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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.05.2022

Unverblümte Geschichtsstunde

Die Eroberung Amerikas
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Wir schreiben das Jahr 1538, als sich Ferdinand Desoto auf eine Expedition nach Amerika aufmacht, um in Florida Gold zu finden. Und dann ist da der Anwalt, der sich Jahrhunderte später dafür einsetzt, ...

Wir schreiben das Jahr 1538, als sich Ferdinand Desoto auf eine Expedition nach Amerika aufmacht, um in Florida Gold zu finden. Und dann ist da der Anwalt, der sich Jahrhunderte später dafür einsetzt, das Unrecht wiedergutzumachen, das den indigenen Volksgruppen durch diese Eroberung widerfahren ist.
Doch dies ist kein gewöhnlicher historischer Roman, der einfach mit einer Rahmenhandlung die historischen Grundlagen aufgreift. Schon der Zeitstrang der Vergangenheit wird durch die Brille unserer Zeit, mal bitterböse, mal spitzfindig, mal irrwitzig erzählt. „Aus der heutigen Sicht war das 16. Jahrhundert vor alle, eines: brutal. So als hätte die Mafia sämtliche KZ-Aufseher zu einem Wettbewerb in Sachen Grausamkeit herausgefordert.“
Auf diesen wilden Ritt habe ich mich bewusst eingelassen und auch viele besondere Lesemomente dadurch erlebt. Dem gegenüber standen aber auch jene, wo mir das Springen zwischen den Figuren und die Länge etwas zu viel wurden. Das Buch empfehle ich trotzdem jedem experimentierfreudigen Leser.

Veröffentlicht am 01.05.2022

Kfz, Kleinkind, Kummerkasten

Meter pro Sekunde
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Die Ich-Erzählerin zieht mit Mann und Kleinkind nach Westjütland, wo nicht viel los ist. Ihr Leben dreht sich um Erziehung, Fahrschule und Ratschläge für Hilfesuchende.
Sie lernt, „… in der Kleinstadt ...

Die Ich-Erzählerin zieht mit Mann und Kleinkind nach Westjütland, wo nicht viel los ist. Ihr Leben dreht sich um Erziehung, Fahrschule und Ratschläge für Hilfesuchende.
Sie lernt, „… in der Kleinstadt geht es darum, sich anzupassen und mit der Landschaft zu verschmelzen. Man betont die Gemeinsamkeiten, nicht die Unterschiede, Ziel und Logik der Gespräche ist es, den Zusammenhalt zu beschwören.“ und fühlt sich doch als Außenseiterin.
Mir gefielen die Liedtexte zu Beginn neuer Abschnitte, singbar auf bekannte Melodien, bei der der Übersetzer ganze Arbeit geleistet hat. Und auch sonst enthielt das Buch schöne sprachliche Formulierungen. Leider gab es dazu kaum Handlung, so dass für mein Empfinden Luft nach oben blieb.

Veröffentlicht am 24.04.2022

Vom Auswandern und Ankommen

ewig her und gar nicht wahr
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Die Künstlerin Kira lebt mit Partner und Sohn in Berlin. Sie ist mit ihren Eltern aus Moldawien nach Deutschland gezogen. Sie ist angekommen und befindet sich doch weiter auf der Suche nach ihrer Identität.
Der ...

Die Künstlerin Kira lebt mit Partner und Sohn in Berlin. Sie ist mit ihren Eltern aus Moldawien nach Deutschland gezogen. Sie ist angekommen und befindet sich doch weiter auf der Suche nach ihrer Identität.
Der kurze Roman wird in Vignetten erzählt, die die verschiedenen Zeitebenen, aber auch die vor Phantasie sprudelnden Gedanken der Ich-Erzählerin widerspiegeln. Es wimmelt nur so von skurrilen Momenten, beispielsweise während der Ausreise ein Gespräch um die kindliche Frage, ob es in Deutschland Toiletten gebe, das mit einem Loblied auf die deutsche Kanalisation endet.
Das Hören bedarf der vollen Aufmerksamkeit, um keines der besonderen sprachlichen Bilder zu verpassen. Doch das fällt bei der angenehmen Vortragsweise der Autorin nicht schwer. Mich hat diese ungewöhnliche Familiengeschichte sehr berührt.

Veröffentlicht am 16.04.2022

Heimliche Beobachter

Automaton
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Tiff, alleinerziehende Mutter mit Angststörung, hält sich mit einem schlecht bezahlten Automaton-Job über Wasser, bei dem sie Bild- und Videomaterial sichten und markieren muss. Dabei bemerkt sie das Verschwinden ...

Tiff, alleinerziehende Mutter mit Angststörung, hält sich mit einem schlecht bezahlten Automaton-Job über Wasser, bei dem sie Bild- und Videomaterial sichten und markieren muss. Dabei bemerkt sie das Verschwinden eines Mannes am anderen Ende der Erde.
Das Buch verfolgt zwei Handlungsstränge, den von Tiff und den von Stella, die sich gegen Ende hin kreuzen. Die Beschreibungen von Tiffs Alltag, hauptsächlich die mühsamen Gänge nach draußen, um ihren Sohn zum Kindergarten zu bringen, werden unterbrochen von der Mischung aus Langeweile und Neugier bei ihren Arbeitsaufträgen. Diese diskutiert sie im Chat mit ihren entfernten Kollegen.
Nach der Lektüre ihres Romans “Pixeltänzer” hatte ich erwartet, die Autorin würde erneut technische Details einbauen und unter dem Titel “Automaton” etwas Nerdiges verpacken. Diese Geschichte hingegen war eine Mischung aus Wiederholungen, Naivität der Protagonisten und unglaubwürdigen Zusammenhängen. Das liest sich leicht weg, doch mein Nerdherz brachte es nicht zum Höherschlagen.

Veröffentlicht am 10.04.2022

Frauenpower

Neun seltsame Frauen
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“Neun seltsame Frauen” sind die Protagonistinnen dieser neun Erzählungen, in Anlehnung an die neun Musen in der griechischen Mythologie. Dabei gibt es scheinbar keinen roten Faden; jede hat ihre eigenen ...

“Neun seltsame Frauen” sind die Protagonistinnen dieser neun Erzählungen, in Anlehnung an die neun Musen in der griechischen Mythologie. Dabei gibt es scheinbar keinen roten Faden; jede hat ihre eigenen zwischenmenschlichen Herausforderungen zu überwinden.
Auch ohne mich mit den mythologischen Vorbildern auszukennen, reizte mich dieses 2021 für den Österreichischen Buchpreis nominierte Werk, und diese Unkenntnis hat dem Lesevergnügen keinen Abbruch getan.
Die Geschichten sind allesamt ungewöhnlich, ein Verlauf lässt sich nicht vorhersehen, ab und zu wird eine Prise magischer Realismus beigemischt. Jede der Frauen erhält eine authentische Stimme: „Das Warten auf Bahnsteigen fand ich unerträglich, egal in welcher Gesellschaft. Es fühlte sich an wie eine Mauer, gegen die man stieß: Man wollte sich bewegen, aufbrechen, reisen und kam einfach nicht weiter, weil man warten musste.“ Mir haben an diesem Erzählband sowohl die Sprache als auch das Ausgefallene der Handlungen außerordentlich gut gefallen.