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Veröffentlicht am 30.05.2019

Identitätssuche

Die 48 Briefkästen meines Vaters
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Die Nachricht trifft die Römerin Chiara Ferrari an ihrem 25. Geburtstag wie ein Schlag, denn ihre Patentante Viola sagt doch tatsächlich, dass ihr vermeintlicher Vater, der vor ihrer Geburt gestorben ist, ...

Die Nachricht trifft die Römerin Chiara Ferrari an ihrem 25. Geburtstag wie ein Schlag, denn ihre Patentante Viola sagt doch tatsächlich, dass ihr vermeintlicher Vater, der vor ihrer Geburt gestorben ist, überhaupt nicht ihr Vater sei. Dass sie aus einem One-Night-Stand ihrer Mutter Livia mit einem unbekannten Matrosen von der bretonischen Insel Groix entstanden sein soll, muss sie erst einmal verdauen. Sie will der Sache nachgehen und macht sich von Rom auf den Weg ins französische Groix in der Hoffnung, vielleicht ihren leibhaftigen Vater zu finden. Während der Schiffsüberfahrt lernt sie Gabin und Urielle kennen, die auch nach Groix wollen und mit denen sie sich sofort gut versteht und eine Unterkunft in Urielles Familie findet. Der Zufall spielt Chiara den Job als Vertretung der Inselbriefträgerin in die Hände, eine gute Möglichkeit, sich umzuhören, die Menschen auszufragen und nach ihrem Vater zu suchen, während sie die Post an die Bewohner von Groix verteilt. Wird Chiara tatsächlich ihren Vater kennenlernen?
Lorraine Fouchet hat mit „Die 48 Briefkästen meines Vaters“ einen unterhaltsamer und teils ungewöhnlicher Roman, der mit poetischem und ebenso leicht humorigem Erzählstil nicht nur seinen Protagonisten, sondern auch Gegenständen wie Briefkästen und Fahrrädern das Wort erteilt, was erst einmal für Verwirrung sorgt, allerdings dann doch in Neugier umschlägt, denn so mancher Briefkasten weiß so einiges zu erzählen. Aber erst einmal folgt der Leser einer verletzten Chiara auf eine spontane Reise, wurde sie doch all die Jahre von ihrer eigenen Mutter Livia belogen. Das Verhältnis zwischen Livia und Chiara ist nicht nur lieblos, sondern gleicht einem Eisschrank. Doch dass ausgerechnet ihre Ersatzmutter Viola den jahrelangen Betrug offenlegt, lässt nichts mehr erscheinen, wie es einmal war. Die Autorin lässt in ihrer Geschichte ihre Protagonistin nach ihrer eigenen Herkunft suchen und macht die Sehnsucht nach dem Vater, der immer fehlte, deutlich. Das kommt vor allem auch bei Chiaras Aufenthalt in Uriells Familie zum Ausdruck. Während er Chiara auf ihrem Weg begleitet, begegnet der Leser durch einen zweiten Handlungsstrang dem unbekannten Charles, der seinen Blick in die Vergangenheit richtet. Die wechselnden Erzählperspektiven und Sichtweisen sind manchmal etwas verwirrend, tragen aber am Ende zur Auflösung der Geschichte bei.
Die Charaktere sind sehr unterschiedlich angelegt, so dass der Leser seine Sympathien gerecht verteilen kann. Schon die Bewohner der Insel Groix sind individuell, um nicht zu sagen skurril angehaucht, wirken auf ihre Art kauzig, schrullig und verschroben, aber auch sehr liebenswert. Sie spiegeln ihre recht einsame Gegend wieder, in der alle zusammenhalten und an einem Strang ziehen müssen. Chiara hat nie eine richtige Familie gehabt, litt immer unter der kalten Art ihrer Mutter. Nun lernt sie bei neuen Freunden nicht nur echtes Familienleben kennen, sondern muss sich auch mit ihrer Identität auseinandersetzen, die durch den Betrug ihrer Mutter und ihrer Tante in Frage gestellt wurde. Chiara ist aber auch eine Frau, die nicht aufgibt und hartnäckig versucht, Antworten zu finden. Chiaras Mutter Livia wirkt wie eine herzlose und unterkühlte Person, doch insgeheim ist sie von Schuldgefühlen geplagt und bestraft sich selbst, aber auch ihre eigene Tochter, durch die Unterdrückung von Gefühlen wie Wärme und Liebe. Viola ist ebenfalls nicht gerade eine Sympathieträgerin, sie ist eine neidische Frau, die geradezu darauf aus ist zu verletzen. Gabin ist ein geheimnisvoller Mann, der selbst auf der Suche ist. Aber auch Urielle und ihre Familie beleben die Geschichte zusätzlich.
"Die 48 Briefkästen meines Vaters" ist ein Roman über Identitätsfindung, Freundschaft, neue Freunde, alte Gefühle und natürlich die Liebe, der mit Melancholie, Poesie und viel Herz erzählt wird. Verdiente Leseempfehlung für eine anrührende Geschichte.

