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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.04.2021

Astrid Seeberger ist eine begnadete Erzählerin

Nächstes Jahr in Berlin
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Schöne Bearbeitung eines ewig gleichen Themas: Mutter-Tochter Beziehung. Gar nicht so einfach, wenn man zu Lebzeiten es nicht geschafft hat, nun, nach dem Tod der Mutter den Zugang zu ihr zu finden. Und ...

Schöne Bearbeitung eines ewig gleichen Themas: Mutter-Tochter Beziehung. Gar nicht so einfach, wenn man zu Lebzeiten es nicht geschafft hat, nun, nach dem Tod der Mutter den Zugang zu ihr zu finden. Und doch muss die Ich-Erzählerin im Buch genau das tun. Nach einer glücklichen Kindheit ohne finanzielle Sorgen, bricht der zweite Weltkrieg aus, die Kindheit ist schlagartig vorbei. Kriegs- und Nachkriegsjahre der Mutter werden in Fragmenten wiedergegeben, in loser Chronologie, manchmal wird vorgegriffen, andere Male werden ausgelassene Schlüsselmomente im Leben der Mutter nachgereicht. Das macht das Lesen nicht ganz einfach, aber spannend. Letztendlich erhalten wir ein Bild der Mutter, Puzzlestück für Puzzlestück fügt sich zusammen, wir und mit uns auch die Tochter beginnen die Mutter zu verstehen und auch zu schätzen. Die Mutter weiß was ihr Vater, ein charismatischer Mann seinem ältesten Sohn Bruno angetan hat, trotzdem lässt die Mutter die tiefe und innige Freundschaft und Liebe zwischen ihrer Tochter und ihrem Vater – Großvater zu. Ihre Tochter liebt ihren Großvater, führt mit ihm eine rege Korrespondenz, in den Ferien folgt sie ihm auf Schritt und Tritt, erlebt wunderschöne Momente.
Nun ist die Mutter gestorben, es kam nie zu einer Aussprache zwischen Mutter und Tochter, warum die Mutter nie richtige Nähe zur Tochter zugelassen hat, wie viele Familiengeheimnisse in Mehlsack in Ostpreußen und Augustenruh in Mecklenburg-Vorpommern. In mühsamer Kleinarbeit und in Gesprächen mit Personen, die die Mutter kannten, aber auch aus Erzählungen der Mutter erfährt die Tochter nach und nach all die schönen, aber auch schmerzhaften und schrecklichen Ereignisse aus dem Leben der Mutter. Die Tochter entschließt sich die Geschichte der Mutter aufzuschreiben, vielleicht als Zeichen der posthumen Versöhnung mit der Mutter, aber auch damit ihre Mutter „Spuren hinterlassen“ kann und „um die Dinge in Einklang zu bringen“. (S. 70)
Die Sprache ist bildgewaltig, dicht, poetisch. Allein schon das Bild der Familie, die an Sommerabenden auf der Terrasse zuhört, wie der Großvater aus Dr. Faustus von Thomas Mann vorliest, weckt in uns die Sehnsucht, auch solch unbeschwerte Sommerabende auf einem alten Gutshof zu verbringen. Oder in einem großen weißen alten Haus wohnen, wo man „in einem Lichtstreifen von Zimmer zu Zimmer gehen“.
Astrid Seeberger ist eine begnadete Erzählerin. Langsam, sacht nimmt sie uns gefangen, verzaubert uns mit ihrer Prosa, lässt uns nicht mehr los.

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Veröffentlicht am 15.04.2021

Der Meister der absurden Utopie hat wieder zugeschlagen

QualityLand 2.0 (QualityLand 2)
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Nächste Runde in Quality Land, dem besten aller Länder. Peter Arbeitsloser ist nun Psychotherapeut für gestörte und gestresste Roboter. Unter anderem heilt er einen Kühlschrank von seinem Burnout oder ...

