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Veröffentlicht am 14.11.2022

Eine melancholische Geschichte, vollgepackt mit persönlichen Tragödien

Feldpost
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Wer die Romane von Mechtild Borrmann kennt, weiß um die ganz besondere Fähigkeit dieser Autorin, Einzel- oder Familienschicksale mit zeitgeschichtlichen Themen zu verbinden, wobei ihr besonderes Interesse ...

Wer die Romane von Mechtild Borrmann kennt, weiß um die ganz besondere Fähigkeit dieser Autorin, Einzel- oder Familienschicksale mit zeitgeschichtlichen Themen zu verbinden, wobei ihr besonderes Interesse nicht nur der Zeit rund um den Zweiten Weltkrieg sondern auch den Auswirkungen gilt, die Kriegseinsatz oder Flucht oder Alltag im Nationalsozialismus auf die junge Generation haben. Für ihren neuen Roman „Feldpost“ hat sie im Deutschen Tagebucharchiv in Emmendingen recherchiert, in dem seit 1998 private Lebenserinnerungen (aktuell ca. 25.000 Zeitzeugnisse von über 5.000 Menschen) aus der Zeitspanne 18. Jahrhundert bis hin zur Gegenwart aufbewahrt werden.

Alles beginnt mit einer alten Aktentasche, voll mit vergilbten Fotos, Briefen und einem unleserlichen Kaufvertrag, zurückgelassen von einer Unbekannten, die sich in einem Café an den Tisch der Anwältin Cara Russo setzt und kurz darauf spurlos verschwindet. Deren Bemühen, die Tasche samt Inhalt dem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben, lässt sie tief in die tragische Geschichte zweier Geschwisterpaare in den Kriegs- und Nachkriegsjahren des Zweiten Weltkriegs eintauchen. Eine Geschichte, die geprägt von einer großen Liebe ist, die nicht sein darf und im Verborgenen gelebt werden muss. Von einer Liebe, die zurückgewiesen wird und deshalb Schuld auf sich lädt. Von einem Freundschaftsdienst, der schmählich verraten und ausgenutzt wird, der letztendlich nur Mittel zum Zweck der eigenen Bereicherung ist. Eine Geschichte, die zeigt, welches Leid solche Erfahrungen den Menschen zufügen.

Borrmann erzählt wie immer sehr feinfühlig auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen, wobei die Gegenwart nur einen kleinen Raum einnimmt. Durch kurze Kapitel und wechselnde Erzählperspektiven taucht man tief in Leben und Fühlen der Protagonisten ein, ist an Cara Russos Seite und setzt wie diese Stück für Stück das Puzzle dieser melancholischen Geschichte voll persönlicher Tragödien zusammen. Aber es gibt auch einen Wermutstropfen, denn alles in allem entwickelt sich der Plot doch recht vorhersehbar in eine Richtung, die man so (oder so ähnlich) schon mehrfach gelesen hat. Schade.

Veröffentlicht am 10.11.2022

Politisch, spannend und unterhaltsam – wie erwartet eine gute Mischung

Die dunkle Spur des Blutes
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Vorbemerkung: „Die dunkle Spur des Blutes“ des schottischen Autors Stuart MacBride ist der zwölfte Band in der McRae-Reihe, und natürlich kann man diesen Tartan Noir ohne Vorkenntnis der anderen Bücher ...

Vorbemerkung: „Die dunkle Spur des Blutes“ des schottischen Autors Stuart MacBride ist der zwölfte Band in der McRae-Reihe, und natürlich kann man diesen Tartan Noir ohne Vorkenntnis der anderen Bücher lesen. Aber um die persönlichen Hintergründe sowie die Interaktionen der verschiedenen Personen besser einordnen zu können, empfehle ich die chronologische Lektüre.

DI Logan McRae ist nach einjähriger Rekonvaleszenz zurück im Job. Eigentlich hat er für die Wiedereingliederung auf einen einfachen Job gehofft, aber dieser Wunsch soll nicht in Erfüllung gehen, da seine Chefin andere Pläne mit ihm hat. Ein umstrittener Verfassungsrechtler, der seine Meinung zu den schottischen Unabhängigkeitsbestrebungen immer wieder lautstark in den sozialen Medien kundgetan hat, ist spurlos verschwunden. Nicht der übliche Vermisstenfall, denn die Blutspuren auf seinem Küchentisch und das Päckchen mit brisantem Inhalt, das wenig später BBC Schottland erhält, sprechen eine andere Sprache.

Verantwortlich für den Fall ist DI King. Dieser ist nicht unumstritten, da ihm Kontakte zu nationalistischen Terroristen nachgesagt werden und eine Enthüllungsstory droht. McRae soll dies überprüfen und ihn gleichzeitig während der Ermittlungen im Auge behalten. Eine mehr als undankbare Aufgabe, die auch seinen Kopf kosten könnte.