Veröffentlicht am 30.05.2019

"Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben" (Cicely Saunders)

heimelig
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Kaum war ihre Ehemann Xaver gestorben, hatte Tochter Trudi nichts Besseres zu tun, als ihre 77-jährige Mutter Nelly in das Seniorenheim „heimelig“ abzuschieben. Nelly, die noch recht rüstig und geistig ...

Kaum war ihre Ehemann Xaver gestorben, hatte Tochter Trudi nichts Besseres zu tun, als ihre 77-jährige Mutter Nelly in das Seniorenheim „heimelig“ abzuschieben. Nelly, die noch recht rüstig und geistig fit ist, langweilt der monotone Alltag, während sie viele Dinge vermisst, die das Leben schöner machen. Ob es ein funktionstüchtiges WLAN oder auch nur gutes Essen ist, im „heimelig“ wird das leider nicht geboten. Darin sind sich alle Bewohner einig, doch wer kann das schon ändern. Nelly aber, moralisch unterstützt durch Enkelin Kim, möchte sich damit nicht abfinden, vor allem möchte sie auf Reisen gehen, und wenn es nur Tagesausflüge sind, Hauptsache RAUS! So stellt sie den Plan auf, sich zu jedem Buchstaben des Alphabets eine Schweizer Stadt auszusuchen, die sie besuchen möchte. Schon mit A wie Ascona beginnt sie ihr Abenteuer und hat ihren Heimmitbewohnern nach ihrer Rückkehr so einiges zu erzählen. Ihre Ausflüge bringen aber nicht nur Abwechslung in ihr Leben, sondern helfen auch dem einen oder anderen Mitbewohner. Mit einigem Selbstbewusstsein ausgestattet, macht sich Nelly nebenbei daran, eine Forderungsliste zu erstellen, um unliebsame Zustände für alle zu ändern…
Blanca Imboden hat mit „heimelig“ einen sehr unterhaltsamen und warmherzigen Roman vorgelegt, der zudem mit spritzigem Humor punkten kann. Der Schreibstil ist locker-flüssig und lässt dem Leser kaum eine Chance, sich von den Seiten zu lösen. An der Seite der älteren Dame Nelly begibt er sich auf ein Abenteuer der besonderen Art und folgt ihr auf Schritt und Tritt, um die Mitbewohner im Heim kennenzulernen, die dortigen Zustände mitzuerleben und Nellys Gedankengänge zu verfolgen. Sensibel und mit der nötigen Empathie wendet sich die Autorin einem sehr aktuellen Thema zu und verpackt dies in einer sehr lebensnahen Geschichte. Dabei lässt sie sich nicht nehmen, Mängel im Heim aufzuzeigen sowie die kleinen alltäglichen Wünsche der einzelnen Bewohner aufzuzeigen, die ihren Aufenthalt dort angenehmer machen könnten und ihnen wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Nicht alle, die eine sogenannte Altersresidenz wählen, haben mit dem Leben abgeschlossen und wollen mit lieblosen Angeboten abgespeist werden, ganz zu schweigen von einer eintönigen Verpflegung. Alt zu sein heißt schließlich nicht, alles mit sich machen lassen zu müssen oder sogar seine Selbstständigkeit aufzugeben, wenn man in ein Seniorenheim zieht. Man ist immer noch ein mündiger Mensch und sollte sich dies auch nicht nehmen lassen.
Die Charaktere sind mitten aus dem Leben gegriffen und erobern gerade durch ihre Authentizität das Herz des Lesers im Sturm, denn man fühlt sich ihnen sofort ganz nah und verbunden, ob es ihre Gedanken oder auch ihre Wünsche sind. Nelly ist eine tolle Protagonistin, sympathisch, aufgeschlossen, freundlich und mit klarem Verstand gesegnet. Sie ist nie um eine Antwort verlegen, hat ein großes Herz und nimmt es in die Hand, ihr Leben mit dem nötigen Pfiff zu versorgen. Direktorin Meier ist die typische Heimleiterin, man kann ihr nicht verdenken, dass sie es nicht allen recht machen kann, aber sie könnte sich mehr für bessere Bedingungen einsetzen und ihre Heimbewohner nicht bevormunden. Enkelin Kim ist eine Wucht, sie unterstützt ihre Oma in allem und hat ein besonders liebevolles Verhältnis zu ihr. Auch die einzelnen Heimbewohner sowie der ein oder andere neue Reisekontakt geben der Geschichte ganz spezielle Momente, die die Handlung einfach einmalig machen.
„heimelig“ ist wirklich ein „unheimlich“ schöner und humoriger Roman, der nicht nur wunderbar unterhält, sondern mit seiner Handlung auch ganz nah am Puls der Zeit liegt. Herrlich erzählt, was eine absolute Leseempfehlung verdient!

