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Veröffentlicht am 26.07.2018

Licht und Schatten

Spur der Schatten
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Ab und zu lese oder - wie hier - höre ich mit Vergnügen Regionalkrimis und bei einigen Reihen bin ich inzwischen zur Wiederholungstäterin geworden, so zum Beispiel bei Jörg Maurers Allgäu-Krimis, bei Jean-Luc ...

Ab und zu lese oder - wie hier - höre ich mit Vergnügen Regionalkrimis und bei einigen Reihen bin ich inzwischen zur Wiederholungstäterin geworden, so zum Beispiel bei Jörg Maurers Allgäu-Krimis, bei Jean-Luc Bannalecs Ermittlungen in der Bretagne oder bei Remy Eyssens Provencemördern. Etwas Ähnliches hatte ich mir von der Algarve-Reihe von Gil Ribeiro, Pseudonym eines deutschen Autors, versprochen, allerdings nur zum Teil gefunden. Das liegt vor allem daran, dass mir der Schwerpunkt bei "Lost in Fuseta – Die Spur der Schatten" zu sehr auf dem regionalen Hintergrund einerseits und den Besonderheiten des autistischen Kommissars andererseits und zu wenig auf dem gut angelegten, bis in Portugals interessante Kolonialzeit und ins Parlament reichenden Fall liegt. Von der exakten Aufzählung von Straßennamen und Speisen aller Art war ich zeitweise genervt und die Überbetonung verstärkte nicht wie erwartet meinen Wunsch nach einer Algarvereise. Auch die ständig wiederholten Schilderungen zu Kommissar Losts Asperger-Syndrom waren für mich zuviel des Guten, weniger wäre in beiden Fällen mehr gewesen. Ausgesprochen originell fand ich dagegen das von Lost benutzte, bedauerlicherweise fiktive „Kompendium sinnloser Sätze“, aus dem der völlig emotionslose Alemão zitiert - entlarvend und urkomisch zugleich. Gerne verzichtet hätte ich aber auf Losts ebenso unnötige wie unglaubwürdige Liebesverwicklungen.

Der Prolog mit den drei Auftragskillern ist vielversprechend, dann beginnt der Krimi mit dem spurlosen Verschwinden der Polizistin Teresa Fiadeiro. In diesem zweiten Band der Serie, den man auch ohne Kenntnis von Band eins lesen bzw. hören kann, ermitteln wieder die sympathische Sub-Inspektorin Graciana Rosado und der dauerhungrige Carlos Esteves von der Polícia Judicária Faro, dazu der Hamburger Austauschpolizist mit Asperger-Syndrom Leander Lost. Zusammen bilden sie ein eingespieltes, vertraut agierendes Team, in dem der gnadenlos ehrliche, humorlose Autist ohne Bauchgefühl, dafür mit einer überragenden Begabung für Logik und einem fotografischen Gedächtnis, nicht nur akzeptiert, sondern ob seiner Fähigkeiten wertgeschätzt und gemocht wird. Ergänzt wird die Ermittlergruppe unter anderem durch den eitlen Spanier Miguel Duarte, mit dem ich meinen Spaß hatte.

Lange habe ich mich gefragt, ob eine Dorfpolizistin wie Teresa ein Ziel für die professionellen Auftragskiller des Prologs sein kann, aber dann entpuppte sich der Fall als mehrere Nummern größer und auf den letzten beiden CDs nimmt die Handlung deutlich an Fahrt zu. Es braucht schließlich nicht nur einen, sondern sogar zwei Showdowns mit der ein oder anderen Überraschung, um den Fall nach sieben Tagen zufriedenstellend abzuschließend.

Sehr gut gefallen hat mir der Sprecher Andreas Pietschmann, dem ich gerne zugehört habe. Zwar kann ich seine portugiesische Aussprache nicht fachkundig beurteilen, sie klang aber für mich gut. Er liest das gekürzte Hörbuch auf sechs CDs in etwa sieben Stunden pointiert im jeweils angemessenen Tempo und hebt sowohl die komischen als auch die spannenden Teile des Textes gekonnt hervor.

