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Veröffentlicht am 07.03.2024

Einfühlsam beschriebene Liebesaffäre, verknüpft mit einem Stück deutscher Geschichte

Deine Margot
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Nach dem Tod ihres Vaters findet Vilja beim Aufräumen in seiner Wohnung in Helsinki ein Bündel Briefe, das in einer Blechdose steckt. Jeder von ihnen ist mit „Deine Margot“ unterschrieben. Dieser Umstand ...

Nach dem Tod ihres Vaters findet Vilja beim Aufräumen in seiner Wohnung in Helsinki ein Bündel Briefe, das in einer Blechdose steckt. Jeder von ihnen ist mit „Deine Margot“ unterschrieben. Dieser Umstand gibt dem Debüt der finnischen Autorin Meri Valkama den gleichlautenden Titel. Die Kastanien auf dem Schutzumschlag des Buchs stehen in Bezug auf den Spitznamen von Vilja als Kind, an den sie sich nicht erinnert. Der Vorname des Politikers der DDR auf der fingierten Briefmarke, die oben rechts auf dem Cover zu sehen ist, dient als Pseudonym dem Herrn, dem Margot ihre Liebe schenkt. Die Geschichte spielt auf zwei Handlungsebenen. Einerseits begleitete ich als Leserin Vilja auf ihrer Spurensuche nach Margot ins Berlin des Jahres 2011. Auf der anderen Seite erfuhr ich, wie es ab 1983 zu der Beziehung der Titelgeberin mit ihrem Liebhaber gekommen ist.
Vilja kann sich aufgrund einer Kindheitsamnesie an die mit der Familie erlebten Jahre in Berlin nur bruchstückhaft erinnern. Ihr Vater Markus ist Auslandskorrespondent einer finnischen Zeitung. Mit ihren Eltern und ihrem älteren Bruder zieht Vilja 1983 von der finnischen Heimat aus nach Ost-Berlin. Bald geht Vilja dort in die Kindertagesstätte, die es immer noch gibt, als sie 2011 die deutsche Hauptstadt besucht. Ansonsten hat sich dort einiges geändert. Die Streitigkeiten zwischen Vater und Mutter führten in den 1980er Jahren dazu, dass die Familie 1987 zurück nach Finnland gezogen ist. Vilja vermutet nach ihrem Fund einen Zusammenhang zwischen dem Umzug und den Briefen von Margot. Einige Jahre danach haben sich ihre Eltern getrennt.
Die Geschichte wechselt nicht nur zwischen den Handlungszeiten, sondern auch zwischen den in den Kapiteln im Fokus stehenden Personen. Meri Valkama schreibt als allwissende Erzählerin, wodurch der Lesende von den Gefühlen der entsprechenden Figur unmittelbar erfährt und auch eine Erklärung für deren Handeln erhält. Bei Viljas Mutter Rose schaut sie auf ein Problem, mit dem viele Frauen kämpfen: den Haushalt führen und die Kinder erziehen, während man sich gleichzeitig im Beruf behaupten möchte. Doch die Arbeitstage von Markus werden zunehmend länger, wofür er ihr immer eine gute Erklärung liefert. Die beiden führen eine Ehe, bei der sie sich einig sind, dass Spielereien mit anderen Partnern erlaubt sind, solange man treu bleibt.
Der Roman beginnt mit dem letzten Brief von Margot, der einen Monat vor dem Fall der Berliner Mauer geschrieben wurde. Weitere Briefe sind in unregelmäßigen Abständen zwischen den Kapiteln zu finden. Sie gehen zeitlich immer weiter im Datum zurück. Ende September des gleichen Jahres teilt Margot ihrem Liebhaber mit, dass sie ihren Mitbewohner als Volksverräter verhaftet haben. Ihre Angst, ebenfalls unter Beobachtung zu stehen, ist deutlich aus ihren Zeilen herauszulesen. Sie fürchtet auch, dass die Liebe zueinander sich verändert hat. Eine düstere Ahnung bemächtigt sich Viljas, als diese mehr zum Thema des Beschattens in der DDR erfährt und sich fragt, wer für die Inhaftierung verantwortlich ist. Sie erkennt, dass das verdeckte leidenschaftliche Verhältnis auch durch die politischen Verhältnissen geprägt wurde.
Viljas Mutter will sich nicht an die Zeit in Berlin erinnern und rät ihr, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Der Tod ihres Vaters und die durch die Briefe veranlasste Entdeckung, dass ihr die Erinnerung an die Kindheit in großen Teilen fehlt, wirken sich auf Viljas Gemütszustand aus. Dadurch fühlt sie sich veranlasst, skeptisch ihre eigene Beziehung in den Blick zu nehmen.
Meri Valkama versteht es vorzüglich, einen Teil der deutschen Geschichte mit einer Liebesaffäre zu verknüpfen, die sie einfühlsam beschreibt und auch darauf schaut, wie sich das familiäre Umfeld dabei verändert. Tiefgehend schaut sie auf zerbrechliche Bindungen, die jede und jeder von uns eingeht und stellt die Frage in den Raum, inwieweit man sich den Erinnerungen widmen sollte, wenn man fest in der Gegenwart verankert ist. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für den Roman „Deine Margot.

