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Veröffentlicht am 01.11.2025

Berührend, authentisch und Mut machend

Nach Grau kommt Himmelblau
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"Nach grau kommt himmelblau" von Dr. Thomas Reinbacher ist ein zutiefst berührendes Memoir eines Menschen, der es geschafft hat, nach mehrmaligen schweren depressiven Phasen samt langen Aufenthalten auf ...

"Nach grau kommt himmelblau" von Dr. Thomas Reinbacher ist ein zutiefst berührendes Memoir eines Menschen, der es geschafft hat, nach mehrmaligen schweren depressiven Phasen samt langen Aufenthalten auf der stationären Psychiatrie wieder zurück in ein glückliches Leben zu finden. Aus dem blauen Himmel des überragenden Erfolges einer großen Karriere bei bekannten Weltkonzernen war der Autor mitten ins tiefste Elend der Depression gestürzt, kurze Zeit, nachdem er Vater eines kleinen Sohnes geworden war. Und es dauerte so einige Zeit, bis er sich eingestehen konnte, nicht nur eine kurzfristige Krise oder ein Burnout durch Überarbeitung, sondern eine richtige Depression zu haben, und bis er sich auf den Weg zurück bzw. in ein neues Leben, der nicht gerade, sondern mit vielen Hindernissen gepflastert ist, voll und ganz einlassen konnte.

Eine Depression zu haben ist nichts Seltenes, leider sind viele Menschen davon betroffen. Doch nur wenigen gelingt es danach, die eigene Erfahrung in so authentische und berührende Worte zu fassen, wie das dem Autor mit seinem Buch gelungen ist. Ich hatte selbst einen nahen Angehörigen mit einer schweren Depression und habe so vieles wiedererkannt: sowohl in Bezug auf seinen Zustand als auch hinsichtlich der Psychiatrieaufenthalte. Zu meinem großen Bedauern hat mein Angehöriger den Weg aus der Depression heraus nicht mehr gefunden... nach der Lektüre des Buches dieses Autors verstehe ich jetzt aber noch einmal mehr, wie schwierig das ist und wie viel Kraft es erfordert, aber auch was für eine bedeutende Rolle dabei günstige Rahmenbedingungen und soziale Unterstützung spielen. Glücklicherweise hatte der Autor sowohl einen unterstützenden Arbeitgeber als auch eine liebende Familie und verständnisvolle Freunde an seiner Seite.

Passend dazu ist das Buch in drei Teile gegliedert: zuerst erzählt der Autor seine Geschichte, den Absturz in die tiefe Depression und den Weg zurück, über mehrere Klinikaufenthalte. Danach gibt es Raum für die "Sicht der anderen", hier erzählen seine Frau, ein guter Freund, und "sein altes Ego". Dadurch wird die Sicht der Angehörigen deutlich, aber auch, speziell im letzten dieser drei Kapitel, wie wenig Verständnis Menschen (in diesem Fall der Autor selbst vor seiner Krise) für das Wesen einer Depression haben können, wenn sie diese noch nicht selbst erlebt haben oder im nahen Umfeld damit konfrontiert waren.

Im dritten Teil finden sich schließlich noch Selbsttests für Burnout und Depression, Antworten für Betroffene, Tipps für Angehörige und Kontaktadressen für Hilfe im Akutfall.

Sehr berührend ist, wie persönlich das Buch erzählt ist und wie etwa Spotify-Links zu Musik, die dem Autor in gewissen Situationen viel bedeutet hat und die er mit seinen Emotionen verbindet, eingebaut sind. Auch sonst ist das Buch trotz des dunklen Themas sehr humorvoll geschrieben: zum Beispiel ist anhand von Kackhäufchen und Herzchen dargestellt, an welche Methoden der Autor große Erwartungen hatte und welche diese erfüllt oder übertroffen haben, aber auch, welche enttäuschend waren.

Besonders interessant und hilfreich fand ich auch das Thema: "Was sind eigentlich meine Werte im Leben?", das dem Autor zum ersten Mal in der Psychotherapie begegnete (von den Werten "Kompetenz", "Großes erreichen", "Anerkennung", "Karriere" und "Perfektion" aus der Zeit vor der Krise hin zu "Akzeptanz", "Kreativität", "Papa sein", "Andere unterrichten" und "Tüfteln" für das Leben danach) und das er so hilfreich fand, dass er dazu gemeinsam mit seiner Frau ein eigenes Kartenset entwickelt hat, das ich mir ebenfalls besorgt habe und das ich auch sehr empfehlen kann.