Veröffentlicht am 26.05.2019

La lumière de provence

Lisette und das Geheimnis der Maler
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Frankreich 1937 während des Zweiten Weltkrieges: Lisette hat ein Faible für die Kunst und Farben, dies wurde bei ihr schon durch eine Nonne im Waisenhaus gefördert. Eigentlich hatte sie einen Job in einer ...

Frankreich 1937 während des Zweiten Weltkrieges: Lisette hat ein Faible für die Kunst und Farben, dies wurde bei ihr schon durch eine Nonne im Waisenhaus gefördert. Eigentlich hatte sie einen Job in einer Pariser Galerie in Aussicht, doch dann wird der Großvater ihres Mannes André krank. So verlässt das Paar Paris, um sich in Andrés südfranzösische Heimat Roussillon in der Provence niederzulassen, einer eher dörflichen Gegend, der Lisette zuerst gar nichts abgewinnen kann. Als sie allerdings die Gemäldesammlung von Großvater Pascal zu Gesicht bekommt, die neben Picasso auch Cézanne und Pissarro beinhaltet, und deren Geschichte erfährt, ist sie fasziniert. Pascal weckt in ihr auch die Liebe zur Provence, der ländlichen und farbenfrohen Gegend, deren Düfte wie Lavendel die Nase kitzeln. Dann stirbt Pascal und André versteckt die Gemälde vor den Nazis, bevor er gegen sie in den Krieg zieht und dort sein Leben lässt. Nun ist Lisette allein und macht sich auf die Suche nach dem Bilderversteck. Aber auch andere haben Interesse daran, diese Bilder zu finden…
Susan Vreeland hat mit „Lisette und das Geheimnis der Maler“ einen sehr unterhaltsamen und fesselnden Roman mit historischem Setting vorgelegt, in dem es sich vor allem um vor den Nazis versteckte Kunstschätze von Impressionisten und Expressionisten dreht, die sich heutzutage in den Museen der Welt größter Beliebtheit erfreuen, mit ihren Farben und ihrem Detailreichtum die Seele streicheln und dem Betrachter einen unvergesslichen Augenschmaus der besonderen Art liefern. Die in der Geschichte erwähnten Bilder sind allerdings von der Autorin erfunden und dienen als Nebenprotagonisten ihrer Handlung. Der Schreibstil ist flüssig, leise, detailliert und bildgewaltig. Die Autorin malt mit ihren Worten ein eigenes Gemälde und den Leser regelrecht während der Lektüre in der Betrachtung versinken lässt. Wer die Provence kennt und