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Veröffentlicht am 23.02.2024

Bewegender Roman über eine eigenwillige Liebesbeziehung

Tahara
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Emanuel Bergmann schreibt in seinem Roman „Tahara“ von der verstörenden Beziehung zwischen dem bekannten Filmkritiker Marcel Klein aus Berlin und der geheimnisumwitterten Französin Héloïse Becker. Der ...

Emanuel Bergmann schreibt in seinem Roman „Tahara“ von der verstörenden Beziehung zwischen dem bekannten Filmkritiker Marcel Klein aus Berlin und der geheimnisumwitterten Französin Héloïse Becker. Der Titel spielt auf den vielbeachteten Artikel an, den Marcel am Anfang seiner Karriere über das Ritual der Beerdigung seines Vaters geschrieben hat. Tahara ist hebräisch und bezeichnet die Totenwäsche, die nach bestimmten Abläufen erfolgt.

Der knapp fünfzigjährige Marcel Klein ist zu den Internationalen Filmfestspielen in Cannes angereist. Im Bistro des Hotel begegnet er Héloïse zum ersten Mal, als diese nach einem freien Platz sucht. Marcel findet Héloïse attraktiv und Héloïse findet Marcel und seinen Beruf faszinierend. Doch es kommt zum Streit, so wie später immer wieder. Dennoch können sie auch in den nächsten Tagen nicht voneinander lassen. Beide haben etwas zu verbergen. In der gemeinsam verbrachten Zeit glänzen nicht nur ihre guten Seiten.

Der Autor nimmt den Lesenden mit in die Welt des Films, die er aus eigener Erfahrung sehr gut kennt, weil er für Filmstudios und Produktionsfirmen journalistisch tätig gewesen ist. Der Protagonist gehört zu einer international besetzten Gruppe, die sich rund um den Globus zu den jeweils stattfindenden Filmfestspielen trifft. Es ist eine schillerndes Universum voller Stars und Sternchen. In der Geschichte erklärt Marcel der Französin, worauf er bei seinen Interviews achtet, vermutlich lässt Emanuel Bergmann hier sein Wissen einfließen. Er schaut darauf, wie Journalisten ihre Informationen gewinnen, indem er Marcel über die Arbeitsweise seiner Kollegen berichten lässt. Ich fand die Einblicke in die Filmindustrie interessant, die Emanuel Bergmann mir beim Lesen gewährte.

Immer mehr erzählt der Autor auch aus der Vergangenheit von Marcel und. Was ich erfuhr, machte mir die beiden nicht unbedingt sympathischer, aber es zeigte mir Gründe dafür auf, warum die Hauptfiguren versuchen, sich in Cannes auf verschiedene Weisen zu berauschen. Mit ihren Streitigkeiten rühren sie an wunde Punkte, aber gerade dadurch fühlen sie sich herausgefordert. Emanuel Bergmann treibt die sich entwickelnde Liebe auf eine Spitze zu, um dann mit einer Wendung aufzuwarten, was die Geschichte abwechslungsreich gestaltet.

Emanuel Bergmann schaut in seinem Roman „Tahara“ auf die glitzernde Welt des Films. Mit sarkastischen Unterton treibt er den Filmkritiker Marcel in eine Krise. Gleichzeitig beginnt der Journalist mit der Französin Héloïse eine geheimnisumwitterte Liebesbeziehung, die unabsehbar voller positiver, aber auch negativer Emotionen ist. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für diesen bewegenden Roman.

