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Veröffentlicht am 12.09.2023

Dritter Teil der Fräulein vom Amt- Serie: hält mit den beiden vorigen Büchern überaus mit

Fräulein vom Amt – Spiel auf Leben und Tod
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Im Jahr 1925 erstickt unweit der Spielstätte des Internationalen Schachturniers in Baden-Baden die noch jugendliche Wäscherin Gertrude in einer Wäschetrommel der Dampfwaschanstalt. Im dritten Band der ...

Im Jahr 1925 erstickt unweit der Spielstätte des Internationalen Schachturniers in Baden-Baden die noch jugendliche Wäscherin Gertrude in einer Wäschetrommel der Dampfwaschanstalt. Im dritten Band der Reihe über das Fräulein vom Amt mit dem Untertitel „Spiel auf Leben und Tod“ von Charlotte Blum bemüht sich Alma Täuber, die titelgebende Protagonistin, um die Aufklärung der Umstände unter denen die Angestellte der Wäscherei ums Leben kam. Eine Kollegin hat sie um ihre Mithilfe gebeten, denn die Verstorbene ist eine Cousine und Mitbewohnerin von ihr.

Alma zögert zwar zu helfen, aber es ärgert sie, dass die Kollegen von Kriminalkommissar Ludwig Schiller, mit dem sie bereits seit längerem fest befreundet ist, den Tod der Wäscherin als Selbstmord oder Unfall zu den Akten heften. Schnell erkennt sie Ungereimtheiten und überlegt gemeinsam mit ihrer Freundin und Mitbewohnerin Emmi und ihrem Cousin Walter, der beruflich in der Stadt ist, wie sie an nähere Informationen über die Verstorbene und deren privates Tun und Lassen gelangen kann.

Am Schachturnier hat sie zunächst wenig Interesse, begleitet ihren am Spiel interessierten Freund aber zu einer Veranstaltung und erfreut sich an der Atmosphäre der Veranstaltung. Später erfährt sie davon, dass während der Spiele Langfinger unterwegs sind. Die Ermittlungen kommen nur schleppend voran. Alma weiß, dass es weit hergeholt ist zu überlegen, ob der Tod von Gertrude in Verbindung mit den Diebstählen steht, bis sie in eine für ihr eigenes Leben bedrohliche Situation gerät.

Erneut verbindet das Autorinnenduo, das unter dem Pseudonym Charlotte Blum schreibt, einen fiktiven Kriminalfall mit historischen Fakten, zu denen das Schachturnier gehört, das von der Stadtverwaltung der Kur- und Bäderstadt damals veranstaltet wurde. Es gelingt ihnen, durch zahlreiche Beschreibungen der Umgebung, kulturellen Begebenheiten und politischen Hintergründen ein vorstellbares Bild der damaligen Zeit entstehen zu lassen. In einem Glossar am Ende des Buchs erhält man kurze Erläuterungen zu damals wichtigen Persönlichkeiten, zu Literatur, Musik und verschiedenen zeitgeschichtlichen Begrifflichkeiten.

Die Entwicklungen im Fernmeldewesen in Form der technischen Neuerung des Selbstwählapparats bringen Alma zum Grübeln über ihre berufliche Zukunft. Mit den neun Kolleginnen ihrer Schicht kommt sie gut zurecht. Man hilft einander oder lästert gemeinsam. Ihren Heiratswunsch hat die Protagonistin bisher aufgeschogen, weil sie dann ihre Arbeitsstelle aufgeben müsste. Täglich wartet sie darauf, dass es Entlassungen geben wird.

Bei den Ermittlungen sorgen die Verbindungen zu Bekanntschaften der lebenslustigen Emmi für AnsprechpartnerInnen, die Alma dazu nutzt, weiterführende Informationen zu erhalten. Aufgrund ihrer vergangenen Erfahrungen machte sie diesmal auf mich einen forscheren Eindruck, wenn es darum ging, sich unbekannten Situationen auszusetzen wie beispielsweise dem Besuch eines als verwerflich angesehenen Lokals.