Veröffentlicht am 26.07.2018

Geheimnisvolle Île de Porquerolles

Das Grab unter Zedern (Ein-Leon-Ritter-Krimi 4)
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Nach „Tödlicher Lavendel“, „Schwarzer Lavendel“ und „Gefährlicher Lavendel“ war ich sehr gespannt, welches Adjektiv die im Mittelmeerraum beheimatete Pflanze im vierten Band der provenzalischen Krimireihe ...

Nach „Tödlicher Lavendel“, „Schwarzer Lavendel“ und „Gefährlicher Lavendel“ war ich sehr gespannt, welches Adjektiv die im Mittelmeerraum beheimatete Pflanze im vierten Band der provenzalischen Krimireihe von Remy Eyssen schmücken würde, doch mit „Das Grab unter Zedern“ rückt dieses Mal eine andere botanische Gattung in den Fokus. Das bekannte Personal bleibt allerdings glücklicherweise erhalten, in erster Linie der deutsche Gerichtsmediziner Dr. Leon Ritter vom Krankenhaus Saint-Sulpice und seine Lebenspartnerin Capitaine Isabelle Morell, stellvertretende Polizeichefin der Gendarmerie nationale von Le Lavandou. Das Duo ist nicht nur privat inzwischen ein gutes Paar, auch ihre berufliche Verbindung ist überaus erfolgreich. Die Polizistin hat die „spezielle Arbeitsweise“ Leons schätzen gelernt hat und vertraut im Gegensatz zu ihren Kollegen seinem Bauchgefühl und seinen Methoden. Umso betroffener reagieren Leon und Isabelle, als der Klinikchef ihm einen zweiten Gerichtsmediziner aus Avignon zur Disziplinierung wegen der ungewöhnlichen Vorgehensweisen zur Seite stellt. Ein Schock für den Einzelkämpfer Leon, dem Intrigen, Mobbing und Eifersüchteleien zuwider sind.

Viel Zeit zum Grübeln bleibt ihnen nicht. Kurz vor Beginn der Touristensaison wird der Vater der vor fünf Jahren spurlos verschwundenen zehnjährigen Amélie Simon vom Berufungsgerichtshof in Toulon in einem Wiederaufnahmeverfahren aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Der ursprünglich in einem Indizienprozess wegen Mordes verurteilte Paul Simon ist damit zum Entsetzen vieler Bürger wieder auf freiem Fuß. Die Staatsanwaltschaft hat die Wiederaufnahme der Ermittlungen durch die Gendarmerie nationale von Le Lavandou unter der Aufsicht der für Kapitalverbrechen zuständigen Police Juridicaire, der Kriminalpolizei von Toulon, angeordnet. Noch während sich die Kollegen von Isabelle über die ihrer Ansicht nach unnötigen neuen Ermittlungen ärgern, wird nach einem Sturm die Leiche des Besitzers eines gestrandeten Bootes gefunden, dessen natürliche Todesursache Leon vehement bestreitet. Es wird nicht der letzte Tote sein, bei dem Leon seine berüchtigte Vorliebe für ungewöhnliche Mordtheorien unter Beweis stellt. Und alle Spuren scheinen - zum Leidwesen des unter Seekrankheit leidenden Gerichtsmediziners - auf die Insel Porquerolles zu führen...

Ich bin inzwischen bekennender Fan dieser leicht zu lesenden, sehr unterhaltsamen Krimireihe mit dem sympathischen Personal und dem richtigen Mix aus Ermittlungen, Privatleben und provenzalischem Flair. Allerdings war ich dieses Mal nach 180 Seiten sicher, die Auflösung zu kennen, und behielt recht. Obwohl die Spannung darunter gelitten hat, habe ich auch die zweite Hälfte gerne gelesen und verfolgt, wie Remy Eyssen falsche Spuren gelegt, die Ermittler langsam auf die richtige Spur gebracht und am Ende sogar mehr als einen dramatischen Showdown präsentiert hat.

Trotz der Einschränkung bin ich auch beim nächsten Band garantiert wieder dabei, egal ob mit Lavendel, Zedern oder einer anderen Gattung der provenzalischen Pflanzenwelt.