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Veröffentlicht am 23.02.2024

Roman über eine besondere Mutter-Sohn-Beziehung

Die Gemeinheit der Diebe
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Alem Grabovac hat mit seinem Buch „Die Gemeinheit der Diebe“ eine Fortsetzung seines Debütromans „Das achte Kind“ geschrieben, das man aber auch eigenständig lesen kann, denn auch ich kannte das Debut ...

Alem Grabovac hat mit seinem Buch „Die Gemeinheit der Diebe“ eine Fortsetzung seines Debütromans „Das achte Kind“ geschrieben, das man aber auch eigenständig lesen kann, denn auch ich kannte das Debut nicht. Beide Bücher sind autofiktional geschrieben. Smilja, die leibliche Mutter des Autors entwickelte mit über 70 Jahren Wahnvorstellungen. In einem Gespräch mit ihrem Sohn wirft sie die Frage auf, was im Leben bleibt, das nie gelebt wurde. Der Autor versucht in Erinnerungen zu ergründen, wer die Lebenszeit der Mutter im übertragenen Sinn gestohlen hat. Sein eigenes Leben ist unweigerlich mit dem seiner Mutter verbunden, weswegen er auch von dem erzählt, was er selbst seit Kindertagen erlebt hat wie zum Beispiel das Ringen um die deutsche Staatsbürgerschaft, sein Studienaufenthalt in England und seine Reise nach Nordamerika.

Smilja will als Heranwachsende den ärmlichen Verhältnissen des kleinen kroatischen Dorfs, in dem sie aufwächst, entkommen. Sie bewirbt sich, während sie in Zagreb als Küchenhilfe arbeitet, auf eine Stellenanzeige in Würzburg und wird eingestellt. Damit beginnt ihr Leben in Deutschland, bei dem sie zunächst noch von weiteren Migrant(inn)en umgeben lebt. In einen von ihnen verliebt sie sich, heiratet ihn und wird bald darauf mit ihrem Sohn schwanger. Ihr Mann erweist sich als unzuverlässig, so dass sie selbst wieder arbeiten gehen will. Daher gibt sie ihren Sohn in Pflege und ist fortan für ihn eine Mutter am Wochenende und in den Ferien. Seither steht sie in einer Fabrik am Fließband und lässt nicht ab von ihrem großen Traum, für den sie ständig etwas von ihrem Lohn beiseitelegt.

Später hat sie einen neuen Partner, der das Mutter-Sohn-Verhältnis aufreibt. Ihrem Wunsch rückt sie Stück für Stück näher, doch verschiedenste Ängste begleiten sie auf ihrem Weg. Ihre Arbeit verschlingt Stunde um Stunde, so dass der Autor sich oft mehr Zeit mit ihr wünscht. Alem Grabovac vollzieht die Gründe der Entscheidungen seiner Mutter nach, die die Weichen in ihrem Leben gestellt haben. Smilja ist stolz auf ihren Sohn, auf sein Abitur und sein Studium. Doch dann überrascht er sie mit seiner Berufswahl.

Der Autor ist ein guter Beobachter, der in unprätentiösem Stil interessante, erzählenswerte Ereignisse aus seinem und dem Leben seiner Mutter beschreibt. Er drückt seine Empfindungen in bestimmten Situationen aus, was diese nachvollziehbar macht. Im Zusammenspiel seiner Erfahrungen mit seinem Wissen kann er den gesellschaftlichen Hintergrund der Migration in Deutschland mit dem anderer Länder vergleichen. Der offene Ton, den Alem Grabovac in seiner Geschichte anschlägt, ließ mich über Parallelen zu Lebenswegen von Migrant(inn)en in meinem Umfeld reflektieren.

Am Leben seiner aus Kroatien stammenden Mutter verdeutlicht Alem Grabovac, dass diese sich durch ihre Einwanderung in Deutschland ein Stück vom Glück erhoffte und über viele Schwierigkeiten hinweg nie darin nachließ, ihr Ziel aufzugeben. Es zeigt sich immer wieder, dass wir als Menschen die Folgen unseres Handelns nicht immer richtig einschätzen. Die Geschichte dieser schwierigen Beziehung zwischen Mutter und Sohn berührt und stimmt nachdenklich. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

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Veröffentlicht am 23.02.2024

Wenn Entscheidungen weitreichende Folgen haben

Leuchtfeuer
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In ihrem Roman „Leuchtfeuer“ erzählt die US-Amerikanerin Dani Shapiro von dem Unfall der 17-jährigen Sarah und dem 15-jährigen Theo Wilf, der ihr Leben im Sommer des Jahr 1985 nachwirkend verändert. Das ...

