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Veröffentlicht am 24.08.2021

Eine gelungene Mischung aus Spannung und Historie

Der Tod und das dunkle Meer
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„Der Tod und das dunkle Meer“ ist nach „Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle“ der zweite Roman des englischen Autors Stuart Turton und bietet wie dieser dem Leser eine höchst komplexe und verschachtelte ...

„Der Tod und das dunkle Meer“ ist nach „Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle“ der zweite Roman des englischen Autors Stuart Turton und bietet wie dieser dem Leser eine höchst komplexe und verschachtelte Geschichte, die keinem Genre eindeutig zuzuordnen ist. Die Bezeichnung Kriminalroman wird dem Buch nur in Ansätzen gerecht, denn bei dieser Genrezuordnung werden sowohl die historischen als auch die mystischen Anteile außen vor gelassen. Und natürlich bleiben damit auch die Elemente, die wir von maritimen Abenteuerromanen kennen, unberücksichtigt. Apropos Schauplatz, Romane, die an Bord eines Schiffes verortet sind, haben ihre eigene Magie. Der abgeschlossenen Raum, die genau definierten Personengruppe, das Fehlen äußerer Einflüsse, die Ohnmacht gegenüber den Elementen und das daraus resultierende Gefühl des Ausgeliefertseins, all das macht auch die Faszination von Stuart Turtons „Der Tod und das dunkle Meer“ aus.

Im Jahr 1634 ist ein Dreimaster der Ostindien-Kompanie von Indonesien aus auf dem Weg nach Amsterdam. An Bord befindet sich neben anderen Passagieren nicht nur der Generalgouverneur von Batavia samt Frau, sondern auch der Meisterdetektiv Samuel Pipps und dessen Freund und Assistent Leutnant Arent Hayes. Den Gouverneur erwartet am Ankunftsort eine Ehrung, den Detektiv der Galgen. Aber bis es soweit ist, gilt es noch jede Menge Gefahren abzuwehren, Geheimnisse zu lüften und Abenteuer zu bestehen.

Das Setting orientiert sich an den klassischen Kriminalromanen, wobei ein Schiff als „locked room“ eher ungewöhnlich ist. Alle an einem Ort, keiner kann entkommen. Und auch die Schilderungen des Schiffsalltags wirken lebendig und authentisch, mit Seefahrer-Romantik hat das nichts zu tun. Man sieht den Dreck, riecht den Gestank und empört sich über die Brutalität, mit der nicht nur die Matrosen behandelt werden. Und auch die Charakterisierung der Personen ist dem Autor gut gelungen, obwohl er die Leser:innen öfter über deren Handlungsmotive im Unklaren lässt und mit überraschenden Wendungen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit aufwartet. Zuletzt die Themen, die Turton abarbeitet. Diese sind vielfältig, laufen aber fast alle auf den ewigen Widerstreit zwischen Gut und Böse hinaus. Freundschaft und Loyalität, Versuchung und Gier, und nicht zuletzt wird interessanterweise auch die Stärke der Frauenfiguren in beeindruckender Weise zur Sprache gebracht.

Eine fesselnde Mischung aus Spannung und Historie, angereichert mit jeder Menge Überraschungsmomenten. Gelungen!

Veröffentlicht am 23.08.2021

Innenansichten

Russische Botschaften
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Yassin Musharbash bezeichnet sich selbst als „Terroronkel“. Als Investigativjournalist beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit der Thematik und hat dazu in den vergangenen Jahren bereits zwei spannende ...

Yassin Musharbash bezeichnet sich selbst als „Terroronkel“. Als Investigativjournalist beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit der Thematik und hat dazu in den vergangenen Jahren bereits zwei spannende Politthriller („Radikal“ und „Jenseits“) geschrieben. In seinem neuen Roman „Russische Botschaften“ steht allerdings ein anderes Thema im Fokus. Es geht um gezielt lancierte Desinformationskampagnen des russischen Geheimdienstes. Und wo könnte man diese Ereignisse besser verorten als in Berlin, der Hauptstadt der Spione, ein Setting, das bereits den großen John le Carré inspiriert hat, für den Musharbash einige Zeit als Rechercheur tätig war.

Merle Schwalb, Journalistin beim Nachrichtenmagazin Globus wird zu den investigativen Drei Fragezeichen versetzt, dem Mini-Team, das besonders heikle Themen an- und ausgräbt. Und die werden ihr in Form eines Selbstmörders quasi auf dem silbernen Tablett präsentiert, denn dieser landet nach einem Sturz vom Balkon direkt vor Merles Füßen. Die öffentlich zugänglichen Informationen zu diesem Todesfall wecken ihr Misstrauen, und als dann noch eine geheimnisvolle Namensliste auftaucht, die Verbindungen zum russischen Geheimdienst vermuten lässt, schließen sich die Investigativen des Globus mit den Kollegen der Norddeutschen Zeitung NZ zusammen, um Licht in das Dunkel zu bringen. Ein brisantes Unterfangen, denn auf der Liste sind auch die Namen zweier Kollegen zu finden.