Insgesamt ist es ein sehr berührendes und hilfreiches Buch, das ich allen, die selbst von Depressionen betroffen sind, Betroffene kennen oder sonst mit dem Thema zu tun haben - und das sind eigentlich, ob bewusst oder unbewusst, alle Menschen, denn es gibt so viele Menschen mit Depressionen, dass jeder privat oder beruflich welche kennt, egal, ob man darüber schon nachgedacht hat oder nicht - nur wärmstens empfehlen kann.

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Veröffentlicht am 31.10.2025

Tiefe Veränderung beginnt im Nervensystem

Rauhnächte – Reguliere dein Nervensystem und schaffe die Basis für persönliches Wachstum
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Bücher über die Rauhnächte gibt es mittlerweile viele am Markt. Was unterscheidet dieses Buch von den anderen? Es ist sein klarer Fokus auf das autonome Nervensystem und auf seine Bedeutung für Veränderungen ...

Bücher über die Rauhnächte gibt es mittlerweile viele am Markt. Was unterscheidet dieses Buch von den anderen? Es ist sein klarer Fokus auf das autonome Nervensystem und auf seine Bedeutung für Veränderungen in unserem Leben. Die Autorin beschreibt schlüssig, woran viele gute Vorsätze und Visionen scheitern: an unserem eigenen Körper und Nervensystem. Denn wenn wir uns innerlich nicht sicher fühlen, erstarren wir, und das macht Veränderung fast unmöglich - selbst, wenn wir sie uns noch so sehr wünschen. Es ist also empfehlenswert, sich erst einmal mit dem autonomen Nervensystem zu befassen und damit, wie man sich selbst in einen angenehmen, ruhigen, entspannten Zustand bringen kann, aus dem heraus die Arbeit an Zukunftsvisionen deutlich vielversprechender ist.

Noch ein weiterer Punkt, durch den sich das Buch unterscheidet: es beginnt nicht direkt mit den Rauhnächten, sondern schon mit der Zeit davor: mit den Sperrnächten ab dem 8. Dezember. Auch diese gehen auf eine alte, bäuerliche Tradition zurück: es ist die Zeit, in der die Arbeitsmaterialien des vergangenen Jahres für den Winter weggesperrt wurden, anstehende Arbeiten abgeschlossen wurden und insgesamt das Jahr sowohl auf der praktischen Ebene als auch spirituell zu einem bewussten Abschluss gebracht wurde, um sich dann bewusst auf die Rückkehr des Lichts mit der Wintersonnenwende, das Weihnachtsfest und danach die transformative Kraft der Rauhnächte und des Jahreswechsels einzulassen.

Somit setzt dieses Buch insgesamt deutlich früher an als viele andere Rauhnachtsratgeber und zeigt, wie man auf vielfältige Art und Weise den Boden für gewinnbringende Rauhnächte bereiten kann. Nach einer kurzen Einführung in das Thema widmet das Buch ein ausführliches Kapitel der Erklärung des autonomen Nervensystems als Grundlage für die Visionsarbeit in den Rauhnächten. Sympathikus und Parasympathikus werden beschrieben, genauso wie der Vagusnerv und die drei Hauptzustände des autonomen Nervensystems.

Dabei gelingt es der Autorin, eine zugängliche und leicht verständliche Sprache zu wählen, sodass diese medizinischen Themen auch für Menschen, die damit noch nicht viele Berührungspunkte hatten, anschaulich dargestellt sind. Weiters geht es um unser individuelles Stresstoleranzfenster und darum, wie wir dieses erweitern und die Rauhnächte als Zeit der inneren Stabilisierung nützen können: die Rauhnächte als sicherer Raum, von dem aus wir eine Transformation beginnen können.

Psychologisch betrachtet ist das Buch gut recherchiert und bietet solide Informationen über das autonome Nervensystem und über leicht anwendbare Techniken, sich selbst zu regulieren und zu stabilisieren, zum Beispiel über die Atmung, über die Verbindung mit anderen Menschen und über die bewusste Wahrnehmung von "Glimmern", kleinen Momenten der Freude und Sicherheit (z.B. ein Sonnenstrahl, das Rascheln der Blätter im Wind,...).

