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Veröffentlicht am 26.06.2017

Vorwitziges Federvieh trifft neurotischen Akademiker

Gray
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Augustus Huff lebt den Akademikertraum: Dozent in Cambridge, dezente Affäre mit einer tollen Kollegin, geachtet und respektiert. Seine größten Probleme waren bisher Studenten mit Prüfungsangst und seine ...

Augustus Huff lebt den Akademikertraum: Dozent in Cambridge, dezente Affäre mit einer tollen Kollegin, geachtet und respektiert. Seine größten Probleme waren bisher Studenten mit Prüfungsangst und seine eigenen kleinen Neurosen. Bis der junge Student Elliott Fairbanks vom Dach stürzt. Oder gestürzt wurde? Doch als wäre die Akademikerwelt von Huff durch diesen Vorfall nicht schon genug in Unruhe gebracht, „erbt“ er auch noch Elliotts Haustier. Der Graupapagei Gray bringt Huffs schöne Routine gehörig durcheinander.

Leonie Swann hat sich auf Tierromane spezialisiert: ihre Schafe aus „Glenkill“ und „Garou“ haben mich begeistert, auch den Flöhen aus „Dunkelsprung“ bin ich gerne durch ihre Geschichte gefolgt. Mit Gray hat die Autorin wieder voll ins Schwarze (oder sollte ich sagen Graue?) getroffen: ein vorlautes und rotzfreches Federvieh, das den ganzen Tag Songs von Lady Gaga krächzt; das schon mal den Schreibtisch seines offiziellen temporären Halters ins Chaos stürzt; das zudem sehr schlau ist und nicht nur Farben und Formen, sondern auch Gut und Böse auseinander halten kann. Herrlich komische Situationen sind vorprogrammiert. Kurzum: ich mochte Gray sehr gerne. Der tierische Anteil der Story ist somit hervorragend gelungen. Leider hat mich der Krimianteil nicht richtig begeistern können. Die Geschichte fügt sich zwar sehr gut in das akademische Milieu von Cambridge ein, auch die Atmosphäre ist glaubwürdig wiedergegeben. Allerdings fand ich die Fallentwicklung etwas mau, es kam kaum Spannung auf, dafür leider kleine Ungereimtheiten. Gerade Huffs Persönlichkeit entwickelt sich sehr unglaubwürdig: vom stillen Mäuslein, das ohne seine täglichen kleinen Routinen (Tür dreimal abschließen, ständiges Händewaschen etc.) die Krise kriegt und jetzt plötzlich zum mutigen Helden aufsteigt… so wirklich abnehmen konnte ich der Autorin diese Entwicklung nicht. Auch hatte ich das Gefühl, dass die Autorin sich diesmal betont Mühe gegeben hat, „einfach“ zu schreiben. Ihr letzter Roman „Dunkelsprung“ wurde oft als etwas sperrig beschrieben, das sollte hier wohl anders werden. Mir war es zu leicht erzählt, einfache Sätze, leichte Kost… mir hat das Besondere gefehlt.
Insgesamt kein schlechter Roman, Gray als „Figur“ machte für mich wieder einiges wett. Das beste Buch der Autorin war es für mich jedoch nicht.

Veröffentlicht am 23.06.2017

Bedrückend

Der Tiger in meinem Herzen
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Arn ist gerade einmal 11 Jahre alt, als die roten Khmer die Herrschaft in Kambodscha an sich reißen. Schnell versinkt das Land in Angst und Schrecken; Arn wird nicht nur von seiner Familie getrennt, sondern ...

Arn ist gerade einmal 11 Jahre alt, als die roten Khmer die Herrschaft in Kambodscha an sich reißen. Schnell versinkt das Land in Angst und Schrecken; Arn wird nicht nur von seiner Familie getrennt, sondern in ein Arbeitslager gebracht. Ein Arbeitslager für Kinder. Unter widrigsten Umständen müssen hier schon die Kleinsten schuften. Bis zur Erschöpfung, bis zum Umfallen, bis zum Tod.

Patricia McCormick hat für ihren Roman viele Stunden im Interview mit Arn Chorn verbracht. Sie erzählt dessen Geschichte aus seiner Perspektive, bemüht sich ihre Erzählweise seinem 11-jährigen Ich anzupassen. Das gelingt ihr sehr gut, der Schrecken wird dadurch nur noch größer. Ein Kind in kindlicher Weise von Mord und Totschlag, unbändiger Grausamkeit und Ekel berichten zu hören, ist wirklich harter Tobak. Dabei müssen die Dinge nicht immer bis ins Detail beschrieben werden, die wirklichen Scheußlichkeiten findet man auch zwischen den Zeilen. Das Buch wird als Jugendroman beworben, ist aber sicherlich nicht unbedingt für jüngere bzw. zartbesaitete Leser geeignet. Mich hat Arns Geschichte über weite Teile schockiert und traurig gemacht. Man entwickelt schnell Mitleid für ihn, aber auch Respekt. Es ist tröstlich zu wissen, dass Arns Geschichte gut ausgeht, er wurde dafür berühmt, immer wieder öffentlich über den Völkermord in Kambodscha zu sprechen, setzt sich für Hinterbliebene ein und kämpft für Gerechtigkeit. Trotzdem hat man nach der Lektüre die vielen Opfer im Hinterkopf, denen das Schicksal nicht so hold war. Ein schreckliches Stück Geschichte, dem die Autorin mit diesem Buch ein würdiges Mahnmal gesetzt hat.

