat sich der schlechte psychische Zustand der Schwester abgezeichnet und die ganze Familie schwer belastet. Nun braucht die Protagonistin Abstand und Zeit für sich, um Schmerz und Trauer zu verarbeiten. Der immergleiche Ablauf der Kliniktage und die strengen Schlafens-, Essens- und Therapiepläne geben ihr dabei ebenso viel Halt wie die regelmäßigen Ausflüge in den Raucherraum und die Gespräche mit den anderen Patient*innen.

Die Handlung flackert hin und her zwischen der Gegenwart und Ausschnitten der Vergangenheit, die Einblicke in die Beziehung der Protagonistin zu ihrer Familie geben. Dabei wird schnell klar: Der Selbstmordversuch war nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte; Schwierigkeiten mit den Eltern und in der Schule sowie das Gefühl, mit dem eigenen Körper nicht zufrieden sein zu können, sind seit ihrer Kindheit ständige Begleiter der Protagnistin.
Die häufigen Wechsel der teilweise sehr kurzen Szenen und die konsequente Kleinschreibung im ganzen Roman mögen im ersten Moment irritieren, veranschaulichen aber sehr gut die Verfassung der Protagonistin. Der innere Konflikt, der Schmerz und die unausgesprochene Frage, ob sie nicht mehr hätte tun, mehr hätte da sein können, ob sie nicht überhaupt mehr sein müsste, beschäftigen die Protagonistin und bringen sie bis an ihre Grenzen. Vieles bleibt vage, Vieles bleibt unausgesprochen. Und doch, oder gerade deshalb, ist "Luftpolster" ein sehr intensiver, verdichteter Roman, über dem man beim Lesen komplett die Zeit vergessen kann.

Veröffentlicht am 14.05.2022

360 Seiten Langeweile

Das Leben eines Anderen
0

Nach dem Tod Daisukes muss Rie feststellen, dass ihr Ehemann nicht der war, für den sie ihn gehalten hat. Stattdessen hat er sie und sein gesamtes Umfeld die ganze Zeit ihrer Bekanntschaft hindurch über ...

Nach dem Tod Daisukes muss Rie feststellen, dass ihr Ehemann nicht der war, für den sie ihn gehalten hat. Stattdessen hat er sie und sein gesamtes Umfeld die ganze Zeit ihrer Bekanntschaft hindurch über seine wahre Identität getäuscht. Akira Kido, Anwalt, Ehemann und Vater, selbst mit dem Alltagstrott seines Lebens unzufrieden, soll nun nachforschen und herausfinden, wer Daisuke wirklich war.

Achja. Die Kultur Japans, persönliche Konflikte, der Tausch zweier Identitäten - es klang so vielversprechend. Der Einstieg hat mir auch noch recht gut gefallen, dann wurde es allerdings schnell zäh und meine Lust zum Weiterlesen war bald verflogen. Die Suche danach, was Daisuke dazu bewogen hat sein altes Leben hinter sich lassen zu wollen, und die Frage, wie ihm dies gelungen ist, hätten wirklich spannend sein können - waren sie aber nicht. Mir hat die Beschäftigung mit der Persönlichkeit der Figuren gefehlt, bzw. hat sie mich dort, wo sie vorhanden war, nicht packen können. Gespräche wirkten zu häufig zu konstruiert, und statt einem tiefen Einblick in die japanische Kultur blieb dieses Thema (ebenso wie andere eigentlich interessante Punkte) sehr oberflächlich und nur am Rande abgehandelt. Ich hatte irgendwann das Gefühl, eine Art (wenig spannenden) Krimi zu lesen - und das ist leider nicht, was ich mir von diesem Roman erhofft hatte. Dass laut Klappentext irgendwann auch Ries Anwalt in Versuchung gerät, sein Leben hinter sich zu lassen und eine andere Identität annimmt, hat mich noch eine Weile hoffen lassen; aber auch dieser Aspekt konnte es für mich letzten Endes nicht mehr retten.

Ich hatte mir viel erhofft von diesem Roman, zumal "Identitätstausch" etwas ist, womit ich mich bisher noch nie auseinandergesetzt habe. Leider ist meine Enttäuschung nach dem Lesen aber mindestens so groß wie meine Vorfreude vor dem Lesen. Mein Hauptgefühl währenddessen war Langeweile.

Veröffentlicht am 12.05.2022

Intensiv und ehrlich

Nachtschwärmerin
0

Kiara und ihr älterer Bruder Markus wachsen in einer heruntergekommenen Gegend East Oaklands auf. Ohne Eltern müssen sie sich irgendwie durchschlagen - alles andere als einfach, zumal Kiara noch nicht ...

