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Veröffentlicht am 30.04.2022

Historisch höchst interessant, dazu gut unterhaltend

Caffè in Triest
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REZENSION – Mit seiner neuen Krimireihe um den Kriminalbeamten Bruno Zabini ist es dem österreichischen Schriftsteller Günter Neuwirth (55) nicht nur gelungen, in der Vielzahl historischer Krimis eine ...

REZENSION – Mit seiner neuen Krimireihe um den Kriminalbeamten Bruno Zabini ist es dem österreichischen Schriftsteller Günter Neuwirth (55) nicht nur gelungen, in der Vielzahl historischer Krimis eine geopolitisch interessante Lücke für sich auszumachen. Er hat es nach seinem ersten Roman „Dampfer ab Triest“ (2021) nun mit dem im März im Gmeiner Verlag erschienenen Folgeband „Caffè in Triest“ endgültig geschafft, ihr auch seinen literarischen Stempel aufzudrücken.
Neuwirths charmanter Protagonist Bruno Zabini, Inspector I. Klasse des kaiserlich-königlichen Polizeiagenteninstituts der Reichsunmittelbaren Stadt Triest und Tröster zweier unglücklich verheirateter Frauen, muss in der zum europäischen Handelszentrum gewordenen Hafenstadt an der Adria erneut sein kriminalistisches Können beweisen: Dem Slowenen Jure Kuzmin ist der Aufstieg vom einfachen Seemann zum Kaffee-Importeur gelungen. Doch als er sich in die Tochter eines angesehenen Triester Großhändlers verliebt, zieht er den Zorn des italienischen Dandys Dario Mosetti auf sich. Dieser will seinen Nebenbuhler ausschalten und bittet seine italienischen Freunde, dem Slowenen eine Abreibung zu verpassen. Doch die Aktion läuft aus dem Ruder, führt zu einem ersten Mord und weitet sich bald zum Bandenkrieg zwischen Italienern und Slowenen aus. Inspector Zabini steht unter Druck, denn in wenigen Tagen werden der habsburgische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin Herzogin Sophie zum Stapellauf zweier Passagierdampfer der österreichischen Handelsmarine erwartet.
Neuwirth greift in seinem Krimi gleich mehrere sozial- und wirtschaftspolitische Aspekte auf, die das komplizierte Miteinander in dieser Vielvölkerstadt im Jahr 1907 ausmachen: Einerseits ist Triest eines der wirtschaftlich bestentwickelten Gebiete des Habsburger-Reiches. Österreichische und italienische Großkaufleute haben es zu Wohlstand gebracht, der Handel mit Übersee boomt – vor allem mit