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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.10.2022

Witzig, charmant und erhellend

Ein Alman feiert selten allein
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Mit „Ein Alman feiert selten allein“ nimmt Aylin Atmaca gekonnt und charmant das gutbürgerliche deutsche Weihnachtsfest aufs Korn und regt an, eigene eingefahrene Perspektiven mal zu hinterfragen. Dass ...

Mit „Ein Alman feiert selten allein“ nimmt Aylin Atmaca gekonnt und charmant das gutbürgerliche deutsche Weihnachtsfest aufs Korn und regt an, eigene eingefahrene Perspektiven mal zu hinterfragen. Dass der ein oder andere Witz dabei etwas platt daherkommt, schmälert den Lesegenuss kaum, denn das Buch weiß wirklich zu unterhalten und ist dabei wunderbar kurzweilig.

Elif verbringt Weihnachten zum ersten Mal bei der Familie ihres Freundes Jonas, die so deutsch ist, wie man nur sein kann, inklusive Geschenkelisten, Zeitplan an Heiligabend und latent rassistischen, unreflektierten Kommentaren. Für Elif als Tochter einer türkischen Familie ist der ganze Trubel neu – in ihrer Familie ist Weihnachten einfach nur eine Gelegenheit zum gemütlichen Beisammensein und ein kleines Highlight für die Kinder. Als sie schon Monate vor dem großen Fest in der familiären Weihnachtsplanungs-WhatsApp-Gruppe landet, schwant ihr bereits Übles, und ihre schlimmsten Befürchtungen von Festtagsstress und Spießbürgertum scheinen sich zu bestätigen, als sie die liebe Familie persönlich kennenlernt. Mit wunderbar trockenem, wenn auch teils etwas überzogenem Humor nimmt Aylin Atmaca die bizarren Feiertagsgewohnheiten deutscher Familien auseinander.

„Ein Alman feiert selten allein“ ist ein wunderbar unterhaltsames und kurz(weilig)es Buch, das mit seiner erfrischenden Perspektive auf das in Deutschland vielerorts heilige und unantastbare Weihnachtsfest mit seinen vielen Traditionen und Erwartungen einige Denkanstöße mitgibt. Es ist zugleich auch ein Buch über Vorurteile und festgefahrene Erwartungshaltungen: Wenngleich es selten in die Tiefe geht und insgesamt recht oberflächlich bleibt, hinterfragt der Roman doch hier und da, wie Menschen unterschiedlicher kultureller Hintergründe miteinander um- und aufeinander zugehen. Da ist keine Seite vor Vorannahmen gefeit, die das Kennenlernen erschweren. Diese nachdenklichen Zwischentöne hätte das doch sehr kurze Buch ruhig noch ein wenig vertiefen können. Insgesamt bleibt es hauptsächlich auf einer Humorebene, die zwar unterhaltsam, aber selten tiefgründig ist. Ein bisschen mehr Subtilität zwischen den Zeilen hätte dem Roman sicher gutgetan, schmälert aber nicht das Lesevergnügen, das der deutschen Mehrheitsgesellschaft in mancherlei Hinsicht auf humorvolle Art den Spiegel vorhält.

Ein durch und durch unterhaltsames Buch, das immer wieder zum Schmunzeln anregt und einen ironischen Blick auf das klassische deutsche Weihnachtsfest wirft. Definitiv ein Geschenketipp!

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Veröffentlicht am 10.10.2022

Ein nachdenklich stimmendes, dys-/utopisches (?) Gesellschaftsporträt

Die Markierung
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„Die Markierung“, das Debüt der isländischen Autorin Fríða Ísberg, besticht mit einer absolut originellen Idee, die auf nachdenkliche Weise auserzählt wird, ohne viel Action und immer dicht an den Charakteren ...