Veröffentlicht am 26.07.2018

Sehen, sich erinnern, verstehen

Die Unruhigen
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Vor einigen Jahren hat mich Linn Ullmanns Roman "Gnade" begeistert, der meine Einstellung zur Sterbehilfe seither maßgeblich mitprägt. Damals bin ich auf diese Autorin wegen ihrer berühmten Eltern aufmerksam ...

Vor einigen Jahren hat mich Linn Ullmanns Roman "Gnade" begeistert, der meine Einstellung zur Sterbehilfe seither maßgeblich mitprägt. Damals bin ich auf diese Autorin wegen ihrer berühmten Eltern aufmerksam geworden: Liv Ullmann (*1938) und Ingmar Bergman (1918 - 2007). Inzwischen ist sie eine der bekanntesten Autorinnen Skandinaviens und vielfach preisgekrönt.

In einem Interview mit der dänischen Zeitung "Politiken" 1999 sagte Linn Ullmann, dass sie Biografien und Bücher über Prominente verabscheue. Nun hat sie einen autobiografischen Roman über ihre Familie geschrieben. Einen Roman deshalb, „weil das eine offene Form ist... Der Roman steht der essayistischen Form offen, der dokumentarischen, dem Märchen, den Memoiren – also sozusagen eine genreübergreifende Textform.“ (Interview mit DLF Kultur vom 11.06.2018). Sie hatte bereits zu schreiben begonnen, als sie die sechs Tonbänder wiederfand, auf denen sie Interviews mit dem Vater kurz vor dessen Tod aufgezeichnet hatte, zu einer Zeit, als er bereits schwer von Krankheit und Vergessen gezeichnet war. Die Tonbänder sind in Ausschnitten transkribiert und bilden den roten Faden der sechs Kapitel. Bei ihrem Erinnern greift Linn Ullmann immer wieder die gleichen Gedanken und Szenen auf und erzählt sie aus anderem Blickwinkel, mal in der Ich-Form, mal in der dritten Person, jedoch immer ohne Namen. Sie variiert die Themen Altern, Erwachsenwerden, Liebe und Dynamik von Erinnerungen aus allen Blickwinkeln, ohne dass es mir auf den 400 Seiten je zu viel geworden wäre.

Linn Ullmann kam 1966 als neuntes Kind ihres Vaters zur Welt, ihre Eltern waren nicht verheiratet und Liv Ullmann lag gewissermaßen zwischen der vierten und fünften Ehefrau Bergmans. Damals baute er ein Haus in Hammars auf Fårö, Gotlands Nachbarinsel, wo er zukünftig seine Sommer verbrachtete, wenn er nicht drehte oder am Theater arbeitete sondern schrieb, und hierher zog er sich mit 84 Jahren ganz zurück. Nach der Trennung ihrer Eltern 1969 war Linn Ullmann im Sommer oft in Hammars, wo Bergman inzwischen mit seiner letzten Frau Ingrid, nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Schauspielerin, lebte.

Die Passagen auf Fårö bilden für mich die Höhepunkte dieses Buches. Da ich die Insel selbst kenne und liebe, lief während der detaillierten Beschreibungen bei mir ein veritables Kopfkino ab. Wie Bergman sich seine Grabstelle auf dem kleinen Friedhof neben der Fårökirche aussucht, wie er zum Zeitungholen nach Gotland übersetzt, wie er sich täglich in der zum Kino umgebauten Scheune in Dämba einen Film ansieht, die Strände, Heide und Rauken konnte ich mir wunderbar vorstellen.

Auch Ingrids Tod, der Bergman so völlig aus der Bahn warf, war mir aus „Der weiße Schmerz“, dem Buch über die Monate ihrer Krankheit 1994/95, bekannt. So habe ich über Bekanntes aus neuer Sicht mehr erfahren, und das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Weniger konnte ich mit den zum Glück kürzeren Abschnitte über die Mutter anfangen, hier wurde mir das chaotische Beziehungsleben zu viel.

Ihre Eltern blieben ihr Leben lang Freunde und „Arbeitskameraden“, doch gab es "niemals sie drei" und es existiert auch kein gemeinsames Foto. Von beiden Eltern fühlte sich die Tochter jedoch geliebt und liebt beide, was man jeder Zeile des ansonsten urteilsfreien Buches anmerkt.

