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Veröffentlicht am 18.09.2022

Monumentalwerk über eine Ausnahmeerscheinung

Sontag
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Fast sechs Wochen hat mich dieses monumentale Werk mit 805 Seiten Text und weiteren 120 Seiten Anhang begleitet. Es läßt mich zwiegespalten zurück, was auch ein treffendes Adjektiv für Susan Sontag ist.

Benjamin ...

Fast sechs Wochen hat mich dieses monumentale Werk mit 805 Seiten Text und weiteren 120 Seiten Anhang begleitet. Es läßt mich zwiegespalten zurück, was auch ein treffendes Adjektiv für Susan Sontag ist.

Benjamin Moser hat für seine 2020 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Biographie sehr viel Material ausgewertet, u.a. die fast 100 Bände umfassenden Tagebuchaufzeichnungen von Sontag, und er hat zahlreiche Gespräche mit Weggefährt*innen geführt. Das Buch ist in vier Teile mit ingesamt 43 Kapiteln eingeteilt, was das Lesen strukturiert. Inhaltlich geht es dann jeweils um einen bestimmten Aspekt ihres Lebens, einer Beziehung oder ihres Werkes. Ergänzt wird der Text durch zwei Bildtafeln mit zahlreichen Fotos.

Da Sontag in ihrem Leben so immens viele Menschen getroffen hat, ihr Werk von so vielen Personen beeinflusst wurde und kaum etwas davon unkompliziert war, war auch das Lesevergnügen für mich begrenzt. Es gibt ungemein interessante Bezüge und Einblicke in ihr Werk, allerdings verschwindet vieles in diesem überbordenden Angebot von Informationen. Vielfach verliert sich der Autor in eigenen Analysen und Interpretationen über andere Autoren etc. Das ging mir in vielen Fällen einfach zu weit, entfernte sich zu sehr vom Kern des Buches und war oft auch einfach ermüdend. Die Sprache erschien mir zudem stellenweise zu anspruchsvoll. Die gerade in der ersten Hälfte des Buches häufigen philosophischen und literaturtheoretischen Betrachtungen haben meine Aufnahmefähigkeit an ihre Grenzen gebracht. Es fällt mir jetzt am Ende schwer, eine Art Resümee zu geben. Ich müsste alle markierten Stellen noch mal nachlesen. Es lassen sich die Meilensteine herauspicken, ja, aber das wäre auch mit weniger Seiten möglich gewesen.

In dieser Biographie steckt unfassbar viel Arbeit, Moser hat neun Jahre daran gearbeitet. Ich würde sie jeder ans Herz legen, die sich intensiv und auf hohem Niveau mit der Autorin, der philosophischen, literaturtheoretischen und psychologischen Entwicklung ingesamt und der künstlerischen und politischen Entwicklung ihrer Zeit und dem komplizierten Geflecht zwischenmenschlicher Beziehungen auseinandersetzen möchte. Dafür hat dieses umfängliche Werk ohne Frage einen festen Platz im Regal verdient. Für einen Einstieg in das Thema "Sontag", um kompakt etwas über diese Ausnahmeintellektuelle, diese streitbare, von Selbstzweifeln geplagte und innerlich zerrissene Frau zu erfahren, ist das Buch jedoch meines Erachtens nur bedingt zu empfehlen. Zuvor hatte ich bereits die von Daniel Schreiber wesentlich kompakter verfasste Biographie "Susan Sontag. Geist und Glamour" (2007) gelesen, die sich für einen umfassenden ersten und mehr als soliden Einblick besser eignet. Dennoch ist "Sontag" von Moser insgesamt eine Lektüre, die ich nicht missen möchte, trotz der Kritik.

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Veröffentlicht am 08.09.2022

Lebenslange Suche nach Heimat und Halt

Zugvögel
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Wie den Zugvögeln fällt es Franny Lynch schwer, länger an einem Ort zu bleiben. Sie fühlt eine tiefe Verbundenheit mit dem Meer und den Vögeln, die insgesamt nicht nur vom Aussterben bedroht sind, sondern ...

Wie den Zugvögeln fällt es Franny Lynch schwer, länger an einem Ort zu bleiben. Sie fühlt eine tiefe Verbundenheit mit dem Meer und den Vögeln, die insgesamt nicht nur vom Aussterben bedroht sind, sondern bereits kaum noch gesichtet werden. Für die junge Frau ist es eine innere Notwendigkeit, den letzten Küstenseeschwalben von Grönland bis in die Winterquartiere in der Antarktis zu folgen - um jeden Preis. Als sie tatsächlich ein Fischerboot findet, das sie mitnimmt, wird die lange Fahrt zu einer Reise in die eigene Vergangenheit.

