Profilbild von FiktiveWelten

FiktiveWelten

Lesejury Profi
offline

FiktiveWelten ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit FiktiveWelten über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 11.03.2017

Das Leben endet mit dem Tod

Sieben Minuten nach Mitternacht
0

Seitdem Conor O’Malley weiß, dass seine Mutter womöglich ihrem Krebsleiden erliegen wird, plagen ihn regelmäßig grauenvolle Albträume. Vielmehr ein einziger Albtraum, der sich ständig wiederholt und mit ...

Seitdem Conor O’Malley weiß, dass seine Mutter womöglich ihrem Krebsleiden erliegen wird, plagen ihn regelmäßig grauenvolle Albträume. Vielmehr ein einziger Albtraum, der sich ständig wiederholt und mit einem Schrei endet, der ihm durch Mark und Bein geht. Doch eines nachts folgt dem Dreizehnjährigen ein anderes Monster aus einem Traum in die Wirklichkeit. Connor ist doch längst wach oder ist er noch immer in der Traumwelt gefangen? Es ist die alte Eibe vom Friedhof gegenüber, die plötzlich vor seinem Fenster steht und zu ihm spricht. Mächtig, wild und vor allem bedrohlich. Doch der kleine Junge zeigt keine Angst! Er hat schon Schlimmeres erlebt …

Die Hintergründe, die zur Entstehung des Buches führen, sind so bewegend wie die Geschichte selbst. Es sollte SIOBHAN DOWDs fünfter Roman werden. Exposé und Figuren sind ausgearbeitet, der Anfang geschrieben, doch dann verstirbt die Autorin, bevor sie ihren Roman vollenden kann. Dies erklärt PATRICK NESS in seiner Vorbemerkung, und auch wie es dazu kam, dass er an ihrer statt Conors Erlebnisse niederschreibt.

Der Dreizehnjährige ist eine Hauptfigur, in der sich wohl jeder wiederfinden wird, der schwer erkrankte Angehörige pflegt oder gar verloren hat. Die Sorgen um die Liebsten können einen Menschen haltlos übermannen. Tag wie Nacht werden sie zur finsteren Bedrohung. Es ist schwer, damit umzugehen. Conor ist ein tapferer Junge, der in mancher Situation über sich hinauswächst. Er lernt, verantwortungsbewusst zu handeln und vorausschauend zu denken. Trotz aller Umstände ist er dennoch ein Kind. Hilflos, genauso wie sich Angehörige fühlen, wenn ihnen langsam aber stetig die Liebsten entgleiten. Man kann nichts daran ändern, man muss einen Weg finden, damit umzugehen. Conor findet ihn! Von seiner schwesterlichen Freundin Lily schwer enttäuscht, wird der alte Baum zu seinem verlässlichen Begleiter. Das Monster erscheint immer pünktlich um SIEBEN MINUTEN NACH MITTERNACHT. Es erzählt Conor drei Geschichten. Die vierte Geschichte obliegt Conor selbst. Keine Geschichte im eigentlichen Sinn, sondern seine persönliche Wahrheit.

SIEBEN MINUTEN NACH MITTERNACHT ist ein Buch zwischen Leben und Tod, Traum und Wirklichkeit. Hauptfigur Conor begleitet seine sterbende Mutter auf ihrem Leidensweg, tut alles Menschenmögliche, um sie zu entlasten und zu schützen. Doch auch er selbst leidet und fühlt sich allein in dieser schweren Situation. Seine Großmutter wirkt in ihrer nach außen gezeigten Härte meilenweit entfernt, sein Vater, der nach der Scheidung längst eine neue Familie gegründet hat, ist es wortwörtlich. Einzig das Monster aus dem Traum wird zum Freund und hilft Conor schließlich, sich selbst zu helfen. Zweiunddreißig tiefsinnige, ehrliche und authentische Kapitel in erster Person Singular im Kampf gegen den Tod bis hin zu seiner Akzeptanz. PATRICK NESS beweist Fingerspitzengefühl, schafft eine besondere Atmosphäre und rührt zu Tränen. Eine wahre Flut von Tränen in meinem Fall! Ehrlich gesagt, hatte ich aus persönlichen Gründen Angst vor der Lektüre. Dem Autor ist es allerdings gelungen, mich mit positiven Elementen des Romans zu versöhnen. Es ist eben nicht alles gut oder böse. Und auch in schlimmen Momenten sollte man sich Glaube und Hoffnung bewahren. Es ist, wie es ist. Man kann dem Unausweichlichen nicht aus dem Weg gehen. Und am Ende sind wir alle nur Menschen.