Mit dem dritten Band „Spiel auf Leben und Tod“ der Serie um Alma Täuber, dem „Fräulein von Amt“ knüpft Charlotte Blum nahtlos an die erfolgreichen ersten beiden Bände an. Der zu ermittelnde Fall ist ansprechend gewählt und ungewöhnlich, so dass er Anreiz zum Miträtseln bietet. Die Verknüpfung mit dem tatsächlich stattgefundenen Schachturnier des Jahrs 1925 in Baden-Baden ist geschickt gesetzt und in der Umsetzung gelungen. Das Buch ist ein Must-Read für alle Fans der Serie und sehr gerne empfehle ich das Buch an alle Freunde historischer Kriminalromane weiter.

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Veröffentlicht am 11.09.2023

Einfühlsame Erzählung über zwei Frauen verschiedener Jahrhunderte und die Wertschätzung ihrer Arbeit

Marschlande
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Zwei Frauen und 500 Jahre, die sie voneinander trennen und dennoch findet Jarka Kubsova in ihrem Roman „Marschlande“ verbindende Elemente in deren Suche nach einem eigenständigen Leben. Abelke Bleken lebte ...

Zwei Frauen und 500 Jahre, die sie voneinander trennen und dennoch findet Jarka Kubsova in ihrem Roman „Marschlande“ verbindende Elemente in deren Suche nach einem eigenständigen Leben. Abelke Bleken lebte im 16. Jahrhundert und ist eine historisch verbürgte Person, die die Autorin mit Leben füllt. Die im Südosten Hamburgs ansässige Britta Stoever ist dagegen eine rein fiktive Figur, in deren Charakter sich manche Leserin sicher wiederfinden wird. Der Alltag der beiden ist sehr verschieden in eben jener, als Marschlande bezeichneten Gegend, stellt aber die zwei Frauen in ihrer jeweiligen Zeit vor besondere Herausforderungen.

Abelke bewirtschaftet den großen geerbten Hufnerhof ganz allein, nachdem ihr Personal nach einem Deichbruch sie verlassen hat, um andernorts mehr zu verdienen. Sie steht in der Verantwortung, die Schäden am Deich in kurzer Zeit ausbessern zu müssen. Ihre Hoffnung auf Hilfe schwindet immer mehr und sie erkennt, dass ihre Rolle als Frau damit in Zusammenhang steht, denn die meisten ihrer Zeitgenossen und -genossinnen sehen das weibliche Geschlecht als Versorgerin von Küche und Kindern. Aber Abelke ist ohne Partner*in.

Auch Brittas Mann sieht Jahrhunderte später seine Frau am liebsten am Herd und in der Umsorgung der Tochter und des Sohns. Er selbst ist im Beruf erheblich eingespannt und stolz darauf, mit seinem Gehalt den kürzlichen Hauskauf finanzieren zu können. Britta erhält in ihrem Halbtagsjob, dessen Anforderungen hinter ihren Kenntnissen zurückbleiben, kaum Anerkennung.

Bei beiden Frauen nährt sich die Wut darüber, dass sie nicht gleichberechtigt behandelt werden. Abelke fühlt sich im Vergleich mit anderen Hufbauern zurückgesetzt und Britta spürt das Ungleichgewicht, wenn es um die Aufgabenverteilung in ihrer Ehe geht. Dabei nutzt auch Reden nichts, denn diejenigen, die ihren Vorrang erworben haben und damit auch eigene Vorteile, werden von ihrer Position kaum weichen. Wenn sie aus ihrem Umfeld heraus unterstützt werden, kann es sein, dass sie gleicher als gleich werden; Orwell lässt grüßen. Währenddessen staut sich bei den Frauen der Frust an.

Britta beschäftigt sich mit dem Schicksal Abelkes, nach der in Hamburg eine Ringstraße benannt ist, und wird sich dabei umso mehr ihrer eigenen Probleme bewusst. Anders als früher findet sie heute offene Ohren für ihre Sorgen und vermag es, Konsequenzen zu ziehen.