Dazu schreibt die Autorin: "Viele Menschen glauben, dass sie sich erst verändern müssen, um sich sicher zu fühlen. Doch es ist genau umgekehrt: Erst wenn wir Sicherheit spüren, ist Veränderung überhaupt möglich. Deshalb sind die Rauhnächte nicht nur eine Zeit der Manifestation, sondern eine Zeit der Regulation. In diesen Nächten schenken wir unserem Nervensystem bewusst Glimmer-Momente. Wir lernen, Sicherheit nicht nur im Außen zu suchen, sondern sie in uns zu spüren. Und genau daraus entsteht die tiefste Transformation." (S. 43)

Im Buch finden sich viele Übungen zur Schulung der Sinne, zur Körperwahrnehmung und zur Verbindung mit dem eigenen Inneren, sowohl in den einführenden Kapiteln, als auch dann bei den jeweiligen Sperrnächten oder Rauhnächten.

Detailliert beschrieben und liebevoll bebildert wird dann in die insgesamt etwa einen Monat (von 8.12. bis 6.1.) dauernde Zeit zuerst der Sperrnächte, dann der Wintersonnenwende und schließlich der Rauhnächte hineinbegleitet. Es beginnt mit den Sperrnächten, dabei sind jeder Sperrnacht etwa drei Seiten gewidmet. Diese beginnen mit einführenden Worten zum Thema der jeweiligen Sperrnacht (z.B. "Sicherheit" für die erste Sperrnacht), dann folgen Reflexionsfragen dazu (z.B. "Wann hast du dich im vergangenen Jahr sicher gefühlt?", "Wo hast du Sicherheit eher im Außen gesucht - und wo hast du sie in dir selbst gefunden?", S. 67) und schließlich gibt es noch eine abschließende körperbezogene Übung, zum Beispiel zum bewussten Atmen.

Im letzten Drittel des Buches schließlich geht es um die Rauhnächte selbst. Auch hier ist wieder jede Rauhnacht einem übergreifenden Thema gewidmet, das an die vorher schon bearbeiteten Themen der Sperrnächte erinnert - doch nun geht es nicht um den Rückblick auf das vergangene, sondern um die Vision für das zukünftige Jahr. Beispielsweise geht es auch in der ersten Rauhnacht wieder um Sicherheit, doch nun mit dem Blick auf die Kraft der Wurzeln für das neue Jahr und auf die Entscheidungen, die wir heute treffen können, um unsere innere Stabilität für das neue Jahr zu stärken. Auch hier gibt es wieder körperbezogene Übungen sowie einen Manifestationsimpuls, für den Januar z.B. "Was wäre, wenn dein Alltag selbst zu einem sicheren Raum wird?" (S. 111)

Insgesamt handelt es sich um ein sehr liebevoll gestaltetes und ansprechendes, psychologisch fundiertes Buch, das eine gute Basis für die eigene Bewusstseinsarbeit bietet und das ich auch aus beruflicher Sicht als Psychologin allen an Weiterentwicklung interessierten Menschen wärmstens empfehlen kann.

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Veröffentlicht am 30.10.2025

Viele Themen kurz persönlich angeschnitten

30 Erkenntnisse, die dein Leben besser machen
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In unterhaltsamem, nahbarem Stil erzählt der Business-Philosoph und Speaker Jörg Hawlitzeck in diesem Buch von seinen Erkenntnissen. Insgesamt findet sich eine bunte Mischung aus Themen aus Psychologie, ...

In unterhaltsamem, nahbarem Stil erzählt der Business-Philosoph und Speaker Jörg Hawlitzeck in diesem Buch von seinen Erkenntnissen. Insgesamt findet sich eine bunte Mischung aus Themen aus Psychologie, Philosophie und Spiritualität: es geht etwa um die Illusion der Wirklichkeit, um realistischen Optimismus, um die Macht der Einstellung, den Wert der Bildung, spirituelle Heimatlosigkeit, Solidarität, Ethik, moralisches Handeln und Willensfreiheit.

