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Veröffentlicht am 11.08.2025

Erinnerung an ein viel zu kurzes Leben

Lilianas unvergänglicher Sommer
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Cristina Rivera Garza wusste lange nicht, was sie sagen sollte, wenn sie gefragt wurde, ob sie Geschwister habe. Denn sie hatte einmal eine fünf Jahre jüngere Schwester, Liliana. Doch diese Schwester hat ...

Cristina Rivera Garza wusste lange nicht, was sie sagen sollte, wenn sie gefragt wurde, ob sie Geschwister habe. Denn sie hatte einmal eine fünf Jahre jüngere Schwester, Liliana. Doch diese Schwester hat sie im Jahr 1990 verloren, als diese von ihrem Ex-Freund ermordet wurde, als junge mexikanische Studentin im Alter von 20 Jahren. 29 Jahre später beginnt Cristina, diese persönliche Geschichte literarisch aufzuarbeiten.

In ihrem vielfach preisgekrönten Memoir „Lilianas unvergänglicher Sommer“ begibt sie sich mit Hilfe der umfangreichen Hefte, Notizen, Aufzeichnungen, Collagen, Pläne, Briefe, Kassetten und Kalender, die ihre Schwester hinterlassen hat, auf eine sehr persönliche Reise, um das kurze, aber eindrucksvolle Leben Lilianas und die Zeit bis zu ihrer Ermordung festzuhalten und mit der Welt zu teilen. Zusätzlich zu der Materialfülle, die ihre Schwester selbst hinterlassen hat, hat Cristina Interviews mit Verwandten und Freunden Lilianas geführt.

Es ist ein eindrucksvolles und sehr persönliches Buch über eine lebensfrohe und intelligente junge Frau, das mich sehr berührt hat. Das Buch ist in verschiedene Teile gegliedert, die sich sehr unterschiedlich lesen.

Für mich persönlich am wenigsten interessant waren die ersten ca. 40 Seiten, in denen sich Cristina gemeinsam mit einer Freundin auf Spurensuche durch die Kriminalarchive Mexikos begibt und an der Bürokratie und Ignoranz des Staatsapparats scheitert: die Akte ihrer Schwester bleibt verschwunden und kann nach 29 Jahren nicht mehr gefunden werden, auch wenn ihr schriftlich bescheinigt wurde, dass sie als Schwester ein Recht auf Aushändigung einer Kopie hätte, wenn die Originalakte auftauchen würde.

Die Autorin erzählt ihre mühsame Suche authentisch und in vielen Details, das entspricht bestimmt ihrer realen Erfahrung damit und der Frustration über das Scheitern, aus der aber schließlich auch ihr Entschluss für die Arbeit an diesem Buch entstand. Wer sich jedoch beim Reinlesen in diese Teile noch nicht so sehr für das Buch erwärmen kann, dem empfehle ich, diese Seiten zu überblättern und mal in die späteren, sehr persönlichen und berührenden Kapitel hineinzuschauen, für die sich das Buch definitiv lohnt. Es wäre schade, wegen dieser ersten Seiten ein tolles Buch zu verpassen.

Danach lernen wir Lilianas Leben und Familiengeschichte kennen: ihre Schwester erzählt von ihr, aber wir dürfen auch ganz direkt in Kontakt mit ihr kommen: durch die vielen Briefe und Notizen, die für das Buch aus dem spanischsprachigen Original übersetzt, aber ansonsten originalgetreu wiedergegeben werden.

