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Veröffentlicht am 06.11.2024

Freundschaften als Plädoyer für Europa?

Herrliche Zeiten - Die Himmelsstürmer
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Peter Prange bleibt auch in „Herrliche Zeiten“, Auftaktband der Himmelsstürmer-Dilogie, dem Konzept treu, das wir von seinen früheren Romanen kennen. Historische Ereignisse bilden den Hintergrund der Handlung ...

Peter Prange bleibt auch in „Herrliche Zeiten“, Auftaktband der Himmelsstürmer-Dilogie, dem Konzept treu, das wir von seinen früheren Romanen kennen. Historische Ereignisse bilden den Hintergrund der Handlung und werden mit den individuellen Biografien bekannter oder fiktiver Persönlichkeiten verbunden, deren Leben und Handeln stellvertretend für den Zeitgeist der Epoche stehen.

1871, der Deutsch-Französische Krieg ist vorbei, man kann wieder nach vorne schauen. Es ist eine Zeit des Umbruchs, der Erneuerung. Aufbruchsstimmung macht sich in Europa breit, und in dem böhmischen Kurort Karlsbad treffen drei junge Leute aufeinander, die diese Veränderungen stellvertretend repräsentieren und ein Teil der neuen Zeit sind. Das Trio besteht aus (dem fiktiven) Paul Biermann, einem Bauingenieur aus Berlin (der maßgeblich am Bau des Kurfürstendamms beteiligt sein wird), dem Franzosen Auguste Escoffier, einem ambitionierten Nachwuchskoch (der nicht nur in Frankreich sondern auch in England seine Spuren hinterlassen und die Organisation der Profiküche revolutionieren wird), der als einer der ersten Kochbuch-Autoren und als Begründer der Haut-Cuisine gilt, und schließlich ist da noch Vicky, die siebzehnjährige Engländerin aus gutem Hause, die zwar kein besonderes Talent, dafür aber einen berühmten Verwandten vorzuweisen hat, nämlich Joseph Paxton, den Konstrukteur des Crystal Palace, der anlässlich der ersten Weltausstellung in London errichtet wurde.

In den folgenden dreißig Jahren begleiten wir ihre Lebenswege, die sich immer wieder, mal mehr, mal weniger intensiv, kreuzen und untrennbar mit der europäischen Geschichte verbunden sind. Allerdings wollte bei mir der Funke nicht wirklich überspringen. Zu beliebig und vorhersehbar sind die Berührungspunkte der drei Freunde. Sie haben sich mit ihrem Leben arrangiert. Natürlich gibt es das eine oder andere Drama, was bei dieser Konstellation zu erwarten ist. Genau, es ist zu erwarten, ergo sind Überraschungen Mangelware, hat man alles schon vielfach gelesen. Tja, und auch die zeitgeschichtlichen Referenzen fand ich über weite Strecken eher nichtssagend in dieser Story verarbeitet. Der Bau des Kurfürstendamms, um nur ein Thema zu erwähnen, das lang und breit behandelt wurde. Wen interessiert das? Mich jedenfalls nicht. Lediglich der Handlungsstrang, der sich mit Escoffier beschäftigte, hat bei mir Interesse geweckt. Aber um dieses Thema zu vertiefen, greife ich dann doch lieber zu einer Biografie, die diese erdachten privaten Verwicklungen ausspart.

Ein Roman über Freundschaft, über Völkerverständigung? Ein Plädoyer für Europa? Vielleicht war das die Intention des Autors, war aber leider nicht überzeugend. Herausgekommen ist eine trockene, vorhersehbare, oberflächliche Story, die zudem noch viel zu konventionell, langatmig und behäbig erzählt wird, woran auch die Kapitel aus wechselnder Sicht leider nichts ändern konnten. Die Fortsetzung werde ich mir ersparen.

Veröffentlicht am 29.10.2024

Nicht nur eine amerikanische Katastrophe

Armut
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Es war einmal…Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo man angeblich vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen kann. Diese Zeiten sind längst vorbei. Mittlerweile ist die Zahl derjenigen, ...