Für mich eine lohnende, literarisch gelungene Lektüre von einer Autorin, die ich bewundere.

Veröffentlicht am 26.07.2018

Zwei Sorten von Feministinnen

Das weibliche Prinzip
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Greer Kadetzky, schüchtern, extrem ehrgeizig und begabt, nimmt 2006 18-jährig ihr Studium am Ryland College auf. Dass es nicht Yale geworden ist, wofür sie und ihr ebenso zielstrebiger Freund Cory die ...

Greer Kadetzky, schüchtern, extrem ehrgeizig und begabt, nimmt 2006 18-jährig ihr Studium am Ryland College auf. Dass es nicht Yale geworden ist, wofür sie und ihr ebenso zielstrebiger Freund Cory die Zulassung bekommen hatten, liegt an der Nachlässigkeit, mit der ihr Vater die Anträge für die Finanzierung ausgefüllt hat. Nun ist Greer zu ihrer Enttäuschung in einem Provinzcollege gestrandet, Cory studiert in Princeton.

Drei Ereignisse zu Beginn ihres Studiums werden für Greers Zukunft prägend: die Freundschaft zu Zee, der sexuelle Übergriff eines Kommilitonen und der Vortrag von Faith Frank, der 63-jährigen charismatischen Gallionsfigur des Feminismus, der für Greer zu einem Erweckungserlebnis wird.

Die US-Amerikanerin Meg Wolitzer erzählt in "Das weibliche Prinzip" von einer 13 Jahre währenden Periode der Selbstfindung Greers bis zum Jahr 2019. Wie in einer Fieberkurve schnellt die Temperatur bei ihrer Begegnung mit Faith Frank nach oben, steigt während ihres Studiums und ihrer Tätigkeit in deren Stiftung weiter an und endet mit der Entzauberung des Idols, als Faith Frank in Greers Augen zu viele Kompromisse schließt. Mit der Loslösung kann Greer ihren eigenen Weg gehen und wird selbst zur gefeierten Bestsellerautorin und Stimme der Frauenbewegung.

"Das weibliche Prinzip" ist ein leicht zu lesender Roman mit einem spannenden Thema und meine Erwartungen waren durch die hervorragenden Besprechungen der Vorgängerwerke hoch. Dass der Funke letztlich nicht so recht übergesprungen ist, hat mehrere Ursachen. Hauptsächlich enttäuscht hat mich die Oberflächlichkeit, mit der das Thema Feminismus behandelt wird. In den ersten beiden Dritteln hätte eine deutliche Straffung dem Buch außerdem in meinen Augen gutgetan. Bedauerlicherweise konnte ich die Gründe für Greers Faszination nicht nachvollziehen, nur glauben, nicht spüren. Ein weiterer Kritikpunkt ist die gleichförmige Sprache für alle, sei es Studentin oder ältere Frau. Leider kann ich nicht beurteilen, ob das ein Problem des Originals oder der Übersetzung ist.

Was mir viel besser gefallen hat, sind die Schicksale der Nebenfiguren. Greers Freund Cory, der seine beginnende Karriere nach einer familiären Katastrophe der Familie opfert, „nicht wegläuft, sondern hilft“, ist „in gewisser Weise ein großer Feminist“. Ebenso sympathisch war mir Greers loyale und treue Freundin Zee, die von Greer übel hintergangen wird, lange nach ihrer Bestimmung sucht und aus eigener Kraft einen Weg findet. Am Ende erkennt Zee: „Ich glaube, es gibt zwei Sorten von Feministinnen. Die berühmten und den ganzen Rest, all jene, die still und gewissenhaft ihre Arbeit erledigen, ohne viel Anerkennung zu ernten, die niemanden haben, der ihnen täglich sagt, wie toll sie sind.“ In diesem Roman sind die Letztgenannten meine Helden.

Über das harmonische Ende kann man sicher geteilter Meinung sein, sehr schön fand ich aber, dass mit der Teilnahme Greers am Women’s March für Frauen- und Menschenrechte am 21.01.2017, dem Tag nach der Amtseinführung Donald Trumps, die aktuelle Politik Einzug in den Roman gehalten hat.