Wir erleben mit, wie Liliana sich für das Schwimmen begeistert, genauso wie für das Briefe schreiben, wie sie als Jugendliche und junge Erwachsene unzählige Briefe mit Freunden und Verwandten austauscht, wie viel Liebe sie in sich trägt und herzlich ausdrückt, aber auch, wie sie als sehr junge Frau erstmals Ángel in einem Fitnessstudio kennen lernt, der jahrelang um sie wirbt, bis sie eine Beziehung mit ihm beginnt. Liliana ist Ángel in vielerlei Hinsicht überlegen: sie ist eine sprachbegabte junge Frau, er ringt um Worte und kämpft mit der Rechtschreibung. Ihr Vater arbeitet an seiner Promotion und forscht im Bereich Genetik, während er aus sehr einfachen Verhältnissen stammt. Und doch geht sie erst einmal auf sein Werben ein und genießt es, dass der zwei Jahre ältere Mann sie mit Auto und Motorrad herumfahren kann. Doch bald wird ihr die Beziehung zu eng, Ángel ist misstrauisch und eifersüchtig, er engt sie ein, während sie frei sein will. Diese Konflikte verschärfen sich, als Liliana zu studieren beginnt, während Ángel die Aufnahmeprüfung für die Universität nicht geschafft hat.

Die Zeit Lilianas auf der Universität nimmt auch großen Raum in dem Buch ein. Basierend auf den Interviews, die ihre Schwester Cristina geführt hat, wird die Perspektive verschiedener Freundinnen und Kommilitonen Lilianas auf die junge Frau lebendig: auch hier zeigt sich wieder das Bild einer lebensfrohen, extrovertierten, vor Witz sprühenden und selbstbewussten jungen Frau, die frei sein will und die spricht und sich bewegt wie eine freie Frau.

Doch im Hintergrund spitzt sich das Drama zu: Liliana will sich mehrmals von Ángel trennen und beendet die Beziehung schließlich endgültig, doch er stellt ihr nach, bedroht sie, erpresst sie und es gibt erste Spuren auf körperliche Misshandlung, bis zu ihrer Ermordung durch ihn.

Zusätzlich zu Lilianas persönlicher Geschichte beschäftigt sich die Autorin, die selbst Soziologie studiert hat, mit dem Stellenwert des Femizids in der mexikanischen Gesellschaft. Sie beschreibt, wie es damals, 1990, dieses Wort noch nicht in der öffentlichen Wahrnehmung gab und den ermordeten Frauen meist zumindest eine Mitschuld zugeschrieben wurde. Gleichzeitig arbeitet sie klar heraus, wie falsch diese Ansicht ist und dass der Unterschied, ob man als junge Frau von einem eifersüchtigen, gewalttätigen Mann ermordet wird oder nicht, oft einfach ein zufälliger ist: ob man das Pech hatte, einem Mörder über den Weg zu laufen, oder ob man davon verschont geblieben ist.

Ein wichtiges und sehr berührendes Buch, das völlig zu Recht den Pulitzer-Preis und weitere Auszeichnungen bekommen hat, das für ein sehr wichtiges Thema sensibilisiert und gleichzeitig einer beeindruckenden jungen Frau ein Denkmal setzt und dem ich eine breite Leserschaft wünsche!

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Veröffentlicht am 08.08.2025

Über eine mutige Verwandlungskünstlerin, Resilienz und Identität

Die acht Leben der Frau Mook
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Ich verfasse diese Rezension zu einem Zeitpunkt, zu dem ich die Lektüre der „Acht Leben der Frau Mook“ schon seit mehreren Wochen beendet habe. Doch lässt mich dieses ganz besondere und eindringliche Buch ...

Ich verfasse diese Rezension zu einem Zeitpunkt, zu dem ich die Lektüre der „Acht Leben der Frau Mook“ schon seit mehreren Wochen beendet habe. Doch lässt mich dieses ganz besondere und eindringliche Buch nicht los: immer wieder denke ich daran und bin nach wie vor emotional tief berührt von dem fiktiven Leben dieser außergewöhnlichen, fast hundert Jahre alten Frau, die eng mit der Geschichte Nord- und Südkoreas verbunden ist.

