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Veröffentlicht am 12.04.2024

Aktuell und spannend

Das Auge der Nacht
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Hier ist er nun, „Das Auge der Nacht“, Band 8 der erfolgreichen Rönning/Stilton-Reihe des schwedischen Autorenduos Cilla und Rolf Börjlind. Und nach dem weniger gelungenen Vorgänger „Der gute Samariter“ ...

Hier ist er nun, „Das Auge der Nacht“, Band 8 der erfolgreichen Rönning/Stilton-Reihe des schwedischen Autorenduos Cilla und Rolf Börjlind. Und nach dem weniger gelungenen Vorgänger „Der gute Samariter“ gehen die beiden hier von Beginn an thematisch in die Vollen. Olivia, Tom, Mette, Abbas, Marten, Luna, alle arbeiten mit Nachdruck daran, die Drahtzieher eines Menschenhändlerrings zu entlarven und dingfest zu machen, der ukrainische Migrantinnen für seine schmutzigen Geschäfte benutzen. Ein weiterer Handlungsstrang beschäftigt sich mit einem russischen Oligarchen, der sich mit seiner Luxusjacht nach Südfrankreich abgesetzt hat und dort für eine ausgewählte Klientel exklusive Veranstaltungen anbietet.

Und auch im Privatleben der Protagonisten geht es rund. Mette und Tom arbeiten mit den Silberwölfen, einer Gruppe von Polizisten im Ruhestand, am Fall des vom Hochhaus gestürzten Toten. Wer war er? Hat er sich das Leben genommen oder wurde er gestoßen? Olivia ist mitten in einer Auszeit von ihrem Künstlerfreund. Aber ist hier vielleicht auch die endgültige Trennung unausweichlich? Abbas bekommt überraschenden Besuch von seiner Mutter, die vor Jahrzehnten Mann und Kinder ohne ein Wort verlassen hat. Warum taucht sie gerade jetzt auf? Über Tom hängt derweil das Damoklesschwert der ermordeten Organhändlerin aus dem Samariter-Band, denn mittlerweile wurden DNA-Spuren gefunden. Kann man ihn der Tat überführen? Und was ist mit dem „Auge der Nacht“, diesem sagenumwobenen Fabergé-Ei, das plötzlich verschwunden ist?

Kurze Kapitel aus verschiedenen Perspektiven sorgen für anhaltende Spannung und Tempo, wobei die 412 Seiten mit den unterschiedlichsten Themen (s.o.) vollgepackt sind. Hier zeigt sich die Erfahrung der Börjlinds, die neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit auch noch äußerst erfolgreich als Drehbuchschreiber tätig sind, schaffen sie es doch mühelos, diese verschiedenen Handlungsstränge zu verzahnen und zu einem gelungenen und runden Abschluss zu bringen, der alle offenen Fragen beantwortet.

Allerdings gibt es zwei Punkte, die nicht unerwähnt bleiben sollen. Bereits nach Prolog und erstem Kapitel habe ich mit dem Gedanken gespielt, das Buch zur Seite zu legen, waren mir diese Schilderungen zu Beginn dann doch zu voyeuristisch aufbereitet. Glücklicherweise lässt das aber im Verlauf der Story nach und pendelte sich auf das von Thrillern gewohnte Normalmaß ein. Tja, und dann wird noch das Klischee dahingehend bedient, dass die Drahtzieher und kriminellen Handlanger natürlich nicht aus Schweden bzw. der westlichen Hemisphäre sondern aus Osteuropa und dem Nahen Osten kommen. Etwas zu plump und meiner Meinung nach völlig überflüssig.

Veröffentlicht am 11.04.2024

Leichen im Keller und jede Menge Drama

Sommerhaus am See
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Es ist Sommer, die Zeit im Jahr, in der sich Familie Starling (Eltern und die beiden erwachsenen Söhne samt Partner), in ihrem Sommerhaus in North Carolina versammelt. Zum letzten Mal, denn Lisa und Richard ...

Es ist Sommer, die Zeit im Jahr, in der sich Familie Starling (Eltern und die beiden erwachsenen Söhne samt Partner), in ihrem Sommerhaus in North Carolina versammelt. Zum letzten Mal, denn Lisa und Richard haben beschlossen, nach Ende ihres Berufslebens nach Florida umzusiedeln und das Haus zu verkaufen. Die Bezeichnung Haus für den umgebauten und in die Jahre gekommenen Trailer klingt für außenstehende Beobachter doch recht optimistisch und scheint mir eher den Zustand der brüchigen Beziehungen innerhalb dieser Familie zu symbolisieren, in der weitestgehend der äußere Schein dominiert und die Leichen im Keller gut verborgen bleiben.

Was als entspannte Sommerferien beginnt, nimmt allerdings eine unvorhersehbare Wendung. Ein Kind ertrinkt im See, die Starlings werden Zeuge, können die Tragödie aber nicht verhindern. Es ist dieser tragische Unfall, der lang Verdrängtes aus Vergangenheit und Gegenwart an die Oberfläche spült und die damit verbundenen Auseinandersetzungen befeuert, was Sichtweisen und Beziehungen innerhalb der Familie verändert.