arabischem Kaffee. Das kulturelle Leben ist hoch entwickelt, Triest ist zum Mekka für Literaten aus ganz Europa geworden. Doch untergründig brodelt es: Radikale Italiener versuchen, Stimmung gegen die alles beherrschende und verhasste Donau-Monarchie zu machen: „Man müsse die terra irredenta den Habsburgern entreißen, man müsse mit einem scharfen Messer heiliges italienisches Land aus der fauligen Masse des Vielvölkerstaates schneiden“, meinen die radikalen Irredentisten, zu denen leider auch Darios junge Freunde gehören, die in ihrem Hass auf alles Fremde in Jure Kuzmin weniger Darios Nebenbuhler als vielmehr den slowenischen Ausländer sehen.
Günter Neuwirth schildert die damalige Situation in der von den Habsburgern beherrschten, aber im Kern doch italienischen Wirtschaftsmetropole Triest mit all ihren gesellschaftlichen und politischen Spannungen so plastisch und leicht nachvollziehbar, dass es nicht nur für historisch Interessierte ein Genuss sein dürfte, seinen Roman zu lesen: Fast meint man während der Lektüre, als Gast am Kaffeekränzchen der feineren Gesellschaft teilzunehmen, im Caffè Tomasseo bei den politischen Eiferern dabei zu sein oder am Hafen beim Verladen der Schiffe zuzuschauen. Sprachlich versucht sich Neuwirth dem Tonfall damaliger Zeit ohne zu übertreiben anzupassen, so dass seine Geschichte atmosphärisch überaus stimmig wirkt.
Dass „Caffè in Triest“ nicht nur ein Roman für geschichtlich Interessierte ist, dafür sorgt der von Bruno Zabini zu lösende Kriminalfall. Dieser scheint allerdings der bunten Schilderung des Triester Alltagslebens eher den notwendigen Handlungsrahmen zu geben, um aus der vielfältigen Stoffsammlung eine lesenswerte Erzählung machen zu können. Anders ist es dagegen mit dem auch für unsere Zeit noch ungewöhnlichen Liebesleben des Protagonisten, das sich zu einem über die Bände durchgängigen, parallel laufenden Handlungsstrang zu entwickeln scheint: Der charmante Junggeselle Bruno Zabini ist der Tröster gleich zweier unglücklich verheirateter Frauen während der mehrmonatigen Abwesenheit ihrer Ehemänner. Durch eine Intrige wird allerdings seinem Vorgesetzten dieses Fehlverhalten bekannt, weshalb Bruno – natürlich erst nach Auflösung des Mordfalles – vom Dienst suspendiert wird. Auf eine unterhaltsame und dennoch historisch höchst interessante Fortsetzung darf man also gespannt sein.