Es ist ein Roman, der mich sehr viel gelehrt hat: sowohl über einen mir bisher sehr unbekannten Teil asiatischer Geschichte als auch über das Leben an sich, denn so viel Lebensweisheit und Erkenntnisse stecken in diesem Buch. Dabei ist es außerdem sehr spannend, unterhaltsam und auch mit einem gewissen Humor geschrieben, sodass ich mich an keiner Stelle gelangweilt und immer gespannt und neugierig weitergelesen habe.

Worum geht es? Wir begegnen Frau Mook erst einmal durch die Augen ihrer Pflegerin im Altersheim. Die Pflegerin hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Lebensgeschichten der alten Menschen dort zu sammeln und auch Frau Mook ist bereit, ihr ihre zu erzählen. Seltsam wirkt erst einmal, dass Frau Mook geistig hellwach wirkt, obwohl sie sich auf der Demenzstation befindet, was steckt da wohl dahinter?

So beginnt die alte Frau zu erzählen und wir folgen ihr durch all die verschiedenen Rollen, die sie in ihrem Leben eingenommen hat: beginnend mit der Geschichte der Mörderin über die Fluchtkünstlerin, Sklavin bis zur Geliebten und Mutter, aber auch zur Spionin und Terroristin. Und immer bleibt die Frage: ist Frau Mook eine Lügnerin und Hochstaplerin? Nicht nur damals in ihren Rollen, sondern auch jetzt beim Erzählen?

Die Rollen sind lose den Kapiteln zuzuordnen, wobei sich einige Rollen in mehreren Kapiteln wiederholen. Frau Mooks Leben ist insbesondere in der ersten Hälfte des Buches nicht ganz chronologisch erzählt, es gibt Zeitsprünge in die Zukunft und in die Vergangenheit, doch bleibt das Buch dabei zum Glück immer gut verständlich, lesbar und interessant. Diese Struktur hat die Lektüre für mich stellenweise vielleicht sogar noch interessanter gemacht, weil sie mich neugierig auf die Lücken gemacht hat, die erst später gefüllt wurden.

Insgesamt zeigt sich das Bild einer unglaublich tapferen, mutigen, hochintelligenten, anpassungsfähigen und extrem resilienten Frau, die sich auch von ärgsten Schicksalsschlägen nicht unterkriegen lässt, kämpferisch bleibt, sich für ihr eigenes Überleben, aber auch für andere einsetzt, und dabei nie ihren Humor verliert. Frau Mook ist ein Musterbeispiel für Resilienz, dabei aber nicht unglaubwürdig, denn solche Menschen gibt es, wie aus der Forschung zu Resilienz nach schlimmsten Erfahrungen bekannt ist.

Ein zentrales Thema des Buches ist Identität: die, die uns von anderen gegeben wird und die, die wir selbst wählen oder die wir wandeln im Laufe unseres Lebens.

Beleuchtet wird etwa auch eines der traurigsten Kapitel der koreanischen Geschichte: die Bordelle, euphemistisch „Trosthäuser“ genannt, in die die japanischen Besatzer koreanische Frauen und Mädchen verschleppten, um sie dort brutal zu missbrauchen. Auch dieser Missbrauch begann damit, den Versklavten neue Namen aufzuzwingen:

„Mit ihren Geschichten definierten sie alles neu. Erst änderten sie unsere Namen. Jayoung wurde zu Sawawko, was süß bedeutet. Jobasan erklärte, der Name passe perfekt zu ihr, wegen ihrer Liebe zu Karamell und Schokolade. Mija wurde, weil sie die Jüngste und Kleinste auf der Station war, zu Akiko, was Kind bedeutet.“ (S. 93)

Doch auch daran wird Frau Mook nicht zerbrechen und am Ende ihren Weg heraus finden. Später wird sie noch viele Identitäten selbst wählen, um zu überleben, ihr Glück zu finden, aber auch, um als Spionin erfolgreich zu sein. Dabei ist sie extrem talentiert darin, sich einer jeweils komplett neuen Identität anzupassen:

„Letztendlich ist verschiedene Identitäten anzunehmen wie verschiedene Sprachen zu sprechen. Wenn man eine Fremdsprache lernt, eignet man sich nicht nur ihr Vokabular an. Nebenbei nimmt man auch ihre Stimmungen und Eigenarten auf und wie sich die Leute normalerweise ausdrücken, wenn sie sprechen, ohne nachzudenken. Wenn man wirklich das Gefühl hat, die Sprache zu beherrschen, dann beherrscht sie einen genauso, es ist wie Magie. Man kann sich in eine fremde Person verwandeln, einfach indem man die Sprache wechselt. Man tritt ganz anders auf. Man kann sich in die Geschichte einer anderen Person hineinstehlen, ohne es überhaupt zu merken.“ (S. 184)

Zum Glück gibt es auch leichtere, fröhlichere Kapitel im Buch, in denen es um zwischenmenschliche Liebe und Zuneigung geht: zwischen Mann und Frau, aber auch zwischen Mutter und Kind, als Frau Mook und ihr Mann ein verwaistes Mädchen bei sich aufnehmen und adoptieren:

„Die Liebe wächst nach und nach, mit jedem gesummten Wiegenlied, jedem gebändigten Wutanfall und jedem Löffel Hafergrütze, ob geschluckt oder ausgespuckt. (…) Indem ich mich verhielt wie eine liebende Mutter, wurde ich zur liebenden Mutter.“ (S. 163)

Am Ende kommt das Buch zu einem für mich sehr runden und passenden Abschluss, den ich hier natürlich nicht verraten möchte. Stattdessen noch ein abschließendes Zitat, das für mich das Buch gut abgeschlossen hat:

„Man sagt, du bist, was du isst. Frau Mook hatte die Erde der verschiedenen Orte, an denen sie gewesen war, gekostet. Sie war also nicht nur viele verschiedene Personen gewesen, sondern auch genauso viele verschiedene Orte.“ (S. 329)

Insgesamt ist es ein sehr interessantes, lehrreiches und unterhaltsames Buch, das bei aller Tragik auch viel an Leichtigkeit verströmt, das ich äußerst gerne gelesen habe und das sicher noch weiterhin tief nachwirken wird. Definitiv ein Jahreshighlight und ein Buch, das ich einer breiten Leserschaft nur wärmstens empfehlen kann!

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Veröffentlicht am 30.07.2025

Das Meer und die Vergangenheit

Das Geschenk des Meeres
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"Das Geschenk des Meeres" von Julia R. Kelly ist ein wunderschön gestaltetes Buch, das schon auf den ersten Blick Lust aufs Lesen macht. Atmosphärisch beginnt es mit einem Zitat des irischen Dichters William ...

"Das Geschenk des Meeres" von Julia R. Kelly ist ein wunderschön gestaltetes Buch, das schon auf den ersten Blick Lust aufs Lesen macht. Atmosphärisch beginnt es mit einem Zitat des irischen Dichters William Butler Yeats und dann mit der Perspektive von Joseph, der ein feinsinniger Beobachter des Wetters und seiner Umgebung ist und in dem schweren Wetter mit einem halbtoten und nassen Jungen, den er am Strand gefunden hat, Richtung Dorf eilt.

Danach lernen wir die Lehrerin Dorothy kennen, die ins Dorf zugezogen ist und hier anfangs keinen leichten Stand hatte, sich lange fremd und anders gefühlt hatte... die eine tiefe Verbindung zu Joseph spürt und die vor vielen Jahren ihren Sohn verloren hat... einen Jungen, der dem nun angespülten Jungen sehr gleicht, auch wenn viele Jahre zwischen ihnen liegen.

Aus den Perspektiven dieser beiden und weiterer Dorfbewohner nähert sich die Autorin dem Geschehen an. Es ist ein hartes Leben, das hier beschrieben wird, geprägt von den Witterungen, von Gewalt und Trauma. Auch gibt es Ausgrenzung und Gerede in dem Dorf, aber genauso zarte Verbindungen zwischen den Menschen und die Hoffnung auf eine gute Zukunft.