„Die Markierung“, das Debüt der isländischen Autorin Fríða Ísberg, besticht mit einer absolut originellen Idee, die auf nachdenkliche Weise auserzählt wird, ohne viel Action und immer dicht an den Charakteren und ihrer individuellen Existenz in der Gesellschaft. Manchmal vielleicht etwas handlungsarm, insgesamt aber ein extrem gelungener Roman, der auf interessante Weise zwischen Utopie und Dystopie schwankt.

Im Island der Zukunft hat sich ein sogenannter Empathie-Test etabliert, der Personen danach bewertet, ob sie funktionierende Mitglieder einer Gesellschaft sein können. Die Resultate des Tests sind öffentlich zugänglich, und wer ihn besteht („markiert“ ist), genießt gewisse Privilegien, während Nicht-Bestehende oder Menschen, die den Test gar nicht erst machen, der Zugang zu manchen Gebäuden, Stadtvierteln und Läden verwehrt bleibt. Die Debatte über den Test läuft heiß, als eine Volksabstimmung darüber ansteht, ob er verpflichtend eingeführt werden soll. Vier Figuren mit unterschiedlichen Perspektiven auf diese sogenannte Markierung begleiten durch die Geschichte, jede von ihnen mit ihren eigenen nachvollziehbaren Gründen für oder gegen den Test, jede von ihnen mit einer berührenden Biographie.

„Die Markierung“ ist keine actiongeladene Dystopie, sondern ein eher kurzer Roman, der einen ausschnitthaften Blick auf eine potenzielle zukünftige Gesellschaft wirft und dabei viele aktuelle Themen aufgreift: Solidarität und Verantwortung, Ausgrenzung und Klassenunterschiede. Fríða Ísberg gelingt es hervorragend, die verschiedenen Argumente pro oder contra Markierung anhand lebendiger und nachvollziehbarer Charaktere auszuführen und damit einen intensiven Denkprozess in Gang zu setzen. Manchmal verharrt ihr Roman allerdings zu sehr in der Betrachtung, und etwas mehr Triebkraft in der Handlung würde dem Buch nicht schlecht tun, ebenso wie ein etwas größerer Umfang, denn aufgrund der Kürze des Romans und der Aufteilung auf vier Perspektiven bleibt doch überall noch Luft für mehr Ausführlichkeit. Nichtsdestotrotz hat dieses Ausschnitthafte auch seinen Reiz, denn es unterstreicht, dass es kein Buch über bestimmte Menschen ist, sondern ein Buch über eine Gesellschaft. Dass es sich dabei gerade um die isländische Gesellschaft handelt und der Schauplatz Reykjavík häufig eine Rolle im Roman spielt, ist gerade für Island-Fans noch ein zusätzliches Sahnehäubchen.

Ein Roman mit einer außerordentlichen und einzigartigen Grundidee und vielen Ansatzpunkten für Diskussionen und Gedankenspiele. Anspruchsvolle Literatur mit dem gewissen isländischen Etwas!

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Veröffentlicht am 10.10.2022

Spannungsgeladen, aber stilistisch uninspiriert

Schmerzwinter
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„Schmerzwinter“, Aaron Sanders erster Thriller in einer neuen Reihe um den schwedischen Kommissar Jan Nygård, der in Hamburg ermittelt, hat es wirklich in sich, überzeugt aber vor allem auf Handlungsebene, ...

„Schmerzwinter“, Aaron Sanders erster Thriller in einer neuen Reihe um den schwedischen Kommissar Jan Nygård, der in Hamburg ermittelt, hat es wirklich in sich, überzeugt aber vor allem auf Handlungsebene, denn der eher einfallslose Schreibstil hat wenig zu bieten.