In ihrem Roman „Leuchtfeuer“ erzählt die US-Amerikanerin Dani Shapiro von dem Unfall der 17-jährigen Sarah und dem 15-jährigen Theo Wilf, der ihr Leben im Sommer des Jahr 1985 nachwirkend verändert. Das Unglück geschieht vor dem Haus der Eltern in der Vorstadt von New York City. Der Vater ist Arzt und eilt zu Hilfe, wobei er spontan handelt, was vermutlich unbedachte Konsequenzen nach sich zieht. Die Familie versucht zum Alltag zurückzukehren, doch jeder von ihnen weiß um seine Schuld, die nie vergehen wird.

Die Geschichte ist nicht chronologisch erzählt, sondern wechselt zwischen den Jahren 1985, 2010, 1999, 2020 und 2014. Am Ende des Buchs gibt es ein Kapitel im Jahr 1970, als die Familie Wilf in ihr Haus in der Vorstadt einzieht. Erst viele Jahre später bekommen sie mit der Familie Shenkman neue Nachbarn im gegenüberliegenden Haus. Sie ahnen beim Einzug noch nicht, wie sich ihre Lebenswege eines Tages kreuzen werden, denn als bei der Nachbarin am Ende des Jahrs 1999 die Wehen einsetzen, eilt Dr. Wilf ihr zur Hilfe. Er wird für den Sohn Waldo zum Geburtshelfer. Zu ihm wird er einige Jahre später eine besondere Beziehung entwickeln. Etwa ein Jahrzehnt später wird das Schicksal die beiden Nachbarsfamilien noch weiter miteinander verknüpfen.

Keines der Mitglieder der Familie Wilf kann den Unfall vergessen, obwohl die Eltern von Sarah und Theo versuchen, ihren Kindern eine gute Zukunft zu ermöglichen. Sarah studiert Film und Englisch und hat als Produzentin Erfolg. Sie heiratet und bekommt Zwillinge, doch innerlich ist sie nicht ausgeglichen. Sie drängt dazu, körperlichen Schmerz zu erfahren und verbirgt ihr Verlangen vor ihrer Familie. Theo bricht als Jugendlicher aus dem behüteten Elternhaus aus, verschwindet heimlich und begibt sich auf die Suche nach dem, was ihn erfüllen könnte. Seine Eltern freuen sich darüber, dass er sich nach einer Selbstfindungsphase als Koch selbständig macht.

Die Eltern von Waldo sind erfolgreich in ihren Berufen. Waldos Vater bietet seinem Sohn all das, was er sich als Kind gewünscht hat. Er kann nicht verstehen, dass Waldo in Bezug auf Beziehungen viel empfindsamer ist als er selbst und ein großes Faible für Astronomie entwickelt. Waldo weiß alles über den Weltraum, Planeten und Sterne. Er besitzt eine Observatoriums-App. Die Beschäftigung mit der Software schafft für ihn einen gedanklichen Rückzugsort vor den Ansprüchen, die seine Eltern und die Schule an ihn stellen.

Das Springen zwischen den verschiedenen Handlungszeitpunkten gestaltet den Roman interessant. Was unmittelbar nach dem Unfall passierte, hält die Autorin noch viele Seiten lang zurück. Es geschieht noch eine weiteres tragisches Ereignis, bei dem Dani Shapiro ebenfalls die Szene stückchenweise abwickelt, was nochmals zu einer Steigerung der latent vorhandenen Spannung führte. Die Erzählung berührt deshalb besonders, weil sie von Familien erzählt, wie es sie überall geben könnte und in die man sich als Lesende(r) gut einfühlen kann.

Dani Shapiro zeigt in ihrem Roman „Leuchtfeuer“, wie Entscheidungen zu ungeahnt weitreichenden Folgen führen können. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für diese faszinierende, bewegende Geschichte, die nachhallt.

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Veröffentlicht am 21.02.2024

Suche nach einer Verankerung im Leben, die Sinn gibt und das Herz wärmt

Krummes Holz
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„Krummes Holz“ von Julja Linhof ist ein Roman voller dunkler Erinnerungen dreier junger Menschen auf einem alten Gehöft, das irgendwo im Ländlichen im Dreieck zwischen Unna, Werl und Iserlohn liegt. Gleichzeitig ...