SIEBEN MINUTEN NACH MITTERNACHT liegt mir als schwarz-weiß illustrierte Taschenbuchausgabe aus dem Goldmann Verlag vor. Jim Kay, verantwortlich für die Motive auf dem Cover und im Buch, hat meines Empfindens die Botschaft des Romans sehr gut umgesetzt. Seine Zeichnungen folgen der Geschichte textumspielend, ein- oder doppelseitig. Sie greifen den Kontrast von Licht und Schatten auf, schwanken zwischen zart und gewaltig und stecken insgesamt voller Intensität. Der perfekte Rahmen für diese bildgewaltige Erzählung über Leben und Tod.

Fazit: PATRICK NESS erzählt die bewegende Geschichte von Conor O’Malley nach einer Idee von SIOBHAN DOWD. SIEBEN MINUTEN NACH MITTERNACHT schwankt zwischen Leben und Tod, Traum und Wirklichkeit. Ein Buch wie eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Sehr ruhig, ehrlich und authentisch, traurig und wunderschön zugleich! Ein feines Stück Wahrheit für Jung und Alt.

Veröffentlicht am 11.03.2017

Abwechslungsreich und überraschend

Die Chroniken von Waldsee 5: Fyrgar - Volk des Feuers
0

Die Fyrgar sind das Volk des Feuers, benannt nach dem größten und höchsten Gebirge im Land Luvgar im Osten des Reiches, in dem sie leben. Die Nähe zu den Göttern ist für sie von hoher Priorität. Die Fyrgar ...

Die Fyrgar sind das Volk des Feuers, benannt nach dem größten und höchsten Gebirge im Land Luvgar im Osten des Reiches, in dem sie leben. Die Nähe zu den Göttern ist für sie von hoher Priorität. Die Fyrgar sind weise und wissend, bewahren, beobachten und lauschen. So auch Aldavinur, dessen Ohren besonders empfindlich sind. Ihm entgeht der markerschütternde Schrei im Angesicht des Todes ebenso wenig wie dem jungen, aufgeweckten Efrynn. Sorge und Neugierde treiben sie über die Grenzen hinweg zu den Klingfelsen, die von spitzen Zacken und scharfen Kanten durchsetzt und von Furcht erregenden, riesigen Spinnen besiedelt sind. Kein Ort für die Fyrgar! Lehrmeister seines Volkes Aldavinur und Schützling Efrynn werden fündig. Ein Wesen fremder Art windet sich auf einem Felsplateau in quälenden Schmerzen. Halb Mensch, halb Krahim, fernab seiner Heimat Nerovia, dem Land des Südens. Leidtragender eines jener Stürme, die sich in letzter Zeit auffallend häufen. Sie führen den Geruch von Finsternis und Magie mit sich. Ein untrügliches Zeichen für Veränderung und ein Ungleichgewicht der Mächte. Die Versammlung des Rates der Fyrgar kann Aldavinurs Entscheidung, Gondwin Hilfe und Obdach in seiner Höhle im Hochtal zu gewähren, nicht gutheißen. Sie argwöhnen, dass der Halbkrahim Unglück bringe. Der Bestätigung dieser Ahnung soll ihnen in Kürze gewahr werden. Gondwin zweifelt an der Allwissenheit der Fyrgar und erteilt ihnen eine Lektion. Während dunkle Schatten die Welt heimsuchen, überfallen die Krahim das Volk des Feuers. Ein furchtbares Gemetzel fordert zahlreiche Opfer. Efrynn, die Hoffnung der Fyrgar auf Vollkommenheit, wird verschleppt. Aldavinur beschließt, an seiner statt zur Sonnenwende durch das Feuer zu gehen, um das stolze Kind zu retten. Das Feuer, Urkraft und Element, entlässt ihn schließlich in die Dritte Stufe seines Daseins. Varantain - Kostbarkeit. Sein Name ist Vergangenheit, sein Baiku verloren, so glaubt er. Als sterblicher Mensch, Dàvin, ein Mann des Friedens, steigt er hinab in die Welt, um das Leben zu erfahren und das Geheimnis der Schattenweber zu lüften. Sein Weg führt ihn nach Kunchava, nahe Nerovia. Auch hier ist man sich der Bedrohung durch die dunklen Netze bewusst. Die Menschen treten Dàvin zunächst mit Misstrauen gegenüber. Die Wandlung von Raubkatze zu Mensch bedarf einiger Umstellung. Der aufrechte Gang und der Gebrauch der Hände sind ihm fremd. Der unbekümmerte Umgang mit Nacktheit weicht dem Tragen von Kleidung. Sitten und Gebräuche, sowie Haus und Einrichtung sind gänzlich ungewohnt. Aus freien Stücken hätte er niemals seine Heimat verlassen, doch die Sorge um Efrynn ist den hohen Preis wert. Dàvin lernt schnell. Die Menschen respektieren ihn. Und er erkennt, dass er den Schattenwebern unmöglich allein gegenübertreten kann. Im Freien Haus erhofft er sich, Unterstützung für sein Ansinnen zu finden. Doch statt auf den Annatai Halrid Falkon, trifft er auf König Rowarn und Nachtfeuer, dem Wächter Waldsees. Tatkräftig zur Seite stehen, können sie Dàvin nicht. Er gewinnt jedoch einen mächtigen Verbündeten, auf den stets Verlass ist: Luvian, das Schwert von Sonne und Mond. Der Weg weiter nach Barastie wird von vielen Lektionen gesäumt. Er führt vorbei an Sansiri, eine der bedeutendsten Streitkräfte der Schattenweber, an Zuran und seine Bande, die so genannten Säuberer, bis er auf Fothúm, den Sinprasi, dessen Schwester Fragangu und die Zwergin Erla trifft. In Honigwinter wird Dàvin gut auf sein Vorhaben vorbereitet. Er lernt mit dem menschlichen Körper umzugehen, genießt körperliche Ertüchtigung in vielerlei Hinsicht, probt den Kampf mit dem Schwert und erfährt die Vorteile strategischen Denkens. Den Kopf voller Informationen und Zusammenhänge, verlässt Dàvin den idyllischen Ort schließlich als Krieger, um nicht zu sagen als Ritter. Es geht längst nicht mehr nur um seine persönliche Entscheidung. Ihm obliegt die Verantwortung für die gesamte Menschheit und er wird den Fyrgar ihren Frieden zurückbringen. Dàvins Ziele sind hoch gesteckt: Efrynn finden und befreien, Nansha und Lýtir, die Herscher Barasties, ausschalten, das Geheimnis um die verschwundenen Flammenritter lüften und schlussendlich die Ursache des Übels rund um die Schattenweber aufdecken. Möge ihm Lúvenors Segen gnädig sein ...

