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Fannie

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Veröffentlicht am 02.12.2025

Vorhang auf für ein einzigartiges Lesevergnügen aus England!

Edith Holler
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Im Jahre 1901 stirbt Königin Victoria. Edith May Holler ist zu dieser Zeit zwölf Jahre alt. Als Tochter des Theater-Chefs Edgar Holler ist das Holler Theatre in der englischen Stadt Norwich Ediths ganze ...

Im Jahre 1901 stirbt Königin Victoria. Edith May Holler ist zu dieser Zeit zwölf Jahre alt. Als Tochter des Theater-Chefs Edgar Holler ist das Holler Theatre in der englischen Stadt Norwich Ediths ganze Welt, denn alles, was sich draußen vor der Tür abspielt, kennt sie nur aus Büchern und durch die Fensterscheiben des Theaters. Auf Edith liegt nämlich ein Fluch. Das Theater droht einzustürzen, sollte sie es jemals verlassen.

Schließlich schreibt das Mädchen ein eigenes Theaterstück, in dem sie der Frage nachgeht, was es mit den verschwundenen Kindern von Norwich auf sich hat. Über Jahrhunderte hinweg sind in Norwich immer wieder Kinder wie vom Erdboden verschluckt worden. Ohne es zu ahnen, betritt Edith mit ihren Nachforschungen eine ganz neue Welt …

Edward Careys Roman „Edith Holler“ ist am 20. März 2025 bei C.H. Beck erschienen. Es ist ein ganz besonderes Buch, das sich in keine Schublade pressen lässt. Ein Alleinstellungsmerkmal sind auf jeden Fall die zahlreichen Illustrationen, die vom Autor selbst stammen. Aber auch die Geschichte selbst und die Art, wie Edward Carey sie erzählt, ist alles andere außer gewöhnlich.

Mit einer einzigartigen Mischung aus Schauergeschichte, historischem Roman, Fantasy und Coming of Age ist dem Autor mit „Edith Holler“ eine grandioses Buch gelungen, das den Leser von Anfang an fesselt und hinter die staubigen Theatervorhänge lockt. Man kann sich mit dem 428-seitigen Roman problemlos in eine ganz andere Welt entführen lassen und an der Seite der Protagonistin die unglaublichsten Dinge erleben.

Mit Edith Holler hat der Autor eine kluge, neugierige und liebenswerte Heldin erschaffen, die mithin auch ein wenig seltsam anmutet. Aber wer wäre das nicht, wenn er seit seiner Geburt nie das Haus hätte verlassen dürfen? Außerdem ist Edith ein Theaterkind durch und durch. Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass sie im zarten Alter von zwölf Jahren bereits ihr erstes Stück geschrieben hat und sich fortan treffend als Dramatikerin bezeichnet. Bei Lichte betrachtet scheint Ediths Geschichte traurig zu sein. Man stellt sich das Mädchen einsam vor. Doch in ihrer großen, bunten Theaterfamilie wird es niemals langweilig.

Das Personal, das Edward Carey in seinem Roman auftreten lässt, ist herrlich kurios. Am meisten hat es mir – neben Edith – Tante Bleachy angetan, die eifrig Reklamesprüche für Putzmittel rezitiert, Edith zärtlich „mein Stäubchen“ nennt und deren Lebensaufgabe es ist, jedwedem Schmutz den Garaus zu machen. Hach, und diese Dialoge! Hinreißend, schlagfertig und voller Humor sind sie – und die Protagonisten knallen sich die Sätze wechselseitig um die Ohren.

Für reichlich Gänsehautmomente sorgt Edward Carey ebenfalls. Da gibt es beispielsweise das Trauerzimmer, in dem vier kopflose Puppen in den Kleidern der verstorbenen Ehefrauen des Hausherrn Edgar Holler um einen Tisch versammelt wie zum Teekränzchen beieinandersitzen. Oder die unheilvollen nagenden Geräusche, die dann zu hören sind, wenn Scharen von Käfern das Theater heimsuchen. (Das Norwich in „Edith Holler“ ist berühmt für seine Käfermarmelade! Und in die, so erzählt man sich, kommt eine ganz bestimmte Zutat …)

Bis zum Schluss stellt man sich die Frage, ob Edith es schaffen wird, den Fluch zu brechen. Oder wird sie auf ewig im Theater gefangen sein?