Die Kapitel sind kurz gehalten, erzählt wird in anekdotischem Stil unter Bezugnahme auf persönliche Erfahrungen, Bekannte aus dem eigenen Leben des Autors und philosophische Weisheiten. Mir persönlich, die ich schon viele anspruchsvollere Bücher zu all diesen Themen gelesen habe, war einiges in diesem Buch zu oberflächlich. Auch hatte ich den Eindruck, der Autor würde seine persönliche Haltung und Einstellung als universell ansehen und als solche vermitteln wollen. An manchen Stellen habe ich mich mehr belehrt als inspiriert gefühlt. Das ist aber wohl alles eine Frage der persönlichen Einstellung und Vorerfahrung. Insbesondere für Menschen, die sich mit den behandelten Themen noch nicht viel beschäftigt haben, bietet das Buch sicher einiges an interessanter Inspiration.

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Veröffentlicht am 30.10.2025

Von der vergeblichen Sehnsucht nach einem Ankommen

No Way Home
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"No way home", der neue Roman von T.C.Boyle, beschäftigt sich vordergründig nicht so stark mit aktuellen Gesellschaftsthemen wie manche andere seiner Bücher. Sieht man aber genauer hin, dann tut er das ...

"No way home", der neue Roman von T.C.Boyle, beschäftigt sich vordergründig nicht so stark mit aktuellen Gesellschaftsthemen wie manche andere seiner Bücher. Sieht man aber genauer hin, dann tut er das sehr wohl. Porträtiert werden drei unreife junge Erwachsene, die alle drei sich auf ihre Art entwurzelt und heimatlos fühlen und auf der Suche nach Sicherheit, Geborgenheit und Bestätigung sind: nach einer äußeren Heimat für die innere Heimatlosigkeit. Drei Menschen, die diesen Halt nicht in sich selbst finden können und ihn deshalb, natürlich vergeblich, in einer anderen Person suchen müssen.

Da gibt es Terry, einen jungen Assistenzarzt in Los Angeles, den der Zufall erst einmal gelegentlich in die abgelegene Wüstenstadt Boulder City verschlägt: denn hier war der Altersruhesitz seiner Mutter (aber nicht der Ort und das Haus, an dem er aufgewachsen ist - seine Heimat ist es hier nicht), hier hatte sie ein Haus gekauft und bewohnt, und nun ist sie plötzlich verstorben und an ihm ist es, das Haus zu erben, sich um ihren Hund Daisy zu kümmern und sich um alle bürokratischen Formalitäten zu kümmern. Terry ist ein engagierter und völlig überarbeiteter Arzt, mit kaum Privatleben und nur wenig Erfahrungen mit Frauen. Auch die mit der Abwicklung des Erbes verbundene Bürokratie ist ihm fremd und er fühlt sich innerlich dieser Sache kaum gewachsen. Sein bisheriger Werdegang mit der starken Konzentration auf das Medizinstudium und den ersten Jahren als Arzt hat wohl seine intellektuellen Fähigkeiten gefordert und gefördert und ihm einen sechsstelligen Schuldenberg an Studiengebühren hinterlassen, ihn aber emotional nicht erwachsen werden lassen.

So kommt es ihm durchaus gelegen und er wehrt sich höchstens halbherzig, als die sehr attraktive und nach einer Trennung von ihrem impulsiven Ex-Freund Jesse temporär obdachlose Bethany ins Haus von Terrys Mutter einziehen will und verspricht, sich um das Haus und den Hund sowie die mit dem Erbe verbundene Bürokratie zu kümmern. Zwar sagt er erst einmal "nein" dazu, sie macht es trotzdem, zieht einfach ein, stellt ihn vor vollendete Tatsachen. Statt sie entschlossen hinauszuwerfen, verfällt er ihren äußeren Reizen und die beiden beginnen eine sexuelle Beziehung. Er fühlt sich von ihr sehr angezogen - so eine attraktive Frau hat sich wohl noch nie für ihn interessiert - auch wenn sie abgesehen von der körperlichen Attraktivität viele problematische Persönlichkeitseigenschaften aufweist, das Haus verkommen lässt, ihre dubiosen Freunde gegen seinen Willen dorthin einlädt, um wilde Partys zu feiern, und nicht einmal davor Halt macht, sich dort gegen Terrys ausdrücklichen Wunsch mit ihrem Ex Jesse zu treffen, mit unangenehmen Folgen verschiedenster Art für Terry. Dennoch wird Terry sie nicht los und überlegt letztlich in seiner grenzenlosen Naivität sogar, sie zu heiraten. Bethany wiederum erhofft sich von der Verbindung mit ihm sozialen Aufstieg - immerhin ist er Arzt - und materielle Absicherung.