Nach DÄMONENBLUT, NACHTFEUER, PERLMOND und NAURAKA, erscheint mit FYRGAR bereits der fünfte Roman rund um die phantasievolle Welt Waldsee.
Während die drei erstgenannten Titel zusammen die CHRONIKEN VON WALDSEE bilden, kann die Lektüre von NAURAKA und FYRGAR unabhängig erfolgen.
Leser, die mit Waldsee vertraut sind, werden auf alte Bekannte wie König Rowarn von Valia und Nachtfeuer, den ältesten Dämonen, treffen. Kennt man sie hingegen nicht, ist dies dennoch kein Nachteil. Wichtige Zusammenhänge ergeben sich aus dem Kontext oder können im Anhang nachgeschlagen werden. Zunächst gibt ein ausführliches Inhaltsverzeichnis einen Einblick in die Aufteilung des Romans. Insgesamt achtzehn Kapitel sind in drei Abschnitte, Erstes Leben - Das stolze Kind, Zweites Leben - Flammenritter und Drittes Leben - Die Allumfassende, gegliedert. Die weitreichende Bedeutung dieser Einteilung ergibt sich aus dem Inhalt. Der folgende Anhang besteht aus einem Schnitt durch die vier Königreiche zu Anbeginn und einem Glossar mit allerlei Informationen zu beispielsweise Wesen, Schauplätzen und Artefakten Waldsees.