Musharbash lässt uns mit diesem Roman tief in die klein-klein Recherchearbeit von Investigativjournalisten eintauchen, die im vorliegenden Fall ihr Konkurrenzdenken zur Seite schieben. Ein Sonderfall, denn hier geht es weniger darum, welches Nachrichtenorgan die Lorbeeren einstreicht und zuerst mit einer wasserdichten Story an die Öffentlichkeit geht. Es geht vielmehr um Journalistenehre, um Propaganda, um Wahrheit und Lüge, um Fake-News und die Rolle der Cyberkriminalität im Nachrichtenwesen. Es geht um die Wege, die gegangen werden müssen, um belastbare Fakten vorlegen zu können. Es geht um das Wer und das Warum, wobei letzteres, zumindest in den Fällen der westlichen Beteiligten, relativ schnell geklärt ist, Money makes the world go round.

Keine Frage, diese Innenansichten sind spannend, aber mir unterm Strich zu einseitig, denn sie bedienen einmal mehr die Mär der bösen Russen samt ihres Staatsoberhauptes, ganz im Sinne des westlichen Narrativs. Eine etwas differenziertere Herangehensweise an das Thema wäre wünschenswert gewesen.

Veröffentlicht am 21.08.2021

Hirsch rules!

Barrier Highway
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Paul „Hirsch“ Hirschhausen ist die Ein-Mann-Polizeidienststelle in Tiverton, der Kleinstadt im südaustralischen Outback. Sein Revier ist groß, aber dennoch hat er bei seinen täglichen Streifenfahrten immer ...

Paul „Hirsch“ Hirschhausen ist die Ein-Mann-Polizeidienststelle in Tiverton, der Kleinstadt im südaustralischen Outback. Sein Revier ist groß, aber dennoch hat er bei seinen täglichen Streifenfahrten immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Menschen. Üblicherweise sind es eher Kleinigkeiten, mit denen er es zu tun hat, nicht die ausgeklügelten Verbrechen, wobei sich aber auch diese auf den ersten Blick harmlosen Vorfälle zu etwas Größerem auswachsen können.

Beispiele gefällig? Da gibt es den Wäschedieb, der die Unterwäsche älterer Frauen von den Leinen entwendet, das vernachlässigte, unterernährte Kind, zu dessen Rettung Hirsch gerufen wird, der wütende Vater, den er in der Grundschule beruhigen muss, die Gemeindemitglieder, die Bedenken haben, dass ihre Investitionen in ein geplantes Musikfestival in dunklen Kanälen verschwinden, die betrügerischen irischen Wanderarbeitet, die für die Instandsetzung angeblich maroder Dächer eine alte Frau um einen horrenden Geldbetrag bringen, und nicht zuletzt ein Vater/Sohn Duo mit einer tödlichen Mission. Und wenn das noch nicht genug wäre, muss sich Hirsch auch noch mit einer Stalkerin herumschlage, die jeden seiner Schritte beobachtet.

Zwar dauert es etwas, bis all diese Handlungsstränge in „Barrier Highway“ verknüpft sind, aber durch die stimmungsvollen Schilderungen von Land und Leute kommt zu keinem Zeitpunkt Langeweile auf. Und wie Disher schlussendlich all diese Ereignisse in Zusammenhang bringt, die Fäden jederzeit geordnet in der Hand hält, das ist große Schreibkunst und zeigt einmal mehr, dass es nicht der blutrünstigen Schilderung abscheulicher Morde bedarf, der sich weniger talentierte Autoren gerne bedienen, um Spannung zu generieren.

Ein Kriminalroman von einem Meister seines Fachs, mit einem menschenfreundlichen Sympathieträger im Zentrum und einem Plot, der ohne die gerade in diesem Genre mittlerweile so verbreiteten voyeuristischen Schilderungen möglichst abartiger Verbrechen auskommt. Äußerst spannend und unterhaltsam, und deshalb nachdrücklich empfohlen.

Veröffentlicht am 18.08.2021

Ein Jahreshighlight!

Shuggie Bain
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Der Booker Prize ist der wichtigste Literaturpreis, mit dem seit 1969 jährlich der beste in Großbritannien veröffentlichte englischsprachige Roman ausgezeichnet wird. 2020 erhält ihn Douglas Stuart (als ...

Der Booker Prize ist der wichtigste Literaturpreis, mit dem seit 1969 jährlich der beste in Großbritannien veröffentlichte englischsprachige Roman ausgezeichnet wird. 2020 erhält ihn Douglas Stuart (als zweiter schottischer Autor in dessen einundfünfzigjähriger Geschichte) für sein Debüt „Shuggie Bain“ @hanserberlin. Und ohne meiner Wertung vorgreifen zu wollen, diese Auszeichnung war wohlverdient.