Jarka Kubsova bindet die von ihr geschilderten Lebensabschnitte der Frauen in eine Umgebung ein, die häufiger extremen Wetterkapriolen ausgesetzt ist. Stürme und Überschwemmungen fordern den Bewirtschaftern der Böden einiges ab. Dank der schnörkellosen Beschreibungen konnte ich mir die Gegend beim Lesen gut vorstellen und empfand sowohl die Härte der damaligen Bestellungsarbeiten wie auch die Schönheit der malerischen Landschaft, wie sie sich bis heute darstellt.

In ihrem Roman „Marschlande“ beschreibt Jarka Kubsova einfühlsam zwei Frauenleben, die durch viele Jahrhunderte getrennt sind und in denen sich dennoch Gemeinsamkeiten in ihrem Streben nach Selbstbestimmung finden. Wie in ihrem Buch „Bergland“ setzt sie auch hier eine Akzentuierung auf das Ansehen der Arbeit von Frauen und zeigt im Vergleich von damals und heute, wie klein der Fortschritt auf dem Gebiet der Gleichberechtigung ist. Für mich ist das Buch erneut ein Lesehighlight und darum empfehle ich es gerne weiter.

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Veröffentlicht am 10.09.2023

Fantastischer Ausflug in die Zukunft in einem ungewöhnlichen Schreibstil

Tausend und ein Morgen
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In der utopischen Welt ohne Kriege, in der Ilija Trojanows Roman „Tausend und ein Morgen“ spielt, hat die Menschheit es geschafft, einige ihrer heute größten Probleme zu lösen. Der Klimawandel, die Armut ...

In der utopischen Welt ohne Kriege, in der Ilija Trojanows Roman „Tausend und ein Morgen“ spielt, hat die Menschheit es geschafft, einige ihrer heute größten Probleme zu lösen. Der Klimawandel, die Armut und der Hunger gehören dazu. Die Protagonistin Cya beendet gerade ihre Ausbildung zur Chronautin, einer Berufsgruppe, die in die Vergangenheit zu Zeitpunkten reist, von denen sie sich erhoffen, dass sie dort eine kleine Änderung vornehmen können, die dann zu mehr Friedlichkeit führt. Eine Einmischung in den Handlungsablauf ist nicht einfach und scheitert öfters als erwünscht. Folgen durch die Änderung für ihre eigene Welt befürchten die Chronautin nicht, weil sich das Universum sowieso unentwegt verzweigt. Darauf nimmt der Titel Bezug, der auf die vielen Möglichkeiten hinweisen möchte, die der Menschheit zur Verfügung stehen, ein Leben zu gestalten und dabei sein Potential einzusetzen.

Bei der Zeitreise ist die Begleitung durch eine künstliche Intelligenz sinnvoll. Ilija Trojanow nutzt sie dazu, um Cya Erklärungshilfen in einer ihr weitgehend unbekannten Umgebung zu geben und dadurch auch dem Lesenden. Die KI entwickelt sich aufgrund des zugewonnenen Wissens weiter, was aber zu der Gefahr führt, dass ihr Algorithmus zusammenbricht. Auch ein Buddy steht jedem Chronistin zur Seite. Außerdem ist die Reisezeit beschränkt. Dabei hat Cya anfangs das Problem, sich der Situation von Anwesenden im Damalsdort, wie sie die Vergangenheit nennen, unbemerkt zu entziehen, um in ihre Gegenwart zurückzukehren. Obwohl die Chronistin bei ihren Reisen über körperliches Empfinden und Gefühle verfügt, stirbt sie bei einem dabei eintretenden Tod nicht in ihrer utopischen Welt. Durch die Erfahrungen können sich die Eindrücke verändern. Bisher waren Chronistin nicht so erfolgreich wie gewünscht, aber sie machen Fortschritte.

