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Veröffentlicht am 13.03.2022

Wilhelm Tell

Tell
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"Tell" erzählt die altbekannte Geschichte von Wilhelm Tell, dem legendären Schweizer Nationalhelden, der den Habsburger Tyrannen inmitten der Alpen die Stirn bietet. Vielen vor allem durch Schillers gleichnamiges ...

"Tell" erzählt die altbekannte Geschichte von Wilhelm Tell, dem legendären Schweizer Nationalhelden, der den Habsburger Tyrannen inmitten der Alpen die Stirn bietet. Vielen vor allem durch Schillers gleichnamiges Drama und den berühmten Apfelschuss bekannt, ist Tell in dieser Neuerzählung ein bärbeißiger Antiheld, ein Eigenbrötler, welcher lediglich seiner Familie ein gutes Leben auf dem eigenen Hof ermöglichen möchte. Doch die Schikanen der Habsburger Obrigkeiten lassen Tell schließlich zum Freiheitskämpfer und Tyrannenmörder werden, zur Legende, die auch noch nach acht Jahrhunderten neu erzählt wird.

Der Klappentext spricht von einem "Blockbuster in Buchform", und das trifft es ziemlich gut. Joachim B. Schmidt lässt mit seiner Neuinterpretation den Mythos um Wilhelm Tell in vielstimmigen Bildern aufleuchten: 100 Abschnitte, erzählt aus den Sichtweisen von insgesamt 20 Akteuren, vermitteln ein rasant vorpreschendes Erzähltempo. Die Legende vom Apfelschuss in neuem Gewand, ein großartiger Pageturner und sehr spannend gemacht. Großes Kino ohne viel Schnickschnack drumherum, klare Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 12.03.2022

Wortkarges Westjütland

Meter pro Sekunde
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Eine junge Mutter zieht mit Kind und Kegel von Kopenhagen in die westjütländische Provinz, wo das einfache Leben schnell zur Herausforderung wird. Der Ehemann ist Lehrer an der örtlichen Heimvolkshochschule ...

Eine junge Mutter zieht mit Kind und Kegel von Kopenhagen in die westjütländische Provinz, wo das einfache Leben schnell zur Herausforderung wird. Der Ehemann ist Lehrer an der örtlichen Heimvolkshochschule (aka Internat für Post-Abiturienten), findet schnell Anschluss unter Gleichgesinnten und wird zum Verehrten der weiblichen Schülerschaft. Doch Dolph verlebt ihre Tage als Mutter eines namenlosen Babys, versucht nebenbei in einem Kraftakt die Fahrschule zu meistern und geht ihrem trivialen Job als Kummerkasten in der lokalen Zeitung nach.

Die handelnden Charaktere sind ungewöhnlich gewöhnlich; der etwa einjährige Sohn ist tatsächlich noch namenlos, die Mitmenschen eher kurz angebunden und stets auf Distanz bedacht. Sprachlich ist der Roman gut ausgefeilt. Anfangs ein bisschen vage, monoton und inhaltlich recht "leer", ergibt sich aus einzelnen Bildern und Anekdoten doch allmählich etwas Ganzes - nämlich das Leben selbst. Zum Teil immer wieder sehr humorvoll und mit einer ganz schön großen Prise Weisheit gespickt, ist "Meter pro Sekunde" ein langsames Buch über Alltagsgedöns und voller Alltagsbetrachtungen, das mich durch seine Sonderbarkeit ziemlich beeindruckt hat. Perfekt zum Abschalten in dieser furchtbaren Zeit, um mit der Protagonistin von einer Banalität in die Nächste zu rutschen. Doch unter der Oberfläche des Banalen liegt eine Ernsthaftigkeit und Tiefe, welche dem Buch 2020 zurecht den dänischen Literaturpreis des Goldenen Lorbeers eingebracht hat.

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Veröffentlicht am 04.03.2022

Komplett an mir vorbeigezogen

Sechzehn Pferde
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Ein Buch, das mich sehr verwirrt und enttäuscht zurücklässt. Alles hat relativ gut begonnen, aber ab der zweiten Hälfte hat mein Interesse zum Weiterlesen rasant abgenommen. Die Handlung blieb bis zum ...

Ein Buch, das mich sehr verwirrt und enttäuscht zurücklässt. Alles hat relativ gut begonnen, aber ab der zweiten Hälfte hat mein Interesse zum Weiterlesen rasant abgenommen. Die Handlung blieb bis zum Schluss leider recht oberflächlich, wurde zunehmend immer unschlüssiger und letztendlich kann ich echt nur noch vage sagen, was überhaupt auf rund 450 Seiten passiert ist. Womöglich hätten längere Kapitel der Handlung sehr gut getan, denn die insgesamt 103 Kapitel hackten die Handlung ständig ab, ohne dabei große Spannungsbögen zu ermöglichen. Man springt also insgesamt eher zwischen verschiedenen Zeitebenen und Handlungssträngen hin und her, das fand ich sehr konfus. Die vielen Kapitel sind schnell an mir vorbeigezogen, die teilnehmenden Personen blieben blass und haben mich wenig (bis gar nicht) berührt. Die Grundidee ist nett, aber letztendlich zu verzweigt und hat sich damit selbst ein Bein gestellt. Irgendwie wirkt das Buch sehr konstruiert, aber nicht ganz zu Ende erzählt, und so konnte ich leider keine Bindung zum Buch aufbauen. Hab's dennoch bis zum Ende gelesen, weil ich dachte alles würde sich komplementieren, aber Pustekuchen. Vielleicht sind Krimis einfach nicht mein Genre.