Als zwei übel zugerichtete Frauenleichen im Schnee gefunden werden, die jemand offenbar zu Marionetten gemacht hat, läuten bei Jan sofort alle Alarmglocken, denn er wittert einen Nachahmungstäter. Vor Jahren hat der sogenannte Puppenmacher auf ähnliche Weise getötet, der mittlerweile jedoch hinter Schloss und Riegel sitzt. Jan hat jedoch nicht nur mit den grausamen Details dieses Falls zu kämpfen, sondern auch mit seiner eigenen traumatischen Vergangenheit. Den dramatischen Verlust seiner Frau vor drei Jahren hat er noch nicht verwunden, und seine siebzehnjährige Tochter Leonie entfremdet sich zunehmend von ihm. Halt bietet ihm die Polizeipsychologin Anna, die ihn auch bei den Ermittlungen unterstützen kann. Gemeinsam heften sie sich an die Fährte des Killers.

Aaron Sanders versteht es wirklich, Spannung und Grusel aufkommen zu lassen. Die Morde sind nichts für schwache Nerven, und durch den häufigen Schauplatzwechsel und die rasanten Entwicklungen kommt man kaum zum Atemholen. Es handelt sich bei „Schmerzwinter“ zweifelsohne um einen Pageturner! Dadurch rückt zum Glück der einfallslose und häufig repetitive Schreibstil nicht so stark in den Vordergrund, der bei einer weniger spannenden Handlung sicher noch deutlich negativer ins Gewicht fiele. Ebenfalls wenig originell ist die Figurenzeichnung von Jan, der als traumatisierter Polizist mit Aggressionsproblem und einer Vorliebe für Alleingänge schon ein ziemliches Klischee darstellt. Eine interessante Abwechslung bietet da Anna, die ein viel besser balancierter Charakter ist: Tough, aber keine Superfrau; intelligent, aber nicht ab Minute 1 ein Ermittlungsprofi, der sofort alles über den Täter weiß; einfühlsam, aber ohne sich Jan an den Hals zu werfen. Sie hat definitiv größeres Potenzial als ihr eher stereotyper Partner, und es bleibt zu hoffen, dass ihr im nächsten Band eine umfangreichere Rolle zukommen wird.

Insgesamt ein unterhaltsamer, spannender Thriller, von dem man sich aber in puncto Stil und Charakterzeichnung nicht zu viel erwarten darf.

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Veröffentlicht am 30.09.2022

Poetisch, dramatisch und nicht leicht zu verdauen

Im Schatten des Märchenerzählers
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„Im Schatten des Märchenerzählers“ von Antonia Michaelis ist zwar ein zweiter Band, jedoch problemlos als für sich stehender Roman zu lesen. Das Buch fällt vor allem durch seinen poetischen Stil auf, der ...

„Im Schatten des Märchenerzählers“ von Antonia Michaelis ist zwar ein zweiter Band, jedoch problemlos als für sich stehender Roman zu lesen. Das Buch fällt vor allem durch seinen poetischen Stil auf, der manchmal ein wenig ins Schwülstige abzudriften droht, jedoch insgesamt eine fantastische Atmosphäre schafft.

Elias ist fast achtzehn und liebt das Filmemachen und seine Gitarre, wird aber geplagt von düsteren Gedanken und Zukunftsängsten. Das liegt vor allem an seiner dramatischen Hintergrundgeschichte, denn sein Vater nahm sich noch vor seiner Geburt das Leben, nachdem er selbst drei Menschen getötet hat. Sonst weiß er wenig von ihm, kennt aber seine Leidenschaft fürs Märchenerzählen – und als er feststellt, dass seine Mutter Anna heimlich Briefe von jemandem erhält, wird er misstrauisch. Denn die Briefe erzählen nach und nach eine Geschichte, die sich in der Realität zu spiegeln scheint.