Es war einmal…Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo man angeblich vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen kann. Diese Zeiten sind längst vorbei. Mittlerweile ist die Zahl derjenigen, die von Armut betroffen sind, rasant angestiegen. „Mehr als 38 Millionen Menschen können ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen…mehr als eine Million Kinder im schulpflichtigen Alter sind obdachlos und leben in Motels, Autos etc.“ (Vorwort, S. 14). Ein Grund für Matthew Desmond, sich die Ursachen genauer anzuschauen.

Matthew Desmond, Soziologe an der Princeton University und 2017 Pulitzer-Preisträger für sein Buch „Evicted: Poverty and Profit in the American City“ (dt. „Zwangsgeräumt: Armut und Profit in der Stadt“, 2018 bei Ullstein), ist selbst in prekären Verhältnissen aufgewachsen und beschäftigt sich schon lange mit diesem Thema. Die Ergebnisse seiner Recherche und die Schlussfolgerungen, die er daraus zieht, sind nicht überraschend.

Seine Kritikpunkte bezüglich des Steuersystems kann ich nachvollziehen, treffen diese doch 1:1 auch für Deutschland zu. Hier wie dort werden sowohl Wohlhabenden als auch den großen Unternehmen von den Regierungen eine Unmenge an Vorteilen gewährt, seien das nun Steuererleichterungen, Subventionen oder Rettungsschirme, die unterm Strich von der arbeitenden Bevölkerung finanziert werden müssen. Eine gerechte Besteuerung, die auch die multinationalen Konzerne einschließt, könnte hier problemlos Abhilfe schaffen und Geld in die Kassen spülen.

Natürlich leugnet Desmond nicht, dass Armut systemisch und in den Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit Ethnie und Herkunft betrachtet werden muss, aber er macht noch einen weiteren Schuldigen dafür aus, nämlich die Mittelschicht ist, die daraus Profit zieht und deshalb kein Interesse an einer Abschaffung der Armut hat. Es sind die finanziell Abgesicherten, denen er vorwirft, die Vermehrung des eigenen Wohlstands an erste Stelle setzen. Die Arbeitgeber, die deshalb niedrige Löhne zahlen, oder die Vermieter, die den knappen Wohnungsmarkt zum Vorwand nehmen, um hohe Mieten einzufordern. Eine provokante Aussage, die allerdings meiner Meinung nach etwas übers Ziel hinausschießt.

Keine Frage, „Armut. Eine amerikanische Katastrophe“ liefert jede Menge Denkanstöße für Leser und Leserinnen, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen, insbesondere, weil auch hierzulande laut Statistischem Bundesamt ca. 17,7 Millionen Menschen wg. Auswirkungen der Pandemie, Inflation, Verlust der Arbeitsstelle etc. von Armut bedroht sind (Zahlen von 2023). Lesen!

Veröffentlicht am 28.10.2024

Infomaterial zum Thema Windkraft, aber kein Krimi

Black Forest
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In „Black Forest“, Band 11 der Georg Dengler-Reihe, schickt der Autor seinen in Stuttgart ansässigen Protagonisten zurück in das Dorf seiner Kindheit. Grund dafür ist ein Anruf der dortigen Polizei, die ...

In „Black Forest“, Band 11 der Georg Dengler-Reihe, schickt der Autor seinen in Stuttgart ansässigen Protagonisten zurück in das Dorf seiner Kindheit. Grund dafür ist ein Anruf der dortigen Polizei, die ihn davon in Kenntnis setzt, dass seine Mutter offenbar davon überzeugt ist, dass sich in der Nacht verdächtige Gestalten auf ihrem Hof herumtreiben. Ist seine Mutter in Gefahr oder gleitet sie allmählich in eine Altersdemenz ab? Beunruhigende Nachrichten, die dafür sorgen, dass er sich umgehend auf den Weg macht, auch wenn sich alles in ihm dagegen sträubt, in die Enge des Schwarzwaldes zurückzukehren, die er schon so lange hinter sich gelassen hat.