Nächste Runde in Quality Land, dem besten aller Länder. Peter Arbeitsloser ist nun Psychotherapeut für gestörte und gestresste Roboter. Unter anderem heilt er einen Kühlschrank von seinem Burnout oder kuriert einen Kampfroboter.
Kiki versucht in Erfahrung zu bringen, wer ihre Eltern sind und weshalb sie von einem Erziehungsroboter großgezogen wurde. So nebenbei ermittelt sie wer hinter den Mordanschlägen auf sie selbst steckt. Es treten viele andere Bekannte aus Quality Land 1 auf, so wie Martyn Vorstand oder Julia Nonne oder Henryk Ingenieur, Tony Parteichef und Conrad Koch. Die Namen der Personen sind wieder einmal der Hit. Die Berufe der Eltern sind die Zunamen der Kinder.
Die Levels der Personen, gehen von 1 bis 100 und werden automatisch vergeben oder auch wieder genommen. So ähnlich spielt es sich wohl in China ab, im totalen Überwachungsstaat. Klings Utopie wurde von der Realität eingeholt. Oder andersrum: Kling denkt bis in die letzte Konsequenz aus was möglich ist in einer Gesellschaft der Konformisten.
Es gibt nichts, was Kling nicht auf die Schippe nimmt: So sind die die mit einem Thermomix kochen Angehörige einer Thermomix-Sekte. Und die Thermomixpartys sind Missionierungspartys. Herrlicher Gedanke, der mich darin bestärkt, nie einen Thermomix zu kaufen.
Oder ein Satz mit einem sehr direkten Bezug zu der Zeit in der das Buch erschienen ist: „Auf einer Skala von Trump bis Einstein…“
Die einzelnen Kapitel des Buches werden von Werbe- Blogeinträge oder Tweets getrennt. Es treten Influencer auf, die an Dummheit nicht zu unterbieten sind, dabei so schräg sind, dass sie schon wieder gut sind. Sie durchbrechen die Handlung, erleichtern den Einstieg zu Peter, Kiki oder Martyn.
Ich bin kein großer Fan von Fortsetzungsromanen, aber in diesem Fall würde ich gerne eine Ausnahme machen. Marc Uwe Klings Qualityland hat hohen Suchtfaktor.
Und nun werde ich meine Zahnbürste bei Peter Arbeitsloser zur Therapie anmelden…

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Veröffentlicht am 15.04.2021

Neues von Kommissar Heller

Teufelsberg (Wolf Heller ermittelt 2)
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Das Autorentrio lässt Kommissar Wolf Heller erneut ermitteln in Westberlin Ende der sechziger Jahre. Und so, während andere die Mondlandung live im Fernsehen miterleben observiert er Wohnungen, arbeitet ...

Das Autorentrio lässt Kommissar Wolf Heller erneut ermitteln in Westberlin Ende der sechziger Jahre. Und so, während andere die Mondlandung live im Fernsehen miterleben observiert er Wohnungen, arbeitet an der Aufklärung von Morden. Außer Wolf Heller tauchen ein paar Figuren aus dem Vorgängerroman auf: erstens einmal Paula, die Wolf mittlerweile geheiratet hat und sich bemüht ihren zwei Kindern ein guter Vater zu sein. Dann Louise Mackenzie, die amerikanische Studentin, die nach einem one night stand am nächsten Tag behauptete, von Wolf Heller schwanger zu sein. Nun, jetzt haben sie keine Affäre mehr, sie ist Zeugin in einem Mordfall und verliebt sich in den falschen Mann, was ihr fast zum Verhängnis wird.
Neu hinzugekommen ist Petra, Wolf Hellers Halbschwester, die aus Berchtesgaden nach Berlin anreist, um das wilde freie Leben in der Hauptstadt zu genießen.
Schön ist, Heller fährt wieder einen Karmann Ghia. Großen Dank an dieser Stelle an das Autorentrio.
Im Roman treten auch historische Gestalten, wenn auch nur indirekt auf, so Dieter Kunzelmann, Mitglied der Kommune I, genau so wie Michael Baumann und andere, die aber im Roman keine bedeutende Rolle spielen.
Eine bedeutende Rolle spielt aber erneut der KGB und seine Schergen. Und wieder ist die Destabilisierung der Westberliner Gesellschaft das Ziel, welches aber von Kommissar Heller in buchstäblich letzter Sekunde vereitelt wird. Es kommt zum großen Showdown auf dem Teufelsberg.
Gekonnt und routiniert geschrieben, nüchtern, schnörkellos, ist dieser Politkrimi nicht als Kampf der Systeme zu verstehen, als West gegen Ost. Dafür sind die Kontrahenten zu ungleich. Im Laufe der Existenz der DDR haben die Sowjets und das SED Regime immer wieder versucht in geheimen Operationen die BRD zu destabilisieren. Aber der Kalte Krieg wurde zu Gunsten der BRD und der westlichen Alliierten letztlich entschieden, der große Verlierer war das SED Regime.
Einige Passagen wirken schon fast wie Sentenzen: „Die Zivilisation ist ein dünner Firnis,…darunter schlummern die Bestien“. (S. 274). Oder: jemand wird so lange befördert „bis er den Punkt der vollkommenen Inkompetenz erreicht hat“ (S. 330). Es sind Sätze wie diese, die das Lesevergnügen steigern, weil man außer der Handlung auch die Sprache genießen kann.