Kiara und ihr älterer Bruder Markus wachsen in einer heruntergekommenen Gegend East Oaklands auf. Ohne Eltern müssen sie sich irgendwie durchschlagen - alles andere als einfach, zumal Kiara noch nicht 18 ist und keinen richtigen Job bekommt, während Markus alle Hoffnungen auf den Durchbruch als Musiker setzt. Doch Essen und Miete zahlen sich nicht von alleine, weshalb Kiara erst langsam und dann immer schneller in die Prostitution hineinschlittert, eine Sache, aus der es bald kein Entkommen mehr gibt.

Dass dieser Roman keine locker-leichte Wohlfühllektüre ist, muss wohl nicht extra erwähnt werden. Die Geschichte beginnt verhältnismäßig harmlos mit den Schilderungen von Kiaras und Markus' Lebensumständen und nimmt dann schnell an Fahrt auf - und das wird phasenweise schon recht heftig, auch deshalb, weil Ki eine dieser Protagonistinnen ist, mit denen man mitfühlt und denen man irgendwie helfen möchte, aus diesem Leben zu entkommen. Denn selbst, wenn sie sich und ihre kleine Familie mit dem Verkauf ihres Körpers knapp über Wasser halten kann - ein Weg hinaus tut sich dadurch nicht auf. Als dann auch noch ihr Name in einem Skandalprozess fällt, muss Kiara sich entscheiden - ist Gerechtgkeit es wert, dafür alle, die ihr wichtig sind, zu gefährden?

Intensiv und düster packt Leila Mottley hier eine ganze Menge Gesellschaftskritik in ihren Roman, der aufgrund seiner Thematik wohl noch eine ganze Weile nachhallen wird.

Veröffentlicht am 27.04.2022

Positive Überraschung

Der vergessene Geschmack von Glück
0

100 Jahre sind vergangen, seitdem sich die Köchin Anna-Greta Olsson auf einer kleinen schwedischen Insel von einer Klippe in den Tod gestürzt hat. Die Notwendigkeit, einige Monate der Arbeitslosigkeit ...

100 Jahre sind vergangen, seitdem sich die Köchin Anna-Greta Olsson auf einer kleinen schwedischen Insel von einer Klippe in den Tod gestürzt hat. Die Notwendigkeit, einige Monate der Arbeitslosigkeit zwischen Jobkündigung und Fortbildung zu überbrücken, führen den gelernten Koch Leif Söderberg auf ebendiese Insel. Dabei ist er von Anfang an skeptisch, denn das Jobangebot klingt eigentlich viel zu gut. Zwar ist der Lohn nicht der allerbeste, zum Leben reicht er aber allemal; dazu soll es Kost und Logis geben, die Hotelbesitzer scheinen nette Leute zu sein und Leif darf seine eigenen Ideen miteinbringen. Wo also ist der Haken?
Sehr schnell stellt sich heraus, dass man in der Küche partout nicht kochen kann. Und das liegt nicht etwa an den zugegebenermaßen antiquierten Gerätschaften oder an den Fähigkeiten des Küchenjungen. Nein, es ist tatsächlich so, dass man machen kann was man will - sobald das Essen die Küche verlässt, ist es versalzen, verkocht, eiskalt oder auf sonstige Weise ungenießbar. Und das schlägt sich natürlich auch in der Zufriedenheit der Gäste wider, sodass die Schließung des alten Hotels droht.

Der Roman hat mich positiv überrascht, er lässt sich sehr zügig lesen und ist unterhaltsam mit einer gewissen Leichtigkeit, ohne dabei zu oberflächlich zu sein. Die Figuren sind schön ausgearbeitet und von Anfang an sympathisch. Besonders die leichten Fantasy-Elemente haben mir gut gefallen, wobei man sich davon als Nicht-Fantasy-Leser aber auf keinen Fall abschrecken lassen sollte - obwohl eine gewisse Übernatürlichkeit das ganze Buch hindurch präsent ist, steht sie nicht wirklich im Mittelpunkt der Handlung. Viel zentraler ist da das Thema "Kochen" - da ist es sicherlich von Vorteil, wenn man dem nicht völlig abgeneigt ist, weil teilweise doch recht ausführliche Erläuterungen zu bestimmten Vorgängen in die Geschichte miteinfließen.

Ich habe den Roman gerne gelesen und empfehle ihn als spannend-entspannende Lektüre gern weiter.

Veröffentlicht am 07.04.2022

Wenn die Kindheit keine Kindheit mehr ist

Die Kinder sind Könige
0

Mein erstes Buch von der Autorin, die Erwartungen waren hoch - immerhin schwärmt wirklich jeder von ihr. Gleichzeitig hört man auch ständig, "Die Kinder sind Könige" sei anders als ihre bisherigen Romane; ...

