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Veröffentlicht am 23.10.2018

Ein gefälliger Schmöker für dunkle Herbsttage

Die Suche
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Scarborough, North Yorkshire, an der englischen Ostküste. Auf der einen Seite die Nordsee, auf der anderen Seite die Hochmoore des North York Moors Nationalparks. Mädchen verschwinden, spurlos, und als ...

Scarborough, North Yorkshire, an der englischen Ostküste. Auf der einen Seite die Nordsee, auf der anderen Seite die Hochmoore des North York Moors Nationalparks. Mädchen verschwinden, spurlos, und als nach einem Jahr vergeblicher Suche endlich eine Leiche auftaucht, macht schnell die Rede vom Hochmoor-Killer die Runde. Von außen betrachtet sind die betroffenen Familien intakt, schaut man aber genauer hin erkennt man deren Dysfunktionalität.

Aber Scarborough ist auch die Heimat von Kate Linville, DS bei Scotland Yard, die momentan vor Ort ist, um ihr total verwüstetes Elternhaus für den geplanten Verkauf auf Vordermann bringen zu lassen. Da sich auch die Tochter ihrer Bed & Breakfast Vermieter unter den Verschwundenen befindet, bitten diese um ihre Hilfe, obwohl für den Fall eigentlich DCI Caleb Hale von der hiesigen Polizei zuständig ist. Link-Lesern sind die beiden bereits aus dem 2015 erschienenen Kriminalroman „Die Betrogene“ bekannt, an den die Autorin in „Die Suche“ lose anknüpft. Was diese beiden angeht, ist noch alles beim Alten: Linville, die talentierte Ermittlerin, ist noch immer das graue Mäuschen ohne Selbstbewusstsein auf der Suche nach Akzeptanz und einer Beziehung, Hale ist ein Abhängiger und ist sich dessen auch bewusst, kämpft jeden Tag mit seiner Alkoholsucht. Mir war das etwas zu leblos und holzschnittartig, ich hätte mir etwas mehr Tiefgang gewünscht.

Auf 656 Seiten breitet Charlotte Link diesen Fall aus, wobei der Story eine Straffung sicherlich gut getan hätte. Die erste Hälfte erschöpft sich in endlosen Wiederholungen, es sind keinerlei Fortschritte im Handlungsverlauf zu erkennen. Alles ist klein klein, jedes Detail wird bis zum Äußersten ausgereizt, weshalb die Lektüre in diesem Stadium äußerst ermüdend für den Leser ist. In der zweiten Hälfte nimmt die Geschichte dann aber glücklicherweise Fahrt auf, entwickelt Spannung und weckt das fast erloschene Interesse des Lesers.

Was man Link zugutehalten muss, sie verliert nie den Überblick und schafft es, die verschiedenen Perspektiven – Linville, Hale, Opfer, Familien und Entführer – schlüssig weiterzuentwickeln, das große Ganze im Auge zu behalten und schlussendlich zu einem befriedigenden Ende zu bringen.

Fazit: Ein gefälliger Schmöker für dunkle Herbsttage, der Durchhaltevermögen erfordert und keine großen Ansprüche an den Leser stellt.

Bei der Bewertung habe ich zwischen drei und vier Sternen geschwankt und mich letztlich für vier entschieden, da die Autorin das geliefert hat, was man von ihr erwartet.

Veröffentlicht am 23.10.2018

Ein Roman für meine Jahresbestenliste

Mein Ein und Alles
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Gabriel Tallent ist mit „Mein Ein und Alles“ ein Roman gelungen, der keinen Leser unberührt lassen wird, und ich kann mich der Meinung Stephen Kings anschließen, der dieses Debüt als ein Meisterwerk bezeichnet ...

Gabriel Tallent ist mit „Mein Ein und Alles“ ein Roman gelungen, der keinen Leser unberührt lassen wird, und ich kann mich der Meinung Stephen Kings anschließen, der dieses Debüt als ein Meisterwerk bezeichnet und es mit den großen Klassikern der amerikanischen Literatur vergleicht. Für mich ist es eine Mischung aus Thoreaus „Walden“ und Woodrells „Winter’s Knochen“. Thoreau wegen der ausufernd detaillierten Beschreibungen einer ungebändigten Natur, Woodrell wegen Turtle, dem Mädchen, das allerdings erst im Laufe der Handlung zu dieser Stärke gelangt, die Ree Dolly von Beginn eigen ist. Außerdem ist ein wichtiges Thema - und zutiefst amerikanisch - die Bedeutung der Waffen, deren Gebrauch und Pflege eine zentrale Rolle in diesem Roman einnimmt.