„Edith Holler“ ist ein großes, genreübergreifendes Lesevergnügen. Dieses außergewöhnliche Buch hat unglaublich viel Spaß gemacht und sich einen festen Platz in meinem Leserinnen-Herz gesichert.

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Veröffentlicht am 02.12.2025

Packender historischer Roman

Die Lungenschwimmprobe
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„Die Lungenschwimmprobe“ spielt im 17. Jahrhundert. Die 15-jährige Gutsbesitzertochter Anna Voigt wird verdächtigt, ihr neugeborenes Kind getötet zu haben. Christian Thomasius, der ebenso exzentrische ...

„Die Lungenschwimmprobe“ spielt im 17. Jahrhundert. Die 15-jährige Gutsbesitzertochter Anna Voigt wird verdächtigt, ihr neugeborenes Kind getötet zu haben. Christian Thomasius, der ebenso exzentrische wie verbissene Anwalt der Familie Voigt, will gemeinsam mit dem Zeitzer Stadtphysicus Doktor Johannes Schreyer Annas Unschuld beweisen. Immerhin droht dem Mädchen die Hinrichtung.

Mit einem zur damaligen Zeit ungewöhnlichen medizinischen Verfahren, das von vielen äußerst kritisch beäugt und gar als „Gaukelei“ tituliert wurde, kann festgestellt werden, ob ein Lebewesen vor seinem Tod geatmet hat. Wenn dies der Fall ist, schwimmt die Lunge, wenn sie in Wasser gelegt wird. Sinkt die Lunge hingegen im Wasser zu Boden, hat das Individuum nie geatmet, ist also bereits tot zur Welt gekommen. Ob die Lungenschwimmprobe Anna retten kann?

Der geschilderte Fall der Anna Voigt beruht auf historischen Fakten und viele der handelnden Personen existierten tatsächlich. Es ist beeindruckend, wie gründlich Tore Renberg für sein Buch recherchiert hat. Die Lebensläufe der einzelnen Personen, die Rechtsprechung im 17. Jahrhundert und sämtliche historische Gegebenheiten dieser Zeit hat der norwegische Autor akribisch studiert.

Im Ergebnis liefert er einen packenden Roman, der Medizingeschichte, das Leben in Zeiten der Aufklärung und das bewegende Schicksal einer Familie auf der Basis von Fakten lebendig und spannend zu einem faszinierenden Ganzen vereint.

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Veröffentlicht am 02.12.2025

DDR reloaded: Origineller Roman über ein sächsisches Dorf und seine Bewohner

Maulberg
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Beate und Peter ziehen aus Dortmund nach Maulberg. In dem kleinen Dorf in Nordsachsen übernimmt Beate die Leitung der dortigen Kindertagesstätte, während Dokumentarfilmer Peter mit einem neuen Werk an ...

Beate und Peter ziehen aus Dortmund nach Maulberg. In dem kleinen Dorf in Nordsachsen übernimmt Beate die Leitung der dortigen Kindertagesstätte, während Dokumentarfilmer Peter mit einem neuen Werk an vergangene Glanzzeiten anknüpfen will. Da kommt ihm das bevorstehende Jubiläum anlässlich stolzer 400 Jahre Maulberg gerade recht. Eine Idee ergreift Besitz von ihm: Was wäre, wenn die DDR in Maulberg wiederauferstünde? Zwar nur für vier Wochen, dafür aber mit allem Drum und Dran, Elektrozaun rund ums Dorf inklusive. Alle mobilen Endgeräte müssen abgegeben werden, die Kaufhalle vertreibt nur noch Ost-Produkte und wer raus aus Maulberg will, benötigt eine Ausreisegenehmigung. Vier Wochen lang zurück in die gute, alte DDR: Die Mehrheit der Maulberger Bürger stimmt dafür. Doch wird dieses Experiment ein gutes Ende nehmen?

Der Roman „Maulberg“ von Thomas Nicolai ist am 3. März 2025 im Satyr Verlag erschienen. Der aus Leipzig stammende Comedian, Hörbuch- und Synchronsprecher weiß, wovon er spricht, hat er doch selbst die DDR von seinem Geburtsjahr 1963 an hautnah miterlebt. Nicht-ostdeutsche Leser nimmt der Autor an die Hand, verzichtet auf allzu viel Gesächsel und erklärt DDR-typische Begriffe und Bräuche.