Mein erstes Buch von der Autorin, die Erwartungen waren hoch - immerhin schwärmt wirklich jeder von ihr. Gleichzeitig hört man auch ständig, "Die Kinder sind Könige" sei anders als ihre bisherigen Romane; ob das so ist, kann ich nicht beurteilen, was ich aber sagen kann: Ich fand es gut, aber nicht vollkommen überzeugend.

Die Ausgangssituation ist die, dass die junge Mutter Mélanie gemeinsam mit ihren Kindern einen YouTube-Kanal aufgebaut hat, der mehrere Millionen Abonnenten hat, zahlreiche Klicks generiert und der Familie so das Einkommen mehr als sicherstellen kann. Mélanie selbst hat in der Vergangenheit vergeblich versucht, sich im Rampenlicht zu behaupten, nun gelingt ihr über Sohn Sammy und Tochter Kimmy auf einem ganz speziellen Weg der Einstieg in die Welt derer, die dank ihrer Internet-Präsenz bekannt sind. In den auf YouTube hochgeladenen Videos stehen Sammy und Kimmy im Mittelpunkt, sie machen Challenges, Pranks, Unboxings und vieles mehr. Die Fans sind begeistert, besonders von der kleinen Kimmy, und so werden auch auf Instagram fleißig Stories hochgeladen. So lange, bis Kimmy bei einem der seltenen Male, die sie draußen mit anderen Kindern spielen kann, plötzlich verschwindet.

Im Zentrum des Romans steht nun einerseits natürlich die Ermittlung, ganz besonders aber auch die Frage um das Wohl der Kinder über die vermutete Entführung hinaus. Kann ein Kind im Alter von 6 Jahren wirklich "wollen", dass man es ständig filmt, kann es "wollen", dass es mehrmals in der Woche stundenlang Videos aufnehmen soll, dabei viele Szenen mehrmals - und das nur, um den Menschen da draußen, die es nicht kennt und von denen es keinerlei Vorstellung hat, zu gefallen? Denn das ist Mélanies feste Überzeugung. Ihre Kinder führen ein Leben fernab von dem, wie andere Kinder in ihrem Alter es haben - Freizeit haben sie kaum, und selbst dann dürfen sie nur selten mit den Nachbarskindern spielen. Sie erfahren Ausgrenzung und Hänseleien aufgrund ihres unfreiwilligen Hobbys, gleichzeitig überbordende Liebe von wildfremden Menschen, die Fotos und Autogramme von ihnen wollen. Welche Kleidung sie tragen und mit welchen Spielsachen sie spielen, darüber bestimmen ihre Abonnenten und die Verträge mit großen Firmen. Und dazu kommt, dass nahezu alles, was sie tun, ständig öffentlich für alle einsehbar ist - Privatsphäre ist Fehlanzeige.

Im Fall der mutmaßlichen Entführung stehen die Ermittler*innen zunächst ohne wirkliche Hinweise da. Niemand hat etwas Brauchbares gesehen, auch der Entführer lässt nichts von sich hören - und so steigt die Angst, während Kimmys Überlebenschancen mit jeder Stunde sinken. An den Ermittlungen beteiligt ist unter anderem die Polizistin Clara; sie ist neben Mélanie die zweite Protagonistin des Romans und beschäftigt sich viel mit dem auf YouTube und Instagram hochgeladenen Videomaterial über Kimmy und ihren Bruder.

Die Ausgangssituation ist spannend, gerade auch, da Themen wie dieses hochaktuell und sehr problematisch sind. Denn rechtlich gesehen ist hier alles im grünen Bereich, als Zuschauer sieht und bewundert man nur die dargestellte heile Welt, hinterfragt aber kaum mal, ob diese auch der Realität entspricht und wie es wohl abseits der Kamera aussieht. Dennoch würde bei einem genaueren Blick auf die Umstände wohl niemand sagen, dass Kinder wie Sammy und Kimmy eine schöne Kindheit, oder überhaupt eine echte Kindheit, erleben; aber das will eben niemand sehen.
In dieser Hinsicht ht mir der Roman sehr gut gefallen. Gefehlt hat mir allerdings die Nähe zu den Figuren; Mélanie war mir schlichtweg unsympathisch, wobei das vermutlich auch so beabsichtigt war; mit Clara konnte ich, wenn ich sie auch etwas lieber mochte, beinahe ebenso wenig anfangen. An einigen Stellen hatte ich das Gefühl, dass der Roman zu oberflächlich bleibt, und vom allseits hochgelobten, fesselnden Schreibstil De Vigans habe ich hier noch nicht allzu viel gespürt.
Ich fand den Roman keinesfalls schlecht, meine Erwartungen waren einfach nur andere und vielleicht auch etwas zu hohe. Trotzdem habe ich die Lektüre genossen und werde sicher noch andere Bücher der Autorin lesen.