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Veröffentlicht am 06.07.2023

Wenn ein Autor in große Fußstapfen tritt...

Refugium
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„Refugium“ hat eine interessante Geschichte: Die Millennium-Trilogie des schwedischen Journalisten Stieg Larsson gehört zu den weltweit erfolgreichsten Krimireihen. So verwundert es nicht, dass sowohl ...

„Refugium“ hat eine interessante Geschichte: Die Millennium-Trilogie des schwedischen Journalisten Stieg Larsson gehört zu den weltweit erfolgreichsten Krimireihen. So verwundert es nicht, dass sowohl der Verlag als auch die Erben nach dem Tod des Autors an diesem Erfolg partizipieren wollten und deshalb einen Autor suchten, der die Reihe fortschreiben sollte.

Der Nachfolger wurde mit David Lagercrantz gefunden, dessen auf 10 Bände geplante Fortsetzung es allerdings bei Weitem nicht mit dem Original aufnehmen konnte und deshalb nach drei Romanen 2019 eingestellt wurde.

John Ajvide Lindqvist, ein erfolgreicher Autor, dessen bisherige Romane ausnahmslos dem Horrorgenre zuzuordnen sind, bekam nun die Möglichkeit, die Reihe fortzuführen. Dessen Sequel fand aber keine Gnade vor den Augen des Verlags und wurde abgelehnt. Also passte er die Geschichte an, änderte die Namen der Protagonisten und veröffentlichte sie unter dem Titel „Refugium“, ebenfalls geplant als Auftaktband der Stormland-Trilogie, die in 2024 und 2025 komplettiert wird. Die Fortsetzung der Millennium-Trilogie kommt nun von Karin Smirnoff und wird in der Übersetzung Ende August erscheinen.

Julia Malmros, eine ehemalige Polizistin und nun Krimi-Autorin, soll die Millennium-Trilogie fortschreiben und bekommt vom Verlag den Computernerd Kim Ribbing zur Seite gestellt. Obwohl das Exposé die Erwartungen der Lektorin nicht erfüllt und sie es deshalb ablehnt, freunden sich die beiden an und verbringen den Mittsommerabend gemeinsam in Julias Sommerhaus im Schärengarten. Doch dann bricht plötzlich ein Inferno los. Ein Boot nähert sich der Nachbarinsel, zwei Schützen eröffnen das Feuer und erschießen sämtliche Anwesende. Einzige Überlebende ist die Tochter der Familie. Verantwortlich für die Aufklärung dieser kaltblütigen Morde ist Julias Ex-Mann, der allerdings keinen Plan hat, wo er ansetzen soll. Und hier kommen Ribbing und Julia ins Spiel.

Einer der Toten ist ein Jugendfreund von Julia, und so zieht die ehemalige Polizistin alle Register, um die Verantwortlichen zu entlarven und zur Rechenschaft zu ziehen. Mit Ermittlungsmethoden ist sie vertraut, muss sich als Externe auch nicht an einschränkende Vorschriften halten und hat mit Kim Ribbing einen Hacker mit außergewöhnlichen Fähigkeiten an der Hand, der sie unterstützt. Sie recherchieren, verknüpfen die gefundenen Informationen, stellen Verbindungen her und sind bald mitten in einem Fall, der weitere Kreise zieht, als sie sich je hätten vorstellen können.

Wenn ein Autor in solch große Fußstapfen tritt, bleibt es nicht aus, dass Vergleiche gezogen werden. Und hier schneidet Lindqvist nicht schlecht ab, auch wenn die Passagen, in denen er sich seinen Frust über das abgelehnte Manuskript etwas zu oft von der Seele schreibt.

Natürlich gibt es offensichtliche Anleihen: Der Journalist Mikael Blomkvist wird zur Autorin Julia Malmros, beides Angehörige der schreibenden Zunft, Kim Ribbing ist die wiedergeborene Lisbeth Salander, ebenfalls schwer traumatisiert und mit Bindungsängsten, und um Big Money und mafiöse Männerbünde geht es hier wie dort.