auch Gemälde von Künstlern wie Cézanne oder Pissarro aus der Nähe betrachtet hat, ist immer wieder fasziniert von der Detailgenauigkeit und der ganz speziellen Lichtbrechung, die es fast ausschließlich in diesem Landstrich gibt. Wunderbar lässt die Autorin die weitläufige Landschaft mit den vielfarbigen Blumen vor dem inneren Auge des Lesers entstehen, die Aromen und Düfte scheinen einem regelrecht in die Nase zu steigen. Auch die Bewohner des Roussillon erweckt Vreeland zurückhaltend und mit viel Herz zum Leben.
Die Charaktere sind mit Herz und Seele versehen, wirken authentisch, glaubhaft und natürlich, so dass sich der Leser mit ihnen wohlfühlt und ihre Geschichte mit viel Interesse verfolgt. Lisette ist eine sympathische Frau, die schon in ihrer Kindheit die Kunst und die Welt der Farben lieben gelernt hat. Überhaupt ist sie eine freundliche, starke und liebevolle Persönlichkeit, die eigentlich das quirlige Leben der Stadt liebt, aber das geruhsame Savoir Vivre auf dem Land durchaus zu schätzen lernt. Sie wächst an ihren Aufgaben und entwickelt Mut und Entschlossenheit. Samuel Becket hat tatsächlich einige Zeit im Luberon verbracht ebenso wie Marc Chagall mit seiner Familie, dies in diesem Roman wiederzufinden, war eine schöne Randerscheinung. Pascal ist ein alter Mann, der viele interessante Begegnungen hatte und die Maler mit Farbe versorgte. Aber auch Künstler wie Cézanne und Pissarro haben ihren besonderen Platz in dieser Geschichte.
„Lisette und das Geheimnis der Maler“ ist ein gelungener kunsthistorischer Streifzug, eingebettet in eine fiktive Geschichte und eine atemberaubend schöne Landschaft, die man einmal im Leben besucht haben sollte, um das französische Lebensgefühl regelrecht einzuatmen und dort die Museen zu besuchen. Tut der Seele gut wie auch dieses Buch. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 25.05.2019

"Der Schwache kann nicht verzeihen, denn Verzeihen ist eine Eigenschaft der Starken." (M. Gandhi)

Die Lady von Bolton Hill
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1879 Baltimore. Clara ist die Tochter von Reverend Lloyd Endicott, dem Herausgeber des „Christian Crusade“, einer vielbeachteten Wochenzeitung und arbeitet als Journalistin. Seit ihrer Kindheit ist Clara ...