Die Handlung spielt in einer nicht genauer definierten Zukunft, die allerdings näher ist, als wir uns wünschen. Das fatale Aussterben verschiedener Tierarten geht einem wirklich sehr zu Herzen, verstärkt durch den intensiven Schreibstil der Autorin. Da die Geschichte immer wieder zwischen verschiedenen Zeitebenen in Frannys Leben hin und her springt, ist teilweise konzentriertes Lesen erforderlich und am besten auch längere Passagen am Stück. Die Charaktere sind alle gut herausgearbeitet, jeder und jede wird mit einer individuellen, glaubhaften und schicksalhaften Biographie versehen. Allerdings ist mir die Protagonistin nicht sehr nahe gekommen. Sie bleibt für mich in einigen Teilen ihres Wesens ein Rätsel. Vielleicht waren mir in ihrer Familie auch einfach zu viel "Schicksal", zu viele Metaphern und zu viel "Flucht" vorhanden.

Dennoch ist die Geschichte sehr lesenswert, die einmal mehr den Finger in die Wunde "Klimawandel" legt. Diese globale Katastrophe wird geschickt in eine dramatische Lebensgeschichte eingebunden und umspült von den Wellen des Atlantiks.

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Veröffentlicht am 01.09.2022

Mephisto im ländlichen Vermont

Ein Mann mit vielen Talenten
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In einer Kleinstadt in Vermont lebt der pensionierte Lehrer Langdon Taft in einem großen Haus, einsam, unzufrieden und immer einer Flasche "Sir Walter Scott" zugetan. Plötzlich, aber irgendwie auch nicht ...

In einer Kleinstadt in Vermont lebt der pensionierte Lehrer Langdon Taft in einem großen Haus, einsam, unzufrieden und immer einer Flasche "Sir Walter Scott" zugetan. Plötzlich, aber irgendwie auch nicht völlig überraschend, steht ein smarter Unbekannter mit einem verlockenden Angebot vor der Tür: Mr. Dangerfield - welch sprechender Name - gewährt Taft freien Zugang zu allen Talenten, die er besitzt. Freilich zeitlich begrenzt und nicht ohne Gegenleistung. Wer aber denkt, dass Taft ganz im Sinne von Faust durch rücksichtslosen Egoismus sich und seine Umgebung in die Katastrophe führt, kennt Taft schlecht.

Das kleine Büchlein (175 Seiten) von Castle Freeman besticht durch die lässige Art, mit der Taft dem geckenhaften Dangerfield gegenübertritt, der stets dem jeweiligen Anlass entsprechend gekleidet ist und sich überheblich und siegessicher gibt. Schnell ist jedoch klar, wer hier eigentlich die Oberhand hat. Temporeich und spaßig wird es, wenn sich die beiden unterhalten, denn nur Taft kann Dangerfield hören und sehen. Optisch hat Freeman dies hervorgehoben, indem Dangerfields wörtliche Rede ohne Anführungszeichen, dafür aber kursiv gesetzt ist. Die Episoden, in denen Taft die neuen Talente anwendet, sind kurzweilig und witzig. So lernt man zahlreiche Personen des kleinen Ortes in Neuengland und ihr Schicksal kennen.

Das Buch hat mich wirklich gut unterhalten und ich habe es schnell durchgelesen. Die Idee und die Entwicklung der Geschichte haben mich angesprochen. Allerdings fand ich sie nicht ganz rund, ich kann nicht genau sagen warum eigentlich. Die Taten erschienen mir teilweise zu willkürlich, ein Rahmen hat gefehlt und am Ende hatte ich mir etwas mehr Raffinesse erhofft. Dennoch kann ich das Buch empfehlen, das auf coole und witzige Art das Faust/Mephisto-Thema aufgreift.

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Veröffentlicht am 25.08.2022

Steigt mit ein!

Lincoln Highway
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Ein unglaublich schönes Buch hat Amor Towles hier vorgelegt, voller wunderbarer und skurriler Figuren, atmosphärischer Bilder und kluger Sätze.

Als sein Vater stirbt, wird der 18-jährige Emmett 1954 vorzeitig ...

Ein unglaublich schönes Buch hat Amor Towles hier vorgelegt, voller wunderbarer und skurriler Figuren, atmosphärischer Bilder und kluger Sätze.

Als sein Vater stirbt, wird der 18-jährige Emmett 1954 vorzeitig aus Salina entlassen, einer Jugendbesserungsanstalt in Kansas. Die elterliche Farm fällt an die Bank und Emmett und sein achtjähriger Bruder Billy wollen neu anfangen. Nur mit einem Rucksack und im 1948 Studebaker soll es nach Kalifornien gehen, denn dort will Billy unbedingt seine Mutter finden, die die Familie vor Jahren verließ und nur einige Postkarten geschickt hat. Diese Postkarten zeigen Orte entlang des legendären Lincoln Highway, der von New York nach San Francisco führt und 1912 erfunden wurde. Als jedoch zwei Kumpel bei Emmett auftauchen, die sich selbst aus Salina entlassen haben, gerät die Fahrt zu einer fulminanten Reise quer durch die USA. Immer dabei: Billys heiß geliebtes Handbuch von Professor Abernathie "Kompendium von Helden, Abenteurern und anderen unerschrockenen Reisenden" - das 25. Kapitel ist für Billys Abenteuer bestimmt.