Die Handlung ist bei Lindqvist in der Gegenwart angekommen und behandelt jede Menge Themen, die westlichen Gesellschaften unter den Nägeln brennen, aber auch einiges an Potenzial für kriminelle Aktivitäten bieten. Er erzählt spannend und in kurzen Kapiteln, wechselt zwischen den verschiedenen Akteuren hin und her, variiert zwischen Action und Recherche, was nicht nur das Tempo sondern auch das Interesse des Lesers/der Leserin durchgängig hoch hält. Und er schafft es problemlos, am Ende sämtliche Handlungsstränge souverän und ohne Logikfehler zusammenzuführen und offene Fragen hinreichend zu beantworten.

Ich habe mich jedenfalls sehr gut unterhalten gefühlt und die 524 Seiten in eineinhalb Tagen gelesen. Und auf die beiden Nachfolgebände freue ich mich bereits jetzt schon!

Veröffentlicht am 30.06.2023

Erstens kommt es anders...

Bretonischer Ruhm
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Gutem Essen und einem guten Gläschen Wein sind sowohl Dupin als auch Claire nicht abgeneigt. So verwundert es nicht, dass sie ihre Hochzeitsreise im für ausgezeichnete Weine bekannten Pays de Retz (ehemals ...

Gutem Essen und einem guten Gläschen Wein sind sowohl Dupin als auch Claire nicht abgeneigt. So verwundert es nicht, dass sie ihre Hochzeitsreise im für ausgezeichnete Weine bekannten Pays de Retz (ehemals bretonisch) verbringen. Von Weinprobe zu Weinprobe, von Restaurant zu Restaurant, die Köstlichkeiten der Region genießen, in den Tag hinein leben und endlich einmal keine Fälle, die es zu lösen gilt. Das könnte so schön sein, aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt, denn der Ex-Mann von Claires Freundin, Besitzerin eines Weinguts, wird ermordet. Obwohl die örtliche Polizei ihm deutlich zu verstehen gibt, dass seine Hilfe nicht erwünscht ist, befindet sich Dupin schon bald auf Drängen – und tatkräftig von Claire, deren Freundin und seinen Kollegen aus Concarneau unterstützt – mitten in den Ermittlungen. Zu allem Überfluss gibt es auch noch schlechte Nachrichten aus der Heimat. Das Haus der Dupins scheint mittlerweile wie ein Schweizer Käse auszusehen, weil ein Grünspecht dort sein Unwesen treibt und die Fassade attackiert.

Die kriminellen Aktivitäten spielen in „Bretonischer Ruhm“ eine untergeordnete Rolle. Spannung kommt kaum auf und der Fortgang der Handlung könnte etwas mehr Tempo vertragen. Und überraschende, unverhoffte Wendung sucht man leider auch vergebens. Aber das ist ja auch nicht der Grund, weshalb ich mich dennoch über jede Fortsetzung der Reihe freue. Natürlich sind es die sympathischen Protagonisten, ihre Interaktionen und Eigenheiten, aber auch die Beschreibung einer Region, die ich noch nicht auf dem Schirm hatte. Im vorliegenden Fall die interessanten Informationen zu Weinbau und Kulinarik, die atmosphärischen Landschaftsbeschreibungen, und ich halte jede Wette, dass spätestens im kommenden Jahr die Besucherzahlen im Pays de Retz durch die Decke gehen werden, machen die detaillierten Schilderungen des Autors doch wie immer Lust auf einen Urlaub in Frankreichs Nordwesten.

Veröffentlicht am 24.06.2023

Nicht nur für Istrien-Urlauber empfohlen

Klippensturz
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Edith Kneifls „Klippensturz“ ist der dritte Band der Laura Mars-Reihe, und diesmal verschlägt es die Protagonistin im Zuge einer Erbschaftsangelegenheit nach Istrien. Von ihrer verstorbenen Großmutter ...