Ebenso unverwechselbar wie das auffällige Cover ist die Idee hinter seiner Geschichte. Mit derselben Frage, die sich der Autor bei der Entwicklung seines Romans gestellt haben dürfte, wird auch der Leser konfrontiert: Vier Wochen lang zurück in die DDR – würde ich persönlich das mitmachen? Was in diesen heutigen verrückten Zeiten für die Ex-DDR-Bürger zunächst heimelig, vertraut und verlockend klingt, nach Entschleunigung und nachbarschaftlichem Zusammenhalt, entpuppt sich in Wirklichkeit zu jeder Menge Verzicht: den auf die Freiheit, auf digitale Annehmlichkeiten und ein vielfältiges Warenangebot.

Mit viel Humor, lebendigen Figuren und manch schmerzlicher Wahrheit entreißt Thomas Nicolai der Ostalgie ihre „Früher war alles besser“-Maske. Er regt seine Leserschaft zum Nachdenken an, kommt aber nie mit erhobenem Zeigefinger daher. Vielmehr ermutigt er seine Leser mit seinem Roman, selbst darüber nachzudenken: War früher wirklich alles besser? Oder lässt man sich dazu hinreißen, die Vergangenheit mit Milde und Sanftheit zu verklären?

Mein Fazit: „Maulberg“ besticht durch einen originellen Plot, satirische Seitenhiebe und interessante Figuren. Für meinen Geschmack hätte der Comedian Thomas Nicolai gern noch ein wenig zackiger und spritziger schreiben dürfen. Dennoch ist „Maulberg“ ein Roman mit viel Witz und einer einzigartigen Geschichte.

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Veröffentlicht am 02.12.2025

Schonungslos und dennoch einfühlsam: Packendes True Crime-Buch über zwei schreckliche Kinderschicksale

Auf dem Schulweg verschwunden: Kinderschicksale | True Crime
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In den Jahren 1994 und 2005 erschütterten zwei Fälle, in denen Kindern auf ihrem Schulweg Schreckliches zugestoßen war, den Freistaat Sachsen.

Der zehnjährige Michael Teumer aus Lößnitz verschwindet an ...

In den Jahren 1994 und 2005 erschütterten zwei Fälle, in denen Kindern auf ihrem Schulweg Schreckliches zugestoßen war, den Freistaat Sachsen.

Der zehnjährige Michael Teumer aus Lößnitz verschwindet an einem trüben Januarmorgen 1994. Lange bleibt seine Familie im Ungewissen darüber, ob Michael noch lebt. Plötzlich erhalten die Polizei und die Teumers anonyme Schreiben von jemandem, der angeblich weiß, dass Michael von einem Auto angefahren wurde und daraufhin verstorben ist. Doch wo ist die Leiche des Kindes?

Ayla war sechs Jahre alt, als sie in ihrer Heimatstadt Zwickau Opfer eines schier unaussprechlichen Verbrechens wurde. Der Täter gesteht den Mord nur kurze Zeit nach der Tat. Zwickau ist in Aufruhr. Vor dem Gericht demonstrieren aufgebrachte Bürger, der Täter muss im Verhandlungssaal geschützt werden.

Gabi Thieme war jahrzehntelang Journalistin bei der bekannten sächsischen Tageszeitung „Freie Presse“. Die gebürtige Erzgebirgerin hat über beide Fälle ausführlich berichtet und im Fall Ayla die Gerichtsverhandlung persönlich mitverfolgt. Bis heute hält sie Kontakt zu den Angehörigen von Michael und Ayla.

Ihr True Crime-Buch „Auf dem Schulweg verschwunden“, erschienen im Paperento Verlag im Frühjahr 2025, ist deshalb keine Nacherzählung beider Fälle im Sinne journalistischer Sensationslust. Stets respektvoll beschäftigt sich Gabi Thieme mit der Frage, wie die Familien der Opfer nach solch unfassbaren Gewalttaten weiterleben können.

Ihr gelingt der Spagat zwischen der schonungslosen Offenbarung dessen, was den Kindern angetan wurde, und dem Treffen des richtigen Tons, nämlich mitfühlend und empathisch.