Veröffentlicht am 23.04.2022

Hitorisch interessanter, spannender und temporeicher Politthriller

Red Traitor
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REZENSION – Noch nie war seit den Jahren der militärischen Abrüstung und des Friedens in Europa die Angst vor einem russischen Atomschlag so groß wie gerade jetzt im Ukraine-Krieg. Dadurch bekommt der ...

REZENSION – Noch nie war seit den Jahren der militärischen Abrüstung und des Friedens in Europa die Angst vor einem russischen Atomschlag so groß wie gerade jetzt im Ukraine-Krieg. Dadurch bekommt der bereits im Juli 2021 in Großbritannien und schon im Januar beim Lübbe Verlag veröffentlichte Spionage-Thriller „Red Traitor“ des britischen Schriftstellers Owen Matthews (51) eine unerwartete Aktualität. Denn auch dieser zweite Band der spannenden Politthrillerreihe um Alexander Wassin, Top-Agentenjäger des sowjetischen Geheimdienstes KGB zu Beginn der 1960er Jahre, handelt von der Angst vor einem Atomschlag der Sowjets und einem dritten Weltkrieg.
Der Roman behandelt die Kuba-Krise im Oktober 1962: Die Sowjets hatten auf Kuba, also in unmittelbarer Nähe der USA, atomar bestückte Mittelstreckenraketen stationiert. Die Streitkräfte der Nato, also auch die deutsche Bundeswehr, wurde in Alarmbereitschaft versetzt. Es fehlte nicht viel zum dritten Weltkrieg. In dieser heißen Phase setzt der Agententhriller „Red Traitor“ ein: KGB-Mann Alexander Wassin jagt einen hochrangigen Verräter in den eigenen Reihen. Bald hängt das Schicksal der Welt vom Erfolg seiner Mission ab - und von der Geduld und Umsicht des Befehlshabers einer sowjetischen U-Boot-Flotte, die ohne Kontakt zu Moskau dem Befehl folgt, die von den USA erlassene Seeblockade vor Kuba zu durchbrechen. Alle fünf Kapitäne haben zudem den Geheimbefehl, bei einem Angriff der USA ihre Atomraketen an Bord abzufeuern, deren Vorhandensein an Bord dieser U-Boot-Klasse den Vereinigten Staaten nicht bekannt ist.
Nicht nur die Kuba-Krise bildet den real-historischen Hintergrund dieses extrem spannenden Thrillers. Autor Owen Matthews, der selbst in den Jahren 2006 bis 2012 das Moskauer Auslandsbüro des US-Nachrichtenmagazins The Newsweek leitete, nutzte als versierter Journalist und Historiker auch inzwischen freigegebene Originalquellen beider Weltmächte, allen voran die 1965 in London veröffentlichten „Penkowski Papers“ von Oleg Penkowski (1919-1963), damals Oberst im sowjetischen Militärnachrichtendienst GRU. Als Doppelagent spionierte er sowohl für den britischen MI6 als auch für die amerikanische CIA, wurde am 22. Oktober 1962 vom KGB verhaftet und am 16. Mai 1963 wegen Landesverrats hingerichtet. Penkowskis Alter Ego im Roman ist eben jener hochrangige Verräter, den Agentenjäger Alexander Wassin zu entlarven sucht. Doch auch die meisten anderen Figuren des Romans – teils mit echten Namen genannt, teils mit Pseudonym – haben reale Personen als Vorbilder. Auch ihr von Owen Matthews im Roman geschildertes Handeln und Denken basiert auf Aussagen in Originalquellen und teilweise in eigenen Autobiografien. Die Verwendung dieses umfangreichen, in langer Liste dem Roman angehängten Quellenmaterials verarbeitet Owen Matthews in seinem Roman so perfekt, dass man sich als Leser schwer tut, Fiktionales von Realem zu unterscheiden.
Damals, im Oktober 1962, waren nicht nur Nikita Chruschtschow und John F. Kennedy zur Umsicht gefordert, sondern vor allem der Befehlshaber der fünf sowjetischen U-Boote: Wassili A. Archipow (1926-1998), Stabschef der 69. U-Boot-Brigade der Nordmeerflotte, verweigerte am 27. Oktober 1962 seine Zustimmung zum Abschuss eines Atomtorpedos und verhinderte dadurch wahrscheinlich den dritten Weltkrieg, was erst 40 Jahre später öffentlich bekannt wurde. Heute ist ein Raum im Hauptquartier der CIA in Langley (Virginia) nach ihm benannt.
Der Politthriller „Red Traitor“ ist nicht nur ein historisch interessanter, spannungsgeladener und temporeicher Roman, den man ungern aus der Hand legt und der zur weiteren Beschäftigung mit der kuba-Krise anregt. Das Besondere ist auch, dass dieser Roman fast ausschließlich das Handeln und Denken der sowjetischen Seite beschreibt. „Red Traitor“ ist auch eine Würdigung des sowjetischen Marineoffiziers Archipow, vor allem aber die dringende Mahnung zu umsichtigen politischen Handeln – nicht nur jetzt, aber gerade jetzt in der aktuellen Kriegsphase in Europa und der russischen Drohung eines möglichen Atomwaffen-Einsatzes.