Ich verfolge diese Reihe seit Beginn, rechne also damit, dass sich auch dieses Buch mit einem aktuellen politischen Thema beschäftigt. Genau deshalb habe ich die Denglers gerne gelesen, auch wenn die eingearbeiteten Passagen mit den entsprechenden Hintergrundinformationen immer wieder für Längen gesorgt und Distanz zur Handlung geschaffen haben. In dem vorliegenden Band wurde allerdings meiner Meinung nach den Bogen überspannt.

Anfangs durch die stimmungsvollen Landschaftsbeschreibungen und Dialekteinsprengsel eher Richtung Heimatroman, entwickelt sich die Story zunehmend in Richtung eines Thesenpapiers zur aktuellen Energiepolitik und Klimadebatte, in der gebetsmühlenartig die Vorteile der Windkraft aufgeführt werden. Und die Rollen sind klar verteilt. Die Gegner, im politischen Spektrum rechts angesiedelt, sind entweder unzureichend informiert oder haben monetäre Interessen, die Befürworter, edel, hilfreich und gute Klimaschützer hingegen, handeln aus hehrer Motivation.

Es ist offensichtlich, dass der Autor seine Leserschaft von den Vorteilen der Windkraft überzeugen möchte, aber mit Spannungsliteratur hat dieser 11. Fall von Dengler so überhaupt nichts zu tun. Zäh, langatmig, überfrachtet mit Studienergebnissen und mit erhobenem Zeigefinger geschrieben, quält man sich von Seite zu Seite.

Wenn ich ein Wahlprogramm oder eine Eloge auf Ricarda Lang lesen möchte, greife ich üblicherweise nicht zu einem Kriminalroman. Und was wird das nächste Thema sein? Ein Krimi über die Vorteile von Wärmepumpen? Tut mir leid, aber das war’s für mich mit dieser Reihe.

Nachtrag, damit kein falscher Eindruck entsteht: Wir haben seit vielen Jahren eine PV-Anlage auf dem Dach, erzeugen unser Warmwasser mittels Solarthermie und beziehen unseren Strom von den Stromrebellen (EWS).

Veröffentlicht am 28.10.2024

Der schwächste Band der Reihe

Die weiße Stunde
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Wien 1923, die Zeit zwischen den Weltkriegen. Wien liegt am Boden, hat sich in einen Albtraum verwandelt. Die Wirtschaftslage ist katastrophal, die Inflation galoppiert, der Schwarzmarkt floriert, die ...

Wien 1923, die Zeit zwischen den Weltkriegen. Wien liegt am Boden, hat sich in einen Albtraum verwandelt. Die Wirtschaftslage ist katastrophal, die Inflation galoppiert, der Schwarzmarkt floriert, die Rattenfänger bekommen Zulauf. Hunger und Not bestimmen den Alltag, Angst und Verzweiflung greift um sich. Viele Menschen wissen nicht mehr aus noch ein, die Selbstmorde und ungeklärten Todesfälle häufen sich, die Opfer werden auf dem Friedhof der Namenlosen bestattet.

Aber nicht alle Toten sind ohne Namen. Als August Emmerich samt seines Assistenten Ferdinand Winter zu einem Tatort abkommandiert werden, stellen sie schnell fest, dass das Opfer sich in den höheren Kreisen bewegte und ihre Gunst recht freigiebig verteilte. Aber wer könnte ein Interesse daran haben, sie zu töten? Ein interessanter Hinweis kommt von Wertheim, einem pensionierten Inspektor, der sie auf eine ungelöste Mordserie hinweist, die zehn Jahre zurückliegt. Ist der damalige Täter etwa wieder aktiv?

