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Veröffentlicht am 02.01.2024

Desperta ferro!

Essex Dogs
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Wenn ein gestandener Historiker einen Ausflug in die Belletristik unternimmt, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder hält er sich an die historisch verbürgten Fakten, behält das große Ganze im Blick, ergänzt ...

Wenn ein gestandener Historiker einen Ausflug in die Belletristik unternimmt, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder hält er sich an die historisch verbürgten Fakten, behält das große Ganze im Blick, ergänzt dieses und erweckt es in seinem Roman zum Leben, oder er greift eine einzelne Persönlichkeit bzw. ein Ereignis heraus, biegt sich im einen oder anderen Fall die Fakten zurecht und nutzt sie lediglich als Hintergrund für einen historisch inspirierten Roman, in dessen Zentrum nicht die Historie sondern individuelle Schicksale stehen.

Mit den „Essex Dogs“, Auftakt einer geplanten Trilogie, ist es dem englischen Historiker und Bestsellerautor Dan Jones gelungen, diesen beiden Möglichkeiten zu verbinden. Herausgekommen ist ein unterhaltsamer Roman über eine zehnköpfige Söldnertruppe, die 1346 in den Anfangstagen des Hundertjährigen Krieges im Auftrag des englischen Königs Edward in der Normandie an Land geht, um dessen Anspruch auf den französischen Thron im Zuge einer großangelegten Invasion durchzusetzen. Die Normandie ist allerdings nur der Anfang einer Reise, in der die Essex Dogs zahlreiche Scharmützel überleben müssen, bis die am Ende Crécy erreichen, wo die entscheidende Schlacht geschlagen wird.

Die titelgebenden Dogs sind ein bunter Zusammenschluss aus zehn Männern aus den verschiedensten Ecken Englands, die für jeden in die Schlacht ziehen, der sie bezahlt und damit ihren Lebensunterhalt sichert. Angeführt werden sie von Loveday Fitz Talbot, einem erfahrenen Veteran, der allerdings allmählich des Kämpfens überdrüssig wird. Zu viele Freunde hat er schon auf den Schlachtfeldern verloren. Ins Grübeln kommt er insbesondere dann, wenn er sich den sechzehnjährigen Romford, den jüngsten seiner drei Bogenschützen anschaut, der in der zweiten Buchhälfte als Knappe dem verzogenen Sohn des Königs zugeteilt wird.

Loveday und Romford, es sind genau diese beiden Männer, die den Beschreibungen der Schlachten, in die die Dogs involviert sind, Tiefe und Dramatik verleihen. Leider hat Jones darauf verzichtet, die Charaktere der übrigen acht Männer annähernd so detailliert wie diese beiden zu beschreiben. Umso mehr konzentriert er sich auf die Darstellung der Schlachten, das Wühlen im Dreck, die Grausamkeiten und das dreckige Handwerk des Tötens. Angereichert werden diese Beschreibungen des Söldnerlebens durch nachdenkliche Passagen, aber teilweise auch entschärft durch jede Menge Flüche und schwarzhumorige Kommentare.

Eine spannende und fesselnde Saga im Stil bekannter Serienformate, die gelungen Fakten und Fiktion verbindet, aber mehr Wert auf die Beschreibung von Actionszenen als auf historischer Genauigkeit legt. Wer sich für Militärgeschichte interessiert, wird hier weniger auf seine Kosten kommen als diejenigen, die eine unterhaltsame Story über eine von kriegerischen Auseinandersetzung geprägte Epoche des dunklen Mittelalters lesen möchten.

Veröffentlicht am 06.12.2023

Shakespeare light

Ich, Lady Macbeth
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Shakespeare? Schon viel über ihn, doch noch keines seiner Werke gelesen. Aber dafür habe ich sein Geburtshaus in Stratford-upon-Avon sowie den Nachbau des Globe Theatre am Südufer der Themse in London ...

Shakespeare? Schon viel über ihn, doch noch keines seiner Werke gelesen. Aber dafür habe ich sein Geburtshaus in Stratford-upon-Avon sowie den Nachbau des Globe Theatre am Südufer der Themse in London besucht.

Seine Stücke waren schon immer ein Quell der Inspiration für Autoren. Man denke an das Hogarth-Shakespeare-Projekt aus dem Jahr 2013, als renommierte Autorinnen/Autoren Neuinterpretationen seiner Stücke geschrieben haben. Beteiligt daran waren u.a. Margaret Atwood, Ann Tyler, Edward St Aubyn, aber auch Jo Nesbø, der sich „Macbeth“ widmete. Und dessen Version vom Leben und Sterben des schottischen Königs ist auch die einzige, die ich kenne, weshalb ich recht unbedarft an Isabelle Schulers „Ich, Lady Macbeth“ herangegangen bin.