Veröffentlicht am 08.04.2022

Trügerische Idylle in Holstein

Habichtland
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REZENSION – Mit seinem Roman „Kronsnest“ gelang Florian Knöppler (56) im vergangenen Jahr ein eindrucksvolles und viel beachtetes Debüt über das dörfliche Leben in der holsteinischen Elbmarsch in den 1920er ...

REZENSION – Mit seinem Roman „Kronsnest“ gelang Florian Knöppler (56) im vergangenen Jahr ein eindrucksvolles und viel beachtetes Debüt über das dörfliche Leben in der holsteinischen Elbmarsch in den 1920er Jahren zur Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus. Mit einem Zeitsprung ins Jahr 1941 setzt er nun in „Habichtland“, im Februar beim Pendragon Verlag erschienen, seine Erzählung um den inzwischen erwachsenen Kleinbauern Hannes, Ehefrau Lisa, seine Freundin Mara von Heesen und Stiefvater Walter fort. Obwohl die Protagonisten dieselben sind, hat sich nach 15 Jahren nicht zuletzt durch Umwälzung der politischen Gegebenheiten ihr Leben verändert, weshalb „Habichtland“ nicht zwingend als Fortsetzung, sondern durchaus als eigenständiger Roman mit anderem Themenschwerpunkt gelesen werden kann.
In „Habichtland“ lässt Knöppler seine Hauptpersonen nach „Möglichkeiten von Glück und Moral in einer Diktatur“ suchen. Hannes und Lisa gehen dabei gegensätzliche Wege: Der sensible, in sich gekehrte und wortkarge Kleinbauer Hannes sucht in Zeiten des Krieges und des Nazi-Regimes vor allem Ruhe und Frieden und schottet sich gegen alles Störende und Zerstörende ab. Bald fühlt er sich auf seinem ärmlichen Hof, der für ihn und seine Familie eine „Insel des Glücks“ bleiben und Sicherheit bieten sollte, wie ein gefangener Panther im Gitterkäfig. Es sind diese Verse des Gedichts „Der Panther“ des Lyrikers Rainer Maria Rilke, die sein Gefühl besser beschreiben, als Hannes es selbst ausdrücken könnte: „Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.“
Statt mit seiner Frau offen über seine Gefühle zu sprechen, die ihm durch ihr Handeln und Schweigen fremd geworden ist, gibt er ihr nur dieses Gedicht zu lesen. Denn auch Lisa ist in ihrer eigenen, wenn zunächst anderen Welt gefangen, um dem „ganzen Irrsinn da draußen“ zu entgehen. Sie kann nicht wie ihr Mann tatenlos wegschauen. Sie muss gegen die Nazis aktiv werden und schließt sich, anfangs ohne Wissen ihres Mannes, einer kommunistischen Untergrundzelle an. Damit bringt sie ihn und ihre Kinder in Gefahr. Ist aktiver Widerstand gegen das Regime ohne Rücksicht auf die Gefahr für die eigene Familie moralisch verantwortungsvoller als Hannes' Untätigkeit und Abschottung? Der Autor lässt diese Frage unbeantwortet. Wir Leser müssen sie für uns selbst entscheiden.
Wie schon „Kronsnest“ besticht auch „Habichtland“ durch atmosphärisch und in Einzelheiten gehende Schilderungen des dörflichen Lebens und der Bewohner der Elbmarsch. Sie scheinen nicht fiktiv zu sein, sondern lebende Vorbilder zu haben. Man spürt deutlich: Der Autor kennt diese Landschaft, kennt diese Menschen mit ihren Eigenarten und ihrer Sprache. Man hört das Vogelgezwitscher, sieht den Habicht auf sein Opfer hinabstürzen und riecht förmlich den Mist im Stall und die Jauche im Hof. Kein Wunder, lebt Knöppler doch selbst seit einigen Jahren in dieser holsteinischen Region um Elmshorn und bewirtschaftet dort seinen eigenen Hof. Seine klare, schnörkellose und unaufgeregte Erzählweise macht seinen Roman realistischer und dadurch noch wirkungsvoller. Wo andere viele Worte verlieren, reichen den Holsteinern zwei oder drei, Sätze sind abgehackt, kein Wort zu viel: „Und jetzt?“ „Verbuddeln.“ „Wann und wohin mit ihm?“ „Heut Nacht? In den Außendeich?“
Wie schon „Kronsnest“ ist auch „Habichtland“ trotz scheinbarer ländlicher Idylle wahrlich kein historischer Heimatroman, sondern gleicht eher einem Psycho-Roman, so tief dringen wir in die Seelen seiner Protagonisten ein. Knöppler hat sich mit seinen Figuren ein eigene kleine Welt um Hannes, Lisa und ihr Dorf geschaffen – eine Welt, die einem ans Herz geht. Wer „Kronsnest“ kennt, muss „Habichtland“ lesen. Wer den ersten Band noch nicht kennt, sollte beide kaufen!

Veröffentlicht am 01.04.2022

Verwirrende Spannung

18/4 - Der Hauptmann und der Mörder
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REZENSION – Zwölf Jahre hat es gedauert, bis die bereits 2009 bis 2011 im Original veröffentlichte und 2014 in der Volksrepublik China verfilmte Thriller-Trilogie des chinesischen Schriftstellers Zhou ...