Es ist jede Menge Drama, die der Autor der Familie auflädt. Kaum ein Thema, das ausgelassen wird: Kindstod, Alkoholismus, Depression, Homosexualität, Medikamentenabhängigkeit, Arbeitslosigkeit, Verschuldung, Schwangerschaft, Suizid, Untreue. Etwas zu viel für meinen Geschmack. Aber vielleicht sind das ja die Probleme, mit denen die typisch amerikanische Mittelschichtsfamilie zu kämpfen hat. Who knows?

Veröffentlicht am 09.04.2024

Leichte Kost

Der blaue Salamander
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In Luca Venturas fünftem Kriminalroman der Rizzi/Cirillo-Reihe steht der titelgebende „blaue Salamander“ stellvertretend für eine verschwundene Designertasche, die aus dem Leder dieser endemischen Eidechsenart ...

In Luca Venturas fünftem Kriminalroman der Rizzi/Cirillo-Reihe steht der titelgebende „blaue Salamander“ stellvertretend für eine verschwundene Designertasche, die aus dem Leder dieser endemischen Eidechsenart gefertigt ist, welche auf den Faraglioni-Felsen vor Capri lebt. Die Tasche ist nicht nur eine Rarität und im Besitz von Signora de Lulla, sondern auch ein Objekt der Begierde, auf das die Designerin Rosalinda Fervidi ein Auge geworfen hat. Nun wird aber genau deren Leiche in dem Beichtstuhl der hiesigen Kirche gefunden und selbige Designertasche ist spurlos verschwunden. Ein Fall für die Mordkommission Neapel, die auch schnell einen Täter präsentieren kann. Salvatore, der Straßenkehrer, wird des Mordes an Rosalinda Fervidi beschuldigt, was Inselpolizist Enrico Rizzi allerdings bezweifelt. Und so beginnen er und seine Kollegin Antonia Cirillo auf eigene Faust zu ermitteln.

Wie bereits in den Vorgängern hat sich der Autor auch hier wieder einen Aspekt herausgesucht, der für die Insel im Golf von Neapel typisch ist. Capri lebt noch immer von seinem früheren Nimbus, jener Zeit, in der die Reichen, Schönen und Berühmten sich die Insel als Sommerresidenz auserkoren haben. Dazu passt natürlich das Thema der blauen Eidechse perfekt, deren Leder für die exklusive Handtasche verarbeitet wurde.

Dazu kommen nette Landschaftsbeschreibungen für die ehemaligen oder zukünftigen Besucher dieser Urlaubsinsel, hin und wieder hinlänglich bekannte Einblicke in die familiären Strukturen der beiden Hauptfiguren und die üblichen Kabbeleien mit den Kollegen aus Neapel, die (wie immer) glauben, alles besser zu wissen, aber am Ende (wie immer) kleinlaut eingestehen müssen, dass sie falsch liegen.

Das bleibt für meinen Geschmack alles zu sehr an der Oberfläche, da sich Ventura leider noch immer nicht traut, die wirklich heißen Eisen anzupacken, die für den italienischen Süden ein Thema wären. Ich vermute, dass es auch auf Capri die üblichen Probleme Italiens gibt, die z.B. Donna Leon in die Handlung ihrer nicht minder spannenden Brunetti-Krimis einflicht.

Kann man lesen, wenn man „leichte“ Kost und Krimínalromane bevorzugt, die lediglich Urlaubsfeeling transportieren, aber ansonsten relativ spannungsarm sind.

Veröffentlicht am 06.04.2024

MI6 und Der dritte Mann

Das Haus am Gordon Place
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Dass Karina Urbach spannende Spionagethriller schreiben kann, hat sie hinlänglich mit dem 2017 „Cambridge 5 – Zeit der Verräter“ (unter dem Pseudonym Hannah Coler veröffentlicht) bewiesen.

Nun also „Das ...

Dass Karina Urbach spannende Spionagethriller schreiben kann, hat sie hinlänglich mit dem 2017 „Cambridge 5 – Zeit der Verräter“ (unter dem Pseudonym Hannah Coler veröffentlicht) bewiesen.

Nun also „Das Haus am Gordon Place“, ein Kriminalroman, erzählt auf zwei Zeitebenen samt der dazugehörigen Handlungsorte: In der Gegenwart wird in der Wohnung eines Historikers im Londoner Stadtteil South Kensington eine Leiche gefunden, was den Geheimdienst auf den Plan ruft. Seltsam, oder? Um Motiv und Täter zu entschlüsseln, zeigt es sich sehr bald, dass dafür ein Ausflug in die Vergangenheit nötig ist.