Dass schottische Autoren gerne gesellschaftspolitisch relevante Themen in ihre Kriminalromane einarbeiten, weiß jeder, dessen Interesse den Vertretern des Tartan Noir gilt. McIlvanney, Rankin, Mina, Brookmyre und wie sie alle heißen mögen, aber kaum eine/r beherrscht diese unnachahmliche Mischung aus Dunkel und Licht, brutalem Verbrechen und schwarzem Humor, wie MacBride. Mit dieser Fähigkeit ausgestattet, kann er auch ein solch emotionales und politisches Thema wie die polarisierenden Debatten und ihre hässlichen Auswirkungen rund um die schottische Unabhängigkeit zur Sprache bringen.

Politisch, spannend und unterhaltsam – wie erwartet eine gute Mischung.

Veröffentlicht am 08.11.2022

Der Anfang ist gemacht

Felix Blom. Der Häftling aus Moabit
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Alex Beer ist eine der ersten Adressen, wenn es um historische Kriminalromane geht, die die jeweilige Zeitgeschichte stimmig in die Handlung einarbeiten, was sie bereits mit den beiden vorliegenden Reihen ...

Alex Beer ist eine der ersten Adressen, wenn es um historische Kriminalromane geht, die die jeweilige Zeitgeschichte stimmig in die Handlung einarbeiten, was sie bereits mit den beiden vorliegenden Reihen um Inspektor August Emmerich (Handlungsort: Wien / Handlungszeitraum: nach dem Ersten Weltkrieg) und Antiquar Issak Rubinstein (Handlungsort: Nürnberg / Handlungszeitraum: 1942) bewiesen hat. Dritter im Bunde ist nun Felix Blom, der Meisterdieb, der für einen Einbruch, den er nicht begangen hat, drei Jahre Haft abgesessen und nun in die Freiheit entlassen wird. Die Inspiration zu diesem Protagonisten liefert, wie die Autorin im Nachwort mitteilt, Eugène François Vidocq, einstmals Krimineller, später Begründer und erster Direktor der Sûreté nationale und gemeinhin als Vater der modernen Kriminalistik bezeichnet.

Berlin 1878, „Felix Blom. Der Häftling aus Moabit muss sich gezwungenermaßen recht schnell mit seinen neuen Lebensumständen arrangieren. Er braucht eine Unterkunft und, noch wichtiger, eine Arbeitsstelle. Wenn er beides nicht vorweisen kann, werden sich in kürzester Zeit die Tore der Haftanstalt wieder hinter ihm schließen. Doch wie es der Zufall will, kommt ihm ein alter Bekannter zur Hilfe, was zumindest das Wohnungsproblem löst. Und dann ist da noch Mathilde Voss, eine ehemalige Prostituierte, die in der Nachbarwohnung wenig erfolgreich eine Detektei betreibt. Vielleicht könnte ein männlicher Kompagnon sie endlich auf die Erfolgsspur bringen? Zähneknirschend stimmt sie Bloms Vorschlag zu und stellt ihn als Mitarbeiter ein. Allerdings hat dieser aber mittlerweile ganz andere Sorgen. Nicht nur, dass er endlich seine Unschuld beweisen möchte, da ist auch noch diese Nachricht, die er anonym erhalten hat und in der sein Tod angekündigt wird…

Keine Frage, die Autorin versteht es, nicht zuletzt durch gründliche Recherchearbeit, Zeit und Umgebung, in denen ihre historischen Kriminalromane spielen, detailliert und darum auch überzeugend zu präsentieren. Reale historische Ereignisse werden mit dem Alltagsleben der Menschen verbunden und schaffen so eine stimmige Atmosphäre. Aber dennoch, im Vergleich mit der Emmerich-Reihe zieht Felix Blom eindeutig den Kürzeren, was mit Sicherheit dem Umstand geschuldet ist, dass Ersterer von Beginn an mit diversen Handicaps sowohl physischer als auch psychischer Natur, zu kämpfen hat, die die Sympathien des Lesers wecken. Blom hingegen konnte mich bisher nicht überzeugen, und das gilt in gleichem Maß für Mathilde. Beide wirken noch zu glatt, sind kaum zu greifen, wecken keine Emotionen, weder Mitgefühl noch Abneigung. Bleibt zu hoffen, dass sich das im Laufe der Reihe ändern wird.

Veröffentlicht am 06.11.2022

Ein Gesellschaftsroman, der gerne eine Kriminalgeschichte wäre. Oder doch umgekehrt?

Unschuld
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Im Zentrum von Takis Würgers neuem Roman „Unschuld“ steht Molly Carver, dreiundzwanzig, an Angststörungen und Panikattacken leidend und deshalb medikamentenabhängig. Sie lebt mit ihrem Onkel Mick in einer ...