Ihre Raumzeitreisen führen Cya ins 18. Jahrhundert zu Piraten in der Karibik, in unserer Gegenwart nach Indien zu religiösen Fanatikern, ins Jahr 1984 zu den Olympischen Spielen und schließlich in die Zeit der russischen Revolution. Derweil kommt es auch in der utopischen Gegenwart zu Konflikten. Es steht die Frage im Raum, was passiert, wenn Jemand durch die Einwirkung eines anderen stirbt. Ebenso zeigt der Autorbeispielhaft einen möglichen Umgang der zukünftigen Gesellschaft mit einem Andersdenkenden.

Ilija Trojanow spielt in seinem Buch mit der Präsentation des Geschriebenen. Allgemeine Handlungsabläufe sind im Blocksatz gedruckt. Die reichlichen Dialoge sind linksbündig gesetzt, wenn sie in der Zukunft geführt werden, solche im Damalsdort sind rechtsbündig und die Hinweise der Künstlichen Intelligenz immer kursiv. Übergänge werden mit einer fettgedruckten Phrase angedeutet. Ich gebe zu, dass der Schriftsatz auf mich auf den ersten Blick einen ansprechenden Eindruck machte. Zu Beginn des Lesens war ich kurz irritiert, aber eine Orientierung mit Zuordnung gelang mit nach wenigen Seiten.

Der Autor taucht in die verschiedenen Gesellschaften der Vergangenheit tief ein. Cya betritt bei jeder Reise eine unbekannte Situation. Durch ihre Beschreibungen konnte ich mich als Leserin gut einfinden. Die Dialoge kommen in der Regel ohne zusätzliche Ergänzungen von Bewegung und Lautmalerei aus. Neue Figuren stellen sich dabei meist selbst vor und erzählen aus ihrem Leben. Ilija Trojanow lässt die Personen mit unerschöpflichen Aspekten von einer Welt voller Missständen, Gewalt und Machtansprüchen erzählen. Die Freude an der Formulierung ist den geschilderten Geschehnissen anzumerken. Für die Protagonistin ist es nicht einfach, als friedfertiger Mensch in einer raubeinigen oder oft barbarischen Umgebung authentisch zu erscheinen und nicht aufzufallen. Auch wenn ihr dabei die künstliche Intelligenz zur Seite steht, muss sie immer bedenken, dass diese nur ihre Aufgaben zu erfüllen hat und ihr nicht gefühlsmäßig nahe rücken darf. Jede Zeit, in die der Autor den Lesenden eintauchen lässt, hat Themen, die er mühelos am Rande ausformuliert, darüber sinniert und dadurch zum Nachdenken anregt.

Im Roman „Tausend und ein Morgen“ führt Ilija Trojanow uns vor Augen, dass unsere Welt von uns gemacht wird. Jede unserer Entscheidungen läuft auf weitreichende Folgen hinaus, nicht nur für uns, sondern auch für andere. Allerdings moralisiert er nicht, sondern stößt beim Lesenden manchen Gedankengang an mit der Frage, was denn wäre, wenn anders entschieden und gehandelt würde. Ich bin der Chronistin gerne auf ihren Wegen gefolgt. Das Buch ist für Lesende geeignet, die fantastische Ausflüge und grenzüberschreitendes Schreiben mögen.

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Veröffentlicht am 10.09.2023

Coming-of-Age in den 1970er im Osten Deutschlands

Gittersee
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Gittersee liegt im Südwesten von Dresden und ist Handlungsort des gleichnamigen Romans von Charlotte Gneuß. Nicht nur das Foto auf dem Umschlag, sondern auch die Erzählung gab mir als Leserin einen Einblick ...

Gittersee liegt im Südwesten von Dresden und ist Handlungsort des gleichnamigen Romans von Charlotte Gneuß. Nicht nur das Foto auf dem Umschlag, sondern auch die Erzählung gab mir als Leserin einen Einblick in das Leben einer Familie, Mitte der 1970er Jahre. In einem kurzen Prolog, in dem geschildert wird, das einer Person etwas zugestoßen ist, wurde ich neugierig darauf, um wen es sich handelt und wie es geschehen ist, was eine gewisse Hintergrundspannung während des gesamten Lesens erzeugt.