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Veröffentlicht am 27.02.2022

Chicago - Paris

Die Optimisten
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Von Chicago während der 80er-Jahre bis ins Paris der Gegenwart zieht sich die Handlung der Optimisten. Yale arbeitet für eine Kunstgalerie in Boystown, der Gay Community Chicagos, und steht vor dem Erwerb ...

Von Chicago während der 80er-Jahre bis ins Paris der Gegenwart zieht sich die Handlung der Optimisten. Yale arbeitet für eine Kunstgalerie in Boystown, der Gay Community Chicagos, und steht vor dem Erwerb einer nennenswerten Kunstsammlung aus den 1920ern. Doch kaum, dass der beruflichen Erfolg zum Greifen nahe ist, wird die Stadt von der beginnenden Aids-Epidemie eingeholt, welche nach und nach auch im eigenen Bekanntenkreis um sich greift. Während viele weniger an das HI-Virus glauben als an ihre sexuelle Freizügigkeit, kann Yale nur machtlos zusehen, wie zunehmend einige seiner engsten Freunde mit den Folgen der Infektion kämpfen und nacheinander aus dem Leben gerissen werden. Fiona, die ihren Bruder Nico an die Krankheit verloren hat, ist ihm derweil eine große seelische Unterstützerin.
 
Rund dreißig Jahre später begibt sich Fiona in einem mitlaufendem Erzählstrang nach Paris, um ihre verschwundene Tochter zu suchen. Dabei stößt sie auf alte Bekannte aus Chicago und wird aufs Neue mit den damaligen Ereignissen, Erlebnissen und Verlusten konfrontiert.
 
Makkai schreibt über Freundschaft und Leid, von Lieben und Lebenswegen, die sich durch den Tod trennen. Und sie schreibt über den gesellschaftlichen Umgang mit einer epidemischen Krankheit, die unaufhaltbar um sich greift. Inmitten der Gay-Szene Chicagos wird ein Räsonanzboden für eine gesellschaftliche Krise aufgebrochen, in der Wut und Trauer, sowie die Unfähigkeit zu Handeln, die Gedanken vernebeln. Ein großer und dicker Roman mit einer rundum packenden und eindrucksvollen Geschichte über eine gesellschaftliche Krise und dem optimistischen Blick nach vorn, trotz aller Unsicherheit und Ungewissheit. Thematisch zwischen Kunst und HIV-Ausbruch hat Makkai ein atemberaubendes Bild einer unsteten Epoche entworfen. Zwischendurch war die Geschichte auch mal etwas weiträumiger erzählt, aber ein 600-Seiten Buch kommt wohl eher selten ohne Längen aus. Meine Erwartungshaltung war groß, aber ich wurde nicht enttäuscht - riesen Leseempfehlung.
 

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Veröffentlicht am 24.02.2022

Clash of Generations

Im Menschen muss alles herrlich sein
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Die Sowjetunion unter Gorbatschow. Ein korruptes System, und doch Heimat für die Freundinnen Tatjana und Lena. Aber das Land steht im Umbruch, ist im Begriff des Zerfalls, und so führen die Wege der beiden ...

Die Sowjetunion unter Gorbatschow. Ein korruptes System, und doch Heimat für die Freundinnen Tatjana und Lena. Aber das Land steht im Umbruch, ist im Begriff des Zerfalls, und so führen die Wege der beiden Frauen als jüdische Kontingentflüchtlinge in den 90ern schließlich aus der fortan unabhängigen Ukraine nach Deutschland. Ihre beiden Töchter wachsen hier unter einer anderen Sozialisation auf, verankert in einer ganz anderen Zeit, und man könnte meinen: in einer komplett anderen Welt.

Ein Bogen über vier Jahrzehnte führt aus einem Pionierlager der Sowjetunion bis ins heutige Thüringen, als auf einer Familienfeier die Generationen wieder zusammentreffen. Clash of Generations. Unverständnis und Sprachlosigkeit, Stimmlosigkeit zwischen den Alten und Jungen - man redet nicht viel, lebt in seiner eigenen Welt. Ein Roman über Mutter-Tochter-Beziehungen, die vor allem auch unter den verschiedenen Sichtweisen auf das Konstrukt Heimat leidet, einer Heimat der Vergangenheit vs. einer Heimat des Jetzt. Salzmann schreibt über die Verhandlung einer familiären Identität, eines krisenartigen Zusammenspiels von Erinnerungen an eine vergangene Zeit in einem korruptem Land und dem Exil. Ist Heimat Ort oder Zeit, was formt Heimat und wie funktioniert Familie, wenn die Tochter mit der Heimat ihrer Mutter nichts anfangen kann?

Zurecht letztes Jahr auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, aber ich hätte gern eine ausgewogenere Verteilung der Erzählperspektiven gelesen, da einige Erzählstränge leider eher in den Hintergrund gerutscht sind. Sonst keine Kritik von mir, ein insgesamt sehr interessanter Generationenroman.

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