Veröffentlicht am 26.07.2018

Ein ganzes Arbeiterleben

Der Sprengmeister
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Beim Tod Henning Mankells 2015 habe ich es sehr bedauert, dass es in Zukunft keine neuen Bücher eines meiner Lieblingsautoren mehr geben würde. Als 2017 dann "Der Sandmaler", ein Frühwerk aus dem Jahr ...

Beim Tod Henning Mankells 2015 habe ich es sehr bedauert, dass es in Zukunft keine neuen Bücher eines meiner Lieblingsautoren mehr geben würde. Als 2017 dann "Der Sandmaler", ein Frühwerk aus dem Jahr 1974, erstmals auf Deutsch erschien, war ich nicht sicher, ob man ihm damit einen Dienst erwiesen hatte, denn der Roman kam mir vergleichsweise sprachlich unreif vor. Doch mit "Der Sprengmeister" wurde nun sein Debütroman aus dem Jahr 1973 übersetzt, der mir viel besser gefiel und stilistisch bereits ein „echter Mankell“ ist. Ob es daran liegt, dass Henning Mankell 1997 sprachliche Änderungen darin vorgenahm? Inhaltlich zumindest blieb das Buch unverändert, da er zurecht keine Notwendigkeit für Korrekturen sah. Dieser Roman, den er mit 25 Jahren schrieb, greift bereits die sozialpolitischen Themen seines späteren Werkes auf, ist politisch aber radikaler.

Erzählt wird das Leben des Sprengmeisters Oskar Johansson, geboren 1888 in Norrköping als Sohn und Enkel von Arbeitern, der im Juni 1911 bei Sprengungen für einen Eisenbahntunnel eine Detonation aus nächster Nähe nur durch ein Wunder überlebt. Der namenlose Ich-Erzähler lernt ihn erst kennen, als Oskar, Witwer und pensioniert, seine Sommer bis zu seinem Tod im April 1969 in einer umgebauten Sauna auf einer Insel im äußeren Stockholmer Schärengarten verbringt. Er schildert in nicht-chronologischer Abfolge und ohne ein überflüssiges Wort einerseits eigene Beobachtungen, andererseits gibt er wieder, was Oskar ihm über sein Leben erzählt hat. Das Ergebnis seiner Arbeit beschreibt der Ich-Erzähler so: „Die Erzählung über Oskar ist wie ein Eisberg. Man sieht nur einen kleinen Teil. Der Großteil ist unter der Oberfläche verborgen. Dort befindet sich die größte Masse Eis, die dem Berg das Gleichgewicht im Wasser verleiht und ihn stabil dahingleiten lässt.“ Uneinig sind sich Erzähler und Protagonist über Oskars Bedeutung: Während Oskar darauf beharrt, nichts Besonderes zu sein, ist der Erzähler vom Gegenteil überzeugt.

Doch was ist das Besondere an diesem Arbeiterleben im Schweden des vorhergehenden Jahrhunderts? Mit Sicherheit das Sprengstoffunglück, das er schwer körperlich versehrt überlebt. Unbeugsam arbeitet er dennoch ein Jahr später wieder als Sprengmeister, mit Unterbrechungen durch Arbeitslosigkeit bis zu seiner Rente im Jahr 1954. Breiten Raum im Roman nimmt das politische Engagement Oskars ein, für das ihn der Vater 1910 aus dem Haus wirft, denn einen Sozialisten mag er nicht dulden. Oskars Traum von einer gerechteren Gesellschaft führt ihn zunächst in die sozialdemokratische Partei, doch als ihm "zu wenig in zu langer Zeit" geschieht, tritt er aus, wird Kommunist und ist bis zuletzt von einer bevorstehenden Revolution überzeugt.

Den Titel meiner Rezension, „Ein ganzes Arbeiterleben“, habe ich nicht zufällig gewählt. Immer wieder fühlte ich mich an Robert Seethalers herausragenden Roman "Ein ganzes Leben" erinnert, auch wenn dessen Protagonist Andreas Egger weit weniger aufbegehrt als Oskar Johansson.