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Veröffentlicht am 13.04.2021

Heiligt der Zweck in der Tat die Mittel?

Klima
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Spannender Thriller mit drei hollywoodreifen Showdowns im letzten Drittel des Buches. David Klass versteht es die Spannung von der ersten Seite an zu halten und lässt nicht los, bis er nicht alle losen ...

Spannender Thriller mit drei hollywoodreifen Showdowns im letzten Drittel des Buches. David Klass versteht es die Spannung von der ersten Seite an zu halten und lässt nicht los, bis er nicht alle losen Enden geknüpft hat. Das Buch ist ein echter page turner, gönnt dem Leser keine echten Verschnaufpausen in der Handlung.
Neu ist, in diesem Buch gibt es keine absoluten Schurken und auch keine richtig strahlenden Helden. Der Böse, Green Man, der mordend durch die Lande zieht, hat ein hehres Ziel vor Augen: er will ja nichts Geringeres als die Welt retten, sozusagen im Alleingang. Sein Gegenspieler der junge Datenanalyst beim FBI, Tom Smith, empfindet ein gewisses Grad an Sympathie für Green Man, setzt aber trotzdem alles dran, ihn zu fangen.
Was nicht neu ist: inkompetente Beamte (natürlich nicht das FBI, wo denkt ihr denn hin, die Jungs gehören zu den Guten) Aber andere Behörden, Präsidenten und Berater, die bieten eine breite Front der Unfähigkeit an. So, z.B. als der Präsident vor der Presse den Mund zu voll nimmt, das weckte direkt Assoziationen zu Mr. President Twitter.
Doch zurück zu Green Man. Ich hatte das Gefühl, als wäre sich der Autor selbst nicht ganz klar, wie er ihn darstellen soll. Einerseits ein Michael Kohlhaas der ohne Rücksicht auf Verluste sein Ziel bis zum bitteren Ende verfolgt, andererseits ist er ein Sensibelchen, macht sich schwere Vorwürfe wegen der Menschen, die während seiner Taten sterben mussten, ganz besonders tut es ihm leid um die Kinder. Aber nun habe ich auch einige Fragen an Green Man: Wieviel Tonnen CO2 sind bei seinen Explosionen zusätzlich in die Atmosphäre gelangt? Wieviel Sauerstoff wurde durch das riesige Feuer der Luft entzogen? Wieviel Fische und Bäume sind beim Dammbruch vernichtet worden? Was ist sauberer? Energie aus einem Staudamm oder aus einem Kohlewerk? Warum hat Green Man kein Kohlewerk vernichtet? Ist Staudamm so viel sauberer? Der allgemeine Konsens sagt ja. Wie steht es dann mit dem Drei Schluchten Stauwerk am Yangtse in China? Oder dem Assuan Staudamm am Nil in Ägypten? Zugegeben, die USA sind unter den Umweltsündern die größten, aber eben nicht die einzigen. Was ist mit dem wachsenden Plastikteppich in den Ozeanen? Die eine oder die andere US-Küste ist ja auf jeden Fall mit involviert. Weshalb hat der Attentäter sich nicht auch da was einfallen lassen? Wenn ein Mann im Alleingang etliche Umweltverschmutzer in den USA zerstört, rettet das noch lange nicht das Weltklima. Leider.
Also ist Green Man doch nur ein Michael Kohlhaas. Ich habe schon damals, im Gymnasium, nicht viel Verständnis für Kohlhaas aufgebracht, auch wenn ich damals vor Gerechtigkeitsfanatismus glühte. Ich kaufe Green Man seine Handlungen „for the greater good“ nicht ab. Trotzdem ist das Buch spannend und gut geschrieben. Bei der Ausarbeitung der Charaktere hat es „a bissele“ gehapert. Deswegen nur vier Sterne.