Der dritte im Spiel ist Jesse, Lehrer an der Junior High School, leidenschaftlicher Motorradfahrer, impulsiv und zu Gewalt neigend und der vermeintliche Ex Bethanys, mit dem sie fünf gemeinsame Jahre verbracht hat, der ihr in Bezug auf das soziale Milieu viel ähnlicher ist als Terry und von dem auch sie sich nicht so wirklich lösen will, was aus dem Ganzen eine sehr toxische Dreiecksgeschichte macht. Auch er will Bethany nicht loslassen, erhebt Besitzansprüche auf sie, ist eifersüchtig auf Terry, den er als "Spießer" ansieht und dafür zutiefst verachtet, und meint, eine tiefe Verbindung zu Bethany zu fühlen.

Sympathisch ist in diesem Roman keine der drei menschlichen Figuren, nur mit dem klugen Hund Daisy habe ich mitgefühlt. Alle drei Hauptcharaktere sind zutiefst unreif, unreflektiert und machen über den Roman keine sichtbare Charakterentwicklung durch. Dadurch wiederholen sich verschiedene Situationen in ihrem Leben auch immer wieder, beispielsweise versucht Terry immer wieder auf zaghafte und ungeschickte Art, Bethany Grenzen in Bezug auf den sorglosen Umgang mit seinem Eigentum aufzuzeigen, doch werden diese Versuche nie vehementer oder entschlossener und bleiben immer erfolglos. Bethany wiederum verharrt in ihrer Schwebesituation zwischen den beiden Männern selbst dann noch, als sich einige Ereignisse deutlich zuspitzen, die bei einer psychisch gesünderen Frau längst zu einer Distanzierung geführt hätten. Auch Jesse ist und bleibt der impulsive, zu gewalttätigen Ausbrüchen neigende Mann, der er immer war.

Das Ganze findet vor der Hintergrundkulisse von Boulder City statt, die als unattraktive und wenig Perspektiven für junge Leute bietende Wüstenstadt wirkt, in der die einzigen Freizeitaktivitäten zielloses Herumfahren mit dem Motorrad oder Saufen in Lokalen zu sein scheinen.

Reine Dreiecksgeschichten und Liebesdramen sind nichts, was ich normalerweise gerne lese, und ich schätze es sonst auch, wenn es eine charakterliche Weiterentwicklung der Figuren gibt. Dieses Buch hat mich dennoch sehr überzeugt, denn es ist auf eine Art und Weise geschrieben, in der ich gerade diese Stagnation der Charaktere und ihr Verweilen in ihrer Unbewusstheit und den daraus resultierenden Schwierigkeiten sehr glaubhaft finde.

Solche Menschen gibt es viele, und Boyle gelingt es hier, sie in ihrem Umfeld treffend zu porträtieren, und dabei gleichzeitig zum Nachdenken darüber anzuregen, was es für eine Gesamtgesellschaft bedeutet, wenn es viele solcher Menschen gibt und wie genau die dahinterstehenden Sehnsüchte nach einer inneren wie äußeren Heimat und einem Ankommen, ohne wirklich die dafür erforderliche innere und äußere Arbeit leisten zu müssen, sehr leicht von politischen Verführern eingefangen werden können (das ist nicht Hauptthema des Romans, schwingt für mich aber zwischen den Zeilen mit). Damit ist es ein düsteres, aber durchaus treffendes Gesellschaftsporträt des modernen Amerikas in den 2020er Jahren.

Auch sprachlich weiß Boyle genau, was er tut, und jeder Satz sitzt. Hier ein paar Beispiele:

"Leute, die behaupteten, die Wüste zu lieben, redeten immer von unverstellter Weite, aber für ihn war es mehr wie die Sohle eines alten Joggingschuhs: nichts als Druck und abgewetztes Profil. Dass die Wüste leer war, hatte einen Grund - sie war ein negativer Raum zwischen einem selbst und einem Ort, wo man sein wollte, eine letzte Zuflucht für Heilige und Skorpione." (S. 15)

"Das Wasser war kalt, und er blieb nicht lange drin. Auf dem Board hatte er keine Probleme mit dem Gleichgewicht, auch wenn dieser Sport - das ganze Konzept - ihm neu war. Der See war ebenfalls neu, jedenfalls diese intime Bekanntschaft mit ihm." (S. 56)

"Er schlief im Gästezimmer, und nicht mal der Hund leistete ihm Gesellschaft." (S. 293)

"Sie machte keinen Versuch aufzuräumen, noch nicht jedenfalls. Sie ließ Jesse stänkern, bis ihm die Luft ausging, und dann stand sie auf und zog Schuhe und Jacke an." (S. 368)

Insgesamt ist es ein tiefgründiges und interessantes Buch, das ich allen empfehlen kann, die sich für das moderne Amerika und seine vielfältigen Probleme interessieren und die kein Problem damit haben, ein Buch ohne (menschliche) Sympathieträger zu lesen.