REZENSION – Zwölf Jahre hat es gedauert, bis die bereits 2009 bis 2011 im Original veröffentlichte und 2014 in der Volksrepublik China verfilmte Thriller-Trilogie des chinesischen Schriftstellers Zhou Haohui (44) um die Polizeieinheit 18/4 und Polizeihauptmann Pei Tao dank des Heyne-Verlags es endlich im Januar auf den deutschen Buchmarkt geschafft hat. Doch das Warten hat sich gelohnt: Gleich der erste Band ist ein Thriller der Spitzenklasse, der im literarischen Ansatz wohl nicht allein für den asiatischen, sondern gleich für den internationalen Markt bestimmt gewesen zu sein scheint. Denn obwohl die Handlung in der chinesischen Millionenstadt (Provinz Sichuan) angesiedelt ist, fehlt ein typischer Bezug zu China oder asiatischen Charakteristika. Stattdessen könnte der Thriller auch in jedem westlichen Land spielen. Lediglich der philosophische Ansatz des Yin und Yang mag typisch für China sein, die beiden einander entgegengesetzten und dennoch direkt aufeinander bezogenen, von einander abhängigen Kräfte des negativen Yin und des positiven Yang. Doch wird dies erst später im Thriller erkennbar.
Worum geht es? In der Metropole Chengdu im Südwesten Chinas treibt ein kaltblütiger Serienkiller sein Unwesen. Er nennt sich Eumenides und tötet Menschen, deren Verbrechen von der Polizei nie geahndet wurden. Doch obwohl Eumenides vor jedem Mord eine Todesanzeige seines nächsten Opfers veröffentlicht und seine Tat wie angekündigt ausführt, gelingt es der Polizei unter Hauptmann Han trotz größten Polizeiaufgebots nicht, den Mörder zu schnappen. Immer ist der geniale Killer der Polizei einen Schritt voraus. Hauptmann Pei Tao, der sich aus bestimmten, anfangs noch unbekannten Gründen der Einsatzgruppe 18/4 unter Hauptmann Han anschließt, erkennt schnell, dass auch seine eigenen Geheimnisse und Vergehen, deren er sich vor 18 Jahren als Polizeischüler schuldig gemacht hat, dem Killer bekannt sind. Gruppenleiter Han verdankt seine Karriere einem erfolgreichem Einsatz in den 1980er Jahren gegen Drogenbanden. Damals begann Chinas Wirtschaft nach den Reformen des Mao-Nachfolgers Deng Xiaoping zu wachsen und Chengdu wurde zum Drogen-Umschlagplatz.
„Der Hauptmann und der Mörder“ ist ein extrem spannender, temporeicher Kriminalroman mit starken, sehr differenziert beschriebenen Charakteren. Von Seite zu Seite wird die Handlung komplexer, die Protagonisten immer undurchsichtiger. Als Leser beginnt man zu zweifeln, ob die Polizisten wirklich für das positive Yang stehen oder nicht doch auch das negative Yin in sich tragen. Je weiter man im Roman kommt, umso mehr verdichten sich die Informationen über den fast 20 Jahre zurückliegenden Fall und dessen personelle Verbindungen der Hauptfiguren zum gegenwärtigen Fall. Immer stärker wird beim Leser die Ungewissheit, die Personen in Gut oder Böse einordnen zu können. Autor Zhou Haohui versteht es, mit überraschenden Wendungen in der Handlung, die aber im Nachhinein durchaus logisch nachvollziehbar sind, den Leser immer wieder zu verwirren und auf eine neue Spur zu setzen, so dass der Roman bis zum Schluss nichts an Spannung einbüßt.
Anfangs sind die transkribierten Personennamen für uns europäische Leser gewöhnungsbedürftig. Denn im Gegensatz zu den in chinesischer Aussprache und ihrer Optik besser unterscheidbaren chinesischen Schriftzeichen sind für uns die Namen Zheng und Zeng, Zhou und Zou oder Zheng Hua und Deng Hua leicht verwechselbar, doch lässt die Verwirrung im Laufe der Handlung nach. So dürfen wir auf die Fortsetzungen der Trilogie mit den Bänden „Der Pfad des Rächers“ im Mai und „Die blinde Tochter“ im September schon jetzt gespannt sein. Dass allerdings vom Heyne Verlag als Vorlage für seine deutschsprachigen Ausgaben nur die englische Übersetzung und nicht die chinesischen Originaltexte genutzt wurden, ist nicht zu verstehen.

Veröffentlicht am 22.03.2022

Vom Provinzkrimi zum Politthriller

SØG. Schwarzer Himmel
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REZENSION – Erst mit seiner vielfach übersetzten Thrillerreihe um den Kriegsveteranen Niels Oxen und seine Partnerin, die einbeinige Agentin des dänischen Sicherheitsdienstes Margrethe Franck, wurde der ...