Der Roman nimmt uns mit ins frühmittelalterliche Schottland und wirft einen Blick auf die Kindheit und Jugend von Gruoch, der späteren Lady Macbeth, Enkelin des früheren Königs Coinneach. Das Christentum ist nun die offizielle Religion im Norden. Obwohl das Erbe der Pikten ausgelöscht werden soll, werden deren Riten noch immer im Verborgenen praktiziert, auch in Gruochs Familie. Ihre Großmutter hat druidische Wurzeln, und ein Besuch bei ihr wird Gruochs Leben bestimmen, denn sie hat in einer Vision eine große Zukunft für ihre Enkelin gesehen:

„Du wirst die Größte von uns allen sein. Dein Ruhm wird sich in ganz Schottland bis nach England ausbreiten. Alles Land, das deine Füße berühren und das deine Augen sehen, wird dir gehören. Du wirst viel mehr sein. Du wirst unsterblich sein.“

Und es ist diese Prophezeiung, die das Leben und das Handeln des Mädchens in den kommenden Jahren bestimmen wird. Gruoch verinnerlicht sie, setzt alles daran, Herrscherin von Schottland zu werden, und folgt zielgerichtet und mit viel Kalkül diesem Plan.

Schulers Blick auf Gruoch ist feministisch geprägt und zeigt am Beispiel der Protagonistin ungeschönt die Rolle der Frau in dieser von Männern dominierten Welt, in der eine junge Frau mit List, Intrigen und jeder Menge Wut agieren muss, um ans Ziel zu gelangen. Sympathiepunkte konnte sie bei mir nicht sammeln, dafür war sie bei all ihrem Handeln zu verbissen, zu skrupellos, zu sehr auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Natürlich darf man bezweifeln, ob eine Heranwachsende tatsächlich so zielgerichtet und rational vorgeht, wie wir es bei der Protagonistin sehen. Aber da die spätere Lady Macbeth in der Tat eine real existierende Person war, ist davon auszugehen, dass das eine oder andere Körnchen Wahrheit in diesem Roman zu finden ist.

Ein interessanter, unterhaltsamer Blick auf eine der schillerndsten Figuren in Shakespeares Oeuvre, ein leicht lesbarer historischer Roman, durchaus auch für die Altersgruppe 16+ geeignet und ein passender Einstieg in das Werk des Barden von Stratford-upon-Avon.

Veröffentlicht am 01.12.2023

Ohne Kitsch und Pathos

Der Buchclub – Ein Licht in dunklen Zeiten
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Bingham Books, eine Buchhandlung in Beechwood, einem Londoner Vorort im Zweiten Weltkrieg.. Der Tod ihres Mannes hat Gertie so sehr getroffen, dass sie sogar mit dem Gedanken spielt, das gemeinsame Lebenswerk ...

Bingham Books, eine Buchhandlung in Beechwood, einem Londoner Vorort im Zweiten Weltkrieg.. Der Tod ihres Mannes hat Gertie so sehr getroffen, dass sie sogar mit dem Gedanken spielt, das gemeinsame Lebenswerk zu verkaufen. Doch das Schicksal hat andere Pläne mit ihr. Ein Freund kümmert sich aktiv um die Evakuierung deutscher Kinder jüdischen Glaubens und deren sichere Unterbringung in England und bittet sie, eines dieser Kinder bei sich aufzunehmen. Nach kurzem Zögern erklärt sich die kinderlose Gertie dazu bereit, nicht ahnend, dass Hedy, das Mädchen aus Deutschland, ihrem Leben einen neuen Sinn verleihen wird.

Unterhaltungsromane, in deren Zentrum eine Buchhandlung steht, gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Allerdings läuft deren Handlung meist nach Schema F ab. Eine Buchhandlung (Erbe oder zum Verkauf stehend), die neue Besitzerin (natürlich von außerirdischer Schönheit), ein gutaussehender, aber unausstehlicher Kunde, und…Schwupps, beide werden von Amors Pfeil getroffen und alle Probleme gehören plötzlich der Vergangenheit an. Soweit das Übliche.

Anders in Annie Lyons „Der Buchclub: Ein Licht in dunklen Zeiten“ @rowohltverlag. Die Autorin, gelernte Buchhändlerin, vermeidet diese Klischees durch das Einbetten ihres Romans in den historischen Kontext, der wie in Kate Thompsons „Die Bibliothek der Hoffnung“ breiten Raum einnimmt. Die Entbehrungen der Kriegsjahre, der Blitzkrieg über London, der Tod naher Freunde, die Sorgen um das Schicksal der Angehörigen (in Hedys Fall besonders tragisch, da die Deportationen in vollem Gang sind). Die einzige Konstante in dieser schrecklichen Zeit sind die Bücher, die wenigsten für kurze Zeit die Sorgen des Alltags vergessen lassen, denn selbst in den dunkelsten Stunden gibt es Hoffnung.

Ein warmherziger Roman ohne Kitsch und Pathos über Zusammenhalt und Mitgefühl in schweren Zeiten, in dem die Charaktere bis in die Nebenrollen mit feinem Strich gezeichnet sind. Lesen!

Veröffentlicht am 28.11.2023

Vom Sterben in der Stille

Kant und das Leben nach dem Tod
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Leichenteile in Müllsäcken, entsorgt nahe der Autobahn im Hofoldinger Forst. Die Obduktion offenbart neben der Identität des Toten ein überraschendes Ergebnis, denn offenbar waren die Körperteile über ...