1879 Baltimore. Clara ist die Tochter von Reverend Lloyd Endicott, dem Herausgeber des „Christian Crusade“, einer vielbeachteten Wochenzeitung und arbeitet als Journalistin. Seit ihrer Kindheit ist Clara mit Daniel Tremain befreundet, einem jungen Mann aus ärmlichsten Verhältnissen, der mit viel Zähigkeit und Erfindergeist zu einem sehr reichen Unternehmer wurde. Sie teilen die große Liebe zur Musik und haben so manches Duett miteinander gespielt. Nun kehrt Clara nach mehr als 10 Jahren in England nach Baltimore zurück und trifft schon bald darauf auf ihren alten Jugendfreund Daniel, aber sein Hass auf einen Konkurrenzunternehmer lässt die beiden schon bald auseinanderdriften, denn Daniel hegt seit dem Tod seines Vaters in dessen Fabrik Rachegedanken und bringt so nicht nur seine eigenen Arbeiter gegen sich auf, sondern auch von Clara entfernt er sich damit immer mehr. Werden die Gefühle zwischen den beiden doch noch zu einer gemeinsamen Zukunft führen?
Elizabeth Camden hat mit „Die Lady von Bolton Hill“ einen spannenden und fesselnden historischen Roman vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig-leicht und nimmt den Leser schnell mit in ein vergangenes Jahrhundert, wo noch andere gesellschaftliche Regeln galten und arbeitende Frauen die Ausnahme bildeten, die die Autorin mit ihrer bildhaften Sprache wunderbar wiederaufleben lässt. Der Leser heftet sich unsichtbar mal an die Fersen von Clara, mal an die von Daniel, aber es gibt auch noch einen dritten Handlungsstrang um einen kriminellen Drogenbaron und seinen Ziehsohn, der auf den ersten Blick so gar nicht zur Geschichte passen will. Das Thema Arbeitsbedingungen und den Kampf für bessere Bedingungen und höhere Löhne wird in diesem Buch sehr präsent abgehandelt, zeigt aber auch die völlig egoistischen Ansichten der Inhaber auf, die ihre eigenen Ziele verfolgen, ohne an ihre Angestellten zu berücksichtigen.
Der christliche Aspekt hat in diesem Roman einen großen Stellenwert, denn es geht um Vergebung und die Rückkehr zum Glauben. Wie sehr Hass und Rachegedanken einen Menschen verändern, Freundschaften zerbrechen und sogar vereinsamen lassen, wird hier sehr gut dargestellt. Es wird aber auch aufgezeigt, dass ständiges Missionieren den gegenteiligen Effekt haben kann und nicht von Erfolg gekrönt ist. Nur mit Verständnis, Mut, Geduld und Liebe kann es gelingen, das Herz des anderen zu öffnen, so dass Gott dort wieder Einzug halten kann.
Die Charaktere sind sehr detailliert und lebendig entworfen worden, sie wirken aufgrund ihrer individuellen Eigenschaften sehr realistisch und glaubwürdig. Der Leser kann sich gut in sie hineinversetzen und mit ihnen hoffen, bangen und mitfiebern. Clara ist eine sehr intelligente und mutige Frau, die für die Dinge einsteht, die ihr am Herzen lieben. Sie hegt keinerlei Standesdünkel und unterstützt jeden, der ihre Hilfe benötigt. Sie ist sehr direkt und kämpft für diejenigen, denen es schlecht geht. Daniel hat sich mit Fleiß und Cleverness aus der Armut zu einem reichen Mann entwickelt, der viel Macht und Einfluss besitzt, die er für seinen Rachefeldzug auch einsetzt. Er ist stur, unversöhnlich und schiebt jeden zur Seite, der ihm im Weg steht. Claras Bruder Clyde ist eine interessante Persönlichkeit, in dem man zuerst einen Snob vermutet, um dann festzustellen, dass er sich den Schwächsten verschrieben hat. Auch Bane, Mr. Forsythe und Reverend Endicott geben der Geschichte die richtige Würze, um durchweg zu faszinieren und zum Nachdenken anzuregen.
„Die Lady von Bolton Hill“ ist ein wunderschöner Roman über Familienbande, Seelenverwandte, verschiedene Ansichten, Rachegelüste, Vergebung und eine Liebe, die sich wiederfindet. Herrlich erzählt und durchweg spannend zu lesen. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 25.05.2019

Die Liebe zur Präsidentengattin

Meine Zeit mit Eleanor
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1932. Die junge Reporterin Lorena Alice Hickok arbeitet für die Nachrichtenagentur Associated Press und schreibt über den US-Präsidentenwahlkampf, für den sich auch Franklin D. Roosevelt aufstellen lässt. ...