Die Krimihandlung ist dünn, aber wie bereits in den fünf Vorgängern ist es auch in diesem Band vor allem den Kenntnissen der Archäologin Daniela Larcher aka Alex Beer zu verdanken, die sich redlich bemüht, die Atmosphäre in dieser schwierigen Zwischenzeit zu vermitteln. Leider konzentriert sie sich diesmal meiner Meinung nach zu sehr auf die gesellschaftlichen Aktivitäten der Wohlhabenden und die Beschreibung von historischen Gebäuden und deren Nutzung (siehe dazu auch das Nachwort), sodass für die problematischen Lebensumstände der „normalen“ Menschen in dieser Zeit wenig Raum bleibt. Sie werden zwar erwähnt, nehmen aber leider nur wenig Raum ein, und auch im zwischenmenschlichen Bereich fehlt der Charme der Vorgänger. So kommt „Das weiße Band“ leider über weite Strecken recht beliebig daher und ist somit für mich der schwächste Band der Reihe. Kann man lesen, muss man aber nicht.

Veröffentlicht am 22.10.2024

Unsensibel, reißerisch und derb

Wintersonnenwende (Wolf und Berg ermitteln 2)
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„Wintersonnenwende“, das zweite Gemeinschaftsprojekt des schwedischen Autorenduos Pascal Engman und Johannes Selåker startet mit einem Prolog, in dem der Untergang des Ostsee-Fährschiffs Estonia 1994 thematisiert ...

„Wintersonnenwende“, das zweite Gemeinschaftsprojekt des schwedischen Autorenduos Pascal Engman und Johannes Selåker startet mit einem Prolog, in dem der Untergang des Ostsee-Fährschiffs Estonia 1994 thematisiert wird, bei dem 852 Menschen den Tod finden. Was dies, zumindest in Ansätzen, für die Handlung bedeutet, wird sich gegen Ende des Kriminalromans zeigen.

Wie bereits im Vorgänger „Sommersonnenwende“ laufen zunächst zwei Handlungsstränge parallel, in denen die bereits bekannten Protagonisten, Kommissar Tomas Wolf und die Journalistin Vera Berg, unabhängig voneinander agieren: Wolf und sein Kollege Zingo Johanssen werden in der Silvesternacht zu einem Einsatz beordert. Ein Mann wurde erschossen, und es wird sich im Lauf der Ermittlungen herausstellen, dass er früher für die Säpo gearbeitet hat. Aber welche Rolle spielt die junge Prostituierte, die unbekleidet fluchtartig den Tatort verließ? Vera Berg hingegen ist auf der Suche nach einer exklusiven Story, die nicht nur ihre Position in der Aftonbladet-Redaktion sondern auch ihr hohes Gehalt sichert. Und dann hat sie ja auch noch das ungute Gefühl, dass Wolf etwas mit dem bis dato ungeklärten Verschwinden seines Bruders zu tun haben könnte…

Soweit die Ausgangssituation in diesem Kriminalroman, in dem im Wesentlichen drei Themen die Story bestimmen und, warum auch immer, in eine Handlung gepresst werden, die einfach nur plump, reißerisch und derb daherkommt. Es geht um Spionage, Elternschaft und Prostitution.

Ich gehöre ja nun nicht zur zartbesaiteten Fraktion, hatte aber während des Lesens permanent ein unbehagliches Gefühl, weniger Schock als Ekel, was im Wesentlichen an den Beschreibungen der brutalen Gewalt lag, der die Frauen ausgesetzt waren.

Unsensibel mit entsprechender Wortwahl, bis ins Kleinste detailliert beschrieben, worauf man problemlos hätte verzichten können, da hier lediglich das voyeuristische Interesse der Leser bedient wird und keinerlei Bezug zum Fortgang der Handlung ersichtlich ist. Vom Ende ganz zu schweigen, in dem plötzlich eine Person aus dem Hut gezaubert wird, die während der gesamten Story kein Thema war.

Offenbar ist man in Schweden noch immer auf der Suche nach einem Nachfolger für das Autorenduo Sjöwall/Wahlöö, die mit ihrer gesellschaftskritischen, zehnbändigen Krimireihe, erschienen zwischen 1965 und 1975, ein neues Kapitel in der skandinavischen Kriminalliteratur aufschlugen. Eines ist gewiss, Engman und Selåker sind es nicht.