Die achtziger Jahre in Glasgow sind geprägt von den Auswirkungen, die Thatchers Politik „for the few not the many“ zu verantworten hat. Das Land ist gespalten in Arme und Reiche. Der Süden erhält Unterstützungen und prosperiert, im Norden werden Zechen geschlossen und die alten Industriestädte sich selbst überlassen. Massenentlassungen sind die Folge. Die Arbeitslosigkeit ist immens und die Armut nimmt zu, weil die Regierung sich aus ihrer Verantwortung stiehlt. Das Leben der Kinder und Jugendlichen in den heruntergekommenen Arbeitervierteln ist trist und ohne Perspektive.

Douglas Stuart erzählt eine an seine eigene Biografie angelehnte Geschichte. Schreibt über die Auswirkungen der Armut, über Sucht und Missbrauch, aber auch über Co-Abhängigkeit und eine bedingungslose Liebe. Dies macht er mit einer Intensität, die einem fast das Herz zerreißt. Aber er erzählt auch von dem Leben eines Jungen, der nicht in die vorgeformten Rollenklischees passt. Der keinen Fußball, aber dafür Puppen und die Little Ponies mag, sich an schönen Dingen erfreut, seine Mutter anbetet und die Augen vor deren exzessiven Trinkgewohnheiten verschließt, obwohl er tagtäglich mit deren Auswirkungen konfrontiert wird. Der die Hoffnung nicht verliert, sie eines Tages retten zu können, bis er erkennen muss, dass der Einzige, den er retten kann, er selbst ist.

Eine zutiefst bewegende, ein traurige Geschichte. Mit „Shuggie Bain“ ist dem Autor ein aus der Vielzahl der Neuerscheinungen herausragender Roman gelungen, den ich so schnell nicht vergessen werde.

Veröffentlicht am 17.08.2021

Wo Reacher draufsteht...

Der Spezialist
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Es ist an der Zeit langsam Abschied zu nehmen, denn „Der Spezialist“ ist das vorletzte Buch aus der Reacher-Reihe, das komplett aus der Feder des Autors stammt. Und einmal mehr setzt Lee Child das bewährte ...

Es ist an der Zeit langsam Abschied zu nehmen, denn „Der Spezialist“ ist das vorletzte Buch aus der Reacher-Reihe, das komplett aus der Feder des Autors stammt. Und einmal mehr setzt Lee Child das bewährte Konzept um: Der Protagonist reist durch Amerika, landet 1.) in einem kleinen Städtchen, hilft 2.) jemandem aus der Bredouille und handelt sich 3.) damit eine Menge Ärger ein, was aber kein Problem ist, weil Reacher immer gewinnt. So auch diesmal, denn wo Reacher draufsteht, ist Reacher drin.

Okay, also dann. Jack Reacher ist auf dem Weg nach Westen und unterbricht die Fahrt in Laconia, New Hampshire, weil dieser Ort mit seiner Familiengeschichte verknüpft ist, sein Vater dort gelebt hat. Natürlich trifft er dort auf eine junge Frau in Not, die sich eines Angreifers nicht erwehren kann. Reacher greift ein und verpasst dem Kerl eine tüchtige Abreibung, nicht wissend, dass es sich bei diesem um den Sohn eines einflussreichen Unterweltlers handelt, den es natürlich nach Rache dürstet. Er hetzt ihm seine Handlanger auf den Hals und es kommt zu tätlichen Auseinandersetzungen. Soweit so bekannt, so vorhersehbar.

Jetzt kommt der zweite Handlungsstrang ins Spiel, denn zeitgleich strandet ein kanadisches Pärchen nach einer Autopanne in einem zwielichtigen Motel außerhalb des Städtchens. Hat erstmal nichts mit unserem Serienhelden zu tun, die Verbindung ergibt sich erst später, als Reacher zufällig dort landet und ihnen zur Hilfe eilt.

Was allerdings aufgrund dieser diversen Aktionen etwas in den Hintergrund rückt, ist die Suche nach der Vergangenheit seines Vaters, denn es gibt keine aussagekräftigen Aufzeichnungen, sondern nur vage Hinweise darauf, dass dieser an der Tötung eines tyrannischen Soziopathen beteiligt war. Aber Reacher weckt mit seiner Herumschnüffelei schlafende Hunde, was unweigerlich Ärger nach sich zieht. Unterstützt wird er von der ortsansässigen Polizistin, aber diese ist, wie so oft in Childs Thrillern, nur schmückendes Beiwerk.

Natürlich ist diese Reihe erfolgreich. Der Leser weiß, dass ihn Spannung gepaart mit Action und keine Abhandlung über Raketenwissenschaft erwartet. Und ja, das ist, wenn auch vorhersehbar, äußerst unterhaltsam, gerade weil man weiß, das der Serienheld manchmal lädiert, aber immer als Sieger aus seinen Auseinandersetzungen hervorgeht. Aber ich denke, dass selbst dem Autor die ewig gleichen Variationen des Themas genug sind und nichts mehr hergeben. Ob die Übergabe an seinen Bruder Andrew Child, der bereits unter dem Pseudonym Andrew Grant einige Thriller veröffentlicht hat, neue Impulse bringt bleibt abzuwarten.