Mit einer eindrucksvollen, prophetischen Vorbemerkung beginnt Uschi Zietsch ihre Erzählung über die Fyrgar, das Volk des Feuers. In ihren Wesensarten und äußeren Erscheinungen sind sie mannigfaltig. Sie streifen als Raubkatze, Grypha oder Drachen umher, tragen Fell, Schuppen oder Federn. Die Fyrgar setzen sich, gemäß ihrer Baikus, ihrer Seelen, aus diversen Gestalten und Formen zusammen. Sie alle eint die Fähigkeit, durchs Feuer zu gehen. Mit jedem Schritt hindurch wandeln sie gegebenenfalls ihr Erscheinungsbild und erklimmen die nächst höhere Stufe ihres Daseins. Derer existieren vier: Leviantain (Leichtigkeit), Saviantain (Wissen), Varantain (Kostbarkeit) und Tarsanu (Verlust). Viele Fyrgar glauben zudem an eine weitere, fünfte Stufe, die der Vollkommenheit entspräche.
Die Fygar müssen im Verlauf der Geschichte erkennen, dass sie längst nicht über allen Dingen erhaben sind und ihr gesammeltes Wissen nicht den Wandel der Zeit berücksichtigt. Ebenso vielfältig wie die Darsteller, Fyrgar, Krahim, Dämonen, Zauberer, Menschen und dergleichen, ist auch die vorliegende Geschichte in dritter Person Singular. Die Autorin bietet abwechslungsreiche Unterhaltung mit Momenten der Ruhe, bedrohlichen Gefahren und spannenden Kämpfen. Untermalt mit philosophisch anmutenden Gedanken, detailreichen Bildern und einem Hauch von Romantik, ergibt sich ein emotionales, märchenhaftes Epos um den Kampf Gut gegen Böse. Die Rollenvergabe ist nicht eindeutig. Zahlreiche Wendungen im Geschehen, überraschende Erkenntnisse und trickreiche Kniffe ermöglichen einen dynamischen Verlauf der Ereignisse. Unterschiedliche Erzähltempi und hin und wieder wechselnde Perspektiven bereichern die Handlung.
Uschi Zietsch schöpft all ihre Möglichkeiten aus, den Spielraum ihrer kreativen Welt mit faszinierenden Ereignissen und Zusammenhängen zu füllen.

Die Optik der großformatigen Broschur trägt den Inhalt in harmonischer Farbgebung. Zahlreiche Flammenakzente lassen das Motiv lebendig erscheinen. Der Romantitel in glänzenden, erhabenen Großbuchstaben gibt dem Cover den letzten Schliff. An Papier, Satz und Druck gibt es absolut nichts zu bemängeln.

Fazit: Uschi Zietsch bereichert ihre Welt Waldsee um ein weiteres beeindruckendes Abenteuer. FYRGAR bietet phantasievolle Charaktere, emotionale Entwicklungen, bildgewaltige Schauplätze, dramatische Spannung und actionreiche Kämpfe im tiefgründigen Erzählstil. In vollendeter Magie nimmt die Geschichte um Liebe und Leid, Vertrauen und Verrat, sowie Imperfektion und Vollkommenheit den Leser für sich ein. Ein abwechslungsreiches, überraschendes Bucherlebnis - uneingeschränkt empfehlenswert!

Veröffentlicht am 11.03.2017

Der einzige Weg hinaus ist mittendurch!

Ich bin böse
0

Milly hat eine Vergangenheit. Wahrlich keine schöne Zeit! Jetzt blickt die Fünfzehnjährige nach vorn. Mit neuem Namen und neuer Familie hat sie eine Zukunft. Bis zur anstehenden Gerichtsverhandlung ist ...

Milly hat eine Vergangenheit. Wahrlich keine schöne Zeit! Jetzt blickt die Fünfzehnjährige nach vorn. Mit neuem Namen und neuer Familie hat sie eine Zukunft. Bis zur anstehenden Gerichtsverhandlung ist sie sicher. Hoffnung hilft zu überleben …
Die Pflegeeltern Mike und Saskia Newmont, Tochter Phoebe und Rosie, die Terrierhündin, heißen sie willkommen. Milly bringt nur wenige Habseligkeiten mit: Bücher, Kleidung, verborgene Dinge. Es passt alles in einen einzigen, kleinen Koffer. Nur die Erinnerungen – an ihre Mutter, was geschehen ist – passen hier nicht rein. Es fällt dem Teenager schwer, ihr altes Leben hinter sich zu lassen. Sie trägt die Stimme ihrer Mutter im Kopf, meint zu wissen, was sie plant. Milly ist bemüht, alles richtig zu machen, Erwartungen zu erfüllen. Besser zu sein, als ihre Mutter. Die Newmonts sind allerdings auch keine Musterfamilie. Vater Mike ist ein Workaholic. Mutter Saskia betäubt ihren Kummer mit Alkohol und Drogen, Yogalehrer Benji tröstet über manch einsame Stunde hinweg. Erziehung und Haushalt sind ihr fremd. Die Tochter des Hauses geht bei jeder Gelegenheit in Abwehrhaltung. Sie scheint überheblich und selbstgefällig. Womöglich eine Reaktion auf die Pflegekinder zuvor, die all die Aufmerksamkeit bekamen, nach der sie sich sehnt. Milly wird zum auserkorenen Mobbingopfer von Phoebe und deren Freundinnen Izzy und Clondine. Doch man sollte sie nicht allzu sehr reizen. Sie ist Annie, Tochter von Ruth Thompson. Einer Frau, die sich an Kindern vergeht und ihre Leichen im Keller entsorgt. Annie weiß wie man Spiele spielt. Und sie weiß wie man gewinnt!