Sie reichert ihre schockierenden und detailreichen Ausführungen mit einer Reihe Fotos an, die unter anderem die Tatorte und die anonymen Schreiben im Fall Michael Teumer zeigen. In „Auf dem Schulweg verschwunden“ beleuchtet sie auch die Arbeit der Polizei. Den Beamten gehen die beiden Fälle trotz aller Professionalität an die Nieren – verständlicherweise.

„Auf dem Schulweg verschwunden“ ist ein ebenso spannendes wie einfühlsam geschriebenes Zeugnis über zwei furchtbare Kinderschicksale. Man kann dieses Buch einfach nicht aus der Hand legen, muss aber – selbst als erfahrener True Crime-Leser – an manchen Stellen innehalten und durchatmen. Gabi Thieme beschönigt nichts. Sie war ganz nah dran an beiden Fällen und sorgt mit ihrem neuen Buch auch dafür, dass Michael und Ayla nicht in Vergessenheit geraten.

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Veröffentlicht am 02.12.2025

Intensiver Roman mit starker Frauenfigur

Ich spüre dich leben
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Im Jahr 2021 habe ich zum ersten Mal ein Buch der in Berlin lebenden Schriftstellerin Ulla Mothes gelesen: „Geteilte Träume“. Ihre bildreiche Sprache hat mich damals beeindruckt. Umso mehr freute ich mich, ...

Im Jahr 2021 habe ich zum ersten Mal ein Buch der in Berlin lebenden Schriftstellerin Ulla Mothes gelesen: „Geteilte Träume“. Ihre bildreiche Sprache hat mich damals beeindruckt. Umso mehr freute ich mich, dass mit „Ich spüre dich leben“ am 1. Mai 2025 bei PalmArtPress ein neuer Roman aus der Feder von Ulla Mothes erschienen ist.

Darin geht es um das junge Ehepaar Stella und Falk Schönfeld. Sie ist Goldschmiedin, er erfolgreicher Banker. Beide leben in einer schicken Wohnung in der Bankenmetropole Frankfurt am Main und freuen sich auf ihr erstes Kind. So weit, so bilderbuchmäßig. Doch kurz vor der Geburt erhält Stella die Nachricht, dass sich ihr Mann das Leben genommen hat. Als wäre das nicht schon schlimm genug, ermittelt nun die Polizei, weil Falk im Verdacht steht, illegale Bankgeschäfte im großen Stil getätigt zu haben. Für Stella ist mit einem Wimpernschlag alles anders: Ihr perfektes Leben zerplatzt wie eine Seifenblase. Sie wird Mutter eines Sohnes, ist auf sich allein gestellt. Tief in ihrem Inneren spürt sie: Falk ist nicht tot. Doch stimmt das wirklich?

Am Anfang habe ich ein wenig gebraucht, um in die Welt von „Ich spüre dich leben“ hineinzufinden. Aber irgendwann war der Knoten geplatzt und ich wurde mit einer intensiven Geschichte vor einer beeindruckenden Kulisse belohnt.

Intensiv ist die Geschichte schon deshalb, weil man an der Seite von Stella alle Höhen und Tiefen auf der Klaviatur der Gefühle miterlebt: das Glück, Mutter zu sein, die Verzweiflung und den Verlust, aber auch Wut und Ohnmacht. All diese Facetten verleihen Ulla Mothes‘ Hauptfigur eine bewundernswerte Tiefe.

Die Geschichte wird sowohl aus der Sicht von Stella als auch aus der von Falk erzählt. Dabei erinnern sich beide an ihre gemeinsame Kindheit, an unbeschwerte Tage auf dem „platten Land“, aber auch an Verluste und Erfahrungen, die sie in ihrem weiteren Leben geprägt haben.

Große Teile des Romans spielen auf der Insel Sansibar. Autorin Ulla Mothes war selbst in Tansania und beschreibt dieses Land so eindrucksvoll, dass einen glatt das Fernweh überfällt. Ihre bildreiche Sprache kommt also glücklicherweise auch in „Ich spüre dich leben“ nicht zu kurz.

Die Spannung nimmt gegen Ende des Romans stetig zu und man fragt sich, wie die Story wohl enden mag. Bis dahin verfolgt man den Weg zweier Menschen, die alles hatten und alles verloren haben. Die tapfere Stella macht Zaudernden Mut und stellt eindrucksvoll unter Beweis, dass ein Neuanfang nach einem schweren Schicksalsschlag gelingen kann – auch wenn das in vielen Situationen alles andere als leicht ist.

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