Insgesamt ist es ein spannend geschriebenes Buch, das mir gut gefallen hat, auch wenn manche der Figuren für mich ein bisschen blass und einseitig geblieben sind.

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Veröffentlicht am 28.07.2025

Sehr detailreich

Sam Altman
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Nun ist die englischsprachige Biografie "The Optimist" des Chat-GPT-Gründers Sam Altman, erstellt von der Journalistin Keach Hagey, auch auf Deutsch erschienen. Dazu hat die Autorin hunderte Interviews ...

Nun ist die englischsprachige Biografie "The Optimist" des Chat-GPT-Gründers Sam Altman, erstellt von der Journalistin Keach Hagey, auch auf Deutsch erschienen. Dazu hat die Autorin hunderte Interviews mit Menschen aus dem Umfeld von Sam Altman, seinen Verwandten, Bekannten, Freunden, Mentoren und Weggefährten geführt, und auch Gespräche mit ihm selbst. War er zuerst kritisch gegenüber dem Projekt eingestellt und hat es als zu früh angesehen, schon in einer Biographie porträtiert zu werden, so hat er sich nach ihren Aussagen dann doch dafür geöffnet.

Entstanden ist ein sehr umfangreiches und detailliertes Werk, das nicht nur Sam Altmans Leben seit seiner Geburt, sondern auch viele Lebensläufe der Menschen, die ihn umgeben, genau beschreibt. Wir erfahren viele Details beispielsweise aus dem Leben seiner jüdischen Eltern und Großeltern, die, mit Wurzeln in Europa, fast alle in den USA Unternehmen aufgebaut oder beeindruckende Fachkarrieren, etwa als Ärzte, hingelegt haben. Damit wird klar, in was für einem fördernden und leistungsorientierten Umfeld Sam Altman groß geworden ist, in dem er schon früh von seinen Eltern ermutigt wurde, daran zu glauben, alles erreichen zu können.

Das Buch ist ein sehr interessantes Werk für alle, die sich wirklich für die Person Sam Altman interessieren und nicht nur für die Technologie hinter Chat GPT. Es steht nämlich, wie es für eine Biografie auch passend ist, ganz klar sein ganzes Leben im Vordergrund und nicht nur die Verbindung mit einer bahnbrechenden neuen Technologie. Ich empfehle, sich wirklich Zeit und Geduld zum Lesen zu nehmen, die braucht es nämlich für dieses umfangreiche Werk.

Insgesamt ist das Buch zwar durchaus sehr interessant geschrieben, mir persönlich waren es aber stellenweise fast zu viele Details, die mich nicht alle so sehr interessiert waren, und manchmal hätte ich mir einen klareren Fokus und eine eindeutigere Richtung des Buches gewünscht statt dieser Datenfülle. In Summe ist es aber dennoch auf jeden Fall eine erhellende und interessante Lektüre, aus der ich viel Neues gelernt habe und die ich allen an diesem beeindruckenden Menschen Interessierten empfehlen kann.

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Veröffentlicht am 26.07.2025

Ein Mädchen kämpft um das scheinbar Unmögliche

Durch das Raue zu den Sternen
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Es ist Anfang der 1990er Jahre und Arkadia Fink, genannt Moll, ist 13 Jahre alt und liebt die Musik. Sie lebt allein mit ihrem Vater, der grundsätzlich liebevoll ist, darum kämpft, wirtschaftlich über ...

Es ist Anfang der 1990er Jahre und Arkadia Fink, genannt Moll, ist 13 Jahre alt und liebt die Musik. Sie lebt allein mit ihrem Vater, der grundsätzlich liebevoll ist, darum kämpft, wirtschaftlich über die Runden zu kommen und dem aber auch manchmal „die Hand ausrutscht“.