Zum Glück schmückt ALI LAND all die Grausamkeiten, die Ruth Thompson jahrelang vertuschen konnte, nicht bis ins Detail aus. Hinweise und Andeutungen im Verlauf der Handlung genügen, um Unwohlsein, gar Abscheu, während der Lektüre aufrechtzuerhalten. Mittelpunkt des Geschehens ist allerdings die minderjährige Milly, Geburtsname Annie. Vierzig Kapitel in erster Person Singular, ungewöhnlicherweise oft direkt an ihre Mutter gewandt, umschreiben ihr Leben zwischen dem vermeintlichen Verrat an ihrer Mutter an die hiesige Polizei bis zur Verhandlung vor Gericht und kurz darüber hinaus. Die Geschichte entwickelt einen unaufhaltsamen Sog. Der Schreibstil ist ruhig aber unglaublich intensiv. Die Stimmung bewegt sich größtenteils in düsteren Gefilden. Selten wird aus Erinnerung, Resignation und Schuldgefühlen tatsächlich Hoffnung und der Wunsch nach einem normalen Leben in einer normalen Familie. Das Buch trägt zu Recht den Zusatz Psychologischer Spannungsroman, der Leser ist stets angespannt, schreckt vor Facetten der Vergangenheit zurück und ahnt, dass die Vorkommnisse auch in der Zukunft nicht ohne Folgen bleiben. Die Autorin vermittelt glaubhaft die emotionale Zerrissenheit des Mädchens. Ebenso stellt sie ihre Intelligenz und manipulative Fähigkeiten außer Frage. Milly alias Annie ist zweifelsohne ein Opfer. Nichtsdestotrotz ist und bleibt sie die Tochter einer Mörderin. Geprägt durch Misshandlungen, Umfeld und Gene. Macht sie das schlussendlich ebenfalls zu einem bösen Menschen?

Das Cover des Taschenbuchs aus dem Goldmann Verlag passt ausgesprochen gut zur Erzählung. Das Motiv zeigt ein junges Mädchen im Profil. Verschwommen, leicht verwackelt, schwer zu erfassen – genauso wie die weibliche Hauptfigur. Ihr Blick angstvoll, dennoch starr fokussiert. Die Farben dunkel. Nichts lenkt ab. Die Inhaltsbeschreibung auf der Rückseite bringt es kurz und knapp auf den Punkt, verrät nicht zu viel. Perfekt!

Fazit: ICH BIN BÖSE ist eine grauenvolle Geschichte über Kindesmisshandlung und seine Folgen. ALI LAND, bestens auf dem Gebiet der Psychologie bewandert, spielt Katz-und-Maus mit ihrer Leserschaft. Durchweg spannend, dabei erschreckend und fesselnd zugleich. Nichts für zarte Gemüter, aber für hartgesottene Thrillerfans unbedingt eine Empfehlung wert!

Veröffentlicht am 30.01.2017

Außergewöhnliche Erzählung um Zwei- und Vierbeiner

Die Katzen von Montmartre
0

DIE KATZEN VON MONTMARTRE – ein wunderschönes Cover, das nicht allein nur Blicke von Katzenfreunden auf sich zieht. Meine letzten Geschichten um vierbeinige Samtpfoten liegen schon einige Jahre zurück, ...