REZENSION – Erst mit seiner vielfach übersetzten Thrillerreihe um den Kriegsveteranen Niels Oxen und seine Partnerin, die einbeinige Agentin des dänischen Sicherheitsdienstes Margrethe Franck, wurde der dänische Kriminalschriftsteller Jens Henrik Jensen (58) international und ab 2018 auch in Deutschland bekannt. Grund genug also für die dtv Verlagsgesellschaft, seine zuvor ab 2004 in Dänemark erschienene Thriller-Trilogie um die junge Agentin Nina Portland noch einmal in überarbeiteter Taschenbuchausgabe herauszubringen. Nach dem ersten Band „SØG. Dunkel liegt die See“ (Mai 2021), der bereits 2006 unter dem Titel „Das Axtschiff“ erschienen war, folgte nun im November „SØG. Schwarzer Himmel“, ursprünglich 2008 als „Der Kohlenmann“ veröffentlicht. Der noch nie übersetzte dritte Band soll dann im Juli unter dem Titel „SØG. Land ohne Licht“ erstmals auf Deutsch folgen. Die bislang fehlende Übersetzung des dritten Bandes mag ein Zeichen sein, dass diese frühere Trilogie des dänischen Autors vor zehn Jahren in Deutschland nicht erfolgreich war.
Der nun im November in Neubearbeitung erschienene zweite Band „SØG. Schwarzer Himmel“ beginnt mit dem Auffinden einer Leiche in Esbjerg. Der jungen Agentin Nina Portland und ihrem Team gelingt es nicht, die Identität dieses zuvor gefolterten Mannes mit südländischem Aussehen festzustellen, den die Medien nur den „Kohlenmann“ nennen. Eine bald aufgefundene zweite Leiche mit südländischem Aussehen weist ebenfalls Folterspuren auf. Nach Bekanntwerden des Namens dieses zweiten Opfers stellt sich heraus, dass beide Kurden waren. Später wird deutlich, dass der vermeintliche Unfall eines Kopenhagener Dokumentarfilmers in Istanbul ebenfalls ein Mord gewesen sein kann. Seinem Assistenten droht jetzt Todesgefahr von verschiedenen Seiten, da er im Besitz von Aufnahmen einer Massenhinrichtung in der Türkei ist. Nina Portland gerät nun unversehens in die Schusslinie geheimnisvoller Verfolger und der Thriller nimmt an Tempo zu.
Was mit zwei Mordfällen in Esbjerg wie ein Provinzkrimi beginnt, entwickelt sich im zweiten Teil des Buches zum internationalen Politthriller, in dem es um die damals aktuellen Beitrittsbemühungen der Türkei zur Europäischen Union geht, um gegensätzliche Bestrebungen westlich orientierter, progressiver und orthodoxer Kräfte im Land, aber auch um gegensätzliche Ansichten innerhalb der EU-Staaten zum Beitritt des Landes und nicht zuletzt um die Unterdrückung der kurdischen Minderheit in der Türkei.
Anfangs liest sich der Thriller noch recht zäh, die Handlung kommt nur schleppend voran. Erst im zweiten Teil kommt Spannung auf. Da konkurriert die Kripo von Esbjerg mit dem dänischen Geheimdienst PET und beide messen ihre Kräfte am türkischen Geheimdienst MIT. Agentin Portland bekommt Hilfe von einem pensionierten britischen MI6-Agenten und einem noch geheimnisvolleren Deutschen namens Axel, dessen Interessen bis zur überraschenden Aufklärung des Falles unklar bleiben. Liest man diesen Thriller kritisch, findet man Schwächen: Manche Entwicklung wirkt unlogisch, und Nina Portland hat einige überraschende Gedankenblitze, die sie dann plötzlich auf die richtige Spur bringen. Doch es ist gerade diese junge Agentin, die als ungewöhnliche Protagonistin eines Thrillers und interessanter Charakter überrascht: Als alleinerziehende Mutter eines Schuljungen muss sie ihr Leben zwischen Sohn und Arbeit teilen, fühlt sich oft überfordert und gestresst.
Es bedarf schon eines längeren Durchhaltevermögens, bis den Leser endlich die Spannung packt. Doch alles in allem ist dieser Thriller durchaus lesenswert und unterhaltend, obwohl er qualitativ noch nicht an Jensens nachfolgende Thrillerreihe um den traumatisierten Kriegsveteranen Niels Oxen heranreicht.