Die Mutter ist ein Freigeist, unkonventionell und begabt passt sie nicht so wirklich in ein kleines bayrisches Dorf. Sie hat ihrer Tochter die Liebe zur Musik vermittelt, mit ihr schräge Abenteuer erlebt und sie in ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Individualität bestärkt. Beethoven sei eine Frau gewesen, ist die Mutter überzeugt, und mit ihr die Tochter, für die Beethoven damit ein großes Rollenvorbild ist, denn auch Moll ist fest entschlossen, als Lichtgestalt in die Musikgeschichte einzugehen.

Leider ist die Mutter vor etwa einem Jahr „kurz weggegangen“, wie Moll sich immer wieder erinnert und auf ihre Rückkehr hofft. Immerhin schickt sie der Tochter in unregelmäßigen Abständen per Post einzelne Sätze einer selbst komponierten Symphonie zu. Dann gibt es auch noch Bernhardina im Altersheim, eine gute Freundin von Arkadia, mit der das Mädchen regelmäßig telefoniert und sie besucht.

Vor diesem Hintergrund werden an den bayrischen Schulen Talente für einen renommierten Knabenchor gesucht, dazu kommt eine Frau an die Schulen und lässt die Kinder vorsingen. Sie bemerkt Molls Talent, doch leider… es ist ein Knabenchor und dort werden keine Mädchen aufgenommen, so heißt es. Doch dabei wird die selbstbewusste und entschlossene Arkadia es nicht bewenden lassen. In dem humorvoll und berührend erzählten Buch erleben wir mit, wie sie darum kämpft, sich einen Platz in diesem Chor zu erobern, allen Widerständen zum Trotz.

Passend zum Thema ist das Buch in fünf Sätze einer Symphonie eingeteilt, die sich in Ausdruck und Tempo unterscheiden: von schnell, aber nicht zu schnell, über sehr lebendig bis zu langsam, dann wieder schneller und schließlich so, wie einem gerade ist.

Beeindruckt hat mich an diesem Buch ganz besonders das Selbstbewusstsein der gewitzten Arkadia, die von dem Autor sehr treffend und glaubwürdig porträtiert wird, sodass ich mich von Anfang an mit ihr zutiefst verbunden gefühlt und mit ihr mitgefiebert habe. Das aus der Ich-Perspektive geschriebene Buch hat sich für mich angefühlt, als wäre es tatsächlich die eigene Erzählung eines ganz besonderen, begabten und eigensinnigen Mädchens am Anfang der Pubertät. Hier ein zwei Zitate aus dem Buch zur Illustration:

„Ich war eine Sängerin des Knabenchors. Der Knabenchor wusste das nur noch nicht.“ (S. 42)

„Auf der Busfahrt zum Kurkonzert sprach niemand. Für manche Knaben aus dem Landkreis war es der erste Auftritt. Sie waren nervös. Ich nicht.“ (S. 176)

Insgesamt ist es ein humorvolles und unterhaltsames, dabei zugleich tiefgründiges Buch über die Liebe zur Musik und das unerschütterliche Festhalten an eigenen Zielen, den Umgang mit scheinbar unüberwindbaren Hindernissen, das Anders-Sein und die Suche nach Anerkennung und Zugehörigkeit sowie das Verfolgen der eigenen Träume. Dabei kommen die Lesenden der Ich-Erzählerin sehr nahe, erleben ihren Kampf im Außen genauso wie im Innen mit und können sich tief berühren lassen. Es ist auch ein Buch, das sich für Gleichberechtigung einsetzt und tief für das Thema Diskriminierung sensibilisiert. Ein Kompliment an den männlichen Autor, sich so gut in ein jugendliches Mädchen hineinversetzen zu können und sich diesem wichtigen Thema angenommen zu haben.

Ich kann dieses Buch einer breiten Leserschaft, angefangen von Jugendlichen bis zu Erwachsenen jeglichen Alters, nur wärmstens empfehlen! Für mich wird es ganz bestimmt nicht das letzte Buch dieses talentierten Autors bleiben.

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