DIE KATZEN VON MONTMARTRE – ein wunderschönes Cover, das nicht allein nur Blicke von Katzenfreunden auf sich zieht. Meine letzten Geschichten um vierbeinige Samtpfoten liegen schon einige Jahre zurück, nichtsdestotrotz sind sie in angenehmer Erinnerung geblieben. Nun also habe ich dank TESSA KORBER erneut das Vergnügen, intelligenten Spürnasen bei der Aufklärung Pariser Kriminalfälle zu folgen. Das handliche Taschenbuch umfasst vierunddreißig Kapitel, eingebettet in Pro- und Epilog. Vorangestellt ist eine kurze Übersicht der tierischen Hauptfiguren, ihren Eigenschaften und Besonderheiten. Da wären unter anderem der junge Herumtreiber Matisse, der besonnene Bonnard, der misstrauische Dégas und der Schwarm aller Kater: Grisette. Doch angefangen hat alles mit den frechen Rabauken Pablo und Miró, die auf dem Cimetière de Montmartre über eine Leiche stolpern. Erzählt wird das Geschehen in überwiegend dritter Person Singular aus Sicht verschiedener Charaktere, jeweils als Kapitelüberschrift deklariert. Einzig Bonnards Worte richten sich direkt an die Leserschaft. Der rot gestromte Kater hat schon viele Geschichten und ebenso viele Anekdoten gehört. Bonnard schreitet er über den Friedhof oder liegt auf der schmiedeeisernen Bank, spendet Trost und lauscht Sorgen, Nöten und manch Geheimnissen der menschlichen Besucher. Und er war selbstverständlich dabei, als das junge Mädchen Madeleine am Grab ihrer Familie tot aufgefunden wurde.
Der Kriminalroman versprüht Lokalkolorit, Charme und Esprit. Montmartre ist jedoch nicht nur ein Stadtteil, sondern eine geistige Einstellung, so heißt es. Ganz wunderbar passen hierzu Madame Chauchat in ihrem Kiosk, Madame Valladon in ihrer Pâtisserie, Monsieur Martis in seinem Souvenirgeschäft, Monsieur Moulin in seinem Bistrot und all die Toten und Erinnerungen darum herum. Die Atmosphäre ist sehr dicht und die Figuren besitzen Tiefe. Nostalgisch und ein klein wenig melancholisch arbeitet die Autorin Erfahrungen, Erlebnisse und Erkenntnisse von Mensch und Tier aus. Eben noch flaniert Grisette geltungsbedürftig auf der Mauer nahe des neuen Malers, dem sie gefallen will, im nächsten Moment ist sie Gefangene in einem Sack. So und ähnlich überraschend betten sich erschreckende Vorkommnisse mitten ins Alltagsgeschehen. Zwischen Gegenwart und Vergangenheit liegen Hoffnung und Verzweiflung nahe beieinander. Ein schmaler Grat, den TESSA KORBER mit viel Fingerspitzengefühl und anrührender Sprache meistert.
So grausam die kriminellen Hintergründe auch sein mögen, so wenig wird im vorliegenden Roman auf harte Action und Knalleffekte gesetzt. Viel mehr stehen Beziehungen und Zusammenhänge im Vordergrund. Leise Töne, die bewegen und bisweilen zu Tränen rühren. Und so sind DIE KATZEN VON MONTMARTRE, ihre Menschen und TESSA KORBER eine beeindruckende Entdeckung für mich!

Fazit: DIE KATZEN VON MONTMARTRE ist eine außergewöhnliche Erzählung von Tieren und Menschen zwischen Gegenwart und Vergangenheit – traurig-schön und nachhaltig beeindruckend. Das hätte ich dem schmalen Büchlein gar nicht zugetraut … TESSA KORBER beweist zweifelsohne Geschick für Sprache, Flair und Emotionen. Eine Autorin, die man sich merken sollte. WOW!

Veröffentlicht am 19.01.2017

Massenkarambolage zwischen Dallas und Denver

Bourbon Kings
0

Das Bradford Family Estate, kurz Easterly genannt, thront hoch oben auf dem größten Hügel Charlemonts, Kentucky, in den Vereinigten Staaten von Amerika. Bradford, eine Familie mit Tradition, steht für ...