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Veröffentlicht am 29.10.2025

Dieses Buch berührt zutiefst

Raum für Männergefühle
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"Raum für Männergefühle" - davon gibt es tatsächlich spürbar ganz viel in dem gleichnamigen Buch von Benjamin Krauss, das unglaublich berührend ist. Man merkt dem Buch an, dass der Autor auch seine eigene ...

"Raum für Männergefühle" - davon gibt es tatsächlich spürbar ganz viel in dem gleichnamigen Buch von Benjamin Krauss, das unglaublich berührend ist. Man merkt dem Buch an, dass der Autor auch seine eigene Musik schreibt... es ist zutiefst lyrisch. Genau dadurch erreichen die Worte so zielgenau das Herz... schon nach den ersten paar Seiten war ich zutiefst berührt und hätte fast zu weinen begonnen. Ich bin eine Frau, doch ich fühle mit den Männern, die sich nach wie vor oft so wenig in ihrer Gesamtheit und mit ihren Gefühlen zeigen dürfen in unserer Gesellschaft.

Dieses Buch zeigt dieses Thema auf, es will berühren, wachrütteln, die Herzen der Menschen erreichen. Es will eine Veränderung anstoßen, und das spürt man beim Lesen. Es ist wie ein Lied, ein Gedicht oder eine Gedichtsammlung, ein Kunstwerk in sich, und die Worte gehen tief. Es ist spürbar, dass alle Worte bewusst gewählt wurden, mit genau ihrer Wirkung, kein Wort zu viel, kein Wort zu wenig.

Inhaltlich geht es darum, wie sehr auch Männer unter dem Patriarchat leiden, denn dadurch werden Gefühle und sich verletzlich zeigen als weiblich konnotiert und abgewertet, sodass es für Jungen und Männer oft auch heute noch ein großer Schritt ist, viel Mut erfordert und Risiken birgt, die eigenen Gefühle offen zu zeigen. Das Buch geht darauf ein, woher dieses Muster kommt, worin es sich zeigt und wie erste Schritte der positiven Veränderung aussehen könnten. Das macht es aber eben nicht im trockenen Sachbuchstil, sondern als persönliches, lyrisches Buch, das nicht nur den Verstand, sondern auch und vor allem die Gefühle der Leserinnen und Leser ansprechen möchte.

Ein paar Beispiele:

"Aber vielleicht ist es nur ein kleiner Schritt, der fehlt.
Ein Raum, in dem ein Vater seinen Sohn für drei Sekunden umarmt.
Ein Moment, in dem zwei Freunde sich trauen zu sagen: "Ich weiß gerade nicht weiter."
Ein Ort, an dem ein Mann spürt: Ich bin mit meiner Sprachlosigkeit nicht allein." (S. 17)

"Es gibt Wege. Keine fertigen, aber echte.
In Gesprächen. In neuen Räumen. In kleinen Gesten.
Verletzlichkeit ist keine Schwäche. Sie ist eine Kraft.
Sie wird nicht belohnt - aber sie verbindet.
Vielleicht ist das genug." (S. 138)

Dieses Buch ist keines, das man einmal liest und dann für immer weglegt. Es ist ein Buch, das sich mit seiner Ehrlichkeit, seiner Authentizität, seiner starken Botschaft und seiner Poesie tief ins Herz schreibt. Ein Buch, das immer wieder mal zur Hand genommen werden will... als Inspiration für Jungen und Männer, in Kontakt mit ihren Gefühlen zu bleiben, und als Inspiration für Mädchen und Frauen, sie darin zu begleiten und zu bestärken. Sich selbst auf menschlicher Ebene ganz tief davon berühren zu lassen, was für eine Entwicklung und Verbindung möglich sein kann, wenn wir alle ganz wir selbst sein dürfen... mit uns selbst und im Kontakt mit anderen Menschen. Danke für dieses wichtige Buch!

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