Edith Kneifls „Klippensturz“ ist der dritte Band der Laura Mars-Reihe, und diesmal verschlägt es die Protagonistin im Zuge einer Erbschaftsangelegenheit nach Istrien. Von ihrer verstorbenen Großmutter als Alleinerbin eingesetzt, hat sie dort einen Notartermin, aber als Laura die Kanzlei in Pula aufsucht, findet sie den Notar tot in einer Blutlache auf dem Boden liegend. Tatwaffe ist offenbar die Tito-Büste, mit der ihm der Schädel eingeschlagen wurde. Sie alarmiert die Polizei und durchwühlt bis zu deren Eintreffen auf der Suche nach dem Testament die Dokumentenmappen. Es scheint spurlos verschwunden zu sein. Aber in einer Spalte zwischen Bücherschrank und Tresor findet sie ein abgegriffenes Büchlein. Es ist das Tagebuch ihrer Großmutter, aber was hat das in dieser Kanzlei zu suchen? Und was wird Laura über ihre Familie erfahren, wenn sie in die Aufzeichnungen einer Großmutter eintaucht, die ihr eigentlich fremd ist?

Nun könnte man meinen, die Handlung bediene das übliche Konzept der speziell für Leserinnen geschriebenen Urlaubskrimis, und ja, das tut sie. Alle Zutaten sind vorhanden: Ein touristischer Hotspot als Hintergrund, eine attraktive Amateurdetektivin, die zufällig und ohne eigenes Zutun in eine mehr oder weniger spannende Krimihandlung samt Familiengeheimnis verwickelt wird, auf eigene Faust und stellenweise ohne Sinn und Verstand ermittelt (wer kontaminiert einen Tatort?), ein gutaussehender Profi, der anfangs nicht begeistert von dieser Einmischung ist, und zu guter Letzt, wie könnte es anders sein, die unvermeidliche Romanze.

Wahrscheinlich hätte ich diesen Krimi aus den oben genannten Gründen nicht in die Hand genommen, aber da ich im Urlaub gerne Bücher lese, deren Handlung am jeweiligen Ziel verortet ist, durfte mich „Klippensturz“ nach Opatija/Istrien begleiten. Über den konventionellen Plot konnte ich glücklicherweise schon nach kurzer Zeit hinwegsehen, denn zweifelsohne hat Edith Kneifl ein Gespür für Land und Leute, für die Beschreibung der malerische Landschaft und der pittoresken Städtchen, die die Urlauber auf der Suche nach kroatischer Authentizität natürlich besuchen. Aber nicht alles ist eitel Freud‘ und Sonnenschein im Paradies, und glücklicherweise scheut Kneifl auch nicht davor zurück, die tagtägliche Realität und ökonomischen Probleme der einheimischen Bevölkerung abzubilden. Und als Bonus gibt es zusätzlich einen höchst interessanten Ausflug in die Geschichte der Region, den sie anhand der großmütterlichen Aufzeichnungen unternimmt. Nimmt man all diese Punkte zusammen, ergibt sich daraus ein Kriminalroman, dessen Qualitäten man erst bei genauerem Hinsehen erkennt und den ich gerne als Ferienlektüre empfehle.

Veröffentlicht am 15.06.2023

Vielversprechender Reihenauftakt

Das Gebot der Rache
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Es gibt zahlreiche ehemalige Polizisten, die nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst Kriminalromane schreiben. So auch Neil Lancaster, der nach sieben Jahren bei der Militärpolizei der Royal Air Force ...

Es gibt zahlreiche ehemalige Polizisten, die nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst Kriminalromane schreiben. So auch Neil Lancaster, der nach sieben Jahren bei der Militärpolizei der Royal Air Force 1990 als Spezialist für verdeckte Ermittlungen zur Metropolitan Police wechselte. Seit seinem Ausscheiden 2015 lebt er in den schottischen Highlands und schreibt Kriminalromane.

Mein Interesse geweckt hat zum einen das Zitat „Grabbed me from the first page. Think Jack Reacher fronting Line of Duty“ des von mir sehr geschätzten Ian Rankin, zum anderen lohnt es sich immer, die Nominierten für den McIlvanney-Preis genauer unter die Lupe zu nehmen. Also dann: „Das Gebot der Rache“, Auftakt der DS Max Craigie-Reihe und nominiert als bester schottischer Kriminalroman 2021.