„Im Schatten des Märchenerzählers“ setzt sich mit vielen düsteren und bisweilen heiklen Themen auseinander, was sich auch in einer morbid-poetischen Sprache niederschlägt, und wandelt damit manchmal hart am Grad zum Klischeehaften, besonders in den eingeschobenen Märchen-Episoden. Meist gelingt jedoch das Kunststück, eine harte Realität in melancholisch-schöne Worte zu verpacken, und die verworrene Geschichte, die immer wieder kleine Informationshäppchen über die Vergangenheit von Elias’ Familie fallen lässt, hat viel Spannendes zu bieten. Dabei tun sich einige Abgründe auf, weshalb der Roman definitiv nichts für Zartbesaitete ist, aber der Ästhetik seiner Darstellung kann man sich kaum entziehen.

„Im Schatten des Märchenerzählers“ ist definitiv kein typisches Jugendbuch, sondern ein düsterer, ernst zu nehmender Roman über Verlust und Missbrauch, über Verbrechen und Selbstzweifel. Wer auch mal ein Auge zudrücken kann, wenn stilistisch etwas zu dick aufgetragen wird, wird hiermit definitiv ein paar emotional fordernde und mitreißende Lesestunden verbringen können.

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Veröffentlicht am 30.09.2022

Ein Roman über das Suhlen im Selbstmitleid

Bullauge
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Mit „Bullauge“ richtet sich Friedrich Ani offenkundig an eine ganz spezielle Zielgruppe: Mit seinem Protagonisten Kay Oleander können sich wohl nur Männer jenseits der Midlife-Crisis identifizieren, die ...

Mit „Bullauge“ richtet sich Friedrich Ani offenkundig an eine ganz spezielle Zielgruppe: Mit seinem Protagonisten Kay Oleander können sich wohl nur Männer jenseits der Midlife-Crisis identifizieren, die das Gefühl haben, obsolet zu werden. Leider weder inhaltlich noch stilistisch ein gelungener Roman.

Der Klappentext von „Bullauge“ führt ein wenig in die Irre, suggeriert er doch interessante Zwiegespräche zwischen dem Polizisten Kay und der rechts-sympathisierenden Demonstrantin Silvia und eine spannungsgeladene Handlung bei den Ermittlungen zu einem politisch motivierten Anschlag. Ein Großteil des Buchs dreht sich jedoch darum, wie Oleander sich in seiner Wohnung oder bei Spaziergängen durch die Stadt im Selbstmitleid suhlt, wobei es manchmal um den teilweisen Verlust seiner Sehkraft (das Resultat eines vermeintlich von Silvia getätigten Flaschenwurfs bei einer Demo) geht, meist jedoch um die Ungerechtigkeit der Welt im Allgemeinen. Erst im letzten Drittel kommt allmählich Spannung auf, und es werden interessante Fragen berührt, etwa wie und warum Silvia überhaupt in dieses rechte Milieu abdriften konnte. Bis dahin muss man sich aber erst einmal durcharbeiten, und das ist mühselig, vor allem auch aufgrund des über-ernsthaften Erzähltons, der dabei angeschlagen wird.

Mit Kay Oleander hat Friedrich Ani eine durchweg unnachvollziehbare Persönlichkeit geschaffen, die keinerlei Sympathien aufkommen lässt. Als junge Frau ist es mir absolut unmöglich, mich mit seinen Gedanken zu identifizieren – es wirkt geradezu, als erzähle der Autor absichtlich gerade so an authentischen menschlichen Emotionen vorbei. Die Trostlosigkeit und Monotonie seiner Existenz wird dermaßen breit ausgebreitet, dass der Zugang zum Roman schwerfällt, denn er findet rein durch das Innenleben seines Protagonisten statt. Vor allem in der ersten Hälfte gibt es kaum Dialoge oder Handlungselemente, die von seinem Elend ablenken könnten. Rausreißen kann das letzte Drittel zwar nicht mehr viel, aber immerhin gibt es einem zum Schluss das Gefühl, die Lektüre habe sich wenigstens ein bisschen gelohnt.

Ein Roman, der aufgrund seines unnachvollziehbaren Protagonisten und der relativen Handlungsarmut leider wenig zu bieten hat. Lohnenswert ist eigentlich nur das letzte Drittel!

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