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Veröffentlicht am 13.04.2021

Harfe und Kleeblatt, Stamm und Königin

Nora Joyce und die Liebe zu den Büchern
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Ein Mädchen lernt einen jungen Burschen kennen, beschließt nach drei Monaten mit ihm ihr Leben zu verbringen, begleitet ihn ins Ausland um immer an seiner Seite zu sein, hat zwei Kinder mit ihm in ärmlichen ...

Ein Mädchen lernt einen jungen Burschen kennen, beschließt nach drei Monaten mit ihm ihr Leben zu verbringen, begleitet ihn ins Ausland um immer an seiner Seite zu sein, hat zwei Kinder mit ihm in ärmlichen Verhältnissen in Frankreich, Österreich-Ungarn, Schweiz, Italien, Frankreich und schließlich erneut in der Schweiz. Nichts außergewöhnliches. Nur ist der junge Bursche James Joyce, der die Literatur des 20. Jahrhunderts mitgeprägt hat und das Mädchen ist Nora Barnacle, die mit 12 von der Schule musste, um zu arbeiten und ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie willigte ein James Joyce zu begleiten, obwohl er ihr nie die Ehe versprach und sie eigentlich eine gläubige Katholikin war. Nora hielt treu zu ihm, ertrug seinen Alkoholkonsum, glaubte an ihn und seinem Talent, pflegte ihn, richtete ihn immer wieder auf, war seine Stütze und Sekretärin. Nora wird vorgeworfen, sie hätte die Werke ihres Mannes nicht gelesen. Hand aufs Herz, wer hat James Joyce gelesen? Wir wissen alle, wie wichtig er ist für die Entwicklung der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts, aber gelesen? Dabei hat Nora einige seiner Werke gelesen, einige richtig gemocht und geschätzt, andere hat sie links liegen gelassen. Sie war auch Mutter zweier Kinder in einer Zeit ohne Waschmaschine, Kühlschrank oder Staubsauger. Viel Zeit hatte sie zum Lesen nicht.
Das Buch ist aus Noras Perspektive geschrieben, sie erzählt in einfachen Sätzen, unverblümt, ohne viel Schnörkel, wie ihr Leben an der Seite des schwierigen James Joyce war. Kurze Kapitel, wie eben jemand erzählt der nicht viel Zeit hat aber doch so viel mitzuteilen hat. Und doch, an manchen Stellen, ist die Sprache pure Poesie, so wenn Nora beschreibt, was sie für Jim bedeutet: „ich bin Kalk und Gras, Heide und Granit. Ich bin aufragende Nippel und Talritze, Ich bin die Regentropfen, die sich einsaugen, und das Meer, das die Küste umfasst. Jim sagt, ich bin Harfe und Kleeblatt, Stamm und Königin. Ich bin Hochkreuz und gekröntes Herz. Ich bin die Sonne, die den Mond am Strick zieht, damit er über den Maamturk Mountains lächelt“. (S. 11 und S. 456). Wenn ein Mann und eine Frau so füreinander empfinden, ihr ganzes Leben lang, dann haben sie etwas richtig gemacht.

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