1932. Die junge Reporterin Lorena Alice Hickok arbeitet für die Nachrichtenagentur Associated Press und schreibt über den US-Präsidentenwahlkampf, für den sich auch Franklin D. Roosevelt aufstellen lässt. Dabei lernt sie nicht nur den zukünftigen Präsidenten, sondern auch dessen Ehefrau Eleanor bei einigen Interviews näher kennen. Von Beginn an spüren die beiden Frauen eine enge Verbindung zueinander. Nach der gewonnenen Wahl kündigt Lorena ihre Anstellung bei Associated Press und zieht mit den Roosevelts ins Weiße Haus, vorrangig, um für Roosevelt als Chefermittlerin zu arbeiten, aber eigentlich hauptsächlich, um mit Eleanor zusammen zu sein, denn die beiden verbindet inzwischen mehr als nur eine Frauenfreundschaft. Die beiden gehen gemeinsam auf Reisen und pflegten einen intensiven Briefwechsel. Allerdings findet ihre Liebe im Geheimen statt, denn zur damaligen Zeit war eine gleichgeschlechtliche Beziehung tabu, zumal es sich hier auch noch um die First Lady handelte.
Amy Bloom hat mit „Meine Zeit mit Eleanor“ einen interessanten und melancholischen Roman vorgelegt, der die Beziehung zwischen Eleanor Roosevelt und Lorena Hickok tiefer beleuchtet, wobei es sich hier um eine fiktive Geschichte mit wahren Persönlichkeiten handelt. Es wurde nie bewiesen, dass die beiden Frauen eine Liebesbeziehung hatten, die Gerüchte stützen sich auf die vielen Briefe, die sich beide täglich schrieben und die enge Freundschaft, die sie pflegten und für viele ungewöhnlich war. Die Autorin strickt hier allerdings eine Liebesbeziehung, die zur damaligen Zeit von der Öffentlichkeit nicht toleriert wurde und bettet sie ein in das schwierige politische Umfeld, das damals herrschte. Der Erzählstil ist flüssig und gut zu lesen, kann den Leser aber leider überhaupt nicht fesseln, sondern wirkt eher wie eine geschichtliche Abhandlung, bei der Eleanor die Hauptrolle spielt. Gelungen sind die Eindrücke der Frauenrolle zur damaligen Zeit. Die Zeitsprünge innerhalb der Handlung machen das Folgen der Geschichte allerdings sehr schwierig und teilweise recht anstrengend. Auch fehlt dem Erzählstil jegliches Gefühl, der Leser hat dauerhaft das Gefühl, eine Art Beobachtungsposten zu beziehen.
Die Charaktere sind aus vielen Biographien entwickelt und mit Leben versehen worden, wobei ihnen immer eine gewisse Distanz innewohnt, die den Leser eine Armlänge von sich entfernt hält. Ein Mitfühlen ist daher gar nicht möglich. Lorena hatte eine schwere Kindheit, die von Einsamkeit und Missbrauch gekennzeichnet war. Mit 13 verließ sie ihr Elternhaus und schlug sich selbst durch, machte ihren Abschluss und erwarb sich als Reporterin einen ausgezeichneten Ruf. Sie war eine mutige und selbstbewusste Frau, die zeitlebens unter starkem Diabetes litt und bekennende Lesbierin war, obwohl dies nicht öffentlich bekannt werden durfte. Eleanor Roosevelt kommt aus einem reichen, aber unglücklichen Elternhaus, wuchs nach dem Tod ihrer Eltern bei ihrer Großmutter auf und heiratete ihren Onkel 6. Grades, der wie der Bruder ihres Vaters Präsident der USA wurde. Eleanor setzte sich zeitlebens für Menschenrechte ein, war eine selbstbewusste und starke Frau, die sich behaupten konnte und auch aktiv in der Politik tätig war.
„Meine Zeit mit Eleanor“ ist ein Abbild der damaligen amerikanischen Gesellschaft und Politik, gibt aber auch die lange andauernde angebliche Liebesbeziehung zwischen zwei Frauen wieder, die in der Öffentlichkeit standen und die aufgrund ihrer Rolle zur Heimlichkeit verdammt waren. Da der Geschichte Wärme und Gefühl fehlen sowie eine stärkere Anbindung des politischen Zeitgeschehens, gibt es hier allerdings nur eine eingeschränkte Leseempfehlung.