Das Bradford Family Estate, kurz Easterly genannt, thront hoch oben auf dem größten Hügel Charlemonts, Kentucky, in den Vereinigten Staaten von Amerika. Bradford, eine Familie mit Tradition, steht für Macht und Erfolg, Reichtum und gesellschaftliches Ansehen. Seit 1778 hat sich die Bradford Bourbon Company hier einen Namen gemacht. Wie jedes Jahr zum Charlemont Derby, tummelt sich auch dieses Mal beim Brunch auf Easterly alles, was nur irgendwie Rang und Bedeutung hat. Die ausschweifenden Feierlichkeiten werden jedoch durch eine Kette unschöner Ereignisse torpediert. Vor allem Mitglieder der Familie, aber auch der ein oder andere Bedienstete wird involviert. Hauptfiguren sind William Baldwine, ein Mann ohne Skrupel, Little V. E., die Dame des Hauses, die nur noch vollgepumpt mit Medikamenten in ihrer Suite anzutreffen ist, die Kinder Edward Westfork, Maxwell, Virginia Elizabeth und Jonathan Tulane. Nachdem sich J. R. Ward im ersten Abschnitt des Buches vor allem ausgiebigen Beschreibungen des Anwesens und der Hierarchien Easterlys widmet, kristallisieren sich im Folgenden drei Schwerpunkte im ersten Band der Bradford-Dynastie heraus: Die ganz und gar nicht standesgemäße Liebelei zwischen Lizzie King, angestellte des Hauses Bradford Baldwine, und Lane. Sie führen eine Art on/off-Beziehung voller erdenklicher Dramen und leidenschaftlicher Höhepunkte. Im Grunde handelt es sich sogar um ein Dreieckskonstrukt, denn Lane ist offiziell mit Chantal Blair Stowe verheiratet. Edward, einst ein ernster und sehr aggressiver Geschäftsmann, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Seitdem er eine Entführung in Südamerika nur knapp überlebt hat, hat er sich von der Familie zurückgezogen und fristet sein Dasein unter ständigem Alkoholeinfluss auf dem Red & Black Gestüt, ein durchaus erfolgreicher Zucht- und Rennbetrieb. Sein Herz gehört Sutton Smythe, der Tochter des größten Konkurrenten, die Sutton Distillery Corporation. Auch in diese Richtung sind Komplikationen vorprogrammiert. Virginia, kurz Gin, ist kein Kind von Traurigkeit. Mit siebzehn Jahren bekam sie Ihre uneheliche Tochter Amelia, die allerdings nunmehr als sechzehnjähriger Teenager nichts von ihrer Mutter wissen will. Gin hat im Grunde nie gelernt, auf eigenen Füßen zu stehen. Ohne den finanziellen Rückhalt der Familie ist sie aufgeschmissen. Es sei denn, sie findet eine lohnenswerte Alternative, um ihr Leben im Luxus zu sichern. Der Angebetete, zugleich Vater ihrer Tochter, hegt allerdings kein Interesse an ihrem Heiratsantrag. Plan B muss her! Über Max erfährt die Leserschaft nicht allzu viel. Hier und da werden vage Andeutungen über seine Person gemacht. Diese reichen von der Teilnahme im Kirchenchor zu düsteren Machenschaften. Ein konkretes Bild lässt sich daraufhin noch nicht formen. Das schlimmste Übel von allen ist allerdings William Baldwine. Seinetwegen gerät das gesamte Imperium gehörig ins Verderben … Viele Figuren und zahlreiche Vorkommnisse halten den Leser auf Trab. Dank der durchaus eingängigen Schreibweise der Autorin und immer neuen Hiobsbotschaften in parallelen Handlungssträngen, schreitet das Geschehen schnell voran. Im Nu sind fünfzig Kapitel vorüber und ein kleiner Ausblick wie die Bradford-Saga weitergeht, tröstet bedingt über die Wartezeit bis zum Erscheinen von BOURBON SINS im Sommer hinweg.

BOURBON KINGS erscheint als Paperback bei LYX. Das Cover ziert ein adretter, junger Mann. Die Farbgebung in knalligem Pink ist sicher Geschmackssache. Auffallend ist das Buch so allemal.

J. R. Ward zieht mit dem Auftakt ihrer BOURBON Reihe sämtliche Register: Liebe, Lust und Leidenschaft treffen auf Geheimnisse und Intrigen sowie Wirtschaftskriminalität und Tod. Ein Aufmarsch an Charakteren übertrumpft eine Welle diverser Handlungsstränge, torpediert von allerhand Dramen und Emotionen. Ein Buch wie eine Massenkarambolage zwischen Dallas und Denver – einige Menschen schauen genauer hin, andere wenden sich erschrocken ab. ;o)

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Gefühl
  • Charaktere
  • Lesespass
  • Handlung