Was für ein Roadtrip! Auf 575 Seiten sind wir hautnah dabei, wenn der Weg unserer Helden von den merkwürdigsten Gestalten und Begebenheiten gekreuzt wird. Immer wieder nimmt die Handlung eine unerwartete Wendung und man fragt sich, ob die Jungs überhaupt je ankommen werden.

Die Geschichte wird aus mehreren Perspektiven erzählt, das macht die Handlung besonders spannend und schnell und bietet zudem die Möglichkeit für einige Cliffhanger. Die Handlung ist so dicht und gleichzeitig federleicht erzählt und strotzt voller gehaltvoller Sätze, Weisheiten und Querverbindungen; oft genug durch den altklugen Billy zum Besten gegeben. Alle Charaktere sind mit unglaublicher Detailfreude dargestellt, nicht nur Emmett und Billy, auch Woolly und Duchess, die beiden Ausreißer. Um sie entfalten sich Geschichten, die jeweils für ein eigenes Buch gereicht hätten. Dem Autor gelingt es großartig für jede Figur eine eigene Sprache zu finden.

Ich bin voll auf begeistert von dieser Geschichte, die einen einsaugt, wenn man erstmal mit dem Lesen begonnen hat. Manchmal haftet ihr etwas Märchenhaftes an, aber das hat mir besonders gut gefallen. Sprachlich und inhaltlich hat mich der Roman total überzeugt und ich kann ihn nur aus vollem Herzen weiterempfehlen.


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Veröffentlicht am 09.08.2022

Spannendes Porträt einer Nicht-Ikone

Susan Sontag. Geist und Glamour
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Sie wollte weder das Label als feministische Autorin, das der lesbischen Schriftstellerin, noch das der Miss Camp und doch war sie auch all das. Daniel Schreiber zeichnet den Lebensweg von Susan Sontag ...

Sie wollte weder das Label als feministische Autorin, das der lesbischen Schriftstellerin, noch das der Miss Camp und doch war sie auch all das. Daniel Schreiber zeichnet den Lebensweg von Susan Sontag (1933-2004) nach, von der vaterlosen Kindheit bis zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels und ihrem Tod im darauf folgenden Jahr.

Von Susan Sontag wußte ich vor diesem Buch kaum etwas, das hat sich nun geändert. Schreiber hat das Leben und Werk der amerikanischen Intellektuellen in das jeweilige Umfeld aus Gesellschaft, Literatur, Kunst, Politik, Freundschaften etc. gekonnt eingebettet und die Beziehungen und Einflüsse auf Sontag und ihre Texte und auch ihre Einflüsse auf andere herausgearbeitet. Das liest sich sehr, sehr interessant und viele Arbeiten wären ohne den politischen und gesellschaftlichen Hintergrund nicht einzuordnen. Schreiber setzt Sontags Texte in Bezug zu anderen Autorinnen und Autoren, erläutert die Entstehungsgeschichten und fast die Texte auch zusammen. Ich gebe gerne zu, dass ich hier nicht immer alles verstanden habe. Es geht oft um Theorien, vor allem in ihren Essays. Dennoch hat man selbst bei den kompliziertestes Passagen zumindest eine Ahnung, um was es Sontag ging.

Schreiber schildert den teilweise problematischen Alltag, die schwierigen Partnerschaften, die ständigen Geldsorgen, die Versagensängste, die schwere Krankheit Sontags und ihre nicht enden wollende Umtriebigkeit, ihr großes Interesse für alles, was mit Kunst und Kultur zu tun hatte.

Herausgekommen ist das Porträt einer Frau, die von Ambivalenz geprägt war, die sich oft selbst inszenierte und sich einer eigenen Anspruchshaltung in Bezug auf ihr Schaffen gegenübersah, die sie häufig nicht erfüllen konnte. In Perioden großer Produktivität ersann sie so viele Projekte, dass häufig keines davon umgesetzt wurde. Ein schönes Zitat von Jeff Seroy, Publicity-Direktor ihres Verlages FSG, zeigt auf, wie radikal sie auch mit den Menschen in ihrer Umgebung umging: "Bei Susan saß man entweder auf dem Beifahrersitz, oder man war ein überfahrenes Tier am Straßenrand, aber auf dem Beifahrersitz war es eine großartige Erfahrung." (S. 250f.)

Insgesamt hat mich die Biografie wahnsinnig fasziniert und ich habe mit Schrecken festgestellt, wie viele Personen aus dem engeren und weiteren Umfeld von Sontag mir nichts gesagt haben. Das Buch ist voller Post-Its und ich werde noch weitere Bücher über und vor allem auch Texte von Sontag lesen. Als umfassende Einführung in Leben und Werk fand ich das Buch ideal.

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