Grund für das Interesse des Geheimdienstes ist Daphne Parson, eine ehemalige Bewohnerin im Haus am Gordon Place, was den Handlungsstrang in der Gegenwart mit dem der Vergangenheit verbindet. 1948 ist diese nämlich als Agentin für den MI6 tätig. Ihr Arbeitsplatz befindet sich in einem extra für diese Zwecke gegrabenen Tunnel in Wien, von dem aus eine Gruppe britischer Nachrichtenoffiziere den russischen Telefonverkehr abhört.

In einem dieser Telefonate erkennt Parson die Stimme eines SS-Schergen wieder. Eine Stimme, die sie in die Vergangenheit in Griechenland zurück versetzt und ein altes Trauma wieder aufleben lässt. Ihr Wunsch nach Rache wird übermächtig, aber dafür muss sie unbemerkt in den russischen Sektor gelangen. Eine Möglichkeit bietet sich förmlich an, denn genau zu dieser Zeit laufen im unterirdischen Wien die Vorbereitungen für die Verfilmung von Graham Greenes „Der dritte Mann“. Und was könnte unverfänglicher sein, als sich unter die zahlreichen Hilfskräfte am Drehort zu schmuggeln? Und dann ist da ja auch noch ein Goldschatz, dessen Verbleib bis heute nicht hinreichend geklärt ist.

Die Historikerin Karina Urbach zeichnet in ihrem Roman ein realistisches Bild der Wiener Nachkriegszeit. Es ist die Anfangszeit des Kalten Krieges, im geteilten Wien sind die Siegermächte bemüht, Informationen über die Gegenseite zu sammeln und sich dadurch Vorteile zu sichern. Spione treiben ihr Unwesen, beäugen sich misstrauisch, wechseln die Seiten. Elend, Mangel und Hunger bestimmen den Alltag der einfachen Menschen, die für eine Scheibe Brot Skrupel und Moral vergessen.

Frau Urbach hat ihre Hausaufgaben gemacht, was nicht nur aus dem Nachwort sondern auch aus dem umfangreichen Quellenmaterial ersichtlich ist. Viele der Akteure haben reale Vorbilder, allen voran Daphne Parson, die im Wesentlichen auf der MI6-Agentin Daphne Park, Baroness Park of Monmouth, basiert. Aber auch die Filmemacher Reed und Korda hatten offenbar Verbindungen zum britischen Geheimdienst, so dass bis heute in weiten Teilen völlig unklar ist, was sich in den Abwasserkanälen im Wiener Untergrund warum zugetragen hat. Diente der Film nur als Vorwand für größere,geheime Operationen? Wer weiß…

Höchst informativ, spannend und mit viel Tempo erzählt. Lesen. Unbedingt!

Veröffentlicht am 01.04.2024

Zwei Brüder, zwei Leben, ein Suizid

O Brother
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John und Gary. Zwei Brüder. Zwei Leben, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Geboren in Irvine, einer schottischen Kleinstadt, setzt John, der Ältere, alles daran, diese zu verlassen. Guter Schüler, ...

John und Gary. Zwei Brüder. Zwei Leben, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Geboren in Irvine, einer schottischen Kleinstadt, setzt John, der Ältere, alles daran, diese zu verlassen. Guter Schüler, Studium in Glasgow, Karriere in der Musikindustrie, erfolgreicher Schriftsteller. Alles paletti. Ganz anders Gary, das schwarze Schaf, der den Absprung nicht schafft. Von Anfang an ein schwieriges Kind, unangepasst, eigensinnig, zornig. Er überfordert die Familie, woraufhin insbesondere der Vater immer öfter zuschlägt. Gary kehrt der Familie den Rücken, gleitet ab, strauchelt, rappelt sich wieder auf, gerät auf die schiefe Bahn, macht Schulden, bittet seinen Bruder um Hilfe, was dieser ablehnt, und begeht schließlich mit 42 Jahren Selbstmord.

John möchte verstehen und nutzt dafür die Mittel, die er beherrscht. Er schreibt. Schreibt sich die Trauer von der Seele, erinnert sich in „O Brother“ an Situationen aus der gemeinsamen Vergangenheit. An Situation der Nähe, aber auch an die schwierigen Zeiten. An Liebe und Unverständnis. An Zeiten, in denen sie gemeinsame Wege gegangen sind. An Höhen und Tiefen, bis jeder von ihnen in einen andere Richtung abgebogen ist.

Ein ungeschönter Rückblick, bei dem sich auch Niven nicht schont. In welcher Situation hat er falsch reagiert, was hätte er besser machen können? Wo hat die Familie versagt? Das Elternhaus, in dem seitens des Vaters das Verständnis für den „Missratenen“ fehlt und Prügel an der Tagesordnung sind?

John Nivens Erinnerungen an seinen Bruder Gary setzen diesem ein Denkmal .Zwar gibt es durchaus auch, wie wir es von dem Autor kennen, schwarzhumorige Passagen in „O Brother“, aber dennoch ist dieses Memoir über weite Strecken herzzerreißend, das unvergessliche Porträt einer Geschwisterbeziehung. Große Leseempfehlung.