Im Zentrum von Takis Würgers neuem Roman „Unschuld“ steht Molly Carver, dreiundzwanzig, an Angststörungen und Panikattacken leidend und deshalb medikamentenabhängig. Sie lebt mit ihrem Onkel Mick in einer kleinen Kellerwohnung in Queens, in der sämtliche Freiflächen mit Zeitungsartikeln über ihren Vater Florentin beklebt sind. Dieser hat sich des Mordes am Sohn der vermögenden Rosendales aus dem Hudson Valley schuldig bekannt und sitzt nun seit zehn Jahren in der Todeszelle. Nun steht der Termin für seine Hinrichtung fest und Molly, überzeugt von seiner Unschuld, bleiben nur 35 Tage, um diese zu beweisen. Dafür muss sie aber in die Vergangenheit eintauchen, und wo könnte das besser gelingen als auf dem Anwesen der Rosendales?

Ein Plot, der vertraut klingt und den wir aus zahlreichen Justizthrillern kennen. Allerdings sind es dort in der Regel die Profis, die sich dieser Herausforderung annehmen und seltener bis nie eine junge Frau mit zahlreichen Handicaps. Dieser Thriller-Aspekt tritt aber relativ schnell in den Hintergrund und macht Platz für jede Menge gesellschaftspolitischer Themen, die sich dem Autor bei seinen Aufenthalten in den Vereinigten Staaten offenbar aufgedrängt haben. Allerdings liegen diese, auch wenn man die amerikanischen Verhältnisse nur auch der Ferne betrachtet, so glasklar auf der Hand, dass man darüber kaum noch sprechen muss: Soziale Ungerechtigkeit, Superreiche, die über dem Gesetz stehen, Arme, die ihre Seele verkaufen, die Macht der Waffenlobby, tief verankert durch den zweiten Zusatzartikel zur Verfassung, Medikamentenmissbrauch, Todesstrafe und seltene Krankheit. Wenig überraschen, thematisch überfrachtet, aber genauso oberflächlich abgehandelt wie die Beschreibungen der persönlichen Beziehungen.

Ein Gesellschaftsroman, der gerne eine Kriminalgeschichte wäre? Oder doch umgekehrt? Funktioniert leider auf beiden Ebenen nicht zufriedenstellend.

Veröffentlicht am 28.10.2022

Rezepte und mehr...

Neues Backen
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Seit 2011 betreibt die Amerikanerin Laura Kratochvila die Bäckerei „Fine Bagels“, die auf jüdische Backwaren spezialisiert ist. Ihr Knowhow hat die aufgeschlossene Wahleuropäerin im Rahmen einer klassischen ...

Seit 2011 betreibt die Amerikanerin Laura Kratochvila die Bäckerei „Fine Bagels“, die auf jüdische Backwaren spezialisiert ist. Ihr Knowhow hat die aufgeschlossene Wahleuropäerin im Rahmen einer klassischen Ausbildung in Frankreich erworben und auf den verschiedenen Stationen ihres Lebensweges perfektioniert. Und nun lässt sie uns mit ihrem gerade veröffentlichten Buch „Neues Backen“ an ihren Fähigkeiten teilhaben, wobei sie sich aber nicht nur auf Rezepte beschränkt, sondern auch kulturhistorische Hintergründe und deren Auswirkungen auf das Bäckerhandwerk erläutert.

Und hier sind wir auch schon an dem Punkt, der „Neues Backen“ ausmacht. Nachdem die professionelle Bäckerzunft jahrhundertelang fest in männlicher Hand war und sich hin zu industrialisierten Produkten entwickelt hat, hat man in den vergangenen Jahren die Begeisterung für regionale und saisonale Backwaren entdeckt und damit Rezepte reaktiviert, die von Generation zu Generation von Müttern und Großmüttern zwar weitergegeben, aber auch individuell und kreativ weiterentwickelt wurden.

Laura Kratochvila nimmt uns mit 99 Backrezepten, aufgeschlüsselt in 5 Kapitel, auf eine Reise durch Europas Backstuben mit und stellt uns gleichzeitig die Visionen und Rezepte von herausragenden Bäckerinnen und Bäcker vor. Von Brot und Brötchen (inklusive einer detaillierten Beschreibung für die Herstellung von Sauerteig), über Brioches und angereicherte Teige, Plunderteil und Blätterteig, Tartes und Plätzchen, bis hin zu Konfitüren, Füllungen Toppings und Cremes, ist alles vertreten, was man über die Herstellung süßer und herzhafter Backwaren wissen muss. Alle Arbeitsschritte werden ausführlich und mit Zeitangaben beschrieben, so dass auch weniger Geübte mit den Rezepten zurechtkommen sollten. Aber gleichzeitig bieten die jedem Kapitel vorangestellten Grundrezepte genügend Spielraum, damit auch Hobbybäcker*innen ihre Kreativität ausleben können.

Eine empfehlenswerte Rezeptsammlung, für Anfänger und Fortgeschrittene gleichermaßen geeignet.