Tallent beschreibt eine Vater/Tochter-Story, die von Obsession, Dominanz und Missbrauch erzählt, aber gleichzeitig ist es auch die Geschichte der Befreiung aus einer zerstörenden Beziehung. Seit dem Tod der Mutter lebt Turtle mit ihrem Vater in den nordkalifornischen Wäldern. Es ist ein dreckiges, rohes Leben für das Mädchen, geprägt von physischen und psychischen Misshandlungen durch den obsessiven, in Waffen vernarrten Vater, der schöngeistmäßig einerseits die Werke der großen Philosophen liest, andererseits seine Tochter regelmäßig vergewaltigt. Die Gefühle des Mädchens sind widersprüchlich, sie hasst ihn und sie liebt ihn, ist er doch ihre einzige Bezugsperson. Aber dann lernt sie Jacob kennen, einen gleichaltrigen Jungen, der ihr zeigt, dass Beziehungen auch anders funktionieren können. Und das ist der Auftakt für Turtles schmerzhafte Befreiung von ihrem Vater.

Es ist ein eindringliches Leseerlebnis. Der Autor verlangt uns einiges ab. Manchmal muss man das Buch einfach zur Seite legen und das Gelesene sacken lassen, weil man die Brutalität in dieser Vater/Tochter-Beziehung kaum noch aushalten kann. Im Gegensatz dazu steht die Sprache, so poetisch und federleicht, die ein Gegengewicht schafft. Absolut beeindruckend, mit einer Protagonistin, die man so schnell nicht vergessen wird. Keine Frage, ein Roman für meine Jahresbestenliste!

Veröffentlicht am 23.10.2018

Für Freunde des Hardboiled-Genres ein absolutes Muss!

Das dunkle Herz der Stadt
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George Pelecanos, amerikanischer Autor mit griechischen Wurzeln, ist in Washington D.C. aufgewachsen. Und es ist das Leben in dieser Metropole, die sein Schreiben geprägt hat, die in seinen Romanen immer ...

George Pelecanos, amerikanischer Autor mit griechischen Wurzeln, ist in Washington D.C. aufgewachsen. Und es ist das Leben in dieser Metropole, die sein Schreiben geprägt hat, die in seinen Romanen immer wieder in den Vordergrund drängt. So auch in „Das dunkle Herz der Stadt“, dem Abschlussband der Nick Stefanos-Trilogie, erstmals 1995 erschienen, nun endlich auch von Karen Witthuhn sehr stimmig ins Deutsche übersetzt und in dem fränkischen Verlag ars vivendi erschienen. Bleibt zu hoffen, dass der Roman viele Leser findet – verdient hätte er es allemal, auch wenn die Hauptfigur Nick Stefanos nicht der typische Sympathieträger ist. Ex, das ist das vorherrschende Persönlichkeitsmerkmal von Stefanos. Ex-Cop und Ex-Privatdetektiv, ein Säufer, der die Spirituosen auf Ex kippt, zu denen er durch seinen Job als Barkeeper unbeschränkten Zugang hat.

Als er nach einem seiner Alkoholexzesse völlig derangiert am Flussufer erwacht, erinnert er sich vage daran, dass er in der vergangenen Nacht den gedämpften Knall eines Schalldämpfers gehört haben könnte. Gehört haben könnte, wie jemand ermordet wurde. Er hat sich nicht getäuscht, die Leiche eines Jugendlichen wird im Wasser gefunden. Aber interessiert sich jemand für die Aufklärung? Für die Polizei ist es nur ein Fall unter vielen. Ein ermordeter schwarzer Teenager? Schnell erledigt, ganz klar eine Gang-Geschichte, ein Junkie, Drogen - kann man ad acta legen. Nicht so Nick, der Zweifel an dieser Theorie hegt, vor allem, weil auch ein Freund des Mordopfers von der Bildfläche verschwunden ist. Da ist er wieder, sein Schnüfflerinstinkt, der ihm keine Ruhe lässt. Und der so heftig an ihm nagt, dass er die Nachforschungen selbst in die Hand nimmt, unterstützt von Jack LaDuke, der Auftrag hat, den vermissten Freund des Opfers zu finden.

Es gibt zwei Protagonisten in diesem Kriminalroman. Einerseits natürlich Nick Stefanos, der uns aus der Ich-Perspektive an den Ermittlungen in diesem Fall sowie auch äußerst ausführlich an seinem Leben teilnehmen lässt. Zum anderen die Unterwelt von Washington, Hauptstadt am Potomac, nicht glitzernd und glänzend sondern trostlos, dunkel und dreckig und kalt, deren Darstellung über die Jahre sich der Autor verschrieben hat. Er nimmt uns mit in die verrufenen Viertel, in die Sozialbauten, die „Projects“, wo die Verlierer des amerikanischen Traums hausen. Es ist eine Reise in die Finsternis, authentisch gestaltet durch Filmtitel, Automarken und natürlich die allgegenwärtige Musik aus dem Autoradio.

Nix für Zartbesaitete, aber für Freunde des Hard boiled-Genres ein absolutes Muss!