Leichenteile in Müllsäcken, entsorgt nahe der Autobahn im Hofoldinger Forst. Die Obduktion offenbart neben der Identität des Toten ein überraschendes Ergebnis, denn offenbar waren die Körperteile über einen längeren Zeitraum tiefgefroren. Die Spur führt nach Hasenbergl, Hochhaussiedlung im Münchner Norden und sozialer Brennpunkt. Ein neuer Fall für das Team um Joachim Kant von der Münchner Kripo.

Parallel dazu lernen wir Antonia kennen, eine junge Frau, die nach dem Tod ihrer Mutter in München einen Neuanfang wagen will. Als ihre Pläne durch unglückliche Umstände durchkreuzt werden, sucht sie den Kontakt zu ihrem Großvater, der in Hasenbergl, der anonymen Hochhaussiedlung im Münchner Norden lebt und dort von seiner übergriffigen Lebensgefährtin betreut wird. Die Trostlosigkeit der Umgebung und das Desinteresse der Bewohner erschweren die Ermittlungen. Niemand kennt das Opfer oder interessiert sich auch nur im Geringsten für die Umstände, die zu dessen Tod geführt haben. Die ideale Umgebung, in der einsame Senioren zur leichten Beute für Kriminelle werden können.

Häußler beschränkt sich in seinem Roman auf das Wesentliche ohne Drumherumgerede oder überflüssiges Aufblähen der Story. Wie bereit die beiden Vorgänger überzeugt auch dieser dritte Band der Kant-Reihe einmal mehr durch die realistischen Schilderungen der Polizeiarbeit. Hervorzuheben sind aber auch die punktgenauen, deprimierenden Beschreibungen des Umfelds/Milieus. Aufgelockert wird diese depressive Grundstimmung durch feingezeichnete Einschübe zum Privatleben der Ermittler: Kant, der mit dem Auszug seiner Tochter klarkommen muss, Rademacher, der nach seiner schweren Erkrankung seinem Leben eine neue Richtung geben will und Hanna, die Perfektionistin, deren Privatleben neue Herausforderungen für sie bereit hält.

Ein Kriminalroman mit gesellschaftskritischen Untertönen, der ohne charismatische Superhelden und spektakuläre Action-Sequenzen auskommt, sondern sich an der Realität orientiert. Lesen!

Veröffentlicht am 03.11.2023

Neues aus Oldcastle

Das Blut der Opfer
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In „Das Blut der Opfer“ nimmt uns Stuart MacBride wieder mit nach Oldcastle. Allerdings schauen wir weder Logan McRae und Roberta Steel noch Ash Henderson bei ihren Ermittlungen über die Schulter, denn ...

In „Das Blut der Opfer“ nimmt uns Stuart MacBride wieder mit nach Oldcastle. Allerdings schauen wir weder Logan McRae und Roberta Steel noch Ash Henderson bei ihren Ermittlungen über die Schulter, denn mit DS Lucy McVeigh und ihrem Sidekick DS Duncan „Dunk“ Fraser erweitert MacBride einmal mehr den Kreis seiner Protagonisten.

Die beiden werden auf einen Fall angesetzt, in dem seit Monaten ergebnislos ermittelt wird. Die Hütte brennt, die Oberen machen Druck, die Medien werfen der Polizei Inkompetenz vor. Ein Serienmörder, dessen Vorgehensweise an Jack the Ripper erinnert, treibt seit eineinhalb Jahren in Oldcastle sein Unwesen und muss schnellstmöglich gefasst und hinter Gitter gebracht werden.

Gar nicht so einfach, denn da gibt es noch einen anderen Fall, der Lucy Kopfzerbrechen bereitet. Vor sechzehn Jahren wurde ein damals Elfjähriger für den Mord an einem Obdachlosen verurteilt. Mittlerweile hat er seine Strafe verbüßt, ist zwar wieder in Freiheit, aber total verängstigt. Offenbar wird er verfolgt und soll für den Mord mit dem Leben bezahlen. In seiner Verzweiflung wendet er sich an Lucy und bittet um Hilfe.

Einmal mehr hat MacBride einen Thriller geschrieben, der zwar eine bedrohlich düstere Atmosphäre verbreitet, diese aber wie gewohnt mit sarkastischen, schwarzhumorigen Passagen bricht. Üblicherweise passt das, aber hier wäre ein ernsthafter Ton angemessener gewesen, insbesondere, da der persönliche Hintergrund von Lucy, der gerade im letzten Viertel im Vordergrund steht, sich sehr eindringlich liest.

Nichtsdestotrotz liefert der Schotte das ab, was man von ihm erwartet, wenn man mit seinem Storytelling vertraut ist: Eine spannende Handlung mit überraschenden Wendungen, interessante Protagonisten, die sich nicht in ein Schema pressen lassen, atmosphärische Beschreibungen und eine gehörige Portion Zynismus (mit gewissen Einschränkungen s.o.).