„Der Tote ist ein Gentleman namens Tam Hardie. Er ist vermutlich der größte Gangster Schottlands, und die Sache wird ziemlich hohe Wellen schlagen. Die Leiche eines Verbrecherbosses, versteckt in einem jahrhundertealten Grab – das wird auf der Titelseite jeder Zeitung stehen“ (S. 62).

Wer nun aber glaubt, dieser Krimi würde sich nur um die Tätersuche, die übrigens schnell erledigt ist, eine alte Familienfehde und die Nachfolgekämpfe in Glasgows Unterwelt drehen, täuscht sich. Natürlich spielt das vordergründig eine Rolle, aber das beherrschende Thema ist die Korruption in den Reihen der Polizei, denn je tiefer DS Max Craigie und seine Kollegin, die Anfängerin DC Janie Calder, in den Fall eintauchen, desto offensichtlicher wird es, dass jemand mit großem Einfluss schützend seine Hand über das organisierte Verbrechen hält.

Mit den Glasgow-Krimis von William McIlvanney, Alan Parks oder Denise Mina kann es Lancaster zwar nicht aufnehmen, hat aber mit diesem Reihenauftakt einen soliden Krimi abgeliefert. Die Handlung ist zwar komplex, aber gut nachvollziehbar und mit Tempo erzählt, verliert sich aber glücklicherweise nicht in allzu detaillierten Beschreibungen der einzelnen Ermittlungsschritte. Die Protagonisten sind sympathisch, haben zwar auch ihre persönlichen Probleme, aber diese überlagern glücklicherweise nicht die eigentliche Story. Und ihr Verhältnis ist jederzeit professionell ohne romantisches Geplänkel.

Ein spannender, lesenswerter Einstieg in die Reihe, von der im Original bereits vier Bände erhältlich sind. Ich freue mich auf die Fortsetzung.

Veröffentlicht am 21.05.2023

Auf zu neuen Ufern

City of Dreams
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Danny Ryan ist auf der Flucht Richtung Westen, begleitet von seinem Vater und seinem kleinen Söhnchen. Er hat die Nase voll, möchte seine Vergangenheit hinter sich lassen, endlich ein friedliches Leben ...

Danny Ryan ist auf der Flucht Richtung Westen, begleitet von seinem Vater und seinem kleinen Söhnchen. Er hat die Nase voll, möchte seine Vergangenheit hinter sich lassen, endlich ein friedliches Leben ohne Schießereien und Gang-Kämpfe führen, seinen Sohn aufwachsen sehen. Und so versucht er, sich vor der italienischen Mafia, dem FBI und der State Police in Sicherheit zu bringen und unter dem Radar zu bleiben. Zu dumm nur, dass zwei seiner loyalen Kumpel, die er im Schlepptau hat, das ganz anders sehen und aktiv werden, als sie herausfinden, dass Hollywood einen Film über die Ereignisse in Dogtown drehen. Als an ihnen Beteiligte sind sie der Meinung, ihnen würde ein Teil vom Kuchen zustehen, und so kommen sie aus der Deckung. Mit Folgen, die sie mit hätten vermeiden können, wenn sie sich ihre Aktion im Vorfeld überlegt hätten.

Mittelbände in Trilogien haben es üblicherweise schwer, und da ist Don Winslows „City of Dreams“ keine Ausnahme. Weder bietet er die Überraschungsmomente des Vorgängers „City on Fire“ noch den finalen Showdown, den wir im Abschlussband „City in Ruins“ wahrscheinlich erwarten dürfen, fährt eher mit angezogener Handbremse, auch wenn es natürlich zu den für dieses Genre typischen Auseinandersetzungen kommt. Dafür kriecht er tiefer in die Personen hinein, bringt uns selbst solche näher, die nicht im Zentrum des Geschehens stehen sondern nur Randfiguren sind.

Das wirkt alles durchdacht und souverän, kann es aber dennoch mit den großen Romanen aus Winslows Schaffen nicht aufnehmen, aber trotzdem sehe ich seinem angekündigten Abschied mit großem Bedauern entgegen. Seine Thriller werden mir fehlen.

Schlussbemerkung: Man sollte die Trilogie unbedingt in der richtigen Reihenfolge lesen, damit man die Ereignisse entsprechend einordnen kann.