Die Protagonistin Karin ist 16 Jahre alt und geht noch zur Schule. Ihre Mutter war noch jung, als sie mit ihr schwanger wurde und sie hat vor zwei Jahren nochmals Nachwuchs bekommen. Der Haushalt wird von der hinfälligen Mutter des Vaters geführt, während die Eltern beide in Vollzeit arbeiten. Karin hilft mit Selbstverständlichkeit überall, wo die Familie sie braucht. Ihr Alltag wird gestört, als ihr Freund Paul eines Tages von einem Ausflug nicht wiederkehrt. Daraufhin steht die Polizei vor der Tür ihres Zuhauses und hat eindringliche Fragen an sie, ob sie von Pauls Plänen gewusst hat, der vermutlich aus der Republik geflohen ist.

Karins Leben lief in geordneten Bahnen. Der Kapitalismus im Westen wurde zwar immer wieder, meist in der Schule beschimpft, aber die Teilung Deutschlands hatte für sie persönlich keine Wichtigkeit. Von ihrer Mutter erfährt Karin, dass es Personen gibt, die raus wollen aus dem biederen Umfeld, das eingesponnen ist in die sozialistischen Ideen des Staats. Sie bemerkt es außerdem an den fliegenden Ideen ihrer besten Freundin Marie. Charlotte Gneuß flicht in die Freundschaft der beiden Mädchen Eifersucht ein.

Immer wieder wendet sich der Polizist mit weiteren Fragen an die Protagonistin und untergräbt damit die Leichtigkeit, mit der sie ihren Alltag meistert. Sie beginnt über Vergangenes nachzudenken und darüber, ob liebgewonnene Menschen ihr tatsächlich stets wohlgesonnen waren und sind. Der Verlust von Paul nagt an ihr und die Umstände seines Verschwindens werden für sie zunehmend zu einem Puzzle mit vielen Teilen ohne Hoffnung darauf, es zusammenfügen zu können. Erst allmählich wird ihr bewusst, dass ihre Aussagen Konsequenzen für andere Personen haben.

Beim Lesen fühlte ich mich kulturell zurückversetzt in die 1970er Jahre. Obwohl ich im Westen aufgewachsen bin, wusste ich durch einen langjährigen Briefwechsel mit einer Freundin im Osten unseres Landes unmittelbar um die ideologischen Unterschiede und empfand die Schilderungen der Autorin als authentisch. Die Autorin beschreibt Träume und Wünsche, nicht nur von Jugendlichen und den Willen dazu, diese zu verwirklichen, aber genauso die eingeschränkten Möglichkeiten der Realität, sie zu erreichen. Sie lässt ihre Figuren auf verschiedene Weise mit Frust umgehen und stellt manches geschickte Taktieren dar, um Ziele zu erreichen.

In ihrem Roman „Gittersee“ erzählt Charlotte Gneuß vom Erwachsenwerden im Osten Deutschlands während der 1970er Jahre. Sie zeigt anhand ihrer 16-jährigen Protagonisten den Prozess des Bewusstwerdens der eigenen Situation und Schritte der psychosozialen Reifung auf. Ich habe die Geschichte mit Interesse gelesen und empfehle sie daher gerne weiter.

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Veröffentlicht am 28.08.2023

Ein ergreifender Debütroman, voller Liebe und Verlangen

Cleopatra und Frankenstein
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Eine kleine Erbschaft hat es der 24-jährigen Britin Cleo ermöglicht nach New York zu ziehen, um dort Kunst zu studieren. Am Silvestertag begegnet sie dem zwanzig Jahre älteren Frank im Aufzug, nachdem ...