Veröffentlicht am 18.06.2017

Hinter Internatstüren

Die Verwirrungen des Zöglings Törleß
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Der junge Törleß lebt in einem Internat zu Zeiten der k.-u.-k. Monarchie. Neben der schulischen Ausbildung soll das Institut die Schüler auch auf eine Karriere im Militär vorbereiten. Törleß fühlt sich ...

Der junge Törleß lebt in einem Internat zu Zeiten der k.-u.-k. Monarchie. Neben der schulischen Ausbildung soll das Institut die Schüler auch auf eine Karriere im Militär vorbereiten. Törleß fühlt sich zunehmend unwohl und entdeckt eine völlig neue Seite an sich selbst, als der Mitschüler Basini von anderen erpresst und gequält wird. Eine dunkle Seite.

Musils Debut wirft einen tiefen Blick in die Psyche pubertärer Jugendlicher und zeichnet ein verstörendes Bild. Unterdrückung, Sadismus, sexuelle Gewalt, Scham… Musils Figuren kennen keine Grenzen. Törleß als Hauptfigur bildet da keine Ausnahme, auch wenn er eher an den psychologischen Folgen für das Opfer Basini interessiert ist. Kein leichter Stoff also, den sich Musil da vorgenommen hat. Auch sprachlich fand ich zur Geschichte keinen rechten Zugang, manchmal sperrig, manchmal wirr, erzählt Musil vor sich hin. Insgesamt ein Klassiker, der mich so gar nicht begeistern konnte.

Veröffentlicht am 17.06.2017

June

June
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Cassie ist nach dem Unfalltod ihrer Eltern von ihrer Großmutter June großgezogen worden. Die ist jetzt leider auch verstorben, und die 25-Jährige lebt allein in deren Haus Two Oaks und versinkt in Selbstmitleid. ...

Cassie ist nach dem Unfalltod ihrer Eltern von ihrer Großmutter June großgezogen worden. Die ist jetzt leider auch verstorben, und die 25-Jährige lebt allein in deren Haus Two Oaks und versinkt in Selbstmitleid. Eines Tages geschieht jedoch etwas, das ein neues Licht auf Junes Vergangenheit wirft. Genauer gesagt auf das Jahr 1955, in dem Hollywood in das kleine Heimatstädtchen eingefallen war…

Auf zwei Zeitebenen erzählt die Autorin ihre Geschichte, zwei Ebenen, die sich sehr gut zu einer Geschichte verbinden. Sehr flüssig der Erzählstil, leicht die Dialoge. Die Charaktere fand ich etwas durchwachsen, gerade Cassie ging mir mit ihrer Kindergartenkindart echt auf die Nerven. Eine weinerliche, trotzige Person, die sich für die Ärmste auf der ganzen Welt hält. Keine Figur, über die ich lange lesen möchte. Die June aus dem Jahr 1955 gefiel mir da schon etwas besser, erzählt wird dieser Handlungsstrang jedoch von ihrer besten Freundin Lindie. Lindie war für mich der heimliche Star der Geschichte, ihr bin ich gerne über die Seiten gefolgt und ich mochte ihre Art wirklich gerne. Der Glamour der Hollywoodstars, das Flair der frühen 60er Jahre, die ganze Atmosphäre dieser Zeit hat die Autorin gut eingefangen, man kann sich sehr gut einfühlen. Insgesamt fand ich den früheren Handlungsstrang wesentlich ansprechender, als den von Cassie. Der neigt dazu ins Lächerliche abzudriften, sodass ich das Geschehen dort nicht wirklich ernst nehmen konnte.
Eine süße Liebesgeschichte, die oft kitschig wirkt, aber auch große Gefühle zu transportieren weiß. Nicht unbedingt die größte Lovestory der Welt, aber für Fans des Genres bestimmt ein Versuch wert.

Veröffentlicht am 13.06.2017

Novelle mit großer Aussagekraft

Der Tod in Venedig
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Gustav Aschenbach ist ein erfolgreicher Schriftsteller in den mittleren Jahren. Die Ehefrau bereits verstorben, die Tochter verheiratet. Unabhängig wie er ist, beschließt er die heißen Sommertage Münchens ...

Gustav Aschenbach ist ein erfolgreicher Schriftsteller in den mittleren Jahren. Die Ehefrau bereits verstorben, die Tochter verheiratet. Unabhängig wie er ist, beschließt er die heißen Sommertage Münchens gegen einen Urlaub in Venedig einzutauschen. Doch dort angekommen, will er enttäuscht wieder abreisen. Zu schwül das Wetter, auch die Stadt selbst hatte er schöner im Gedächtnis. Da trifft er im Hotel einen Jungen, wunderschön und geheimnisvoll.
Manns Novelle hat mich überrascht. Die unerfüllte Liebe zu einem jungen Knaben, die Obsession fand ich als Thema wirklich gewagt. Natürlich lassen sich da autobiografische Züge erkennen: der bekannte Schriftsteller, eigentlich ein Vorzeigemodell des Bürgertums, der sich in homoerotischen Fantasien verliert. Völlig. Diese Charakterwandlung machte für mich den großen Reiz dieses Buches aus. Mann bedient sich zudem einer sehr reichen Sprache, die drückende Hitze, die unvergleichbare Schönheit, alles steht dem Leser sofort bildhaft vor Augen. Die Handlung selbst ist relativ vorhersehbar, trotzdem habe ich das Buch gerne gelesen. Manns Ausdruck und seine Erzählkraft entschädigen für kleine Schwächen.