„Krummes Holz“ von Julja Linhof ist ein Roman voller dunkler Erinnerungen dreier junger Menschen auf einem alten Gehöft, das irgendwo im Ländlichen im Dreieck zwischen Unna, Werl und Iserlohn liegt. Gleichzeitig haben die Protagonist(inn)en die Hoffnung auf eine aussichtsreichere Zukunft nicht aufgegeben. Der Titel ist gleichnamig mit der Zufahrt zum Hof, nimmt nach Aussage der Autorin aber auch Bezug zu einem berühmten Zitat von Immanuel Kant. Der Philosoph unterstellte dem Menschen, dass dieser wider seines Verstands, nicht immer das Gute tut. In der Geschichte, die in den 1980er Jahren spielt, agieren einige Figuren zum Leidwesen anderer gefühlskalt.

Einer der drei Protagonisten ist der Ich-Erzähler Georg, der so wie sein Vater heißt. Er ist 19 Jahre alt und kehrt in den Sommerferien nach fünf Jahren im weit entfernten Internat auf das Gehöft zurück. Der letzte Hofverwalter, der sudetendeutsche Vater des weiteren Protagonisten Leander, hat ihm den Rufnamen Jirka gegeben, was in seiner Muttersprache gleichbedeutend mit Georg ist und von den anderen Hofbewohner übernommen wurde. Seine Mutter verstarb, als er noch klein war.

Während der Jahre auf dem Internat haben sich Jirkas Vater, seine Schwester Malene und Leander um das Anwesen gekümmert. Leander ist einige Jahre älter und hauptberuflich Krankenpfleger in der nahen Heilanstalt. Nach Abschluss der Schule hat Malene eine auswärtige landwirtschaftliche Ausbildung gemacht, währenddessen sie nur am Wochenende heimkehrte. Dennoch gesteht der Vater ihr den Hof als Erbe nicht zu, aber auch nicht seinem Sohn. Als Jirka heimkehrt, fehlt der Vater unerklärt.

Jirkas Gefühle sind gemischt, als er nach Hause kommt. Nach vielen Jahren ohne persönlichen Kontakt zu denen seinen daheim, ist er sich nicht sicher, welche Stimmung ihn erwartet. Zuhause ist niemand ans Telefon gegangen, als er versucht hat, seinen Besuch anzukündigen. Er wird mit Zurückhaltung empfangen. Malene und Leander auf der einen Seite und Jirka als ungebetener Gast scheinen abzuwarten, wer den ersten Schritt aufeinander zu macht. Zwischen ihnen sind die Erinnerungen an ihre gemeinsamen Jahre auf dem Hof fast greifbar und Ungesagtes zu spüren.

Mit jeder Beobachtung, die Jirka in seinem Umfeld macht, kehren unerwünschte Erinnerungen an seine Kindheit wieder. Der Vater hat nicht nur schwere Arbeit geleistet, sondern auch mit Strenge und Härte durchgegriffen, teils unter Gewaltanwendung, um seine Ansichten durchzusetzen. Jirka suchte Geborgenheit und reagierte auf kleinste Zuneigungsbekundungen. Später versucht er zu deuten, ob es Liebe war und immer noch ist. Nicht nur für Jirka, sondern auch für mich als Leserin war das Miteinander von Leander und Malene schwierig einzuschätzen. Ich fragte mich beim Lesen, ob mehr als Sympathie und Wohlwollen zwischen den beiden liegt. Nach früheren Geschehnissen, die der Protagonist stückchenweise mit dem Lesenden teilt, ist das Verhältnis von Jirka zu Leander angespannt. Von Malene schlägt Jirka Unwillen entgegen. Von Beginn an macht sie ihm deutlich, dass sie nicht bereit ist, ihn auf ihre Kosten zu beherbergen. Nur durch seine Hartnäckigkeit, auf dem Gehöft zu bleiben, kann er Vertrauen gewinnen.

Julja Linhof erzählt im eigenen Sprachstil mit schönen, poetisch anmutenden Umschreibungen in ihrem Debütroman „Krummes Holz“ von der Suche dreier junger Menschen, deren Kindheit von Kaltherzigkeit geprägt war. Sie streben nach einer Verankerung im Leben, die ihnen Sinn gibt und ihr Herz wärmt. Für diesen auf die zwischenmenschlichen Beziehungen fokussierenden Roman vergebe ich sehr gerne eine Leseempfehlung.

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