Eine kleine Erbschaft hat es der 24-jährigen Britin Cleo ermöglicht nach New York zu ziehen, um dort Kunst zu studieren. Am Silvestertag begegnet sie dem zwanzig Jahre älteren Frank im Aufzug, nachdem beide eine Party vor Mitternacht verlassen haben. Während sie sich in der Stadt mühsam über Wasser hält und noch nicht weiß, wie es für sie weitergehen soll, wenn ihr Studienvisum in absehbarer Zeit abläuft, betätigt Frank sich erfolgreich als Werbetexter mit eigener Agentur. Die ungleichen Charaktere sind die titelgebenden Figuren und Protagonisten des Romans Cleopatra und Frankenstein – als Verballhornung der Vornamen gedacht - von Coco Mellors in einer gelungenen Übersetzung von Lisa Kögeböhn.

Bereits bei ihrem ersten Zusammentreffen springt ein Funken bei Cleo und Frank über, den ich auch als Leserin wahrnehmen konnte. Die beiden liefern sich zu Beginn ihrer neuen Freundschaft einen amüsanten Schlagabtausch, bei dem sie zugibt, dass sie sich gefühlsmäßig in Liebesdingen zurückhält, vermutlich um sich nicht zu binden und bald nicht nur das Land, sondern auch jemand Geliebtes zurückzulassen. Auch später war es für mich als Lesende nicht immer einfach, Cleos Gefühle nachzuvollziehen.

Die Protagonistin versteht es, sich mit wenigen Mitteln passend und auffallend zu kleiden, jedoch zurückhaltend aufzutreten. Aufgrund ihrer Heirat mit Frank nach nur einem halben Jahr Beziehung erhält sie eine Greencard. Sie genießt es, sich ganz ihrer Kunst hingeben zu können, Beziehungen sind für sie nachrangig. Cleo und Frank haben schwachen Seiten, respektieren aber einander. Jedoch beginnt Cleo an ihrer Liebe zu zweifeln, als Frank immer wieder über die Strenge schlägt, obwohl beide sich gerne einem ausschweifenden Lebensstil hingeben.

Coco Mellors erzählt in der zeitlichen Abfolge der Ereignisse über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren hinweg. In den Kapiteln stellt sie jeweils eine andere Person in den Fokus, einerseits Verwandte, andererseits auch Freunde, was die Geschichte abwechslungsreich gestaltet. Beispielsweise gerät Quentin, der seit langer Zeit Cleos bester Freund ist, in die Gefahr, sich mit mehr als einem Joint zu berauschen. Einige Kapitel gehören dem Koch Santiago mit dem beide Protagonisten befreundet sind und der noch nach Jahren seiner verstorbenen Frau nachtrauert. Auch Franks deutlich jünger Halbschwester Zoe steht hin und wieder im Mittelpunkt, vor allem wenn sie erneut Mittel für ihren Lebensunterhalt benötigt, den er größtenteils bezahlt.

Die Kapitel werden aus einer auktorialen Erzählperspektive heraus geschildert. Eine Ausnahme macht die Autorin bei Eleanor, der neuen Angestellten im Büro von Frank. In einer Art Flash Fiktion erzählt sie in der Ich-Form. In schneller Abfolge der geschilderten Szenen entstand bei mir beim Lesen ihr Leben, aus dem sie viele Details preisgibt.

Ich mochte den abwechslungsreich gestalteten Schreibstil gern und verfolgte gespannt die Entwicklung jeden Charakters über die Zeit hinweg. Coco Mellors schildert Liebe in vielen Variationen und lässt ihre Figuren dabei emotionale Höhen und Tiefen überwinden, die deren Handeln meist nachvollziehbar machen. Die Autorin verschweigt nicht die Schattenseiten, die ein Leben mit Rauschmitteln verschiedener Art nach sich zieht. Ich fragte mich beim Lesen, wie viel von dem Geschilderten sie selbst erlebt hat.

Im Buch „Cleopatra und Frankenstein“ lässt Coco Mellors die Lesenden hinter die Fassade einer Gesellschaftsschicht New Yorks schauen, die sich gerne selbst verwöhnt. Die Geschichte ist dialoglastig, wodurch genauso traurig stimmende, berührende wie auch humorvolle Szenen kreiert werden, die die Figuren mit all ihren Facetten offenbaren. Ein ergreifender Debütroman, voller Liebe und Verlangen, den ich gerne weiterempfehle.

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